Foto: Charles Yunck

Das erste Jahr mit Baby: „Wir reifen an unseren Kindern – lasst uns diese Chance ergreifen!“

Wunderschön, unglaublich anstrengend, unfassbar langweilig, unerträglich erschöpfend, unendlich erfüllend – das erste Jahr mit Baby ist eine Wucht. Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim von „Stadt Land Mama“ haben einen Mutmacher für Frauen geschrieben, die diesen Wahnsinn mitmachen.

„Mütter werden auch heute noch viel zu oft übersehen“

Lisa Harmann und Katharina Nachtsheim sind die Gründerinnen und Autorinnen von „Stadt Land Mama“ – auf dem Blog schreiben sie über ihr Leben als Mütter von jeweils drei Kindern, die eine in der Stadt, die andere auf dem Land. Im „echten Leben“ arbeiten beide als Journalistinnen. Vor kurzem ist ihr gemeinsames Buch erschienen: Es heißt „Wow Mom“ und soll ein Mutmacher sein für alle Mütter, die so wie alle Erstmütter vor ihnen hineinstolpern in das riesige Abenteuer Mutterschaft, das neben so wahnsinnig viel Glück und Liebe immer auch Erschöpfung, Frust, Unsicherheit und Orientierungslosigkeit bedeuten kann.

„Mamasein, das ist wie eine Fahrt mit der Wildwasserbahn. Mal spannend, mal geht alles zu schnell. Mal spritzt dir unerwartet kaltes Wasser ins Gesicht, mal schreist du panisch, mal vor Glück“, schreiben die beiden. Im Interview sprechen Lisa und Katharina über den Druck im ersten Babyjahr und wie wichtig und gleichzeitig wahnsinnig schwierig es ist, niemals die eigenen Bedürfnisse aus dem Blick zu verlieren.

Wie seid ihr auf die Idee für das Buch gekommen, gab es einen Aha-Moment, einen Moment der Inspiration, bestimmte Beobachtungen, die sich häuften – wie entstand der Gedanke: Dieses Buch brauchen Mütter?

Lisa: „Tatsächlich entstand dieses Buch aus der Idee heraus, dass es doch nicht sein kann, dass das Baby lauter Geschenke zur Geburt bekommt – die Mama aber nicht! Wer hat denn neun Monate seinen Körper hergegeben, mit Übelkeit gekämpft, sich um den Herzschlag des Babys gesorgt, auf Alkohol und Sushi und diverse Sportarten und Partys verzichtet – um dann eine ,Honigmelone durch eine Körperöffnung mit dem Umfang einer Konservendose‘ zu pressen, wie der Autor Christian Hanne es so schön beschreibt? Mütter werden auch heute noch viel zu oft übersehen. Unser Buch soll das ändern, denn wenn eine Applaus, Anerkennung und Wertschätzung verdient hat, dann ist es die Frau, die Job und Kinder und Leben tagtäglich unter einen Hut bringt.“

Erinnert ihr euch noch, was euch besonders zu schaffen gemacht hat in den ersten Monaten, und dann auch im ersten Jahr nach der Geburt eures ersten Kindes, neben all dem Schönen?

Lisa: „Ja klar, denn mit dieser krassen Achterbahn der Gefühle hatten wir nicht gerechnet. Natürlich hört man, wie allumfassend das alles wird mit Kind, aber wie es dann wirklich wird, kann einem einfach niemand vorher passend beschreiben. Dieser himmelhochjauchzende Stolz aufs Baby, diese Wahnsinns-Verliebtheit, bei unfassbarer Sorge, dieses Zu-Tode-Betrübt-sein, weil die Nacht wieder schrecklich war, der Partner uns nicht versteht, die Kolleg*innen einfach ihr Leben weiterleben… das ist alles gar nicht so leicht wegzupacken im ersten Jahr dieses neuen, wilden Lebens. Deswegen haben wir im Buch auch unsere Kapitel nach den jeweiligen Emotionen wie Wut, Stolz und Verzweiflung benannt.“

Das kennen bestimmt viele, ich zumindest aus dem Freund*innenkreis: Vor der Geburt des Kindes ist man gerade als Frau hochmotiviert und sicher, dass man selbst nicht in die Vereinbarkeitsfalle tappt, dass man alles 50:50 aufteilen will, schon nach weniger als einem Jahr wieder in den Job einsteigen will etc.…und sobald das Baby da ist, ändert sich die Gedankenwelt total. Und scheint es unvorstellbar, dass Baby schon so früh „wegzugeben“, gerade Frauen merken: So kann/will ich das nicht durchziehen. Wie seht ihr das? Wie geht man damit am besten um?

