Foto: Andi Weiland

Laura Gehlhaar: „Meine Behinderung gehört auch all denen, die sie mitverursachen“

Die Welt wäre besser, wenn wir alle mehr über den eigenen Tellerrand schauen würden, sagt Laura Gehlhaar. Wir haben mit der Bloggerin und Autorin über Inklusion und ihre Super-Power gesprochen.

„Meine Super-Power? Ich bewege mich fort, ohne mit den Füßen den Boden zu berühren“

Es hilft, wenn wir verstehen, dass viele Probleme nicht rein individuell sind, sondern in einem gesellschaftlichen Kontext entstehen. So ist das auch mit einem Leben mit Behinderung – denn die gehört nicht nur zu Laura Gehlhaar, sondern wird auch von anderen mitverursacht, wie sie im Interview erzählt.

Wir haben mit der Bloggerin und Autorin über ein selbstbestimmtes Leben und darüber gesprochen, warum für ein gutes Netzwerk verschiedene Lebensrealitäten so wichtig sind.

Welche Erkenntnis hat dich im Leben entscheidend weitergebracht?

„Die Erkenntnis, dass Behinderung nie nur eine individuelle Angelegenheit, sondern ein gesellschaftliches und politisches Problem ist. Mein Verständnis von Behinderung liegt nicht dem medizinischen, vielmehr dem sozialen Kontext zugrunde. Behinderung entsteht durch gesellschaftliche Strukturen, Gesetze, die Menschen daran hindern, selbstbestimmt leben zu können, und Vorurteile. Meine Behinderung gehört nicht mir alleine, sie gehört all denen, die sie mitverursachen.“

Was ist deine Super-Power?

„Ich kann gut trösten und werde in Extremsituationen ganz ruhig und klar. Diese Fähigkeit hat mich schon durch so manche Prüfungen und TV-Auftritte schweben lassen. Und ich bewege mich fort, ohne mit den Füßen den Boden zu berühren. Das hört sich nicht nur besonders gruselig, sondern auch ziemlich magisch an.“

Warum gehen die Themen Weiblichkeit und Zukunft für dich Hand in Hand?

„Wie wir ja wissen, gibt es ziemlich viele Frauen auf der Welt. Ich glaube, es sind 50 Prozent der Menschen weltweit. Wie traurig es also ist, dass diese 50 Prozent nicht die gleichen Rechte haben wie die andere Hälfte. Ich bin davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft nur stark sein können, wenn Gerechtigkeit und Gleichstellung herrscht.“

Was ist entscheidend dafür, dass Netzwerke gut funktionieren und etwas bewegen können?

„Netzwerke sollten offen und zugänglich sein für jede*n, die/der sich dafür entscheidet, Teil dieses Netzwerkes zu sein und es mitgestalten zu wollen. Es sollte sich für Außenstehende nicht so anfühlen, als sei dieses Netzwerk nur und ausschließlich für eine privilegierte Gruppe zugänglich. Wenn etwa auf einer feministischen Veranstaltungseinladung stehen würde die Veranstaltung ist barrierefrei zugänglich oder die Veranstaltung wird von eine*m Gebärdensprachdolmetscher*in begleitet, würde ich mich als Frau mit Behinderung vielmehr angesprochen fühlen. Jedes Netzwerk kann von vielfaltigen Lebensrealitäten, die wiederum andere Ansichten, Meinungen oder Wünsche mit einfließen lassen, profitieren.“

Was müssen wir jetzt bewegen, damit die Zukunft sich für alle in eine positive Richtung wendet?

„Ich glaube, dass mangelnde Demut ein grundlegendes Problem des/der einzelnen in unserer Gesellschafft ist. Die Menschen vergessen, vor allem das, was sie nicht jeden Tag sehen oder hören. Wir alle wissen aus unseren Geschichtsbüchern, wie schnell alles verloren gehen kann, wenn sich Menschen abschirmen, eine Mauer um sich herum bauen und andere ausschließen. Es kommt mir so vor, als ob jede*r stets große Angst davor hat, zu kurz zu kommen und etwas von sich und seinem/ihrem Hab und Gut abgeben muss. Wir sollten versuchen demütiger zu sein – vor anderen und vor uns selbst –und uns darauf besinnen, dass wir selbst und alles um uns herum schnell zerbrechen kann.“

Welcher Mann und welche Frau haben dich in deinem Leben besonders inspiriert und wieso?

„Der Mann – mein Freund – zeigt mir jeden Tag, dass es sie noch gibt. Bodenständige, reflektierte, sensible Menschen. Hätte der Mann nicht vor zwei Jahren an meiner Tür geklingelt, hätte ich wohl schon längst den Glauben an das Gute im Menschen aufgegeben und wäre irgendwann an getrocknetem Herzen gestorben.“

Laura und ihr Freund. Bild: Andi Weiland

Welchen Rat würdest du heute deinem jüngeren Ich geben?

„Das helle König Ludwig ist das beste Bier. Probiere erst gar nichts anderes, sondern mach dir damit von Anfang an eine schöne Zeit. Prost!“

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