Foto: 7 Flare Film/Adrian Stähli

„Wer seine Kinder nicht impft, ist ein asozialer Trittbrettfahrer? Das ist mir zu einfach“

Mit seinem Kinofilm „Eingeimpft“ wollte David Sieveking zeigen, was passierte, als seine Freundin und er nach der Geburt des ersten Kindes merkten, dass sie beim Thema Impfen völlig unterschiedliche Ansichten haben. Mit dem krassen Shitstorm, der folgte, hatte der Filmemacher nicht gerechnet.

Wer nicht impft, surft auf der Welle der Impfwilligen?

David Sieveking kennen womöglich einige schon durch seinen Film „Vergiss mein nicht“ – in berührenden Bildern begleitet er in seinem Dokumentarfilm seine demenzkranke Mutter. Dass er die Themen für seine Filme in seinem Privatleben findet, ist Davids Konzept als Dokumentarfilmer. Mit seinem neuen Kinofilm „Eingeimpft“, der seit September in deutschen Kinos läuft, hat er sich an ein Thema gewagt, bei dem für viele Menschen der Spaß aufhört: Impfen.

Warum kochen die Emotionen bei diesem Thema derart zuverlässig hoch? Auch das ist eine Frage, der David in seinem Film nachgeht. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, warum er diesen Film gemacht hat, warum das Thema Impfen für so viel Spaltung sorgt und warum so viele Menschen wütend über seinen Film sind.

David, du hast vor einigen Jahren deine Freundin kennengelernt, ihr habt ein erstes Kind bekommen, und ihr habt gemerkt, dass ihr beim Thema Impfen grundsätzlich unterschiedliche Ansichten habt – du unhinterfragt den Empfehlungen der Schulmedizin folgend, sie sehr impfskeptisch. Soweit, so gut – wie kam es dazu, dass das zum Thema deines Kinofilms geworden ist?

„Ich mache ja schon länger autobiografische Filme, das ist mein dritter Kinofilm mit dieser Herangehensweise – aus meinem Leben kristallisiert sich mit der Zeit ein neues Filmthema. Ich war eigentlich dabei, einen Film mit dem Arbeitstitel ,Nestbaustelle‘ zu machen: Ich wollte davon erzählen, wie das Leben umgewälzt wird, wenn man eine Familie gründet, was mit einem Liebespaar passiert, wenn da plötzlich Kinder sind, und man sich tausend Schwierigkeiten, Probleme, Herausforderungen gegenüber sieht, die man vorher gar nicht kannte: Plötzlich gilt es, gemeinsame Entscheidungen für die gemeinsamen Kinder zu treffen, was eine Menge Konfliktpotenzial birgt. Dafür gibt es tausend Beispiele, und eines, das hervorstach, war bei uns das Thema Impfen: Das war, wie ich merkte, Und nicht nur für uns, wie ich bald merkte, sondern auch für andere Eltern auf dem Spielplatz oder im Freundeskreis ist Impfen ein echt heißes Eisen. Bevor ich Vater wurde, hatte ich nicht geahnt, dass es um so etwas Selbstverständliches soviel Streit geben könnte.“

Warum polarisiert das Thema so stark?

„Man würde ja denken, in Deutschland gibt es keine so große Gefahr mehr, die von Seuchen ausgeht; Pest und Cholera sind verschwunden, Pocken gibt es nicht mehr, Kinderlähmung fast ausgerottet, man sollte meinen, dass man entspannt über dieses Thema sprechen könnte, aber die Debatte um das Thema Impfen ist unglaublich aufgepeitscht, man wird sofort in die Impfgegner*innen-Ecke gestellt und angefeindet, wenn man sich impfkritisch äußert. Und als ich das gemerkt habe, dachte ich: Das ist interessant, hier hören die Leute einander gar nicht richtig zu. Meiner Freundin, die anderer Ansicht war als ich, habe ich natürlich Gehör geschenkt, und ich wollte mich mit ihrer Perspektive, ihren Ängsten und Sorgen, auseinandersetzen, und das war dann sozusagen der Recherche-Auftrag für meinen Film (lacht).“

Welche Reaktionen gab es?

