Foto: Pexels

„Unser Kind macht einsam“ – wie es sich anfühlt, Mutter eines Kita-Schrecks zu sein

Klar, es gibt diese Kinder, die niemals hören, die immer allen zu doll und zu viel sind. Kinder, die hauen, wenn sie nicht weiterwissen, und brüllen wie kleine Affen. Alus Sohn gilt als Kita-Schreck – und das ist nicht nur für ihn eine Belastung. Hier antwortet sie all denen, die ihren Sohn vorschnell verurteilen.

Kinder, die hauen, wenn sie nicht weiterwissen

Gestatten, ich bin die Mutter eines Kindes, das du „Arschloch“ genannt hast. Ja, solch eines Kindes! Es sind diese Kinder, die niemals hören, die immer allen zu doll und zu viel sind. Es sind die Kinder, die hauen, wenn sie nicht weiterwissen, und die einen anbrüllen wie kleine Affen.

„Nein, du doch nicht, niemals“, hör ich dich sagen, aber hinter meinem Rücken da sehe ich deine rollenden Augen, wenn unser zweites Kind mal wieder die Wände bemalt oder dein Kind geschubst hat. Ich halte seine Fäuste zurück, wenn er durch die Nasenlöcher bereits wie ein Stier pustet, weil er nicht weiß, wohin mit sich.

„Er ist wild! Er ist ein Luftikus! Er weiß, was er will! Er kann sich nicht so gut beherrschen!“

All das habe ich in den letzten Jahren zur Genüge gehört. Ich habe gesehen, wie er als Einziger aus der Kita nicht eingeladen wurde zu den Geburtstagen und kleine Rotzlöffel mir sagten: „Er ist zu abrup, hat die Mami gesagt“. So nicht, Mami! Denn dein Kind ist dafür ein dämlicher Papagei. Ich habe gesehen, wie ihn die Erzieherinnen ständig in die Ecke setzten und er beim Spielen zuschauen musste. Ich habe Gespräche über Gespräche und Ergotherapie über Ergotherapie absolviert und trotzdem: Das Kind bleibt wild, sehr nah und störrisch.

Ich habe Nächte in mein Kissen geweint und mir gedacht ich gehe zu einer Gesprächstherapie mit ihm, weil ich es nicht mehr aushalten kann. Dieses „Er“, dieses stetige Rechtfertigen. Austreiben sollten wir das Wilde, das Kreative, das Chaos – um ihn konform und gesellschaftsfähiger werden zu lassen, das zeigten mir die Blicke und Reaktionen der anderen.

„Unser Kind macht einsam innendrin“

Ich konnte sie nicht mehr ertragen, diese Mütter, die auf dem Spielplatz zu mir kommen und mir erzählen, dass mein Kind soeben das weggenommen oder dieses Kind geschubst hat. Ich habe ihre Blicke gesehen, wenn mein Kind so tat, als hätte es keine Ohren und lieber weiter mit Sand auf andere Kinder warf. Ich habe angefangen, die Gruppen von Müttern zu meiden, habe dem Mann gesagt: „Unser Kind macht einsam innendrin“ und geweint.

Ich habe meinen Sohn geküsst und ihn gewiegt in meinen Armen, wenn er mir berichtete, wie schwer das manchmal alles ist und dass die Ideen für den brennenden Toaster und das zerschnittene Kleid direkt aus seinem Herzen kommen.

Wir haben angefangen, viel allein zu unternehmen, weniger Zwang und Termine zu machen, weniger Sollen und Müssen zu erleben mit ihm. Wir haben uns Ruhe gegönnt und mit ihm gemeinsam gerungen und geschrien, wenn er seine Schwester an den Haaren zog.

Denn ich habe ihn immer gesehen, meinen wunderbaren Sohn, den DU „Arschlochkind“ genannt hast. Ruhig spielt er im Sand und zeigt mir seine kreativen Welten in all seiner Wucht. Daheim, weißt du, sitzt er am liebsten in seinem Zimmer und ich soll ihm zuschauen, wie er Lego baut oder einfach nur da sein. Ruhig, ganz ruhig kann er sich stundenlang beschäftigen, bastelt für seine Schwester und küsst mir meine müden Wangen.

Das Kind ist immer wild – aber liebenswert

Gestatten, ich bin die Mutter eines Kindes, das DU „Arschloch“ genannt hast. Ich bin die Mutter dieses Kindes, welches immer unangepasst, wild und nicht immer gesellschaftsfähig ist und vielleicht genau deswegen noch mehr Liebe und Geduld braucht, als manch anderer abgerichteter Papagei in den Berliner Straßen.

