„Du musst Mitarbeiter*innen die Möglichkeit geben, frei zu denken“

Kerstin Wagner verbindet Themen, Menschen und Möglichkeiten miteinander. Die Recruiting-Chefin der Deutschen Bahn begegnet ihren Mitarbeiter*innen immer auf Augenhöhe. In diversen Teams groß zu denken ist ihr wichtig. Eine außergewöhnliche Führungsperson im Porträt.

Kund*in
Deutsche Bahn AG
Autor*in
Anne-Kathrin Heier für Deutsche Bahn AG
Gesponsert

Als Leiterin der Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn hat Kerstin Wagner eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die hierzulande erfüllt werden muss. „Unter ihr“ arbeiten 800 Mitarbeiter*innen daran, jährlich mindestens 20.000 neue Kolleg*innen für die DB zu rekrutieren. Wobei „unter ihr“ so nicht richtig ist. Denn für Kerstin haben Hierarchien keine vordergründige Bedeutung, was sicher nicht zuletzt mit ihrer beispiellosen und von Perspektivwechseln geprägten Karriere zusammenhängt.

Kerstin kommt ursprünglich aus Oberschwaben, genauer gesagt, aus Riedlingen an der Donau. Nach dem Abitur gab es für sie erst einmal jede Menge Möglichkeiten. „Ich mochte Mathe genauso wie Sprachen. Ich liebte den Sport. Das erste, was ich machen wollte, war meiner großen Leidenschaft zu folgen und sie auch anderen zu vermitteln.“

„Gleich in meiner ersten Funktion entdeckte ich die Liebe zu Human Resources.“

Schließlich, erzählt Kerstin, habe sie aus ihren vielen Leidenschaften die der Betriebswirtschaftslehre gewählt, und zwar in Kombination mit dem Ausland, „einer der roten Fäden, die sich durch mein Leben ziehen: Ich wollte immer in und mit unterschiedlichsten Kulturen arbeiten.“ Also studierte sie unter anderem an der ESC Reims in Frankreich, ging für einen MBA an die University of Ottawa (Kanada) und stieg dann bei Siemens als Assistentin des Leiters Global Human Resources (HR) im Telekommunikationsbereich ein. „Gleich in meiner ersten Funktion entdeckte ich die Liebe zu HR. Da war sofort eine große Leidenschaft, die ich dafür entwickelte.“

Nutze deine Chancen!

16 Jahre blieb Kerstin bei Siemens, nahm zwischendurch den roten Faden ihres Lebens immer wieder auf, ging nach Boston (USA) und lernte im Start-up-Umfeld unter anderem viel über Führung und Führungsstile. Vom klassischen HR-Business-Partner-Job bis hin zur Gründung von Transfergesellschaften, Entwicklung von neuen Arbeitsmodellen und der Gründung einer Zeitarbeitsfirma deckte sie, zurück in München, ein breites Spektrum ab, sammelte Erfahrung und nutzte die Chancen, die sich ihr boten. Dazu gehört auch die Aufgabe der Recruiting-Leiterin, die bei ihr eine neue Faszination zu dem für sie sehr besonderen Bereich wachsen ließ.

„In meiner letzten Funktion bei Siemens war ich global für das Thema Recruiting und Employer Branding verantwortlich. Und da kam irgendwann ein Anruf: Wir hätten hier etwas ganz Tolles vor, kannst du dir nicht vorstellen, zu uns zu kommen und das zu machen?“

Kerstin lacht rückblickend. Das sei ein für sie sehr spannender Schritt, eine aufregende Entscheidung gewesen – „Klar, wenn du nach 16 Jahren ein Unternehmen verlässt.“

„Die Kleinstadt ist mittlerweile schon eine große Stadt.“

Und so startete Kerstin bei der Bahn mit der großen Aufgabe, die Personalgewinnung neu aufzubauen.

