In einem niedersächischen Landkreis entscheidet der Chefarzt wegen seines christlichen Glaubens, dass in seiner Klinik von nun an keine Abtreibungen mehr durchgeführt werden. In welchem Jahr leben wir nochmal?
Jetzt ist auch mal genug mit dem Feminismus …
In der öffentlichen Diskussion kommt immer wieder die Frage auf, ob wir den Feminismus überhaupt noch brauchen. Wir hätten doch alles erreicht: Gleichberechtigung, freie Wahl des eigenen Lebenskonzepts, Überwindung
der klassischen Rollenmodelle – hahaha, schön wärs! Wie gefährlich es wäre, wenn der Feminismus sich „zur Ruhe setzen würde” zeigt die aktuelle Rückwärtsentwicklung in Bezug auf das Recht auf Abtreibung, die sich in letzter Zeit an vielen Orten erkennen lässt: Im vergangenen September versuchte etwa die polnische Regierung ein komplettes Abtreibungsverbot durchzusetzen. Nur durch Proteste, vor allem von Frauen in Polen selbst, aber auch in vielen anderen Ländern, konnte dieses Verbot verhindert werden. Polen hat aber dennoch eines der striktesten Abtreibungsgesetze Europas.
Am anderen Ende des Atlantiks hat Donald Trump, als eine seiner ersten Amtshandlungen, die „Global Gag Rule” reaktiviert. Ein Gesetz, dass die finanzielle Förderung durch Bundesmittel von internationalen Organisationen, die Frauen eine sichere Abtreibung ermöglichen, verhindert. Ein fatales Zeichen für Frauen überall auf der Welt. Und in Anbetracht der Tatsache, dass Vize-Präsident Mike Pence, gerade erst beim „March for Life”, einer Demonstration gegen Abtreibungen, als Redner aufgetreten ist, kann man nur befürchten, dass sich auch die sowieso an vielen Stellen schon schlechte Abtreibungssituation in den USA weiter verschlechtert.
Unter diesen Vorzeichen sollte es uns alarmieren, dass der neue Chefarzt einer Niedersächsischen Klinik zum Jahresanfang entschieden hat, künftig keine Abtreibungen mehr durchzuführen. Eine Entscheidung, die von der
Klinikleitung der Capio Elbe-Jeetzel-Klinik in Dannenberg (Landkreis Lüchow-Dannenberg) unterstützt wird. Chefarzt Thomas Börner begründet seine Entscheidung mit seinem christlichen Glauben. Dagegen ist rechtlich nichts einzuwenden. Jeder Arzt darf selbst entscheiden, ob er Abtreibungen durchführen möchte. Und, wenn man Abtreibungen mit seinem Glauben nicht vereinbaren kann, ist das eine legitime Entscheidung – für sich persönlich.
Zurück in die 1960er Jahre?
Verheerend aber ist, dass der Chefarzt, wie Spiegel Online berichtet, die Entscheidung für alle Gynäkologen der Klinik getroffen hat und die Klinik deshalb generell keine Abtreibungen mehr durchführt, Ausnahmen hierbei: die gesundheitliche Gefährdung der Frau oder eine Vergewaltigung. Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen möchten, müssen deshalb nun auf andere Landkreise ausweichen. Auch wenn das im Endeffekt vielleicht „nur” 40 Kilometer Entfernung bedeutet, ist das Signal doch fatal. Frauen sollten die Möglichkeit haben dein Eingriff in ihrer direkten Umgebung durchführen zu lassen.
Glücklicher Weise sehen das auch viele Politiker so: Auch die niedersächsische
Gesundheitsministerin Cornelia Rundt ist, laut NDR, der Meinung, dass es wichtig sei, dass Frauen den Eingriff in unmittelbarer Nähe durchführen können und merkte an: „Bei der Förderung von Investitionen der Krankenhäuser obliegt es nach einer Änderung des Bundesrechts den Ländern, Qualitätskriterien zugrunde zu legen. Eines dieser zahlreichen Kriterien kann gegebenenfalls auch die Sicherstellung von Schwangerschaftsabbrüchen im jeweiligen Einzugsbereich der Krankenhäuser sein.” Der parteilose Landrat des Kreises, Jürgen Schulz, zeigte sich irritiert, dass die persönliche Entscheidung eines Chefarztes, eine generelle Abtreibungsverweigerung für eine gesamte Klinik nach sich ziehen kann.
Verbrennt die Hexe …
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU Thomas Schremmer hingegen ist zwar der Meinung, dass sichergestellt sein müsse, dass die Schwangerschaftsabbrüche von anderer Stelle übernommen würden. Dennoch warf er in dem Zusammenhang auch die Frage auf, wie sich die Zahl der Abtreibungen grundsätzlich reduzieren lasse. Einer seiner Vorschläge: Beratung.
Eine gute Beratung ist grundsätzlich wahnsinnig wichtig. Aber sollte Abtreibungsberatung im 21. Jahrhundert wirklich immer noch mit einer Tendenz durchgeführt werden, die jeweilige Frau von ihrem Mutterglück zu überzeugen? Ist nicht auch das Anzeichen eines längst überholten Bildes?
Solange also die religiöse Einstellung eines einzelnen Arztes noch ein Abtreibungsverbot für eine gesamte Klinik nach sich ziehen kann und der Staat sich nicht in der Verantwortung sieht, eine Struktur zu garantieren, in der Frauen in ihrer direkten Umgebung die Möglichkeit zur Abtreibung haben, solange ist der Feminismus sicherlich nicht obsolet. Solange Frauen immer noch ein moralisches Stigma für ihre Entscheidung gegen eine Schwangerschaft aufgedrückt bekommen, muss der Feminismus weiterkämpfen. Und vor allem, wenn sich beobachten lässt, dass Rechte für die Jahrzehnte lang gekämpft wurde, zu einer Zeit, zu der wir uns eigentlich sicher waren, dass es keine Schritte zurück in verstaubte Strukturen mehr geben wird, erneut beschnitten werden, dann muss der Feminismus vielleicht eher noch aktiver werden.
Update, 9. Februar:
Nachdem sich der Klinikchef hinter den Chefarzt gestellt hatte, hat nun Klinikleitung ihre Meinung revidiert und sich für die Aufrechterhaltung des Abtreibungsangebotes ausgesprochen. Sie schlägt vor, die Abtreibungen durch andere Fachärzte der Klinik oder Kooperationsärzte weiter anzubieten. Der Chefarzt lehnt dies allerdings ab. Im Hamburger Abendblatt wird er wie folgt zitiert: „Ich muss zu meiner Meinung stehen und gegebenenfalls die Konsequenzen tragen.”
Das könnte bedeuten, dass er den Chefarztposten wieder abgeben wird, eine endgültige Entscheidung steht aber wohl noch aus.
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