Also du andere Mutter, lies lieber den Text und denk lieber nochmal genauer nach, bevor du das nächste Mal auf dem Spielplatz das Wort „Arschlochkind“ vor dich hin flüsterst und dabei auf meinen großartigen Sohn mit deinen Fingern zeigst.

Diesen Text hat Alu zuerst auf ihrem Blog „Große Köpfe“ veröffentlicht. Wir freuen uns, dass wir ihn auch bei uns veröffentlichen können.

Mehr bei EDITION F

An alle Mütter: Wir dürfen Fehler machen, und wir dürfen erschöpft sein. Weiterlesen

Wunschliste ans Christkind: Schlagstock, Maschinengewehr, Pfefferspray. Weiterlesen

Bekenntnisse aus der Bastelhölle. Weiterlesen

  1. Ui, weder A…loch noch Papagei, danke.
    Aber, ganz abgesehen davon: Es gibt Kinder, die kommen ganz einfach nicht gut klar mit mehr als 1 Menschen um sich. 2 is company, 3 is a crowd. Anne-Lu, guck da weiter drauf! Gesellschaftsfähig darf er schon werden mit den Jahren, der Junge, nicht (nur) um der Gesellschaft willen, v.a. um seiner selbst willen: Das Leben ist entspannter, schöner, sonniger, wenn man nicht überall aneckt.
    Was hilft? Nach meiner Erfahrung klare Regeln und Strukturen, Bindungen, die Konflikte aushalten und streiten und verzeihen, soziale Beziehungen auch zu Erwachsenen, die mal Grenzen ziehen (ohne Ablehnung der Person), und manchmal (später mal checken lassen) sind Medikamente kein Fluch, sondern ein Segen, damit “Chaoskinder” ihre kreativen, kognitiven, emotionalen Potentiale wirklich entfalten können.
    Und, wenn es “Phasen” sind: Durchgehen, es geht vorüber.

  2. Der Text ist schon älter, aber ich muss ihn dennoch kommentieren.
    Ich verstehe deinen Schmerz!
    Aber, ich bin die Mutter des gutmütigen Kindes, das jeden Tag erneut hinter seinem besten „Kita-Schreck-Freund“ steht. Ich sehe den Schmerz in den glasigen, liebevollen Augen meines wundervollen Kindes, wenn sein liebster Freund ihm mal wieder androht, nicht auf seinen Geburtstag zu kommen, falls er dies oder das nicht tut. Wenn er ihn mal wieder von einem Fahrzeug im Hof schubst, weil ER dieses gerade fahren möchte. Wenn er ihm ein Bein stellt, einfach weil er es lustig findet. Wenn er ihn ununterbrochen fragt, ob er dumm sei. Wenn er ihn an seinem kleinen Kragen festhält, dass der Schwung vom Rennen in zuerst nach hinten und dann nach vorne schnalzen lässt. Ich sehe das jedes Mal, ich weine jedes Mal innerlich. Ich weine auch, weil ich mir sicher bin, das sein bester „Kita-Schreck-Freund“ nicht gerade im Begriff ist eine kreative, unangepasste Persönlichkeit zu entwickeln, sondern auf dem besten Weg ist, ein gefühlskalter Trampel zu werden. (Und absolut keiner hält ihn dabei auf!) ich weine aber vor allem, weil mein Kind das nicht verdient hat. Ich bin nicht begeistert von dieser Freundschaft. Der negative Einfluss zeichnet sich auch im Verhalten meines Kindes ab. Ich habe mehr als einmal „Arschlochkind“ gedacht, wenngleich ich weiß, dass er selbst absolut gar nichts für sein Verhalten kann. Er kann weder dafür verantwortlich sein, noch hat er sich dieses Verhalten ausgesucht. ABER keiner hält ihn auf, wie er auf den Gefühlen anderer Kinder herumtrampelt. Seine Eltern interessieren sich nicht dafür, dass ich meinem Kind jeden Tag sein Selbstwertgefühl zurückgeben muss, weil er es in der Kita mal wieder gestohlen bekam. Seine Eltern müssen ihrem Kind nicht erklären, dass die Wunde am Knie sicher wieder verheilt, wohlwissend, dass die Wunde in der Seele wohl prägend tiefe Narben hinterlassen wird. Nicht von einmal Schubsen, nein, aber von der ständigen Herabwürdigung, der sich mein Kind täglich aussetzen muss. Ich zeige nicht mit dem Finger auf deinen Sohn, aber ich sehe die verletze Seele meines Kindes. Jeden Tag! Und ich möchte auch weinen!

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Anzeige