In ihrem Buch „Die Erschöpfung der Frauen“ zeigt Franziska Schutzbach auf, wie und warum bei Frauen und weiblich sozialisierten Menschen eine pausenlose Beanspruchung und Verausgabung entsteht: Frauen sollen sexuell verfügbar sein, perfekt aussehen für andere, und sie sollen Care-Arbeit in der Familie, aber auch im Beruf emotionale Arbeit leisten. Sie sollen Karrieren machen und gleichzeitig perfekte Mütter sein. All das führt zu permanenter Beanspruchung und Erschöpfung. Wie kommen wir da raus?
Lisa Seelig: Ich habe gerade auf meinem Nachttisch mal wieder ein Buch liegen, das mir ein Verlag zugeschickt hat, und das Müttern helfen soll, alles „besser unter einen Hut zu kriegen“. Es heißt: „Zwischen Laptop und Legosteinen“. Was denkst du über solche Ratgeber?
Franziska Schutzbach: „Ratgeber können tolle Inputs geben, aber sie können auch Druck auferlegen, noch mehr Stress, Dinge perfekt machen zu müssen. Ich selbst wollte kein weiteres Buch schreiben, das den ohnehin riesigen Perfektionsdruck, der auf Frauen lastet, noch befeuert. Denn: Selbst wenn man sorgfältig plant und auf die Work-Life-Balance achtet, werden Mütter trotzdem erschöpft sein – weil das, was von Müttern erwartet wird, was sie alles schaffen müssen, unter den vorherrschenden gesellschaftlichen Bedingungen ohne Erschöpfung unmöglich ist.“
Warum?
„Das Vordringen der Frauen in die Berufswelt war zweifellos ein großer emanzipatorischer Schritt. Gleichzeitig hat sich in einem anderen Bereich kaum etwas verändert: Die Haupt-Zuständigkeit der Frauen für die Care-Arbeit ist geblieben Das bedeutet, dass Frauen jetzt einfach doppelt so viel machen, sie sind erwerbstätig und kochen, putzen, kümmern sich um andere Menschen. Die Soziologin Arlie Hochschild nannte das schon in den 1980er Jahren ,The Second Shift‘, sie meinte damit, dass Frauen neben der Erwerbsarbeit immer noch eine ,zweite Arbeitsschicht‘ arbeiten.“
„Der Markt, der Staat, die Gesellschaft lagern die lebensnotwendige Sorgearbeit auf die Frauen aus.“
Warum hat sich im Care-Bereich nichts verändert?
„Weil die Wirtschaft davon profitiert, die Gratisarbeit der Frauen abzuschöpfen, ihre Liebe und Fürsorge. Wenn die von Frauen geleisteten Millionen Stunden Arbeit angemessen bezahlt werden müssten, könnten kapitalistische Wirtschaftssysteme nicht so profitabel sein. Es gibt also ein ökonomisches Interesse, die Idee von der fürsorglichen und gebenden Frau aufrechtzuerhalten – die Idee, dass Frauen angeblich qua ihrer ,Natur‘ der Gesellschaft Sorgearbeit zur Verfügung stellen. Die Erschöpfung der Frauen ist im Kapitalismus kein blöder Nebeneffekt, sondern Programm. Die ,Gratisressource Frau‘ ist eine Basis der Wirtschaft. Der Markt, der Staat, die Gesellschaft lagern die lebensnotwendige Sorgearbeit auf die Frauen aus.“
„Die Erschöpfung der Frauen ist im Kapitalismus kein blöder Nebeneffekt, sondern Programm.“
Die Frauen sind also jetzt überall, auch in der Politik, aber deshalb auch zunehmend erschöpft.