„Eine Sache, die ich noch interessant fand: Ich habe damals unserer Kinderärztin erzählt, dass ich vorhabe, einen Film über das Impfen zu machen, da nahm sie mich zur Seite und sagte: ,Naja, ich kann Ihnen aber vor der Kamera gar nicht offen sagen, was ich übers Impfen denke‘. Darüber habe ich mich gewundert. Unter Ärzt*innen und Mediziner*innen schien das auch ein Reizthema zu sein, nicht unumstritten. Impfen hat offenbar einen Tabu-Charakter, denn diese Ärztin befürchtete, wenn sie ganz offen ihre Gedanken äußert, Ärger von ihren Kolleg*innen und besonders vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte zu bekommen, die eine sehr strenge Position zum Impfen haben. Und an diesem Punkt wurde ich auch als Dokumentarfilmer neugierig, unabhängig von meinem privaten Interesse, zu einer Lösung im Konflikt mit meiner Freundin zu kommen.“

Und da sind wir mitten im Film – und den wirklich krassen Reaktionen, die du auf deinen Film bekommen hast. In vielen seriösen Medien gab es sehr kritische Rezensionen und Kommentare. Ich selbst fand es beim Ansehen des Films erstaunlich, bemerkenswert, wie sehr ihr euch mit eurer Impfentscheidung quält, das aber sicher aus der Perspektive von jemandem, die die Empfehlungen der offiziellen Stellen kritiklos übernommen hat. Die Professorin für Gesundheitskommunikation Cornelia Betsch sagte in einem Interview mit Zeit Online über deinen Film: „(…) Dass das Vertrauen in die Organisationen so gering ist und man meint, man müsse die Suche alleine machen, ist besonders traurig. Die Ständige Impfkommission und andere Gremien haben sich ja schließlich schon mal um all ihre Fragen gekümmert; viel ausgewogener und besser, als die Protagonist*innen es können. Das ist Kunst, was Herr Sieveking gemacht hat, kein wissenschaftlicher Informationsfilm. Damit befriedigt er das Bedürfnis vieler Ratsuchenden nicht.“ Hier muss erstmal die Frage anschließen: War das überhaupt dein Anspruch?

„Das ist doch Quatsch, meinen Film mit den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zu vergleichen – niemand geht ins Kino, um vom Bundesgesundheitsministerium eine Aufklärungsbroschüre im Filmformat zu bekommen. In meinem Film geht es um eine emotionale, eine dramatische Erfahrung, wie ein Paar mit unterschiedlicher Auffassung zu einer gemeinsamen Entscheidung gelangt. Es geht nicht darum, einen Leitfaden zu bekommen, wie man sich richtig verhält. Das Fazit, dass Cornelia Betsch zieht, kann ich total unterschreiben: ,Das ist Kunst, das ist kein Aufklärungsfilm.‘ Ich gebe Denkanstöße, und so wird mein Film meiner Erfahrung nach vom Publikum auch wahrgenommen. Eins ist völlig klar: Normale Zuschauer nehmen den Film völlig anders auf als viele Wissenschaftsjournalist*innen und die Initiator*innen einer Gegenkampagne, die mir unterstellen, ich wolle mit meinem Film die Menschen vom Impfen abbringen und Ängste schüren, als würde ich so etwas wie die ,Sieveking’schen Impfempfehlungen‘ mit allgemeinem Wahrheitsanspruch ausgeben.“

Was wollen dann deiner Ansicht nach Journalist*innen und die Gegner*innen deines Films?