Katharina: „Was Mütter wirklich perfektionieren ist, in den Gedanken flexibel zu bleiben, sich immer wieder auf neue, herausfordernde Situationen einzulassen, umzuplanen, Lösungen zu finden. Deswegen können wir nur dazu raten, sich darauf einzulassen, wenn das Gewissen plötzlich anklopft und fragt, ob das, was wir da bisher in der Firma gemacht haben, eigentlich nachhaltig genug ist. Ob wir unserem Kind die Welt, die wir damit hinterlassen, überhaupt zumuten können. Wenn das schlechte Gewissen anklopft, weil wir unser Baby gegen unser Bauchgefühl zur Tagesmutter bringen – für eine Chefin, die wir eh nicht leiden können. Natürlich wollen wir auch als Mutter cool bleiben, das nehmen wir uns doch alle vorher vor. Und dann kommt eben die Realität und treibt unsere Coolness auch schon mal in die Knie. Wir können nur empfehlen, das ernst zu nehmen. Denn durch ein Kind verschieben sich nun mal die Prioritäten, weil wir plötzlich Verantwortung haben. Wir reifen an unseren Kindern. Lasst uns diese Chance also ergreifen! Uns selbstständig machen, wenn wir Bock drauf haben. Unsere*n Partner*in Teilzeit arbeiten zu lassen, zu kündigen, ein Startup zu gründen, was auch immer eben zu uns und unserer neuen Lebensphase passt.“

Ihr schreibt: „Sicher hast du auch schon bemerkt, dass uns ein eigenes Kind auch zwingt, uns wichtige Fragen zu stellen: Über uns, unsere Partnerschaft und unseren Job“ – welche Fragen sind das zum Beispiel, könntet ihr das hier für unsere Leser*innen kurz anreißen?

Katharina: „Ich denke, um die Jobfragen ging es ja gerade schon, aber solch essentielle Fragen stellen wir uns natürlich nicht nur in Sachen Arbeit. Ist das überhaupt der*die richtige Partner*in? Hatte ich mir sie*ihn so vorgestellt, in der Rolle als Vater oder Mutter? Schaffen wir die Veränderung von einer Zweier- auf eine Dreierbeziehung? Wie halten wir die Erotik lebendig? Wie verteilen wir die Rollen neu? Auch dazu haben wir im Buch ein langes Interview mit einer Sexualpädagogin geführt. Und das gilt natürlich nicht nur für die Partner*innenschaft, sondern auch für den ganz eigenen Weg. Mein Kind zum Beispiel hat mir nochmal ganz neue Seiten von mir eröffnet, mir gezeigt, dass ich noch weit über meine Schmerzgrenze hinaus funktionieren kann. Mich mutig gemacht, in die Selbständigkeit zu gehen, hat Altersgrenzen sprengen lassen, weil ich sehr jung Mutter wurde und dadurch viel mit Älteren in Kontakt kam. Unser ganzes Fundament wird neu bepflanzt durch so ein Kind, es liegt an uns, den Garten darauf so zu gestalten, dass wir uns wohl darin fühlen.“