„Ja. Denn zusätzlich wurde und wird auch der Wohlfahrtsstaat im gesamten europäischen Raum abgebaut. Die Frauen fangen das auf, wenn Sorgearbeit wieder verstärkt ins Private ausgelagert wird. Ein Beispiel: Oft werden Menschen nach Operationen wegen der hohen Kosten viel zu früh nach Hause geschickt. Diese werden dann in der Regel zuhause von Frauen gepflegt. Wir haben also einerseits wichtige Emanzipationsschritte, Frauen dürfen Sexualpartner*innen wechseln, selbstbestimmte Entscheidungen treffen, Karriere machen. Und gleichzeitig überlässt ihnen die Gesellschaft die Misere abgebauter Sozialsysteme. Das führt auch dazu, dass die traditionellen Bilder von Familie als einem ,sicheren Hafen‘ wieder zunehmen, man will sich hier von der anstrengenden verrohten Welt erholen. Frauen fungieren als Sozialpuffer. Je mehr ökonomische Krise, desto erschöpfter die Frauen. Das ist ja auch im Zuge von Corona deutlich geworden.“
Und dagegen helfen Ratgeber und Work-Life-Balance-Tipps nichts.
„Man kann die Ausbeutung und die inneren Verantwortungsgefühle nicht mit Yoga wegtrainieren. Ich glaube, für eine Veränderung müssen wir erst einmal feststellen, dass die Verfügbarkeitsansprüche unerträglich und ausbeuterisch sind, dass die Situation unerträglich ist für Frauen. Viele Ratgeber suggerieren eine individuelle Lösbarkeit, wo keine ist. Sie helfen vielleicht kurzfristig, den Alltag zu managen, aber die Grundproblematik geht damit nicht weg. Ich kann ja nicht das Kind liegen lassen oder mich nicht um die Großeltern kümmern. Man kann Sorgearbeit nicht kündigen wie einen Job oder sich anders orientieren. Bei der Sorgearbeit steht man in emotional komplexen Bezügen.“
Was ist das Besondere an der Sorgearbeit?
„Es gibt ein psychisches und physisches Gewicht der Verantwortung, das besonders auf Müttern liegt, und diese Verantwortung macht verletzlich. Die enge Bindung zum Beispiel an Kinder, deren radikale Abhängigkeit, die damit verbundene Emotionalität und pausenlose Zuständigkeit bringen Frauen in eine fragile Position, besonders in einer Welt, die der Bedürftigkeit von Menschen gegenüber strukturell rücksichtslos ist. Die Zuständigkeit für Kinder macht auf eine Weise vulnerabel, wie man sie von anderen Tätigkeiten nicht kennt. In anderen Arbeitsverhältnissen können Arbeitnehmer*innen ihren Chef oder ihre Vorgesetzte kritisieren, sie können zur Gewerkschaft gehen, den Personalrat informieren, kündigen oder selbst Chefin werden. Mit Kindern ist es anders: Man kann die Kinder nicht einfach ablehnen, einen Aufstand starten oder streiken. Dieses Arbeitsverhältnis ist viel komplizierter und ambivalenter.“
„Die enge Bindung zum Beispiel an Kinder, deren radikale Abhängigkeit, die damit verbundene Emotionalität und pausenlose Zuständigkeit bringen Frauen in eine fragile Position, besonders in einer Welt, die der Bedürftigkeit von Menschen gegenüber strukturell rücksichtslos ist.“
Und das macht diese Tätigkeiten so anfällig für Ausbeutung?
„Die meisten Menschen, die Sorgeverantwortung übernehmen, versuchen, ihr Bestes zu geben, weil sie – das ist ja auch der schöne Teil an den Menschen – sich in der Pflicht fühlen, ihre Liebsten möglichst nicht zu vernachlässige und auch im größten Stress ihr Bestes zu geben. Sie machen es, weil es emotionale Bindung gibt, weil es notwendig ist, weil sonst andere leiden. Das macht diese Arbeit extrem anfällig für Ausbeutung und darauf stützt sich die Gesellschaft. Dabei ist Sorgearbeit auch deshalb oft besonders anstrengend, weil sie unseren Vorstellungen von Freiheit extrem entgegengesetzt ist: Ein Großteil des Mutterseins, des Elternseins handelt davon, in Situationen zu sein, die man nicht unbedingt frei wählt, in denen man sich vielmehr plötzlich wiederfindet – weil es notwendig ist. Das Kind muss in den unmöglichsten Momenten gewickelt und gefüttert werden, es muss festgehalten werden, während es den Kletterturm erklimmt oder auf die Straße rennt, man muss nach Mitternacht in überfüllten Notaufnahmen sitzen oder das tobende Kind im Kinderwagen anschnallen.“
Aber erfahren Menschen nicht auch in anderen Lebensbereichen Zwang, absolute Notwendigkeiten?