„Ich lese daraus den Versuch, mich als Impfgegner hinzustellen, als jemanden zu radikalisieren, der gegen das Impfen ist – was überhaupt nicht der Fall ist, vielleicht in der Hoffnung, dass mir dann weniger Menschen zuhören. In meinem Film kommen auch keine Impfgegner*innen zu Wort. Das Misstrauen mancher Menschen gegenüber Ärzt*innen und Institutionen habe ja nicht ich erfunden, sondern das ist etwas, das ich aufgenommen habe in meinem Film. In der Realität ist dieses Misstrauen noch viel stärker und ausgeprägter, als ich das dargestellt habe, die radikalen Positionen habe ich meinen Film gar nicht aufgenommen, weil ich sie unhaltbar finde: also etwa Leute, die Impfen grundsätzlich ablehnen und der Meinung sind, die Pharmaindustrie sei zu verdammen und alle würden unter einer Decke stecken und Impfen sei giftig – all das gibt es ja auch, die abstrusesten Vorstellungen, die aber mit meinem wissenschaftlichen Weltbild, mit den Grundlagen der Schulmedizin, nichts zu tun haben. Damit hat mein Film auch nichts zu tun.“

Was aber stimmt: Du räumst Protagonist*innen, die eine in Teilen impfkritische Sicht haben, relativ viel Platz ein.

„Das sind Wissenschaftler*innen, die seriös arbeiten, die in den besten Fachmagazinen veröffentlicht haben und die das Impfen prinzipiell befürworten. Meiner Ansicht nach sollte Kritik in Teilen möglich sein, ohne die Sache an sich, also das Impfen, in Frage zu stellen. Und um nochmal auf das Zitat von Frau Betsch zurückzukommen: Sie verkennt, dass es in meinem Film um die Lösung eines Beziehungskonflikts geht: Ich wollte impfen, meine Freundin wollte aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen, die man ihr ja auch nicht einfach so absprechen sollte, erstmal gar nicht impfen: Sie hat schlechte Erfahrungen mit Impfungen am eigenen Körper gemacht, und wenn man ein Kind zur Welt bringt und einen Teil seiner Erbinformation weitergibt, dann ist man einfach vorsichtiger, als wenn man mit Impfen keine schlechten Erfahrungen gemacht hat – so wie ich; insofern kann und sollte man ihre Sicht durchaus ernst nehmen.“

Dafür ist Film doch da: Man schaut Menschen dabei zu, wie sie etwas durchleben, was wir selber nicht durchmachen müssen, sondern uns unseren
 eigenen Reim drauf machen können. Jede*r zieht doch seine eigenen Schlüsse aus dem, was er*sie sieht.

Du hättest dir also eine völlig andere Perspektive auf den Inhalt des Films gewünscht?

„Wenn ich einen Film gucke, ist das nicht automatisch ein Aufruf, das gleiche wie die Protagonist*innen zu tun; der Film bietet die Chance, in unsere Haut zu schlüpfen, mich in einer Phase zu erleben, in der ich mich zum Impfskeptiker entwickelt habe, der seine Tochter eigentlich nicht gegen Masern impfen möchte. Und dann machen wir Erfahrungen während eines konkreten Masernausbruchs bei uns vor der Haustür. Wir erkennen, dass die Masern einerseits nicht zu unterschätzen sind und, dass es auch wichtig ist für den Schutz der anderen, sein Kind zu impfen. Schließlich stellt sich sogar noch raus, dass die Masern-Impfung sogar über die spezifische Schutzwirkung hinaus gesund ist und uns auch vor ganz anderen Infektionskrankheiten als Masern schützen kann. Wir erkennen also schließlich, dass es vernünftig ist, gegen Masern zu impfen. Das Publikum wird doch wahnsinnig unterschätzt und für dumm verkauft, wenn man denkt, dass die Leute danach die gleiche Erfahrung machen müssten wie wir, um zu der gleichen Erkenntnis zu gelangen. Dafür ist Film doch da: Man schaut Menschen dabei zu, wie sie etwas durchleben, was wir selber nicht durchmachen müssen, sondern uns unseren eigenen Reim drauf machen können. Jede*r zieht doch seine eigenen Schlüsse aus dem, was er*sie sieht.“

Du sagst, du zeigst einen ganz privaten, persönlichen Konflikt, das ist die Art Filme, die du machst; als Zuschauerin mit drei Kindern, die durchgeimpft sind, hatte ich das unterschwellige Gefühl, dass der Film dem Thema Ängsten rund ums Impfen viel Raum gibt, mit Mitteln wie etwa der Musikauswahl recht stark dramatisiert.

