Nora Bossong hat für ihr Buch „Rotlicht“ eine Prostituierte, einen Stripclub und sämtliche Sexshops Deutschlands besucht. Im Interview spricht sie über Freier, alte Herren und ihr verändertes Verständnis von Sex.
„Pure Pornografie, Nacktheit und kein wirkliches oder nur wenig Spiel mit Rollen“
Nora Bossong, die bereits mit ihrem Buch „Schnelle Nummer“ in die Welt des Sex anderer Menschen tauchte, vertieft ihre Recherche in ihrem neuen Buch „Rotlicht“ noch mehr. Dabei ist sie nicht mehr nur die stille Beobachterin, diesmal taucht sie selber ein und erlebt die Welt des käuflichen Sex hautnah mit. Sie ist durch Deutschland gereist, hat die Faszination der für die Öffentlichkeit sonst verschlossene Welt der Sexkinos, Wohnungsbordelle, Tantrasalons und vieler mehr erkundet.
Wir haben die Autorin gefragt welche Erfahrungen sie am meisten geprägt haben, was sie nach der Recherche von Männern hält und wie sie mittlerweile zu Prostitution und Pornografie steht.
Gab es einen Schlüsselmoment, in dem du dachtest, dass du über das Themen Sexualität, Pornografie und Sexarbeit schreiben musst?
„Ich hatte mit meinen männlichen Freunden immer wieder Streitigkeiten darüber, dass es käuflichen Sex im Prinzip nur für Männer gibt. In diesen Momenten musste ich mir von ihnen immer anhören, dass Männer weniger monogam sind als Frauen, sie Sex und Liebe besser trennen können. Außerdem müssten sich Frauen nur an eine Bar stellen, um Sex zu bekommen. Das alles schien mir etwas auf tönernen Füßen zu stehen.“
Einige Stellen in deinem Buch sind sehr drastisch beschrieben, wie zum Beispiel die Szene in einem Hamburger Sexkino. Hat dich die Recherche verändert – allgemein, in deiner Sexualität und wie du auf Männer zugehst?
„In dem Moment, in dem ich wieder aus dem Sexkino raus war, war es okay, aber es ist kein Erlebnis, das ich jedes Wochenende wiederholen müsste. Eigentlich hat sich mein Blick auf Männer während der Recherche nicht verändert. Ich habe einfach bestimmte Formen der Sexualität gesehen, die ich nicht immer nachvollziehen konnte und von denen mir einige persönlich unangenehm waren, die mir sehr verroht erschienen.
Was ich aber nach wie vor erschreckend finde, ist der Umgang von Freiern mit Frauen. Vieler Freier, nicht aller. Sie haben nach wie vor das Verständnis, dass Prostituierte ihnen zur Verfügung zu stehen haben, dass sie ein Anrecht auf einen anderen Körper zur eigenen Bedürfnisbefriedigung haben. Mir war nicht klar, dass das doch noch im Denken vieler so fest verankert ist.“
Kannst du da ein konkretes Beispiel nennen?
„Jetzt im Nachhinein, seitdem das Buch draußen ist, erlebe ich, dass mir Freier schreiben, die mir auf seltsame Art ihre Sicht der Dinge näher bringen wollen. Zum Beispiel, dass es keine Zwangsprostitution gibt, weil ‚die geldgierigen Luder bis nach Transsilvanien‘ genau wüssten, wie das in Deutschland läuft. Außerdem verweigern viele die Verantwortung für ihre Handlungen. Sie sagen, was ich sehr bezeichnend finde, dass sie ,notgedrungen‘ zu Prostituierten gehen, also gar keine andere Wahl haben.
Die andere Form von Begegnungen, die ich habe, sind die mit älteren Herren, die offensichtlich die Deutungshoheit über Lust und Sexualität nicht an eine junge Frau abgeben wollen. Ein Herr um die 70 ist nach einer meiner Lesungen, bei der er nicht anwesend war, zu mir gekommen und sagte mir: ‚Das ist ja ganz niedlich, was sie da machen. Ich kann Ihnen aber auch erklären, warum sie das tun. Frauen zwischen 30 und 40 haben nämlich ein kurzzeitiges Interesse an Sex.‘ Er hat mein Buch noch nicht mal gelesen, ist nicht zu meiner Lesung gekommen und verspürte trotzdem das Bedürfnis mir mitzuteilen, dass er zum einen meine Arbeit nicht wertschätzt und zum anderen weiß, wie es wirklich ist. Bei solchen Situationen muss ich aufpassen, dass mein Bild über Männer nicht schlechter wird.“
Was glaubst du woher dieses Verhalten rührt?
