Weltweit bekommen Männer für ihre Arbeit deutlich mehr Gehalt als Frauen. In Deutschland beträgt die Lohnlücke aktuell 18 Prozent. Die Fair-Pay-Expertin und Autorin Henrike von Platen ist überzeugt: Um den Gender Pay Gap zu schließen, müssen wir offen über Geld sprechen.
Faire Bezahlung ist der Schlüssel zur Gleichstellung
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Auf diesen Grundsatz können sich die meisten Menschen theoretisch einigen. Die Realität ist jedoch: Auf dem deutschen Arbeitsmarkt erhalten Frauen im Schnitt 18 Prozent weniger Gehalt als Männer. Dies zeigen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes, das die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, den sogenannten Gender Pay Gap, untersucht hat. Die Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Freien Universität Berlin fallen noch drastischer aus: Demnach verdienen Frauen über das gesamte Erwerbsleben hinweg nur etwa halb so viel Geld wie Männer. Gemäß den Autor*innen der Studie greife der Gender Pay Gap zu kurz, da damit nur die Personen berücksichtigt würden, die zum Zeitpunkt der Erhebung auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind.
Die Fair-Pay Expertin und Autorin Henrike von Platen ist überzeugt, dass wir alle dazu beitragen können, dieses Ungleichgewicht zu beheben, indem wir offener über Geld sprechen. In ihrem Buch „Über Geld spricht man: Der schnelle Weg zur Gleichstellung“ zeigt von Platen auf, warum sich die Lohnlücke so hartnäckig hält und mit welchen Mitteln diese geschlossen werden kann – und zwar schnell. Sie schreibt: „Ohne Transparenz keine Lohngerechtigkeit und ohne Lohngerechtigkeit keine Chancengleichheit.“ Transparenz und faire Bezahlung seien der Schlüssel auf dem Weg zur Gleichstellung.
Wir veröffentlichen an dieser Stelle einen Auszug aus dem Buch von Henrike von Platen, in dem sie erklärt, was Arbeitgeber*innen, die Politik und jede*r Einzelne tun kann, um die existierende Lohnlücke so rasch wie möglich zu schließen.
Mehr Transparenz, weniger Klischees
Wer bei der Bezahlung anfängt, wählt den schnellsten Weg zur Gleichstellung. Wo kein Raum für Klischees, Stereotype und Vorurteile gelassen wird, haben die alten Privilegien keine Chance. Wo ein transparentes, faires Regelwerk gilt, brechen verkrustete Strukturen auf. Und je weiter die Entwicklung voranschreitet, desto mehr Vorbilder finden sich für alle denkbaren Karrierewege, Führungskonstellationen und Familienmodelle. Je objektiver das System, desto besser wird die individuelle Unterstützung sein, die Beschäftigte auf ihrem Berufsweg erfahren.
Um faire Bezahlung, mehr Frauen in Führung und Chancengleichheit für alle zu gewährleisten, braucht es daher mehr Transparenz und weniger Klischees. Es braucht Entgeltanalysen und Gleichstellungsmaßnahmen sowie regelmäßige Überprüfungen. Es braucht Schulungen für Führungskräfte und Personalabteilungen, die – bei regelmäßiger Wiederholung und intensiver Auseinandersetzung – unterstützen können, möglichst vorurteilsfrei zu führen.
Wenn wir es schaffen, dafür zu sorgen, dass alle Menschen auf der Welt wirtschaftlich unabhängig sein können, profitieren wir am Ende alle – Frauen, Männer und Minderheiten, Familien und Unternehmen, die ganze Gesellschaft, sogar die Weltwirtschaft und der Planet. Die alten Hierarchien und der stereotype Mainstream, die traditionellen Rollenverteilungen, die viel zu lange gültige Trennung von Privatem und Beruflichem in unbezahlte weibliche und bezahlte männliche Sphären, das alles hat in der neuen Wirtschaftswelt nichts mehr zu suchen.
Was ist gut für den Menschen?
Digitalisierung und Globalisierung, Flexibilisierung und ganz neue technische Möglichkeiten sind auf dem Weg zur Chancengleichheit die besten Komplizinnen – all diese Entwicklungen sorgen dafür, dass eine Fülle an individuellen Lösungen für die Arbeitswelt zur Verfügung steht, die ausgeschöpft werden können. Kommunikation und Kooperation prägen die Zusammenarbeit der Zukunft. Vernetztes Arbeiten, demokratische Prozesse und Mitbestimmung wirken sich auch nach außen, auf die Produkte und Dienstleistungen enorm positiv aus. Und die neuen digitalen Möglichkeiten und das flexible Arbeiten erleichtern die Vereinbarkeit von Beruflichem und Privatem für Menschen mit oder ohne Kinder.