„Welche Angst meinst du?“

Die Angst, dass etwas Schlimmes passiert, wenn ich mein Kind impfen lasse.

„Hast du mal die Minuten gezählt, in denen es darum geht, was alles Schlimmes passieren kann, wenn Krankheiten ausbrechen, gegen die man hätte impfen können? Da gibt es viel drastischere Bilder und viel bedrohlichere Musik.“

Ich wollte das gerade auch nicht als Vorwurf formulieren, sondern eine persönliche Empfindung schildern, ich hatte nach dem Film erstmal das Gefühl: ,Oh, da gibt es ganz schön viele Sachen, die ich nicht bedacht habe‘, ich fühlte eine gewisse Verunsicherung. Mediale Kritiker*innen werfen dem Film vor, es könnte sein, dass er negative Auswirkungen haben könnte, weil es eventuell Leute gibt, die sich verunsichern lassen und nicht mehr oder weniger impfen – was hältst du davon?

„Wenn man ehrlich ist, könnte man aber auch genauso sagen: Der Film ist eine Bestärkung zu impfen. Niemand geht aus dem Film raus und impft nicht. Ich bin begeisterter Impfbefürworter und stecke auch Leute mit dieser Begeisterung an. Von Leuten, die ihre Kinder eigentlich gar nicht impfen wollten, habe ich mehrfach gehört, dass sie wegen meines Films nun doch gegen Masern-Mumps-Röteln impfen lassen wollen, weil sie im Film von den positiven Effekten und der Langzeitwirkung auf die Gesundheit im Allgemeinen durch die Lebendimpfstoffe gehört haben. Die impfkritischen Aspekte, die in meinem Film vorkommen, werden ernstgenommen. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt, dass die unspezifischen Effekte der Impfungen unbestritten da sind, also dass der Schutz gegen die betreffende Krankheit nicht der einzige Effekt ist; die positiven Effekte, also eine positive Wirkung auf den Gesundheitszustand im Allgemeinen, sind weitgehend anerkannt von der WHO und von der wissenschaftlichen Community, und bei den negativen Effekten wird mehr Forschung verlangt. Es wird nicht bestritten, dass es diese negativen unspezifischen Effekte gibt, aber es gebe noch nicht genügend Belege, um diese Erkenntnisse in die allgemeine Impfpraxis umzusetzen. Zum Glück braucht man sich in Deutschland keine großen Sorgen zu machen, hier geht es bei diesen unspezifischen Effekten von Impfungen nicht um Sterblichkeit, sondern um Krankheitsanfälligkeit, unser Gesundheitssystem fängt das gut auf.“

Das Verrückte ist ja: Von der Presse werden ich zum Impfgegner gemacht – echte Impfgegner*innen wiederum verurteilen mich wiederum ebenfalls – weil ich ja impfe.

Wie erklärst du dir die Abwehr, die dir durch den Film entgegenschlägt?

„Ich verstehe die Aufregung nicht, und ich finde es völlig verkehrt und verzerrt, zu behaupten, ich sei ein Impfgegner und würde Impfgegner*innen eine Plattform bieten. Ich habe keine grundsätzliche Abwehrhaltung dem Impfen gegenüber, sondern äußere lediglich Kritik bestimmten Aspekten des Impfens gegenüber. Leute, die den Film im Kino gesehen haben, sagen mir hinterher, dass für sie das von der Presse gezeichnete Bild nicht mit dem Film zusammenpasst. Hier ginge es nicht um umfassende wissenschaftliche Aufklärung, sondern um ein bestimmtes Elternpaar, das versucht, eine gemeinsame Impfentscheidung zu fällen. Und da gäbe es genügend Raum, um sich selbst zu distanzieren von den konkreten Entscheidungen dieses Paares. Was mich freut, ist, dass Leute zu mir kommen uns sagen: ,Ich hab sie gehasst, diese Impfgegner*innen, aber ich jetzt habe zum ersten Mal Verständnis für Leute, die skeptisch sind beim Impfen.‘ Mein Film sorgt dafür, dass die Pro- und Contra-Lager mal einander zuhören.“

Hast du das Gefühl, der Film wird falsch wahrgenommen?