„Zunächst waren wir nur 140 Leute. Inzwischen sind wir bei 800 Leuten in meinem Bereich, an rund 20 Standorten. Wir haben das Portfolio um ein Vielfaches erweitert. Es ist meine Aufgabe, für die DB eine Kleinstadt zu rekrutieren, jedes Jahr. Und die Kleinstadt ist mittlerweile schon eine große Stadt. Letztes Jahr waren es über 22000 neue Kolleg*innen. Das Jahr davor 25000.“

Die Frage nach Erfolg wird im Karrierekontext oft gestellt. Und auch, wenn sie etwas überbeansprucht erscheint, so ist die individuelle Definition von Erfolg doch auch immer spannend.
Kerstin sieht in der jährlichen Rekrutierung einer Kleinstadt vor dem Hintergrund des aktuellen Arbeitsmarktes einen enormen Erfolg. Dazu gehöre natürlich zum einen, die Arbeitgeberin Bahn attraktiv zu machen. Auf der anderen Seite müsse jede*r Einzelne passgenau gefunden werden, und auch das sei eine große Herausforderung: „Wir rekrutieren ja nicht nur ein Berufsbild, sondern 500 verschiedene in allen Zielgruppen – Schüler*innen, Fachkräfte, Akademiker*innen, Führungskräfte. Wir bilden im Grunde die ganze Gesellschaft bei uns ab.“

Blick hinter die Kulissen

Zum dafür notwendigen Aufbau einer modernen Personalgewinnung gehören sehr viele Facetten. Daher gehören zu Kerstins Team das Personalmarketing, das Recruiting und die Recruiting-Strategie sowie die Zeitarbeit. Für die DB ist es wichtig, ihre Kandidat*innen als Kund*innen zu betrachten. So haben die Erwartungen von Seiten der Bewerber*innen zugenommen beziehungsweise sind andere als früher. Aber wie genau haben sich die Erwartungen im Lauf der Zeit denn verändert?
„Du willst ja als Bewerber*in sehen: Auf welches Unternehmen lasse ich mich hier ein? Für was steht so ein Unternehmen? Wie glaubwürdig ist das, was das Unternehmen mir da kommuniziert? Transparenz, der Blick hinter die Kulissen – das ist eine eindeutige Erwartungshaltung.“

„Keiner ist mehr dazu bereit, sich stundenlang durch komplizierte Systeme zu quälen.“

Darüber hinaus sei ein moderner und benutzer*innenfreundlicher Bewerbungsprozess wichtig. „Wir leben ja gerade auch in einer Welt, in der du schnell mal eine Online-Überweisung machst, schnell mal was online bestellst, schnell mal online etwas erledigst. Warum soll der Prozess der Bewerbung nicht genauso modern und innovativ sein? Keiner ist mehr dazu bereit, sich stundenlang durch komplizierte Systeme zu quälen.“

Und schließlich, sagt Kerstin, müssten verschiedene immens wichtige Themen besetzt werden: Purpose, Nachhaltigkeit, Diversity.

Diverse Teams sind stärker!

So hat im März 2020 der Vorstand der DB das Ziel von 30 Prozent Frauen in Führung bis 2024 festgelegt. Um dieses Ziel zu realisieren, wurde eine ganzheitliche Talent Acquisition Strategie entwickelt, um mehr Frauen in Führungspositionen einzustellen, „30 Maßnahmen für 30 Prozent“. Diese Maßnahmen konzentrieren sich im Wesentlichen auf die drei Bereiche Personalmarketing, Recruiting und Monitoring.

„Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diverse Teams performanter sind und deutlich mehr Perspektiven abdecken können – und damit auch innovativer sind.“

„Ich bin zutiefst davon überzeugt,“, ergänzt Kerstin, „dass diverse Teams performanter sind und deutlich mehr Perspektiven abdecken können – und damit auch innovativer sind. Ich sehe das bei meinem eigenen Team. Alt, jung, das Verhältnis von Männern und Frauen in Führung ist nahezu fifty-fifty, unterschiedliche Backgrounds, allein bei den 800 Menschen haben wir über 20 Nationalitäten. Das ist aktuell so und das hatte ich in meinem Leben davor genauso dadurch, dass ich immer im internationalen Kontext unterwegs war. Du kannst so anders und viel schneller Ideen generieren.“

In Bezug auf die sich verändernden Erwartungen an das Recruiting sagt Kerstin: „Wir müssen permanent vor der Welle sein, müssen uns permanent selbst neu erfinden. Und ich bin stolz darauf, mit dem Team diesen Weg zu gehen, immer wieder neu die Dinge zu denken – das finde ich faszinierend.“ Da ist sie wieder: die Leidenschaft, von der Kerstin zu Beginn unseres Gesprächs gesprochen hat – und die sich in ihrem Strahlen widerspiegelt.