„Natürlich ist das Leben auch in anderen Bereichen voller Zwänge, wir müssen vieles. Aber die unmittelbare elterliche Notwendigkeit, Dinge tun zu müssen, weil sonst ein anderer Mensch stirbt oder etwas grundlegend nicht mehr funktioniert, ist in seiner radikalen Pausenlosigkeit sehr spezifisch. Auch deshalb, weil es in der Beziehung mit kleinen Kindern wenig Übereinkünfte gibt. Man kann mit einem Baby nicht einvernehmlich absprechen, auf welche Weise das gemeinsame Leben, das Bedürfnis nach Rückzug, nach Eigenständigkeit und Gemeinsamkeit gestaltet wird. Die elterliche Zuständigkeit für Kinder ist entgrenzt und entgrenzend.“
Dein Buch ist intersektional angelegt, also du machst ganz deutlich, dass der Grad an Erschöpfung und Diskriminierung von Müttern ganz stark variiert, je nach wirtschaftlicher und sozialer Stellung – kannst du das veranschaulichen?
„Die Lebensweisen und Erfahrungen von Frauen sind extrem divers und die Erschöpfung und Erwartungen, denen Frauen ausgesetzt sind, sehr unterschiedlich. Ich versuche, diesem Umstand gerecht zu werden und nicht nur über die heterosexuelle weiße Mittelschichtfrau zu schreiben.
Welche Unterschiede gibt es in Bezug auf Mutterschaft?
„Frauen sind unter extrem unterschiedlichen Bedingungen Mütter. Während die einen eher darum kämpfen, aus dem engen Käfig bürgerlicher Kleinfamilien und Mutteridealen auszubrechen, kämpfen die anderen darum, überhaupt Mütter sein zu können. Oder anders ausgedrückt: Während die einen den Druck haben, Kinder haben zu müssen und reproduktive Ideale und Bilder der perfekten Hausfrau zu erfüllen, haben andere im Zuge von Sklaverei, Migration, Flucht und Zwangssterilisierungen, aber auch als Alleinerziehende, als Mütter mit Behinderung, als queere, lesbische, nicht-binäre und trans Personen erfahren, dass ihnen Muttersein und Elternsein und bestimmte Mutterideale gerade abgesprochen werden.“
Du schreibst kritisch über das überholte Konzept Kleinfamilie, kannst du schildern, wo das Problem liegt?
„Wenn wir uns anschauen, was es alles braucht, damit ein Kind gedeihen kann, reicht die Kleinfamilie nicht aus. Man stelle sich vor, in der Arbeitswelt ganz allein mit einem Projekt beauftragt zu sein, für das normalerweise dreißig Leute arbeiten. Nicht nur, dass die Kapazitäten von Kleinfamilien oft nicht ausreichen, es handelt sich dabei auch um eine stark romantisierte, moralisch überfrachtete und dadurch extrem fragile Einheit, deren Funktionieren den realen Bedingungen oft nicht gewachsen ist.“
Inwiefern ist sie der Realität nicht gewachsen?