Die Frage lautet nicht länger: Was braucht das Unternehmen oder die Organisation? In der neuen Arbeitswelt lautet die Frage: Was ist gut für den Menschen, der dem Unternehmen Kompetenzen, Kraft und Ideen zur Verfügung stellt und einen Teil seiner Zeit? Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelt, oder welchem Geschlecht sich die Person zugehörig fühlt.
Wer über Geld spricht, sorgt für Chancengleichheit
Vor allem Wirtschaft und Politik sind aufgerufen, aktiv zu werden, um die Lohnlücke zu schließen. Der erste und wichtigste Schritt ist die Analyse der unternehmensinternen Entgeltstrukturen. Wäre dieser erste Schritt – idealerweise samt einer Veröffentlichung der Ergebnisse – verpflichtend, und würden außerdem Berichtspflichten für Unternehmen sowie eine Zertifizierung für faire Bezahlung eingeführt: Ich bin sicher, die Lohnlücke würde sich innerhalb kürzester Zeit schließen. Allein die Existenz eines fairen und transparenten Regelwerks sorgt für einen grundlegenden Unternehmenskulturwandel: Ungleichheiten können auf Wunsch sehr gut erklärt und verständlich gemacht werden. Transparenz schafft innerhalb der Belegschaft Vertrauen.
Keine Frau wird das Problem im Alleingang lösen, indem sie besser verhandeln lernt. Doch bis sich die Politik entschließt, die Gesetze zu verschärfen und ungleiche Bezahlung wie in Island spürbar unter Strafe zu stellen, bis alle Unternehmen, auch die hartnäckigsten Dinosaurier, verstanden haben, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, ein transparentes und faires Regelwerk einzuführen – bis dahin ist jede und jeder gefragt, den Prozess zu beschleunigen. Über Geld zu sprechen heißt für Unternehmen, für Transparenz zu sorgen, für die Politik, diese auch einzufordern, und für uns alle, ob Beschäftigte oder Privatperson, das Tabu endlich hinter uns zu lassen: Über Geld zu sprechen hat das Potenzial, alles zu verändern und endlich für Chancengleichheit zu sorgen.
Die Lohnlücke ist zwar statistisch messbar, im Einzelfall aber oft unsichtbar
Ob das im Privaten oder in der Partnerschaft ist, wenn es um die Familiengründung oder die Pflege von Angehörigen geht, ob wir mit der Kollegin beim Feierabendbier sitzen oder mit dem Kollegen Kaffee trinken, ob wir im Vorstellungsgespräch oder der Gehaltsverhandlung die richtigen Weichen stellen wollen: Erst wenn wir wissen, worüber wir eigentlich sprechen, können wir entscheiden, ob Handlungsbedarf besteht oder nicht. Andernfalls bleibt es dabei, dass die Lohnlücke zwar statistisch messbar, im Einzelfall aber oft unsichtbar ist.
Je öfter wir über Geld sprechen, bei allen Gelegenheiten, mit so vielen Personen wie möglich, in der Familie, mit Freunden, im Beruf, desto weniger bleibt Geld ein Tabuthema. Im Unternehmen den Auskunftsanspruch zu nutzen, dazu zu ermuntern, die Entgeltstrukturen zu überprüfen, eine Auseinandersetzung über die Strukturen anzustoßen, sind hervorragende erste Schritte, um selbst für Lohngerechtigkeit und Chancengleichheit zu sorgen. Je mehr Menschen sich offen über Geld unterhalten und über ihre Gehälter aus- tauschen, desto weniger Unternehmer und Unternehmerinnen werden freimütig damit prahlen, Verhandlungsgeschick im Vorstellungsgespräch selbstverständlich zu belohnen.
