Foto von der Autorin Gizem Eza, die vor einer Hauswand steht.
Die Autorin Gizem Eza kritisiert, dass Diversität wie ein Trend behandelt wird. Foto: Gideon Böhm

„Ich bin kein Trend“ – Warum Diversität keine Unternehmensentscheidung, sondern Realität ist


Viele Unternehmen fahren Programme, mit denen sie Vielfalt, Inklusion und Gleichberechtigung stärken wollten, wieder zurück oder stellen sie komplett ein. Insbesondere in den USA wird dieser Rückwärtstrend von der neuen Trump-Regierung massiv beschleunigt. Unsere Autorin beleuchtete bereits vor einiger Zeit, warum es zum Problem wird, wenn Vielfalt als trendy Entscheidung und nicht als konsequentes Abbild einer Gesellschaft verstanden und verankert wird.  

„Das fühlt sich nicht gut an“, denke ich mir, als ich an ein und demselben Tag schon das zehnte Mal ein Werbeplakat sehe, auf dem eine Frau abgebildet ist, die meine Schwester sein könnte. Die ich sein könnte. Sie trägt einen blauen Bikini, ihre braunen, voluminösen Haare wehen im Wind, während sie freundlich in die Kamera lächelt. Ich warte auf die U7, mein Herz klopft immer lauter und das liegt zur Abwechslung mal nicht an dem Chaos im Berliner U-Bahnhof.

Ich bleibe lange vor diesem Plakat stehen, fotografiere es ab, um es einer Freundin zu schicken. „Wieso sehen jetzt eigentlich alle Models aus wie ich? Bin ich ein Trend?“, frage ich sie und denke darüber nach, was diese Werbung und all die anderen Bilder, die ich in letzter Zeit in Print, TV und Social Media sehe, in mir eigentlich auslösen. Es ist auffällig, wie sehr die Werbung seit einer Weile auf Schwarze, mixed oder zumindest light-skinned, normschlanke, weiblich gelesene Personen mit großen Augen und definierten Locken setzt. Nach dem Motto: Wir können das voll gut mit der Diversität! Hier, wie gefällt euch unsere Vorzeige-Schwarze?

Und wisst ihr, was mich daran besonders wütend macht? Dass die Models nicht „zu Schwarz“ sind. Locken haben, aber keine krausen Haare. Dunklere Haut haben, aber nicht „zu dunkel“. Ihre Features sind halt noch genau so, dass sie nicht „zu krass“ für das deutsche Publikum sind. Colorism at its best. Dann noch eine Brise Tokenism und der Diversitätsstempel sitzt. Alle mitgedacht. Oder?

Definitionen für Begriffe wie Tokenism und Colorism findest du übrigens in unserem Glossar feministischer Wörter.

Ein tolles Trio

Seit meinem 17. Lebensjahr stehe ich als Werbemodel vor der Kamera. Immer mal wieder habe ich für kleine und auch größere Kampagnen gemodelt. Die Arbeit machte mir meistens Spaß, aber oft hatte ich dabei das Gefühl, „die freundliche Schwarze mit den schönen Locken“ zu spielen. Manchmal stand ich im Mittelpunkt. Manchmal wurde ich aber auch als das sogenannte „side chick“, die beste Freundin des Hauptmodels, gebucht. In dem Fall fand ich sehr oft entweder eine asiatisch gelesene Person oder eine rothaarige Frau an meiner Seite.

Ich stelle mir die Marketingabteilung der Werbekund*innen dabei vor, wie sie an einem langen Tisch sitzen: „Hmm, also eine Schwarze haben wir, jetzt noch eine Asiatin und ja …, was fehlt denn noch? Ah genau, eine Rothaarige, dann sind wir ,bunt’ genug. Das ist doch ein tolles Trio.“ Ungelogen fallen mir gerade auf Anhieb fünf Shootings ein, bei denen ich Teil dieses Trios war. Das ist so absurd, dass ich lachen muss. In all den Jahren habe ich nur ein einziges Mal mit einer dark-skinned Schwarzen Person geshootet, nie stand ich zum Beispiel gemeinsam mit einer muslimisch oder queer gelesenen Person vor der Kamera.

Versteht mich nicht falsch – es ist ja gut, wenn sich etwas bewegt. Und mit Anfang 20 hätte ich mich gefreut, weil es nur wenige Jobs in der Werbung für Menschen gab, die aussehen wie ich. Jetzt ist das anders. Obwohl ich mit 35 schon relativ alt für die Branche bin, erhalte ich mittlerweile mehr Castinganfragen als in den Anfängen meiner Karriere. Den letzten Werbemodel-Job habe ich vor fast zwei Jahren angenommen, und ich weiß, dass es nicht viel mehr werden, da ich auf die meisten Angebote gar keine Lust mehr habe.

In der Werbung stark unterrepräsentiert

Ich habe türkisch-ghanaische Wurzeln. Weder meine türkische Mama noch meine dark-skinned Schwarzen ghanaischen Freund*innen werden in der Werbung repräsentiert. Meine türkische Mama ist viel öfter in der deutschen Gesellschaft wiederzufinden als light-skinned Schwarze Personen: Warum erscheint ihr Bild nicht auf Bildschirmen und Plakatwänden? Offensichtlich kann man Personen, die aussehen wie sie, egal ob jung oder alt, nicht so gut vermarkten. Riskiert man etwa mit Menschen, die türkisch oder arabisch gelesen werden, zu viel, weil anti-muslimischer Rassismus in Deutschland noch immer tief in den Köpfen der Menschen verankert ist?

