WDR/OdeonFiction/Hardy Spitz: FLÜGEL AUS BETON

Victoire Laly: „Wenn man so intensiv zusammenarbeitet, ist es wichtig, offen über alles zu sprechen”

Welche Risiken können sich aus der Vernetzung in den Sozialen Medien und in Internet-Communities vor allem für junge Menschen ergeben? Darum geht es in dem Film „Flügel aus Beton“ (Regie: Lea Becker). Unsere Autorin Lilly sprach mit der Hauptdarstellerin Victoire Laly über ihre Rolle im Film und die Liebe zum Schauspiel.

Der Coming-of-Age-Film „Flügel aus Beton“, der am 30. März im Ersten zu sehen sein wird, behandelt Themen wie Mobbing, Suizid und eine makabre Online-Challenge namens „Ikarus“. Auf der Suche nach dem Spielleiter, dem mysteriösen „König Minos“, wird Gabrielle (Victoire Laly) selbst zur „Ikarus“-Spielerin und immer weiter hineingezogen in einen Strudel aus Depression und Todessehnsucht.

Im Mittelpunkt des Dramas mit Thriller-Elementen steht die Lebenswelt von Teenager*innen und die Frage nach möglichen Risiken, die durch die Vernetzung in Sozialen Medien und Internet-Communities für junge Menschen entstehen können.

Unsere Autorin Lilly traf die Hauptdarstellerin Victoire Laly in einem Berliner Café und sprach mit ihr über ihre erste Hauptrolle und die zentralen Themen in „Flügel aus Beton“. Beim Interview außerdem noch mit dabei: der kleine Sohn von Victoire.

Glückwunsch erstmal zu deiner ersten Hauptrolle – wie aufregend! Wie war das, als du das Drehbuch gelesen hast?

Victoire Laly: „Danke. Ja, dieser gute Mix aus Thriller und dramatischen Momenten klang sehr spannend. Je mehr ich mich mit ,Flügel aus Beton‘ auseinandergesetzt hatte, desto mehr wollte ich unbedingt dabei sein. Beim Lesen des Drehbuchs hatte ich sofort Bilder im Kopf und konnte mir richtig gut vorstellen, in die komplexe Rolle von Gabrielle einzutauchen: Eine gewisse Tiefe und Verantwortung, in die ich mich völlig hineingeben kann, war auch gerade, was meinen schauspielerischen Werdegang angeht, genau das, worauf ich große Lust hatte.“

War für dich schon immer klar, dass du Schauspielerin werden möchtest?

„Jein, nicht so bewusst. Ich habe zwar schon immer gespielt, auch damals in der Schule und in einigen Kurzfilmen. Aber Schauspiel studiert habe ich zum Beispiel nicht. Aus diversen Gründen: Der große Respekt vor dem klassischen Theater und auch einfach meine damaligen privaten Umstände hätten ein Schauspielstudium nicht zugelassen. Umso schöner, dass ich dann an die Agentur geraten bin und jetzt die Hauptrolle bei ,Flügel aus Beton‘ ergattert habe.“

Foto: Chiara von Galli

Über Victoire Laly
Victoire wurde 1991 in Benin, Westafrika geboren und zog mit acht Jahren nach Deutschland. In den letzten Jahren stand sie unter anderem mit Heike Makatsch („9 Tage wach“) und Clemens Schick („Barcelona Krimi“) vor der Kamera. In „Flügel aus Beton“ übernimmt sie ihre erste Hauptrolle in einer TV-Produktion. Unabhängigkeit und Selbstständigkeit als Frau sind ihr genauso wichtig wie ihr Traum, sich irgendwann in Afrika für die Bildung und Aufklärung von jungen Mädchen einzusetzen. „Mir war von klein auf klar, dass ich alles dafür tun werde, mein eigenes Ding zu machen und von keinem Menschen abhängig zu sein.“

Wie hast du es bei dieser Rolle geschafft, die Balance zwischen „Das geht mir hier alles zu nah!“ und „Ich muss die Figur überzeugend spielen!“ zu halten?

„Also, es ist mir ist es schon wichtig, wenn ich spiele, die Sachen wirklich zu spüren und alles an mich ranzulassen. Die vielen Parallelen zwischen mir und Gabrielle haben es mir auf jeden Fall einfacher gemacht, mich auf den Dreh vorzubereiten. Auch der ähnliche familiäre Background, gerade die Beziehung zu ihrer Schwester, machten mir den Einstieg etwas leichter.

Schwierig fiel mir die Auseinandersetzung mit dem Thema Selbstverletzung. Auch wenn ich Menschen kenne, die mit psychischen Problemen kämpfen, musste ich mich da persönlich durch viel Recherche und Gespräche mit der Autorin Lilly Bogenberger reinarbeiten. Vor den Dreharbeiten haben wir viel telefoniert, da mir gerade ihre persönliche Perspektive total wichtig war. Diese offene, ehrliche Kommunikation vorab, auch mit der Regisseurin Lea Becker, hat nicht nur mir und meiner Rolle geholfen, sondern generell für ein schönes, harmonisches Arbeitsklima gesorgt.“

Du hast dich also rundum wohl gefühlt am Set?

