Monika Hauser ist eine unserer „25 Frauen, die unsere Welt besser machen”. Sie setzt sich seit über 20 Jahren mit ihrer Organisation „Medica Mondiale“ für kriegstraumatisierte Frauen ein. Wir haben mit ihr über ihre Arbeit gesprochen.
Eine Stimme für vergewaltigte Frauen
Zwischen 2011 und 2016 wurden in syrischen Gefängnissen 13.920 Frauen und Mädchen gefoltert und vergewaltigt, so das Syrian Network for Human Rights. Wo Krieg herrscht, herrscht auch sexualisierte Gewalt. Die Frauen und Mädchen in diesen Gebieten sind ihren Vergewaltigern oft schutzlos ausgeliefert – und die Internationale Gemeinschaft sieht zu.
Die Gynäkologin und Frauenrechtlerin Monika Hauser kämpft seit den frühen 1990er Jahren dafür, dass sich das ändert. Mit ihrer internationalen NGO „Medica Mondiale” setzt sich für die Mädchen und Frauen in Krisen- und Kriegsgebieten überall auf der Welt ein. Dabei vertreten sie und ihre Mitstreiterinnen einen feministischen Ansatz, der Hilfe zur Selbsthilfe fördert. Sie bieten Frauen, die Vergewaltigung und Folter erlebt haben, medizinische, psychologische und rechtliche Unterstützung, in einem weiteren Schritt aber auch Projekte, in denen die Frauen unabhängig werden können. Außerdem gibt die Organisation diesen Frauen in der internationalen Politik eine Stimme. Wir haben mit Monika Hauser über unhaltbare Zustände, die Ignoranz der Politik und die Zukunft, die Frauen und Mädchen in ehemaligen Kriegsgebieten für sich selbst schaffen, gesprochen.
Frau Hauser, sie engagieren sich mit Medica Mondiale seit über 20 Jahren weltweit für Mädchen und Frauen in Krisen- und Kriegsgebieten. Könnten Sie vielleicht noch einmal berichten, woher Ihre eigene Motivation kommt?
„Ich finde, wir müssen Verantwortung in der Welt übernehmen. Schon als junge, angehende Gynäkologin musste ich feststellen, dass das Thema sexualisierte Gewalt auch in der Schweiz und in Deutschland in den Kliniken ein Thema war, über das geschwiegen wurde, egal woher die Frauen kamen oder welcher Schicht sie angehörten. Die Strukturen wollten, dass ich den Mund halte, als ich mich gegen das Schweigen engagierte. Und als ich dann durch die Medien von den massenhaften Vergewaltigungen im Bosnienkrieg 1992 erfuhr, war für mich klar, dass ich mich hier einmischen und Verantwortung übernehmen muss – besonders als Nachfahrin von Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt und von Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Ich wurde wütend darüber, was den bosnischen Frauen angetan wurde, aber auch wütend darüber, dass die Politik und internationale Hilfsorganisationen nichts unternommen haben. Es fehlte sowohl an Empathie als auch an sicheren Strukturen für die Frauen. Damit war der Grundgedanke für unsere Organisation geboren.”
Wie arbeitet ihre Organisation konkret?
„Uns geht es nicht nur um Unterstützung für die Betroffenen, wir wollen grundsätzlich und langfristig patriarchale Strukturen aufbrechen, weil sich nur dann das Leben von Frauen positiv verändern wird – und für Männer übrigens auch. Wir verfolgen deshalb eine Doppelstrategie: einerseits direkte praktische Unterstützung der Frauen, sei es gynäkologische, psychologische oder juristische. Und andererseits Aufklärungs- und Menschenrechtsarbeit, in der Politik und gesellschaftlich in Bosnien, Liberia oder in unseren anderen Projektländern. Diese beiden Ansätze müssen immer Hand in Hand gehen. Meine Motivation wird immer wieder auch durch diese politische Arbeit genährt. Uns geht es um einen ,Empowerment-Ansatz’. Das heißt, wir wollen Frauen so unterstützen, dass sie irgendwann selbstständig für andere Bedingungen kämpfen können. Vom Opfer, zur Überlebenden, zur Aktivistin, die die Verhältnisse verändert und gestaltet.”
Und wie sieht Ihre persönliche alltägliche Arbeit aus?