„Grüne-Wiese-Ansatz“ im LAB

In Bezug auf das Portfolio in ihrem Bereich erzählt Kerstin auch vom sogenannten LAB, in dem die Berufe der Zukunft entwickelt werden. „Hier schauen wir: In welche Richtung entwickeln sich die Berufe von heute? Das ist ja die spannende Frage. Ständig geht es um Digitalisierung und Automatisierung und dass sich die Berufe verändern. Aber was heißt das für das Hier und Heute? Wie entwickelt sich so ein Beruf? Und was müssen wir denn jetzt tun? Anders rekrutieren? Anders qualifizieren?“

Kerstin spricht hier von einem „Grüne-Wiese-Ansatz“. Alle Beteiligten sollen frei denken, ohne jegliches „Haben-wir-schon-immer-so-gemacht“. „Wir haben das LAB ressortübergreifend zusammengestellt. Aber es gab aus den unterschiedlichsten Abteilungen auch viele, die sich gemeldet und gesagt haben: Ich habe total Lust, da mitzumachen. Ich selber bin mit zwei Kolleg*innen im Lead, wir arbeiten aber auch außerhalb der Bahn mit z.B. der Bundesagentur für Arbeit zusammen, mit Universitäten und anderen Unternehmen, also wirklich kollaborativ.“

„Ich glaube, ich bin sehr nahbar und an den Themen dran. Hierarchie spielt überhaupt keine Rolle. “

Was auffällt, wenn man Kerstin zuhört: Sie benutzt selten das Wörtchen „ich“, spricht also meist in der Wir-Form mit einer besonderen Kraft in der Stimme. An diese Beobachtung knüpfe ich meine nicht ganz so einfache Frage, wie sie ihren eigenen Führungsstil beschreiben würde. Nicht ganz so einfach deshalb, weil ich sie damit zum „Ich“ ein Stückweit zwinge.
Kerstin lacht wieder, überlegt einige Sekunden. „Ich denke zwei Schritte voraus, sehe gern das große Ganze, wie wir eingebettet sind, schaue nach rechts und links. Ich hole immer wieder das große Bild nach vorne, gebe es dem Team und entwickle es mit ihm zusammen weiter. Das ist für mich wichtig. Und damit denke ich schon, dass ich in die Kategorie ,visionär‘ falle. Ich führe positiv, auf Augenhöhe, begeistere Menschen, nehme Menschen gern mit auf dem Weg entlang des Themas ,Wo ist unsere Vision?‘ Und ich führe ganz stark über Vertrauen. Ich gebe Vertrauen und hoffe dann auch, Vertrauen zu bekommen. Ich glaube, ich bin sehr nahbar und an den Themen dran. Hierarchie spielt überhaupt keine Rolle.“

„Steuere deine Karriere selber!“

Obwohl ich nicht zum Team von Kerstin gehöre, fühle ich jede der aufgezählten Eigenschaften in Bezug auf ihre Person. Ihre Offenheit und Neugier ermöglichen es, alle Richtungen einzuschlagen. Und so möchte ich von ihr am Ende unseres Gesprächs wissen, was sie jungen Frauen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen, mitgeben würde.

Kerstin holt tief Luft: „Hab deine eigenen Visionen, du musst schon wissen, wo du hin willst. Also nicht nur im Leadership-Style, sondern auch für dich selber klar haben: Was begeistert dich? Was ist dir wichtig? Was magst du? Steuere deine Karriere selber, sei dabei flexibel. Guck dir die Optionen an. Wie oft habe ich schon gehört: ,Ich weiß nicht, ob ich mir den Job zutraue.’ – Ja, sei mutig! Mach es! Nutze die Chance. Verantwortung macht auch Spaß. Nehme sie an, die Verantwortung. Hinterfrage die Dinge. Mach sie auch mal anders. Versuche, jeden Tag ein Stückchen besser zu werden. Und: Verbiege dich nicht. Bleibe glaubwürdig. Spiele nicht irgendeine Rolle. Kenne deine Werte. Und: Netzwerke. Tausche dich mit anderen aus. Das entwickelt sich mit der Zeit. Das ist ja auch kein One-way-Thema: Gibst du was rein, kriegst du etwas zurück.“

Karriere bei der Deutschen Bahn

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