„Deutungshoheit hat auch immer etwas mit Macht zu tun. Und bei den Freiern ist es so, dass sie Angst haben, dass ihnen dieser problemlose Zugang zu Sex verwehrt wird und sie sich damit auseinandersetzen müssen, wie legitim es eigentlich ist, was sie da tun und diesem Gedanken weichen sie ja wunderbar aus. Entweder durch die Variante, dass es notgedrungen ist und es eigentlich eine Zumutung sei, dass sie noch 40 Euro dafür bezahlen müssen. Oder was die ,netteren‘ Freier sagen ,Die XXX hat ja eigentlich gar keinen Spaß mehr an Sex, aber wenn ich da bin, gefällt es ihr wirklich gut.‘ Sie reden sich das schön und unterstellen eine Freiwilligkeit, die, wenn man genauer hinschauen würde, eben nicht gegeben ist.“
In deinem Buch bist du fast immer mit Männern ins Bordell hingegangen. Wie kam es dazu?
„Zum einen war es ein bisschen Tarnung. Wenn ich alleine als Frau beim Bordell klingele, glaubt mir keiner, dass ich dort als Kundin stehe. Interessant war es, als wir in einem Wohnungsbordell zu zweit aufgetaucht sind. Wir haben uns als Paar, als potenzielle Kunden ausgegeben. Am Ende habe ich Geld bezahlt, trotzdem wurde mir unterstellt, dass ich die Freundin bin, die es dem Freund recht machen will. Dass es natürlich ist, dass der Mann das möchte und ich mich auf eine gewisse Art unterwerfe. Das heißt, selbst wenn ich dort auftauche, selbst wenn ich bezahle, werde ich nicht als Kundin wahrgenommen, sondern als Anhängsel.
Außerdem war es mir wichtig, nicht nur meinen eigenen, weiblichen Blick auf die Szenerie zu bekommen, sondern auch einen männlichen dazu zu gewinnen und zu sehen, wie sich die zwei unterscheiden. Zugegebenermaßen kam im Sexkino noch der Beschützeraspekt des Mannes hinzu. Ohne ihn hätte ich mich dort noch unwohler gefühlt.“
Deine Erlebnisse waren sehr unterschiedlich. Einmal das recht raue Sexkino auf der Reeperbahn und dann die cleane Venusmesse in einer Messehalle in Berlin. Was hat dich mehr geschockt?
„Es sind zwei unterschiedliche Entwicklungen, die vielleicht auch zusammenhängen. Ich habe in beidem eigentlich keine Erotik gefunden. Stattdessen habe ich in beidem pure Pornografie, Nacktheit und kein wirkliches oder nur wenig Spiel mit Rollen gefunden. Und da finde ich es erstaunlich, dass es so wenig Erfindungsreichtum gibt, weil Sex ja eigentlich nicht nur ausziehen und Hochleistungssport ist. Es könnte ja auch wirklich sehr anders dargestellt werden. Es ist eigentlich ein Raum totaler Phantasie.
In der jetzigen Sexindustrie ist es aber eine reine Vermarktungsmaschinerie, die aus meiner Sicht recht künstliche Körper darstellt. In der es nicht mehr um die Natürlichkeit von zwei Menschen und ihrer körperlichen Begegnung geht. Da haben sich die zwei Menschen, die im Sexkino miteinander Sex hatten, doch sehr abgehoben. Sie waren durch ihre Erschöpfung und Unvollkommenheit den künstlichen Bildern erhaben.“
Während deiner Recherche hast du auch eine Tantramassage besucht. Hier schienen deine Erfahrungen anders zu sein.
„Die Tantramassage war für mich insofern eine wichtige Erfahrung, weil es mir gezeigt hat, dass es nicht zwingend darum geht, ob man für so einen Vorgang bezahlen sollte. Man könnte schließlich auch meinen, dass Sex und Geld einfach nicht vereint werden dürfen. Dass es einfach immer tödlich, giftig und entwürdigend ist. Für die Tantramassage habe ich aber bezahlt und ich glaube, dass es nicht zwingend der Bezahlvorgang ist, sondern dass es darum geht, was man kauft. Kauf ich den Körper oder kaufe ich eine Handlung? Wenn ich eine Handlung kaufe und mich nicht als diejenige sehe, die die Handlung diktiert, dann finde ich, dass sexuelle Dienstleistung durchaus funktionieren kann. Das habe ich eben bei der Prostitution und den anderen Spielarten nicht wirklich gefunden.“
Du hast in deinem Buch eine Szene beschrieben, in der ein jüngerer Mann um die 16, 17 Pornos in einen Internetcafé anschaut und es wirkte so, also ob er absolut kein Problem damit hatte dies in der Öffentlichkeit zu tun. Glaubst du, dass dieser leichte Zugang zu Pornografie etwas mit der Sexualität der Jugendlichen macht und sich dies mit der von früheren Generationen unterscheidet?