Laut Statistischem Bundesamt haben 29,6 Prozent der Bevölkerung in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund. Und der größte Teil der Menschen mit Migrationshintergrund hat ihre Wurzeln in der Türkei. Trotzdem sind diese Gruppen in der Werbung stark unterrepräsentiert. Also wie kann es sein, dass unsere Werbung so tut, als wären mehr Personen in Deutschland light-skinned Schwarze? Oder war das eh nie der Anspruch?

Wie gesagt: Ich freue mich, wenn die Werbung diverser wird. Wenn wir in den Werbepausen unterschiedlichen Menschen dabei zusehen können, wie sie genussvoll in ihre Burger beißen, ein Bierchen zapfen oder in Bikinis am Strand liegen.

Aber in den Werbeagenturen, die sich diese Storylines ausdenken, sehe ich keine freundlich lachenden Schwarzen mixed Frauen, die bei dem Konzept der Werbekampagne mitentscheiden. Ich konnte mir in den letzten Jahren einen guten Eindruck von der Arbeit hinter den Kulissen verschaffen und kann euch versprechen: Dort sieht es in den Entscheidungspositionen weiß und mehrheitlich männlich aus (wo eigentlich nicht?).

Die deutsche Werbung will meiner Meinung nach nicht diverser werden, weil sie die deutsche Gesellschaft widerspiegeln oder bestehende Machtstrukturen aufbrechen möchte, auch wenn viele Kampagnen damit werben und sich in ein schönes Licht zu rücken versuchen: Schaut her, wir sind krass intersektional! Die deutsche Werbung beziehungsweise die Kund*innen der Marken setzen einfach einen Haken hinter ihre „Wir-müssen-diverser-werden-To-do-Liste“: Okay, hier ist die Person of Color und hier ist eine Frau. Aber diese Checklisten- und Bilderbuch-Diversität ist nicht echt.

Was echt ist, sind hingegen die Ergebnisse von Studien zum Kaufverhalten der Konsument*innen: Eine Studie von Adobe (2022) zum Beispiel fand heraus, dass 61 Prozent der Konsument*innen eher bereit sind, bei Marken zu kaufen, die vielfältige und inklusive Werbung verwenden.

„Echte Diversität“

Das reicht doch eigentlich, oder? Wozu noch darüber nachdenken, wie nachhaltige und strukturelle Veränderung und echte Diversität (ich kann diesen Begriff nicht mehr hören) erreicht werden kann. Das würde nämlich bedeuten, dass Diversität in das Denken und die DNA des Unternehmens einfließen müsste. Aber welches Unternehmen ist bereit dazu? Wo ist sie denn, die „echte Diversität“, von der auf den Websites gesprochen wird?

Tatsächlich lässt sich aktuell sogar ein Rückwärtstrend hinsichtlich der Diversitätsbestrebungen beobachten, wie sie vor wenigen Jahren von vielen Unternehmen noch öffentlichkeitswirksam angekündigt wurden. Laut einem Bericht von „Business Insider“ hat Microsoft 2024 ein ganzes Team entlassen, das sich auf die Themen Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion konzentrierte. Auch andere Technologieunternehmen rücken von selbst gesteckten Zielen für mehr Vielfalt weg. So entließ das Unternehmen Zoom offenbar Anfang 2024 sein DEI Team (DEI steht für „Diversity, Equity, Inclusion“). Und auch Google und Meta haben laut CNBC (Gruppe von Nachrichtensendern) im letzten Jahr ihre DEI-Programme zusammengekürzt.

Die Autorin Celia Parbey schrieb vor einigen Jahren im „Rosa Mag“: „Schwarz sein ist ein Trend, doch wir können unsere Haut nicht einfach an- und ausziehen oder uns vor Mikroaggressionen, Rassismen und Konfrontationen schützen. Unsere Haut ist keine Jacke oder eine Mütze, die wir nach Belieben in den Tiefen unserer Schränke verstauen können. Schwarz sein ist ein Trend, doch in Wahrheit bedeutet es einer Gruppe anzugehören, die von der Mehrheitsgesellschaft auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen wird. Jahrzehnte in Magazinen zu blättern, in denen das europäische vorherrschende Bild von groß, extrem schlank und überwiegend weiß suggeriert: Du bist nicht schön. Du gehörst dieser Gesellschaft nicht an. Diktiert von Institutionen, Modemagazinen und der gesamten Beautyindustrie. Schwarz sein ist ein Trend. Doch für uns ist es Alltag.“

„Ich bin kein Trend“, sage ich mir und steige in die U-Bahn ein. Ich fühle mich weder geschmeichelt noch gesehen oder repräsentiert. Ich fühle mich nicht ernst genommen, ich fühle mich instrumentalisiert. Ich will meine türkische Mama in der Werbung sehen, und auch meine Freundinnen mit Kopftuch. Und das kann nur ein Anfang sein. Am Ende müsste echte Repräsentation der Bevölkerung stehen – in allen Bereichen der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.

Dieser Text erschien zuerst in unserem Voices Newsletter, für den du dich hier anmelden kannst.

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