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Fünf Frauen, fünf Kulturen, eine Geschichte: eine bewegende Dokumentation über die weibliche Lust

In ihrem Dokumentarfilm „Female Pleasure“ erzählt die Regisseurin Barbara Miller am Beispiel von fünf Frauen, wie noch heute überall in der Welt religiöse, kulturelle und gesellschaftliche Strukturen die Sexualität von Frauen unterdrücken.

Was Frauen wirklich wollen

Female Pleasure“ (Filmtitel: #FEMALE PLEASURE) ist ein Film, der so berührend ist, dass mal die Tränen fließen, stellenweise ein beklemmendes Gefühl in der Brust entsteht und der die Augen öffnet für neue Blickwinkel. Die in der Schweiz geborene Regisseurin Barbara Miller porträtiert in ihrem Dokumentarfilm fünf Frauen aus verschiedenen Weltregionen, deren Geschichten so unterschiedlich sie auch sind, starke Parallelen aufweisen. Deborah Feldman, Leyla Hussein, Rokudenashiko, Doris Wagner und Vithika Yadav engagieren sich mit unglaublicher Energie über gesellschaftliche, kulturelle Grenzen wie religiöse Zwänge hinweg für sexuelle Aufklärung und die Selbstbestimmung von Frauen. Sie brechen mit dem Schweigen und der Scham. Dabei gehen sie große Risiken ein: Sie werden diffamiert, verfolgt, bedroht und von ihrem ehemaligen Umfeld verstoßen. 

Deborah Feldmann lebte in einer ultraorthodoxen, jüdischen Gemeinde in Brooklyn und schreibt und spricht über ihren Austritt. Ähnlich wie die ehemalige Nonne Doris Wagner, die in Deutschland lebt. Leyla Hussein ist eine muslimische Aktivistin aus Somalia und klärt über FGM (Female Genital Mutilation) auf. Die Künstlerin Rokudenashiko lebt in Japan und hat buddhistische Hintergründe. Vhitika Yadav stammt aus Indien und gründete die Aufklärungsseite „Love Matters“.

Female Pleasure“ ist ein Film, der ganz individuelle Geschichten erzählt und trotzdem eine Parabel für jede*n von uns sein könnte. Er zeigt welche Wirkkraft Aktivismus und politisches, wie feministisches Engagement für jede Frau* haben können. Denn die strukturelle Unterdrückung der weiblichen Lust ist kein individuelles Problem, es ist ein universelles. Barbara Miller gelingt es darzustellen, wie sich diese Strukturen nicht bloß in kleinen Nischen finden, sondern sie auf der ganzen Welt, in allen Regionen und Religionen gefestigt sind.

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Im Gespräch mit EDITION F erzählt Regisseurin Barbara Miller über ihre Motivation das Thema zu dokumentieren, die Entstehung des Films, unterdrückende Religionsstrukturen und wie patriarchale Mechanismen auch in unserem Alltag wirken.

Warum ist dir der Diskurs um weibliche Sexualität so wichtig?

„Ich bin auf das Thema während meiner vielen Reisen gestoßen. Ich habe mich bei den Filmaufnahmen in der ganzen Welt gefragt, wieso ist das so, dass Frauen in den meisten Ländern keine selbstbestimmte, lustvolle Sexualität leben? Was geht da schief? Und vor allem: Warum ist das heute immer noch so? Ich habe mir überlegt, ob es eine Möglichkeit gibt, diese Geschichte so zu erzählen, dass sie zeigt, wie weltumspannend dieser Missstand ist. Deswegen habe ich mich entschieden, fünf Frauen aus den verschiedenen Weltreligionen beziehungsweise Weltkulturen – das vermischt sich ja auch – zu suchen, die sich auf die eine oder andere Weise bereits mit dem weiblichen Körper und der weiblichen Sexualität auseinander gesetzt haben. 

„Dieser Blick auf die Frau ist auch bei uns auch heute noch existent: die Heilige oder die Hure.“

Dabei habe ich entdeckt, dass eigentlich alle Weltreligionen in ihren ursprünglichen Schriften den Körper der Frau auf eine gewisse Art dämonisieren. Auch im Christentum. Sei es die Eva, die die Sünderin ist und die das Böse in die Welt gebracht haben soll oder Maria, die Mutter, die nie einen sexuellen Kontakt hatte und trotz Mutterschaft Jungfrau ist. Dieser Blick auf die Frau ist auch bei uns auch heute noch existent: die Heilige oder die Hure.“ 

Wo findet man dieses Bild denn in unserer Lebensrealität wieder?