„Mein Film ist eigentlich eine Beziehungskomödie mit diesem roten Faden der Impfrecherchen. Ein Mitglied der Ständigen Impfkommission hat mir gesagt, er habe den Film als Milieustudie wahrgenommen, als Zeitdokument, wie Eltern mit der Überforderung so einer komplexen Entscheidung versuchen umzugehen. Wie über meinen Film gesprochen wird, zeugt nicht von einem wissenschaftlichen, sondern von einem politischen Diskurs. In der Befürchtung, die Menschen könnten verunsichert werden und die Impfquoten demnach fallen, wird mein Film kategorisch verurteilt. Aber mein Film könnte genauso gut als Gesprächsangebot genutzt werden, um Arbeit nachzuholen und Vertrauen wiederherzustellen, das nicht ich kaputtgemacht habe, sondern das vorher schon kaputtgegangen ist.“

Beim Impfen soll man plötzlich nicht mehr mündig sein und es heißt: ,Nö, hier sollen alle den gleichen Schuh anziehen, hier macht man es einfach so, wie vorgeschrieben, und sonst soll man sich darüber bitte auch keine weiteren Gedanken machen.‘ Das geht nicht mit den Menschen heute.

Was meinst du damit?

„Um das mal in Kontext zu setzen: Ich lese gerade dieses Buch ,Der Ernährungskompass‘, ein Bestseller, den ein Wissenschaftsjournalist geschrieben hat. Der schreibt in der Einleitung, man solle auf keinen Fall auf die Leitlinien hören, die die Deutsche Gesellschaft für Ernährung herausgegeben hat. Die empfehlen, wenig Fette zu essen, und das sei nach dem Stand der Wissenschaft nicht der richtige Ansatz für gesunde Ernährung. In der Medizin wird empfohlen, man solle sich vor Eingriffen und Maßnahmen am besten eine zweite, eine dritte Meinung holen, man soll der*die mündige Patient*in sein, sein*e eigene*r Arzt*Ärztin, die Zukunft der Medizin wird beschrieben als individualisierte Medizin.

Aber beim Impfen soll man das alles vergessen und es heißt: ,Nö, hier sollen alle den gleichen Schuh anziehen, hier macht man es einfach so, wie vorgeschrieben, und sonst soll man sich darüber bitte auch keine weiteren Gedanken machen.‘ Das geht nicht mit den Menschen heute. Die Leute informieren sich trotzdem, und wenn die offiziellen Stellen da nicht nachkommen und nicht ernst nehmen und nicht transparent diskutieren, dann gehen die Eltern woanders hin und geraten an womöglich dubiose und schräge Quellen. Ich war da auch, aber wie gesagt: Radikale Positionen habe ich überhaupt nicht in meinen Film aufgenommen.“

Du hast das Gefühl, beim Thema Impfen gäbe es nur Schwarz oder Weiß?