„Ich mache Öffentlichkeitsarbeit und ich mache politische Arbeit. In diesem Zusammenhang führe ich zum Beispiele Gespräche in Berlin, in Brüssel, in der UN und gebe dort unsere Erfahrungen weiter, um die Politik immer wieder daran zu erinnern, welche Verantwortung sie hat und dass die Resolutionen, die all diese Politiker unterschrieben haben, endlich durchgesetzt werden müssen. Außerdem halte ich Vorträge auf Konferenzen. Aber ich bin natürlich auch vor Ort. Ich besuche unsere Projekte, um zu sehen, wie die Arbeit vorangeht, welche täglichen Herausforderungen die Kolleginnen bewältigen müssen , welche Probleme sich ihnen in den Weg stellen. Die Arbeit vor Ort zu sehen, ist mir sehr wichtig und erfüllend. Und ich komme immer ganz gestärkt von diesen Projektreisen zurück. Das klingt vielleicht komisch, aber dort verändert sich etwas. Wir kämpfen von verschiedenen Orten und in verschiedenen Rollen für die gleiche Sache. Dieses Netzwerk und diesen Zusammenhalt zu spüren, gibt mir immer wieder viel Kraft. Manchmal sehe ich mehr Fortschritt in Afghanistan als in Deutschland.”
Wie sicher sind Frauen und Mädchen im Jahr 2017? Hat sich in den letzten Jahren etwas entscheidend verbessert oder liegen eigentlich immer noch unhaltbare Zustände vor?
„Da muss ich Ihnen eine geteilte Antwort geben. Afghanistan zum Beispiel: Die Internationale Gemeinschaft ist dort mit ihrer Intervention gescheitert, unsere Organisation ist das nicht. Sie ist mittlerweile in den Händen unserer 70 afghanischen Kolleginnen, die die Projekte vor Ort selbstständig leiten. Natürlich weiterhin in Kooperation mit uns in Köln, aber das Projekt läuft sehr nachhaltig, trotz der großen Schwierigkeiten, denen die Frauen dort jeden Tag ausgesetzt sind. Die Hilfe der Kolleginnen vor Ort, ob in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan, Liberia oder der Demokratischen Republik Kongo, bedeutet für die betroffenen Frauen einen enormen Unterschied. Das gilt natürlich auch für Projekte anderer Hilfsorganisationen. Wenn sich etwas positiv verändert, dann hauptsächlich durch zivilgesellschaftliches Engagement. Das, was aber weiterhin unhaltbar ist, sind die patriarchalen Bedingungen, die in all diesen Gebieten vorherrschen. Trotz vieler Resolutionen, hat sich hier nicht viel Entscheidendes verändert.”
Ist das in westlichen Ländern anders?
„Nein, nicht wirklich. Der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zum Beispiel ist ein Armutszeugnis für Deutschland. Darüber hinaus erstarken in ganz Europa reaktionäre Kräfte, die die Geschlechterverhältnisse wieder zurückdrehen wollen. Trotz großem Kampf und einer verbesserten Gesetzgebung in vielen westlichen Ländern sind wir weit entfernt von Gleichberechtigung. In Europa erlebt jede dritte Frau körperliche und sexualisierte Gewalt. In Kriegs- und Nachkriegsregionen sieht die Lage noch viel dramatischer aus. Dort herrscht enorme Armut, aus der sexuelle Abhängigkeitsverhältnisse reproduziert werden. Eine schwache bis nicht vorhandene Gesetzgebung fördert durch Straflosigkeit noch zusätzlich das hohe Vorkommen von sexualisierter Gewalt. Wir sprechen hier von einem Kontinuum der Gewalt: vor, während und nach dem Krieg. Die Null-Toleranz-Politik der Vereinten Nationen gegenüber sexualisierter Gewalt durch ihre Soldaten klappt überhaupt nicht. Die Berichte, die dabei öffentlich werden, sind nur die Spitze des Eisbergs. In all diesen Regionen, in denen sogenannte Peace-Keeping-Soldaten agieren, gibt es Vergewaltigungen und sexuelle Ausbeutung. Diese Soldaten kommen auch aus der westlichen Welt und besitzen oft ein genauso fatales Geschlechterbild wie Männer aus der Region.”
Gab es in den letzten Jahren auch Erfolgserlebnisse?
„Ich möchte gerne die mutige Arbeit meiner Kolleginnen in den Krisengebieten dieser Welt herausstellen. Viele von ihnen riskieren jeden Tag ihr Leben, um sich für traumatisierte Frauen einzusetzen. Feministin zu sein heißt in vielen Regionen der Welt, dafür umgebracht werden zu können. Aber diese Frauen kämpfen trotzdem – für andere und damit auch für sich selbst. Diese Art der Solidarisierung würde ich mir auch in Deutschland wünschen. Natürlich haben wir wichtige Resolutionen erreicht, diese sind aber von Aktivistinnen erkämpft worden, nicht von Politikern. Die UN-Resolution 1325: „Frauen, Frieden und Sicherheit” zum Beispiel, die im Jahr 2000 festlegte, dass Konfliktparteien dazu verpflichtet sind, die Rechte von Frauen zu schützen und sie in den Friedensprozess, Konfliktforschung und Wiederaufbau gleichberechtigt einzubeziehen. Deutschland selbst hat dazu übrigens erst sehr spät einen eigenen nationalen Aktionsplan aufgestellt. In den ersten Jahren nach seiner Verabschiedung waren wir sehr unzufrieden: Es gab kein Budget, kein Monitoring, die Umsetzung der Resolution war überhaupt nicht klar. Nun steht der zweite Nationale Aktionsplan an und wir arbeiten aktuell sehr intensiv daran, dass dieser Plan endlich mit einem wirklichen Budget ausgestattet wird.”