„Wir müssen uns überlegen, mit was für Urgedanken, also mit was für Vorstellungen der weiblichen Sexualität, haben wir noch zu kämpfen. Wir denken ja oft, wir sind frei und alles ist wunderbar. Aber wenn ich mir die Internetpornografie anschaue, dann fällt mir auf, dass weibliche Lust nicht existiert. Die Frau macht einfach alles. Da wird nicht hinterfragt. Möchte sie das? Ist das gut für sie? Macht es ihr Spaß? Die Klitoris existiert in diesen Pornos nicht. Ich spreche hier immer von Mainstreampornos. Selbstverständlich gibt es auch ganz verschiedene und auch feministische Pornoformate. Aber die Hauptsache in diesen Mainstreampornos ist der männliche Orgasmus. Ist diese Art von Sexualität, die auch unsere Jugendlichen heute lernen, das, was wir wollen?“

Das zeigt sich nicht nur in Pornos. In deinem Film wurden oft verschiedene Werbematerialien gezeigt. Bilder von großen Modefirmen: Frauen, die in sehr devoter Pose dargestellt werden. Wie beeinflusst uns so eine omnipräsente Übersexualisierung?  

„Ich glaube, dass uns diese strukturelle Unterdrückung stark beeinflusst. Sicher ist es die jüngere Generation, die unter dem Einfluss von Facebook, Instagram und Co. noch stärker unter entsprechenden Bildern und Werbung leidet. Aber Frauen haben auch heute noch generell das Gefühl, dass sie einem Ideal entsprechen müssen, das die Schönheitsindustrie produziert. Wir haben ja auch kaum andere Vorbilder. Ich glaube, dass wir Frauen einem unglaublichen Druck ausgesetzt sind. Eben nicht nur sexuell, sondern im ganzen Leben. “

Die Frau als Sexualobjekt, nicht als Subjekt. Mit dem Sexyness-Diktat werden wir als Frauen überall konfrontiert.“

Und das impliziert ja auch eigentlich, dass eine schärfere Kritik gegenüber Werbebildern stattfinden müsste?

„Das denke ich auch. Sei es in Rap-Videos, in Songtexten oder eben in Werbung. Es wird uns überall suggeriert eine Frau muss sexy, verführerisch und eben nicht selbstbestimmt sein. Die Frau als Sexualobjekt, nicht als Subjekt. Mit dem Sexyness-Diktat werden wir als Frauen überall konfrontiert.“ 

Ich habe in einem der Kommentare unter dem Trailer deines Films gelesen, dass ein Mann geschrieben hat: „Schade, dass diese Doku nur in Ländern gezeigt wird, wo Gleichberechtigung eigentlich gar kein Problem mehr ist.“ So als wäre in westlichen Kulturen die Unterdrückung der Frau unsichtbar geworden, weil sie vielleicht nicht ganz so extrem ist. Nimmst du das auch so wahr, dass in westlichen Ländern ein Grundgedanke herrscht, dass die Frau bereits sexuell befreit sei?

„Ich glaube schon. Es kommt ja durchaus auch von jungen Frauen die Kritik, was so ein Film soll und warum man die weibliche Sexualität schon wieder zum Thema macht. Klar, wenn man westliche Länder mit anderen Kulturen vergleicht oder in unsere Geschichte blickt, ob zehn Jahre oder fünfzig Jahre zurück, dann haben wir natürlich Fortschritte gemacht. Zum Glück auch! Und zum Glück gibt es bei uns auch Männer, die es wichtig finden eine gleichberechtigte Partnerschaft, eine gleichberechtigte Sexualität zu leben. Aber das, was darunter liegt, ist bei uns leider auch immer noch ein großes Problem. 

Für mich war es wichtig mit dem Film zu sagen, dass wir uns bewusst werden müssen, welche Gedanken, welche Bilder von Frauen auch unsere Gesellschaft und unser Leben heute prägen. Und dann muss man sich vielleicht doch fragen: Kann ich meine Sexualität wirklich so leben, wie ich möchte? Auch Männer stellen diese Bilder unter unglaublichen Druck. Was ist ein Mann und was bedeutet Männlichkeit? Das ist nicht bloß ein weibliches Problem.“

Leyla Hussein, Deborah Feldmann, Vithika Yadav, Doris Wagner und Rokudenashiko sind Frauen, die auf aktivistischer Ebene oder mit Aufklärungsarbeit zu einer solchen Veränderung bereits beitragen. Nach welchen Kriterien hast du diese fünf Frauen ausgesucht?

Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Thema, das auch mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Mit großen Risiken. Deswegen war es mir wichtig Frauen zu suchen, die den Schritt in die Öffentlichkeit mehr oder weniger schon gemacht haben und denen die Gefahr bewusst ist, damit ich als Regisseurin nicht die gesamte Verantwortung trage. Leyla Hussein zum Beispiel lebt mit Todesdrohungen, wurde schon angegriffen und steht unter Polizeischutz. Mir war es also wichtig Frauen zu suchen, die die Gefahr in ihrem Land abschätzen können und die wissen, wie weit sie gehen können. Und wenn sie darüber hinausgehen, das auch bewusst machen.“

„Sexuelle Selbstbestimmung ist ein Thema, das auch mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Mit großen Risiken.“ 

Haben sich die Darstellerinnen eigentlich kennengelernt? 

„Ja, sie haben sich im Juni kennengelernt. Das war ganz toll. Für mich war es nicht bloß das Zusammenführen auf der filmischen Ebene, sondern die Freude zu sehen, dass sie sich auch in der Realität von Anfang verstanden und gemocht haben. Und auch jetzt stehen sie in Kontakt, sie haben zusammen eine WhatsApp-Gruppe. Sie erzählen sich, was bei ihnen gerade läuft und wo sie sich gerade engagieren. Es ist wirklich ganz toll.“

Und das ist ja auch wichtig, dass so ein Netzwerk entsteht mit aktivistischen Menschen. 