„In dieser isolierten Einheit sind viel zu viele Erfordernisse auf engstem Raum zusammengesperrt: Zum einen das sichere und erfolgreiche Aufziehen von Kindern, ferner die lebenslange romantische Beziehung. Nun gibt es die lebenslange romantische Zweierbeziehung eher selten. Suggeriert wird aber nach wie vor, ewige Liebe sei das Ideal. Zu den Mutter- beziehungsweise Elternidealen kommen also Liebesideale hinzu, und das reale Scheitern an diesen Idealen wird zu einer ununterbrochenen Quelle des Verdrusses und der Erschöpfung.“
„Während die Bilder von idealen Kindern zunehmen, verabschiedet sich die Gesellschaft mit dem Abbau wohlfahrtsstaatlicher Systeme zunehmend aus der Verantwortung für die Kinder.“
Du schreibst vom Dogma des glücklichen Kindes, das Frauen belastet, also dass Kinder nicht mehr wie früher einfach da sind und mitlaufen, eventuell den ökonomischen Status sichern, sondern ein „Projekt“ sind, glücklich, gesund, in der Spur sein müssen, du schreibst: „Dass Kinder Mütter belasten könnten, ist nämlich nicht vorgesehen. Wenn es Belastungen gibt, dann hat die Mutter irgendetwas falsch gemacht“ – wie kann man damit umgehen, nachdem man sich als Mutter das bewusst gemacht hat?
„Hochgehalten werden romantische Kindheitsideale, die für viele Mütter in schwerem Kontrast stehen zu ihrer ökonomischen Wirklichkeit, ihren vielfältigen Verpflichtungen im Beruf und in der Versorgung von anderen Familienangehörigen. Der öffentliche Diskurs über Erziehung kreiert immer neue Anforderungen, die die Belastungen steigern. Die Erziehungsaufgabe ,Kind‘ kennt heute kaum noch Grenzen. Auf diese Weise wird auch die Sorge, etwas falsch zu machen, die Kinder nicht in die ,richtige‘ Spur zu kriegen, ihnen nicht die optimalen Lebensumstände bieten zu können, grenzenlos und macht Elternschaft zu einem Feld kontinuierlicher Beschämungen. Zudem ist es so, dass wir zwar das Wohl des Kindes hochhalten, paradoxerweise aber diese Doktrin des glücklichen Kindes einhergeht mit einer strukturellen Vernachlässigung der realen Kinder und Jugendlichen. Während die Bilder von idealen Kindern zunehmen, verabschiedet sich die Gesellschaft mit dem Abbau wohlfahrtsstaatlicher Systeme zunehmend aus der Verantwortung für die Kinder.“
Du schreibst: „Eine Möglichkeit, der weiblichen, mütterlichen Erschöpfung ein Stück weit zu entkommen, ist es, mit dem System zu kollaborieren. Die Widerstandsstrategien bestehen mitunter darin, sich zur Mittäterin zu machen.“ Kannst du das erklären, was damit gemeint ist?
„Der französische Sozialphilosoph Pierre Bourdieu nennt den Effekt, der bewirkt, dass die Beherrschten an ihrer Beherrschung mitwirken, ,symbolische Herrschaft‘ oder ,Amor Fati‘, also ,Liebe zum Schicksal‘. Wir wachsen so selbstverständlich mit bestimmten Sinnzusammenhängen sowie Denk- und Wahrnehmungsweisen auf, dass wir mit den uns darin zugewiesenen Rollen und Identitäten oft leidenschaftlich verhaftet sind. Patriarchale Mutterideologien werden zum Beispiel von vielen Frauen selbst vertreten und naturalisiert.“
„Müttern wird in Familien manchmal scheinbar Macht zugestanden, aber am Ende sollen sie die Kinder erziehen für eine von Männern gestaltete Welt.“
Und das gibt ihnen eine gewisse Handlungsmacht?