Priorität Lohngerechtigkeit
Die Sache mit der fairen Bezahlung ist auf dem Weg zur Gleichstellung wie ein Domino-Effekt. Wenn wir über Frauen mit Macht reden, über Führung in Teilzeit, über Väter in Elternzeit, über Familienvereinbarkeit und Care-Arbeit, wenn wir über Männer in sozialen Berufen und Frauen in MINT-Berufen sprechen, dann geht es dabei immer auch ums Geld. Denn so komplex die Ursachen für die Lohnlücke sein mögen, so einfach ist es am Ende im Einzelfall: Wer weniger verdient, bleibt zu Hause. Wer zu Hause bleibt, verdient weniger. Zum Glück ist es so einfach! Denn es bedeutet auch, dass wir, indem wir für faire Bezahlung sorgen, dem uralten Teufelskreis aus Geld und Macht leicht ein Ende setzen können.
Wenn wir mehr Frauen in Führung sehen wollen, braucht es mehr Väter in Elternzeit. Die größte Weichenstellung im Berufslebensverlauf ist die Familiengründung. „Der sicherste Weg, in Deutschland seine Karriere zu ruinieren? Werden Sie Mutter!“, bemerkte kürzlich ironisch Oliver Burkhard, Personalvorstand bei Thyssenkrupp. Und bedauerlicherweise treibt allein die Möglichkeit, Mutter werden zu können, viele Frauen in den Ruin.
Paare können ganz gezielt Einfluss darauf nehmen, die typischen Weichenstellungen zu umgehen. Denn der Wille ist da: Nur noch 28 Prozent der Eltern mit Kindern unter 18 Jahren möchten das klassische Familienmodell leben. Väter sollen und wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Die meisten Paare scheitern nicht an ihren guten Absichten, sondern an den Strukturen. Sie brauchen daher die Unterstützung der Politik und ihrer Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.
Es braucht ein Entgelttransparenzgesetz
Wenn Eltern es schaffen, ihren Kindern eine gleichberechtigte Rollenverteilung vorzuleben, ist es das Beste, was sie für künftige Generationen tun können. Unternehmen wie Vodafone, Vaude oder Henkel unterstützen ihre Crew dabei – doch nicht alle gehen mit so gutem Beispiel voran. Deshalb ist die Politik gefragt, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Für Unternehmen, die nicht von allein aktiv werden, ist daher – ab einer bestimmten Unternehmensgröße – das Entgelttransparenzgesetz der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg zur Lohngerechtigkeit.
Nur muss der Auskunftsanspruch auch wahrgenommen und das Gesetz mit Leben gefüllt werden. Am besten wäre es, das Gesetz nach internationalem Vorbild nachzubessern. Einzig in Deutschland liegt die Verantwortung bei den Beschäftigten selbst. Die Frage sollte nicht lauten: „Werde ich als Einzelperson ungerecht bezahlt?“ Die Frage sollte lauten: „Erfüllt das Unternehmen seine Pflicht, alle Beschäftigten gerecht zu bezahlen?“ Die gesetzliche Beweislast gehört umgekehrt, wie in Großbritannien, Island oder Frankreich, und es braucht Sanktionen, die den Unternehmen einen spürbaren finanziellen Anreiz bieten, ihrer Pflicht nachzukommen.
„Echte“ Elternzeit für alle
Mit Regelungen, wie sie in Island beschlossen wurden, kann die Politik für eine paritätischere Aufteilung der Elternzeit sorgen – beispielsweise indem jedes Elternteil eine Hälfte der Elternzeit nehmen kann und der Anspruch auf die andere Hälfte verfällt, wenn sich die Eltern nicht abwechseln. Männer, die die Elternzeit nicht für Familienurlaube oder andere Projekte nutzen, sondern tatsächlich die Zeit allein mit ihren Kindern verbringen, reduzieren später ihre Arbeitszeit und übernehmen sehr viel mehr unbezahlte Tätigkeiten im Haushalt und in der Familie. So können Eltern nicht nur ihren Kindern ein anderes Rollenbild vorleben, auch die Großeltern, deren Söhne in „echte“ Elternzeit gehen, ändern ihre Einstellung gegenüber miterziehenden Vätern und berufstätigen Müttern.
Unternehmen können darauf Einfluss nehmen, indem sie Väter ermuntern, in Elternzeit zu gehen, darauf bestehen, dass diese mindestens zwei Monate zu Hause bleiben oder weitere bezahlte Elternmonate anbieten. Es gibt eine Fülle von Maßnahmen, um Mütter und Väter nach der Rückkehr aus der Elternzeit im Unternehmen zu unterstützen, auch in Bezug auf das Gehalt.
„Über Geld spricht man: Der schnelle Weg zur Gleichstellung“, Henrike von Platen. Nicolai Publishing & Intelligence GmbH, 18 Euro.