„Total! Bei ,Flügel aus Beton‘ stimmte alles: Das Team, die Rolle, die Atmosphäre. Klar gab es auch stressige Phasen, aber große Auseinandersetzungen habe ich nicht mitbekommen. Auch als mir beim Skriptlesen aufgefallen ist, dass die Hautfarbe der Figur irrelevant ist und überhaupt nicht thematisiert wird, wusste ich, das kann nur gut werden! Ein enormer Schritt für die deutsche Film- und Fernsehindustrie.

„Als mir beim Skriptlesen aufgefallen ist, dass die Hautfarbe der Figur irrelevant ist und überhaupt nicht thematisiert wird, wusste ich, das kann nur gut werden.“

Im Vergleich zu vorherigen Produktionen war es hier einfach erfrischend, von so vielen starken Persönlichkeiten umgeben zu sein, ohne sich klein zu fühlen. Denn wenn man so intensiv zusammenarbeitet, ist es wichtig, offen über alles sprechen zu können. Schließlich geht man eine Beziehung ein, von der alle Beteiligten hoffen, dass sie funktioniert und am Ende Früchte trägt. Gerade, wenn es um so persönliche, intime Themen und Geschichten geht.“

Wenn du über den Einfluss der sozialen Medien auf Heranwachsende nachdenkst: Hat sich da bezüglich deiner Idee von Kindererziehung irgendetwas geändert?

„Da kamen auf jeden Fall viele Gedanken hoch. Wir posten beispielsweise keine Fotos von unserem Kind, nicht mal unsere engsten Familienmitglieder und Freund*innen bekommen Bilder geschickt. Mir ist einfach wichtig, die Privatsphäre unseres Kindes zu wahren, bevor er nicht selbst darüber entscheiden kann, ob und wie viel er von sich selbst im Internet preisgibt. Die Pubertät liegt zwar glücklicherweise noch in ferner Zukunft, aber ich frage mich natürlich schon, inwieweit ich ihn vor solchen Sachen schützen kann.“

Foto: Chris Marxen Headshots

Würdest du denn sagen, dass psychische Krankheiten immer noch als Tabuthema in unserer Gesellschaft gelten?

„Es gibt ja verschiedene Gründe, wieso Menschen selbstverletzend werden oder Suizidgedanken entwickeln. Man sagt auch, dass Menschen öfter dazu neigen, wenn im familiären Umfeld schon Ähnliches vorgekommen ist. Und meistens bekommt man es einfach nicht mit, weil nicht drüber gesprochen wird. Da finde ich es wirklich wichtig, offene Türen zu zeigen. Also ja, wir sollten endlich anfangen, Bereitschaft zu zeigen, ernsthaft über mentale Krankheiten sprechen zu wollen.

„Wir sollten endlich anfangen, Bereitschaft zu zeigen, ernsthaft über mentale Krankheiten sprechen zu wollen.“

Beispielsweise die Szene im Film, in der Laura mit ihren Eltern in der Küche sitzt, ziemlich düstere Bilder malt und sich die Eltern darüber streiten, warum ihre Bilder nicht mal etwas freundlicher sein könnten. Anstatt zu hinterfragen, wieso Lauras Bilder überhaupt so düster sind. Es geht unter, was eigentlich mit ihrer Tochter los ist.

Diese sehr beschränkte und ich-bezogene Denk- und Handlungsweise der Eltern wünsche ich mir für meine Familie nicht. Mein Wunsch ist es, sei es als Partnerin, Freundin und/oder Mutter, über alles Erdenkliche reden zu können und dabei Verständnis für mein Gegenüber aufzubringen. Anders als durch offene Kommunikation wüsste ich nicht, wie wir dieses Thema endlich enttabuisieren können.“

Was bringt dich zum Fliegen, Victoire? Wann bist du so richtig glücklich?

„Ich bin auf jeden Fall jeden einzelnen Drehtag geflogen. Es war zwar zwischendrin auch super anstrengend, sowohl körperlich als auch emotional, aber dann kommst du nach Hause und siehst deine Familie und denkst nur: Wow, das war so geil. Am liebsten möchte ich nichts anderes mehr machen: von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang Filme drehen, um am Ende des Tages mit meiner Familie den Tag ausklingen zu lassen.“

Wie geht’s jetzt weiter für dich?

„Mal sehen. Ich habe jetzt ein paar Castings vor mir und bin offen für alles, was auch immer kommen mag. Ein Traum von mir ist jedenfalls, mich irgendwann mal in Afrika für die Bildung und Aufklärung von jungen Mädchen einzusetzen. Bis dahin werde ich dann hoffentlich auch wieder ein bisschen mehr Musik machen, denn das kam die letzten Wochen etwas zu kurz.“

„Flügel aus Beton“

Der WDR/ARD-Fernsehfilm „Flügel aus Beton“ ist ab dem 23. März 2022 in der ARD Mediathek abrufbar und am 30. März 2022 um 20.15 Uhr linear in Das Erste zu sehen.

Hilfsangebote

Für Betroffene, Angehörige und Personen aus dem sozialen Umfeld gibt es zahlreiche Hilfsangebote. Hier findet ihr alle Informationen, Telefonnummern und Webseiten.

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