„Frauen haben gerade wegen ihrer gesellschaftlichen Machtlosigkeit die Mutterschaft immer auch benutzt, um selber Macht auszuüben. Mutterschaft verleiht Frauen in gewisser Weise Handlungsmacht in einer Welt, in der für sie sonst eher wenig Raum und Möglichkeiten vorgesehen sind. Im Privaten dürfen sie schalten und walten, hier sind sie Chefinnen. Und manche nutzen dies durchaus in missbräuchlicher Weise. Aber auch dominante Mütter agieren ja nicht einfach gemäß eigenen Vorstellungen, sondern agieren oft zugunsten patriarchaler Strukturen. Etwa, wenn sie dem Ehemann den Rücken freihalten, damit der in der Welt walten kann oder indem sie, etwas zugespitzt ausgedrückt, die Kinder liefern, die es für die Fortsetzung patriarchaler Strukturen braucht. Sie machen aus ihren Kindern Leistungssubjekte für den Markt, Soldat*innen für nationale Ideologien, Nachfolger*innen der Väter und deren Geschäfte, Anhänger*innen patriarchaler Religionen und vieles mehr. Kurz: Müttern wird in Familien manchmal scheinbar Macht zugestanden, aber am Ende sollen sie die Kinder erziehen für eine von Männern gestaltete Welt.“
Noch ein Aspekt aus deinem Buch: „Viele Frauen kämpfen heute verstärkt mit einem ernsthaften Rollenkonflikt und einer Identitätsunsicherheit, mit einer Zerrissenheit zwischen dem als unerträglich empfundenen traditionellen Lebensentwurf und der Angst, an dem Neuen zu scheitern“ – kannst du diesen Rollenkonflikt veranschaulichen?
„Mit den wachsenden Wahlmöglichkeiten ist auch der Druck gestiegen, beruflich erfolgreich zu sein. Die Freiheit bedeutet nicht zuletzt, dass es jetzt noch mehr Felder gibt, auf denen Frauen perfekt sein sollen. Die Politologin Katharina Debus spricht von einer Allzuständigkeit, mit der sie die Anforderungen an Mädchen und junge Frauen beschreibt: Frauen sollen heute in so vielen Bereichen wie niemals zuvor erfolgreich sein: Im Beruf, in Bezug auf Aussehen, als Mütter, als Sexualpartnerinnen. Sie sollen selbstbestimmt sein und emanzipiert – und gleichzeitig fürsorglich und empathisch. Während das öffentliche Bild des Mädchens uns das selbstbewusste, coole Mädchen zeigt, hält die Realität massive Widersprüche, Überforderungen, Erschöpfungen und die permanente Gefahr des Scheiterns bereit.“
Und gerade mit Blick auf marginalisierte, benachteiligte, diskriminierte Mütter – wie können privilegierte Frauen ihre Solidarität zum Ausdruck bringen, ihre Privilegien nutzen?
„Indem sie ihre eigene Situation nicht zum Maß der Dinge erklären und darüber reflektieren, wie es anderen ergeht. Sie können sich dafür einsetzen, dass nicht nur bestimmte Erfahrungen zum Maßstab von Forderungen und Reflexionen werden. Aber es ist auch wichtig zu verstehen, dass es oft nicht ,die Privilegierten‘ versus ,die Unterprivilegierten’ gibt. Es ist oft komplizierter, weil ein- und dieselbe Person auf einer Ebene privilegiert sein kann, zum Beispiel ökonomisch, auf der anderen Seite aber wegen der Hautfarbe, sexueller Orientierung oder weil sie sexuellen Missbrauch erfahren hat oder dick ist, extreme Unterprivilegierung oder Diskriminierung erfährt.“
Auch privilegierte Frauen ächzen ja schon unter dem momentanen Druck … es ist ja nicht so einfach zu sagen, ist mir jetzt egal, dass ich keinen Sex mehr hab ein paar Jahre lang, und ist mir egal, wie ich aussehe, ist mir egal, ob meine Kinder sich benehmen oder nicht. Wie können Frauen im Ist-Zustand mit dem Druck umgehen, mit der Erschöpfung?