„Ja. Ich wünsche mir eine differenziertere Debatte. Es wird dauernd über das Impfen an sich gesprochen, und das ist Wahnsinn, es gibt so viele verschiedene Impfstoffe und Krankheiten, die kann man nicht alle in einen Topf werfen.  In meinem Film werden auch medizinische Grundlagen vermittelt, man lernt die Wirkungsweise verschiedener Impfstoffe kennen. Man kann das nicht alles über einen Kamm scheren – bei bestimmten Impfstoffen ist der soziale Aspekt wichtig, der so genannte Herdenschutz, dass wir also uns und unsere Kinder impfen zum Schutz der anderen, hervorstechend ist hier die Masernimpfung, das wird in meinem Film auch stark thematisiert. Und dann gibt es andere Impfstoffe, da geht es um einen individuellen Schutz, zum Beispiel Wundstarrkrampf, mit dem ich niemanden anstecken kann, aber wo ich natürlich überlegen muss, wie und wann mein Kind hier gefährdet ist.“

Du sagst, dass sich die Kritik an deinem Film gleichgeschaltet anfühlt, dass unhaltbare Falschbehauptungen gemacht würden, um dich in eine bestimmte Ecke zu stellen. Das sind harte Vorwürfe – hast du dafür irgendeine Erklärung?

„Angst. Man möchte nicht, dass über das Thema Impfen differenziert geredet wird, vor allem nicht von irgendeinem Laien wir mir: ,Hier ist jemand, der in dem Bereich keine Ahnung hat und der die Menschen verunsichern könnte, die sich noch weniger auskennen, und von dem wollen wir uns jetzt gar nichts erzählen lassen‘. Dabei ist mein Film ja gar nicht aufgezogen wie ein Ratgeber, sondern die Schilderung einer individuellen Familiengeschichte. Aber dadurch, dass es ums Impfen geht, wird es kompliziert. Bei diesem Thema kommen neben Wissenschaft auch Politik und Wirtschaft ins Spiel, noch stärker als bei anderen Themen, es gibt den Public-Health-Gedanken, also den Wunsch der Gesundheitsbehörden nach Erhaltung der Volksgesundheit und bestimmten Impfquoten, und die sollen möglichst erhöht oder gehalten werden.

Und wenn die Leute nun zu sehr ins Nachdenken geraten, so sehe ich das, dann hat man Angst, dass man die Quoten nicht erreicht. Auf dieses Dilemma trifft nun unser Zeitgeist, wie wir heute ticken, wie wir unterwegs sind, wie wir uns informieren, und in keinem Bereich mehr das Gefühl haben, dass Politik und Wirtschaft einfach automatisch so gut funktionieren, dass alles sich automatisch super reguliert und dadurch alles immer besser wird. Das ist in allen Bereichen des Lebens so, auch beim Impfen, und ich finde, man muss den Finger auch hier in die Wunde halten und kritisch sein – nicht damit das Impfen abgeschafft wird, sondern damit die Impfstoffe und die Impfprogramme verbessert werden.“

Weil meine Freundin und ich uns nicht an die offiziellen Empfehlungen halten, werden wir in die Ecke gestellt mit denen, die gar nicht impfen, vielleicht in der Hoffnung, dass uns dann weniger Leute zuhören.

Euer Kinderarzt sagt im Film: „Auf dieser Welle surfen Sie“, und meint damit, dass ihr es euch nur deshalb leisten könnt, eure Kinder nicht zu impfen, weil es genug andere gibt, die es tun, es geht also um den Vorwurf, dass man es sich nur leisten kann, impfkritisch zu sein, wenn nicht allzu viele andere sich diese Haltung leisten – weil irgendwann der Herdenschutz nicht mehr funktioniert.

„Was mich an diesem Argument stört: Wenn man sagt, wer nicht impft, sei ein asozialer Trittbrettfahrer, dann ist das wieder sehr Schwarz-Weiß, denn einige Leute impfen eben nicht alles oder zu einem späteren Zeitpunkt, als von offizieller Stelle empfohlen, gefährden aber dadurch überhaupt keine anderen Menschen, weil viele Impfungen gar keinen Herdenschutzcharakter haben, vor allem nicht im ersten Lebensjahr – mein Baby wird nie jemanden mit Hepatitis B anstecken, und das Risiko geht gegen Null, dass es sich selbst damit ansteckt, und die Keuchhusten-Impfung verhindert offenbar nicht die Verbreitung des Erregers, das mal nur als Beispiel. Wirklich hervorstechend ist das Thema Herdenschutz bei den Masern und das wird im Film auch an mehreren Stellen herausgerabeitet.