Was muss passieren, damit Frauen und Mädchen überall auf der Welt endlich besser geschützt sein werden?
„Zum einen mangelt es immer noch am politischen Willen. Wenn wir sehen, wie viel Geld ins Militär fließt und nur ein Bruchteil aller Gelder in humanitäre Hilfe, und von diesem Bruchteil wiederum nur ein Anteil von unter zehn Prozent in Projekte gegen sexualisierte Gewalt, dann lässt sich daraus schließen, dass der Schutz von Frauen in der internationalen Politik keine Relevanz hat. Hier muss ein generelles Umdenken stattfinden. Und dieses Umdenken muss sich in anderer Finanzierungsverteilung niederschlagen. Außerdem könnten deutsche Botschaften vor Ort eine viel prominentere Rolle spielen, indem sie unsere Partnerinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen vor Ort einladen und schützen. Aber wir brauchen auch mehr gesellschaftliches Bewusstsein. Und da sehe ich gerade eher einen Rückschritt, betrachtet man zum Beispiel die AfD oder andere reaktionäre Kräfte in Europa. Das ist erschreckend. Und erschreckend ist auch, dass sich konservative Parteien daran annähern, anstatt sich klar abzugrenzen. Damit Zivilgesellschaft und Politik ein Bewusstsein entwickeln, brauchen wir Aufklärung. Und dafür brauchen wir die Medien, auch die tragen hier eine große Verantwortung.”
Kann jede von uns etwas tun, um kriegstraumatisierten Frauen zu helfen?
„Ja, indem wir uns informieren. Um ein Bewusstsein zu entwickeln, muss ich viel wissen. Informationen stellen Organisationen wie unsere bereit. Ungerechtigkeit gegenüber Frauen begegnet uns jeden Tag – auch in Deutschland. Setzen Sie sich für geflüchtete Frauen und gegen sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen ein. Sie können zum Beispiele Leserbriefe schreiben, Aktionen organisieren oder Spenden sammeln, denn Organisationen wie Medica Mondiale können nur mit Spenden weiterarbeiten. Ganz wichtig ist aber: Schließen Sie sich mit anderen zusammen und übernehmen Sie gemeinsam Verantwortung.”
Zum Weltfrauentag sind sie mit einer Forderung an die Bundesregierung an die Öffentlichkeit gegangen, in der sie eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik fordern. Was genau kann man darunter verstehen?
„Im Prinzip geht es darum, dass der politische Wille, sich für Geschlechtergerechtigkeit stark zu machen, endlich erkennbar wird. Jegliche politische Aktivität muss daraufhin abgeklopft werden, ob sie die Realitäten von Frauen und Mädchen mit berücksichtigt und proaktiv gegen Gewalt und Diskriminierung vorgeht. Das heißt dann natürlich, dass die Bundesregierung mit ihren Ministerien selbst entsprechend aufgestellt sein muss. Nur so lässt sich auch die Resolution 1325 endlich ernsthaft umsetzen. Laut dem ,Syrian Network for Human Rights‘ wurden zwischen 2011 und 2016 13.920 Frauen und Mädchen in syrischen Gefängnissen gefoltert und vergewaltigt. Die Bundesregierung muss sich für ein Ende der Gewalt gegen Frauen und Mädchen einsetzen und geflüchtete Frauen angemessen unterstützen. Mittlerweile wird in Deutschland eine unmenschliche Flüchtlingspolitik betrieben, das muss sich dringend ändern.”
„25 Frauen, die unsere Welt besser machen” – was wünschen Sie sich für die Zukunft?
„Für mich geht es um Empathie. Ich wünsche mir, dass sehr viel mehr Frauen und Männer erkennen, dass sexualisierte Gewalt, auch wenn sie uns nicht direkt betrifft, uns doch etwas angeht. Wir alle leben in der gleichen Welt, wenn wir nichts tun, werden sich die Realitäten für uns alle verschlechtern. Wenn Menschen Gewalt erleben und schwer traumatisiert werden, geht uns das alle an. Wenn in Deutschland nur ein Prozent aller geflüchteten Frauen Asyl auf Grund von sexualisierter Gewalt bekommen, dann ist das eine Katastrophe, die auch mich als Bürgerin in Deutschland etwas angeht. Ich wünsche mir, dass viel mehr Menschen dagegen aufbegehren. Ich wünsche mir, dass auch Männer endlich anfangen, die vorherrschenden Strukturen zu hinterfragen. Das ist ein Kampf, der gemeinsam gekämpft werden muss.”
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