„Zumindest ist es ja erstaunlich, dass junge Leute, die heutzutage aufwachsen, so viele Bilder von Sex gesehen haben, bevor Sex für sie überhaupt etwas Reales geworden ist. Vielleicht ist die Auswirkung gar nicht so groß. Ich bin mir nicht sicher. Es sind halt Bilder, in denen viel unnatürliche Hochleistung gezeigt wird. Das setzt unter Druck. Wenn sie sich feministische Pornos ansehen würden, wäre es vielleicht anders, aber das tun sie vermutlich kaum. Es ist wahrscheinlicher, dass sie etwas auf Youporn schauen als einen Film von Erika Lust. Und die Handlungsmöglichkeit von Frauen in dieser Mainstream-Darstellung ist schon relativ eingeschränkt. Die von Männern im Übrigen auch.
Ich glaube, mein Blick auf Sex ist in der Zeit etwas konservativer geworden. Es muss keine ewige Partnerschaft sein, aber ich finde, man sollte das Gegenüber erkennen, es wahrnehmen und interessiert daran sein. Das hätte ich vor der Recherche wahrscheinlich nicht so absolut gesagt. Ich hätte gesagt, dass man Sex und Beziehung auch trennen kann.“
Bist du denn der Meinung, dass Prostitution, wie sie jetzt besteht, abgeschafft werden sollte?
„Sie müsste zumindest einen extremen Legitimitätscheck unterlaufen, der sehr viel weitergeht als es jetzt der Fall ist. Es geht ja zu großen Teilen um das sehr entwürdigende Verhalten der Freier, das ich hochgradig problematisch finde. Natürlich ist nicht jede Frau ein sympathischer Mensch und jeder Freier böse. Trotzdem darf die heutige Selbstverständlichkeit von Prostitution so nicht weitergehen.
Allerdings bin ich auch sehr skeptisch, was die Kriminalisierung von Freiern angeht. Das Problem ist, wenn man das in Deutschland verbietet, gehen sie woanders hin. In Skandinavien funktioniert das ganz gut, aber es gibt ja die Billigflieger und die Männer stehen dann am Wochenende an der Reeperbahn. Es wird damit also nur von einem Ort zum anderen verschoben. Dann ist die Frage, ob man es hier in die vollkommene Kriminalität schieben sollte, was den Staat eigentlich jeglicher Zugriffsmöglichkeiten beraubt und es wiederum in Bereiche verschiebt, in denen Frauen noch schlechter behandelt werden. Vielleicht ist es aber doch notwendig, um das Umdenken in den Köpfen der Menschen durchzusetzen. Obwohl ich eigentlich nicht viel davon halte, Dinge zu illegalisieren. Dadurch droht es aus der gesellschaftlichen Debatte raus zu fallen. Ich bin mir in diesem Punkt einfach unsicher.“
Zu welchem Schluss bist du am Ende deiner Recherche gekommen?
„Zu dem Schluss, dass wenn man sich Prostitution genauer anschaut, man sich diese klassische Form nicht wirklich wünschen kann. Jeder Freier sollte sich fragen: ‚Ist das, was ich mache, wirklich korrekt? Steht es mir wirklich zu, einen Körper zu mieten?‘ Wenn diese Fragen gestellt werden, müsste man eigentlich zu dem Schluss kommen, dass es nicht legitim ist.
Dennoch herrscht eine Kultur der Selbstverständlichkeit, die durch die Kulturgeschichte, die allgemeine Geschichte, aber auch durch die Popkultur legitimiert wird. Natürlich kann man mal über die Reeperbahn gehen, natürlich kann man das mal beim Junggesellenabend ausprobieren, obwohl man es eigentlich natürlich nicht gut findet, die Selbstverständlichkeit ist aber eben sehr stark verankert.“
Nora Bossong: „Rotlicht“, Hanser Verlag, 2017, 240 Seiten, 20 Euro.
Mehr bei EDITION F
Nichi Hodgson glaubt: Ja, wir können respektvolle Pornos produzieren Weiterlesen
Warum ich als Feministin kein Verbot von Sexarbeit fordere Weiterlesen
Prostitution, ein ganz normaler Job? Weiterlesen