Ihr schreibt, dass für viele Frauen der Mutterschutz und die Elternzeit mit dem ersten Kind die erste richtige Job-Auszeit bedeuten, in der man sich über wichtige Dinge klar werden kann. Du, Katharina, schreibst darüber, wie du trotz guten Jobs, guter Bezahlung und netter Kolleg*innen deinen Job aus der Elternzeit heraus gekündigt hast, weil die Geburt deines Kindes dich ganz nah an dich selbst heranbrachte und zum Nachdenken anregte. Ich finde die Gedanken total schön, konnte aber wiederum nicht den Gedanken unterdrücken, dass das eventuell auch wieder zur Zementierung der klassischen Strukturen führt: Die meisten Männer denken eben genau über all das in der Regel nicht so intensiv nach, sondern klotzen weiter wie bisher, und die Frauen wollen sich mit Baby aus der Mühle der Immer-weiter-Leistungsgesellschaft befreien und verabschieden sich dann von ihrer klassischen Betriebslaufbahn o.ä., was sie eben vorher hatten, und zementieren Abhängigkeiten (Stichwort: Retraditionalisierung). Seht ihr die Problematik – und wie könnte ein Ausweg aussehen?

Lisa: „Natürlich sehen wir die Problematik. Da sind wir aber auch wieder bei den Prioritäten. Ist es mir gerade vielleicht wichtiger, das eine von hundert Lebensjahren mit meinem Kind zu verbringen, das ich so abgöttisch liebe – oder will ich straight meinen bisherigen Weg weitergehen? Wir reden oft darüber, was Karriere eigentlich für uns ist. Ist es, im Betrieb immer weiter in der Hierarchie nach oben zu kommen? Oder ist es, sich mit Spaß und Leidenschaft einem eigenen Projekt zu widmen, das uns vielleicht nicht so mächtig und reich, dafür aber glücklich und zufrieden macht? In unserem Fall haben wir nach der Festanstellung mit ,Stadt Land Mama‘ einen der größten deutschen Mütterblogs an den Start gebracht, schreiben weiter als freie Journalistinnen und haben nun gemeinsam dieses Buch geschrieben. Ist das Karriere? Ansichtssache. Aber in jedem Fall macht es glücklich, (finanziell) unabhängig und ist mit unseren Leben mit jeweils drei Kindern vereinbar. Alles Ausreden, könnten strenge Feminist*innen jetzt sagen. Für uns ist aber es einfach ein super Kompromiss, der uns das Beste aus allen Welten ermöglicht. Wir sehen die Kinder da eher als Chance, als Sprungschanze. Trotzdem würden wir uns natürlich freuen, wenn auch mehr Väter diesen Schritt wagen würden – und am Ende einfach alle selbstbestimmt und unabhängig Familie und Arbeit vereinbaren könnten.“

In einer kleinen Notiz empfehlt ihr auch, mit dem*der Partner*in für einen Ausgleich dafür zu sorgen, wenn man wegen des Kindes beruflich zurücksteckt. Leider machen das bisher noch die wenigsten. Wie kann man das am besten angehen?

Lisa: „Das ist tatsächlich etwas, auf das manche von uns zwischen durchwachten Nächten und Rückbildungsgymnastik erstmal nicht kommen. Darum ja der Hinweis im Buch, um überhaupt einmal darüber nachzudenken. Sollte ich also beim Kind bleiben und der*die Partner*in weiterarbeiten, entsteht ein finanzielles Ungleichgewicht, das oft sogar die Aufstiegschancen verringert. Es gibt Frauen, die sich dafür vom Mann einen finanziellen Ausgleich zahlen lassen. Andere wiederum halten es so, dass er dann die vorab geteilte Miete komplett übernimmt. Da gibt es viele individuelle Wege, für Ausgleich zu sorgen. Und das sollte auch dringlichst getan, um keinen unnötigen Frust anzustauen. Der fliegt einem nämlich definitiv sonst irgendwann um die Ohren.“

Im Interview mit der Leiterin der Mutter-Kind-Klinik stieß ich auf den Begriff, der mir persönlich am öftesten in den Sinn kommt, wenn ich über mich als Mutter nachdenke: „Innere Zerrissenheit“, die Frau spricht es an: Wir wollen arbeiten, und haben gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, so viel aus dem Alltag unserer Kinder zu verpassen; wir würden gern weniger arbeiten, können das aber nicht aus finanziellen Gründen. Kennt ihr diese innere Zerrissenheit auch, und wie geht ihr damit um? Worauf sollten wir als Mütter achten, wenn wir diese Zerrissenheit ständig spüren?