Deshalb ist es einfach falsch, allgemein zu sagen, Leute, die nicht streng nach Vorschrift impfen, machen es sich einfach und surfen auf einer Welle. Da muss man differenzierter sprechen, wenn man ehrlich sein will. Es geht nicht darum, in ,Impfer*innen‘ und ,Nicht-Impfer*innen‘ einzuteilen, weil dann Leute wie ich durch das Raster fallen. Weil meine Freundin und ich uns nicht an die offiziellen Empfehlungen halten, werden wir in die Ecke gestellt mit denen, die gar nicht impfen, vielleicht in der Hoffnung, dass uns dann weniger Leute zuhören – so interpretiere ich das jedenfalls. Wenn man sich das medizinhistorisch anschaut, haben aber Impfkritiker*innen immer eine wichtige Rolle gespielt als Korrektiv, um Impfstoffe besser und sicherer zu machen.“

Dem Film wird auch vorgeworfen, dass ein Verhältnis 50:50 von Impfbefürworter*innen und Impfskeptiker*innen suggeriert wird, in der Realität stünden aber höchstens 5 Prozent Kritiker*innen zu 95 Prozent Befürworter*innen. Was sagst du dazu?

„Du kannst doch keinen Film machen, in dem du 90 Minuten lang sagst, was allgemein bekannt ist und dann noch fünf Minuten kritische Sichtweise unterbringst. Zu Beginn des Films erkläre ich: Impfen ist einer der größten Erfolge der Medizingeschichte. Ich gehe ins Paul-Ehrlich-Institut, bin bei der Ständigen Impfkommission (STIKO), wo die Bedeutung des Impfens und der Impfempfehlungen zum Erhalt der Gesundheit dargestellt wird – das sind die Grundlagen, das sind die ersten 30 Minuten, die Berechtigung dieser Institutionen ist für mich glasklar. Ich gehe in dieser Filmpassage auch in eine medizinische Bibliothek  und zeige anhand von Archivmaterial, dass die Pocken ausgerottet wurden, Polio zurückgedrängt wurde, und später im Film stelle ich klar, dass die Masernimpfung erheblich zur Senkung der weltweiten Kindersterblichkeit beigetragen hat.

Für mich ist dieser Vorwurf der Unausgewogenheit der Versuch, die impfkritischen Wissenschaftler*innen, mit denen ich spreche, auf eine Anti-Haltung zu reduzieren. Dabei ist zum Beispiel gerade Peter Aaby, dem ich mich im Film stärker widme, ein geradezu glühender Impf-Fan, auch wenn er bestimmten Impfstoffen gegenüber Vorbehalte hat – ihn deswegen als Impfskeptiker zu sehen, finde ich verkehrt, er untersucht nicht ob, sondern wie Impfungen wirken. Ich habe keine erschöpfende und ausgewogene Wissenschaftsreportage gemacht, sondern meinen persönlichen Weg zu einer Impfentscheidung gezeigt, bei dem auch wissenschaftliche Recherchen eine Rolle spielen.“

Ich stelle es mir emotional sehr belastend vor, wenn man das Gefühl hat, dass man missverstanden wird oder andere einen missverstehen wollen, und man damit so stark in der Öffentlichkeit steht.

„Besonders schockiert mich, dass eine richtiggehende Kampagne gegen meinen Film und mein Buch gefahren wird. Eine eigene Website wurde lanciert, um vor meinem Projekt zu warnen, es gab Leute mit Flyern vor den Kinos, die die Leute aufklären und abschrecken sollten, es gab Boykott-Aufrufe, alle Beteiligten mussten sich immer wieder verantworten, meine Redakteur*innen vor den Rundfunkrat treten, die Filmförderer*innen erklären, warum öffentliche Gelder verwendet wurden. Das ist doch völlig unverhältnismäßig und überzogen.