„Wichtig ist der Austausch mit anderen, die Ähnliches erfahren oder ähnliche Ängste und Bedenken erleben. Man muss darauf achten, nicht zu vereinzeln, das ist ein wichtiger Hebel gegen das Ausbrennen. Wenn wir Gespräche über Probleme und Symptome wie Stress, Angst und Minderwertigkeitsgefühle führen können, ist das nicht nur eine klärende Erfahrung. Sich Menschen anzuvertrauen, die mit ähnlichen inneren und äußeren Problemlagen vertraut sind, die ebenfalls auf der Suche nach Lösungen und Handlungsmöglichkeiten sind, kann sehr heilsam sein. Diese Art Nähe mobilisiert gute Gefühle und Kraft.“
Am Ende kommt es ja auch sehr stark auf politische Weichenstellungen an. Wenn ich mit Wissenschaftler*innen spreche, ist da oft von „Anreizen für Väter“ die Rede, besonders Männer scheinen finanzielle Anreize zu brauchen, um sich dafür zu entscheiden, mehr Care-Arbeit zu übernehmen … mich persönlich macht der Gedanke wütend, dass Männer dafür „Anreize“ brauchen, aber ist das ein richtiger Ansatz? Muss man die Männer derzeit noch zu ihrem Glück „zwingen“, etwa durch verpflichtende Elternzeit etc.? Muss die Rolle des*r Sorgenden „attraktiver“ gemacht werden?
„Von Frauen wird Care-Arbeit von Natur aus erwartet, die Ausbeutung von Frauen ist kein Problem – für Männer bemüht man sich, dass sie attraktiver und lohnenswert ist.“
„Hm, ich weiß es nicht so recht. Ich glaube, ich fände es besser, den Standpunkt der Gerechtigkeit stark zu machen. Es geht um eine gerechte Verteilung von Arbeit, Ressourcen, Macht. Dazu gehört die Aufteilung von Care-Arbeit. Mich nervt natürlich schon, dass man erst, wenn es um die Väter geht, daran denkt, dass man die Rolle der Sorgenden attraktiver machen sollte. Man muss sie attraktiver auch für Frauen und überhaupt für alle machen! Hier zeigt sich ja das ganze Problem: Von Frauen wird Care-Arbeit von Natur aus erwartet, die Ausbeutung von Frauen ist kein Problem, für Männer bemüht man sich, dass sie attraktiver und lohnenswert ist.“
Du schreibst in deinem Buch: „Aber es geht dabei nicht einfach um die Formulierung der richtigen politischen Programme und Forderungen, sondern darum, dass wir das Politische tatsächlich mit unserem Inneren verbinden, dass wir dieses ,Innere‘ nicht verkümmern lassen“ – was meinst du damit?
„Es geht mir um die feministische Tradition, die privaten Gefühle nicht einfach als privat, sondern eben als gesellschaftlich geprägt zu verstehen. Und dementsprechend als politisch. Unsere Sehnsüchte, aber auch Ängste und Verzweiflungen müssen wir ernst nehmen und ihnen nicht nur individuelle, sondern politische Bedeutung geben. Politik ist nicht irgendeine abstrakte Sache oder Technokratie, die Frage, wie wir diese Welt und unser Leben gestalten, wie es uns als Menschen geht, ist politisch. Frauen haben schon immer diese Aspekte betont und breit mobilisiert, darin lag und liegt eine Stärke der feministischen Bewegungen, sie rühren an die persönlichen Lebensweisen, an Beziehungsfragen und Lebensfragen.“
Wie kann das gelingen?