Lisa: „Selbstverständlich kennen wir die, deswegen war uns dieses Interview auch so wichtig. Als Frauen neigen wir ja leider oft zur Selbstaufgabe und schauen erstmal, dass es allen anderen gut geht, bevor wir uns um uns selbst kümmern. Wir geraten durch das Kind oder die Kinder in einen unentwegten Gedankenstrudel! Darum bemühen wir so gern das Bild der Safety-Anweisungen im Flugzeug. Die Stewardess sagt uns ja auch, dass wir uns selbst zunächst die Atemmaske aufsetzen sollten – und uns erst dann um die Kinder kümmern sollten. Wir müssen als Mütter lernen, egoistisch zu bleiben und unsere eigenen Grenzen nicht dauernd zu sprengen. Ich habe mich damals sehr in dem Satz ,Warum dürfen Väter eigentlich mit weniger schlechtem Gewissen lieben als Mütter?‘ aus Maria Svelands Bestseller ,Bitterfotze‘ gefreut. Denn ja, das war bei uns auch so: Während der Papa öfter mal einen Abend oder ein Wochenende weg war in der ersten Zeit, tat ich mich – auch nach dem Abstillen – noch schwer damit. Darf eine Mutter das? Natürlich darf sie!“

Katharina: „ Es ist sogar essentiell wichtig, auch noch anderes zu erleben, sich Input zu holen, mal auf andere Gedanken zu kommen. Es bringt niemanden etwas, wenn wir uns komplett aufgeben für die Familie. Dazu braucht es aber natürlich auch ein wenig Geduld und den guten Glauben daran, dass auch wieder Zeiten kommen, in denen es wieder mehr um uns und unsere Bedürfnisse geht. Wir müssen im ersten Jahr mit Kind nicht die sexy Vamps geben und die wildesten Partys feiern und die nächste Karrieresprosse erklimmen und nebenbei auch noch ein Baby großziehen. Das ist schon wieder viel zu viel Druck! Erstmal geht es darum, dass alle irgendwie ganz gut überleben. Und der Rest findet sich dann nach und nach schon. Dann klappt das auch mit dem In-Schach-Halten der Zerrissenheit. Wirklich! Nur die Ruhe.“

Was bringt euch beide jeweils am meisten auf die Palme rund um eure Kinder?

Lisa: „Also im Moment auf jeden Fall die Schule – und alles, was damit elterntechnisch zusammenhängt. Hausaufgaben, Klausurvorbereitungen und Elternabende mal drei nehmen einen nicht zu unterschätzenden Anteil unseres Lebens ein derzeit. Auch eins der Themen, das ich vorab so gar nicht auf dem Schirm hatte… “

Katharina: „Der Geschwisterstreit, ganz klar. Nichts macht mich so mürbe und traurig wie das ständige Gestänker und Gezoffe.“

Und was macht euch im Alltag am glücklichsten?

Katharina: „Wenn wir gar nichts vorhabe und einfach einen langen Spaziergang durch den Wald machen können. Oder im Sommer einen Ausflug zum Badesee. Eigentlich macht es uns immer glücklich, wenn wir mit den Kindern draußen in der Natur sind.“

Lisa: „Wenn alle halbwegs gesund und gut gelaunt sind, sich nicht prügeln, sich mal vom Handy weg bewegen, beim Fußball gewinnen und mein Essen nicht mit einem Igitt quittieren (lacht). Ach, aber so eine Umarmung ist halt auch von bereits pubertierenden Kindern noch das Größte. Und gemeinsame Urlaube… Aber das zählt ja nicht so richtig zum Alltag… gibt es mit Kindern überhaupt so etwas wie Alltag?!

Lisa Harmann, Katharina Nachtsheim: „WOW MOM: Der Mama-Mutmacher fürs erste Jahr mit Kind“, Krüger-Verlag, Juli 2019, 16,99 Euro.

Das Buch ist natürlich auch bei lokalen Buchhändler*innen eures Vertrauens zu finden. Support your local Book-Dealer!

Anzeige