Das Verrückte ist dieser mediale Mechanismus: Wenn etwas nur laut und oft genug behauptet wird, dann wird es Realität. Dadurch, dass ich immer wieder  als Impfgegner radikalisiert werde, springen gerade im Internet natürlich massenweise Leute auf den Zug auf. Die meisten, die sich da ereifern, haben weder den Film gesehen noch mein Buch gelesen, aber fordern, mir solle das Sorgerecht entzogen werden oder finden ich sei verantwortlich für Kinder, die an Masern sterben, obwohl mein Projekt ja ein Appell für die Masernimpfung ist. Den Internet-Trollen, die da auftauchen, ist der Inhalt ja auch völlig egal, Hauptsache man kann schimpfen und anheizen.“

Zum Schluss noch weg vom Thema Impfen, sondern grundsätzlich mit Blick auf deine Art des Filmemachens: Du stellst dein Privatleben stark in der Öffentlichkeit aus, wie funktioniert das für dich?

„Um so autobiografisch von der eigenen Familie erzählen zu können, müssen die ein dickes Fell entwickeln, und natürlich ist es ein Abwägen, wie ich Intimes erzähle und was genau vorkommt. Bei dem Film über meine Mutter war das Projekt erstmal auch sehr umstritten in meiner Familie, ich habe mich schließlich aber mit meinen Schwestern und meinem Vater verständigt. Das geht nur gemeinsam, man muss über längere Zeit den Film gemeinsam entwickeln, wenn man ganz nahe Angehörige mit einbezieht, mit denen man auch nach der Filmpremiere noch gut auskommen will. Bei meinem neuen Film war es erstmal auch sehr schwierig mit meiner Freundin, die sich die Rolle vor der Kamera nämlich nicht ausgesucht hatte – als wir uns kennenlernten, sagte sie, was sie auf keinen Fall wolle, sei, in Zukunft in meinen Filmen aufzutauchen wie meine Exfreundin (lacht). Sie hat sich aber auch mich ausgesucht, und wusste ja, was ich mache. Beziehung und Liebe heißt ja auch, dass man hier und da über seinen Schatten springt Kompromisse macht und aufeinander zugeht, insofern ist ,Eingeimpft‘ auch durch und durch ein Liebesfilm, und es ist ein Wunder, dass er so entstanden ist.“

Viele Leute heute legen großen Wert auf das Thema Privatsphäre, zeigen zum Beispiel keine Fotos ihre Kinder in sozialen Netzwerken. Wie gehst du damit um, wenn wir in deinem aktuellen Film deine Kinder eine Rolle spielen?

„Ich kann diese Leute total gut verstehen, die ihr Bild in der Öffentlichkeit begrenzen, aber so ein Film ist ja nicht tagesaktuell und eben mal so ins Netz gestellt, das ist ein autobiografisches Kunstwerk, das über Jahre entstanden ist. Wir haben an allen Details gefeilt und uns das gut überlegt. Es ist auch eine Ästhetisierung von dem, was man erzählen will, natürlich ist das authentisch und nichts erfunden, aber wir zeigen natürlich nicht alles, sondern es ist immer auch eine Entscheidung, was man zeigt. Wenn man mit Leuten arbeitet, die ihre Einwilligung nicht geben können, wie damals mit meiner Mutter oder jetzt mit meinen Kindern, muss man darauf achten, dass man ihnen ihre Würde lässt und versucht, ihnen gerecht zu werden. Ich hoffe also, dass meine Kinder später nicht auf mich sauer sein werden (lacht). Ich glaube aber, wenn sie in ein paar Jahrzehnten vielleicht selbst Kinder kriegen oder um sie herum Kinder zur Welt kommen, wird am Ende die Freude darüber überwiegen, dass sie ein Zeugnis haben dieser komischen Zeit, als ihre Eltern mit lauter neuen Fragen und Herausforderungen zu tun hatten. Ich hätte jedenfalls gern so ein Zeitdokument meiner Eltern gehabt.“

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