„Es geht darum, Gefühle des Scheiterns und eben der Erschöpfung, Verletzlichkeit und Bedürftigkeit ernst zu nehmen. Wir Menschen sind zutiefst fragil, diese Fragilität verstecken wir oft, wir rennen einem – männlichen – Menschenideal hinterher, das stark ist und überlegen. Die Unterdrückung von Emotionen und Verletzlichkeit ist ein Kern von Machtstreben und Gewalt. Wir müssen also, wenn wir eine andere Gesellschaft wollen, die Verletzlichkeit und Bedürftigkeit des Menschseins ins Zentrum des Politischen rücken. In der patriarchalen Tradition ging es um die Konstituierung eines harten Menschen, das autonome Subjekt sollte gemäss der abendländischen Philosophie und Ökonomie unabhängig von anderen existieren, sich die Welt Untertan machen, alles kontrollieren und die eigene Abhängigkeit von Liebe und Anerkennung dauernd abwehren. Diese falschen Menschenbilder und Potenzfantasien führten auch zur Abwertung von Care-, von Sorgearbeit. In meinem Buch plädiere ich dafür, Fragilität ernst zu nehmen.“
Du stellst am Ende deines Buches die zentrale Frage, wie wir Bedingungen schaffen können, unter denen Sorgearbeit von allen geleistet und gerechter verteilt werden kann. Dir persönlich gefällt die Stoßrichtung, die Erwerbsarbeit zu reduzieren und neue Zeitmodelle zu lancieren. Wie könnte das konkret aussehen, und wie groß ist deine Hoffnung, dass sich zum Beispiel auch in Deutschland da bald was ändert?
„Die feministische Soziologin Frigga Haug hat die ,Vier-in-eine-Perspektive’ entwickelt: eine ,Utopie von Frauen, die eine Utopie für alle ist‘. Sie stellt darin die patriarchale und kapitalistische Vorannahme infrage, dass Lohnarbeit das Wichtigste sei und sich unser gesamtes Leben daran anzupassen habe. Ihre Forderung: andere Tätigkeiten, wie Sorgearbeit, aber auch politisches, etwa auch ehrenamtliches, Engagement oder kulturelle Projekte als gleichrangig mit der Erwerbsarbeit zu betrachten – auch was den zeitlichen Aufwand angeht. Nur so lasse sich eine gerechtere Verteilung von Haus- und Lohnarbeit verwirklichen. Haugs Utopie geht davon aus, dass jeder Mensch bei acht Stunden Schlaf etwa 16 Stunden am Tag für die einzelnen Tätigkeitsbereiche aufwenden kann. Bei einer gerechten Verteilung von Zeit und einer Gleichwertigkeit der Tätigkeiten würde das bedeuten, dass alle Menschen etwa je vier Stunden am Tag für Erwerbsarbeit, Sorgearbeit, kulturelle Selbstverwirklichung und politisches Engagement investieren können. An der Erschöpfung kann Haugs Ansicht nach nur dann etwas geändert werden, wenn die Strukturen selbst verändert würden.“
Und wo könnte man mit dieser Utopie im Hinterkopf sinnvoll ansetzen?
„Für mich wäre die Forderung ,Teilzeitarbeit für alle‘ ein richtiger Weg. Teilzeit bedeutet entsprechend in der Konsequenz, dass sie die neue Vollzeit ist und verbunden sein muss mit einem Recht auf einen Arbeitsplatz. Von dem Lohn, der in der Lohnarbeit verdient wird, soll gut gelebt werden können. Das Einkommen muss eine Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben garantieren. Auf die Frage, wie mit einer 20-Stunden-Woche ein ausreichendes Einkommen garantiert werden solle, antwortet Frigga Haug mit einer Kritik der aktuellen Verhältnisse: Sie skandalisiert, wie selbstverständlich hingenommen wird, dass einige Millionen verdienen und Gewinn ansammeln, während andere an prekären Arbeitsplätzen um jeden Euro kämpfen: Gewinne müssen anders verteilt werden. Auf diese Weise kann gewährleistet werden, dass Menschen genug Zeit für die ebenfalls existenziell wichtige Sorgearbeit haben. Das wäre ein möglicher Weg aus der Erschöpfung: Allen Menschen die Zeit zu Verfügung stellen, die sie für Sorgearbeit tatsächlich brauchen.“
Am 4. Oktober feiert Franziska in Berlin Buchpremiere und liest live aus ihrem Buch. Wer dabei sein will: Tickets gibt es hier.
Franziska Schutzbach: „Die Erschöpfung der Frauen“, Verlag Droemer HC, Oktober 2021, 18 Euro.
Das Buch ist natürlich auch bei lokalen Buchhändler*innen eures Vertrauens zu finden. Support your local Book-Dealer!