„Ja, das glaube ich auch. Die Frauen sind in ihrem Land, in ihrer Gesellschaft und ihrem Netzwerk sehr engagiert und sie wollen jetzt auf den Filmstart hin diese Netzwerke aktivieren und gemeinsam versuchen, weltweit etwas auf die Beine zu stellen und zu bewegen. Ich verstehe den Hashtag #Femalepleasure im Titel als Kampf für und als Forderung nach weiblicher, selbstbestimmter Sexualität. Aber natürlich hat er auch das Potential mit der Power der Protagonistinnen und vielen weiteren eine globale Bewegung zu kreieren. Den Anfang dazu haben sie bereits gemacht. Und jetzt bleibt abzuwarten, was nach dem Filmstart unter dem Hashtag passiert.“

Wie hast du die besonders emotionalen Szenen wahrgenommen? Ich denke da an die Performance der indischen Student*innengruppe oder den Workshop von Leyla Hussein. Das waren Szenen, die mich unglaublich bewegt haben.

„Es war für mich sehr berührend. Es macht mir Hoffnung zu sehen, dass – sei es die Performance oder diese Aufklärung der jungen Männer in der Diaspora – das wirklich etwas bewegt. Die Performance war an einer Universität in einer für Indien eher kleineren Stadt. Da waren Studentinnen und Studenten beteiligt, die sonst nie über Sexualität sprechen und diese Performance auf die Beine gestellt haben, bei der viele Leute zu gesehen haben. Anschließend hat es ein Gespräch gegeben, wo Frauen von Vergewaltigungen oder Übergriffen erzählt haben oder von Freundinnen, denen so etwas geschehen ist. Es ist der Mut dieser jungen Leute und der der Protagonistinnen, der etwas bewegen kann und etwas verändert. Als diese Frau, bei der Performance aus Indien, ihren Schmerz und die Verzweiflung aus vollem Herz herausschreit und unser Bewusstsein weckt, dass es in Indien so viele Vergewaltigungen gibt, die andauernd geschehen, ist mir das sehr nahe gegangen. Delhi wird ja leider auch ,City of Rape‘ genannt.“

Aber hattest du das Gefühl, es ging da um Hoffnung oder mehr um Angst? 

„Ich hatte das Gefühl, es geht um Aufklärung. Es geht darum, dass man in Indien nicht über Sexualität und in Schulen nicht über Aufklärung sprechen kann, wie in Japan auch. Für mich geht es vielmehr darum, Angst zu überwinden.“

Du hast Japan ja gerade angesprochen. Tatsächlich ist es nicht so, dass Sexualität ein komplettes Tabuthema dort ist. In dem Film sieht man ein Fest, wo der Penis als Symbol des Glücks und Wohlstands gefeiert wurde. Auf der anderen Seite ging es um eine Frau, die wegen eines 3D-Drucks ihrer Vulva inhaftiert wurde. Hast du mit dieser Widersprüchlichkeit gerechnet? 

„Mir war die japanische Kultur eigentlich nicht sehr vertraut. Ich wusste, dass es eine sehr große Manga- und Pornokultur gibt. Erst durch die Dreharbeiten mit Rokudenashiko ist mir aber bewusst geworden, wie widersprüchlich sie ist. Ich meine dieses Penis-Festival, wo alle Besucher*innen einen Lollipop in Form eines Penisses in der Hand haben, daran rumlecken und generell eine sehr spaßige Stimmung herrscht. Dort wurde der Penis zelebriert. Aber dass dann Rokudenashiko für ihre Darstellungen und Abdrücke der Vagina, die so comicmäßig und lustig sind, angeklagt wurde? Das hätte ich nicht erwartet. 

„Dieses Gedankengut über den weiblichen Körper hat sich in Japan eigentlich von der Religion in die Gesellschaft übertragen und ist nun sogar in die Rechtsprechung eingeflossen.“

Und ich war mir auch nicht bewusst, dass weibliche Lust oder auch das weibliche Geschlecht nicht benannt werden darf. Also in einer Fernsehsendung darf nicht ,Manko‘, das heißt Vagina, gesagt werden, aber ,Chinko‘ für Penis schon. Da lachen alle. Das finden alle total toll. Dieses Gedankengut über den weiblichen Körper hat sich in Japan eigentlich von der Religion in die Gesellschaft übertragen und ist nun sogar in die Rechtsprechung eingeflossen.“

Aber das ist ja vielleicht auch ein Aspekt, den man selbst so kennt. Dass in der Grundschule wahrscheinlich schon jedes Kind einen Penis zeichnen kann, aber niemand auf die Idee kommen würde, eine Vulva in das Heft des Nachbarskind zu zeichnen. Wie müsste ein Aufklärungsunterricht vielleicht schon in der Schule aussehen, um das transparenter und aufgeklärter zu gestalten?

„Ich glaube, dass so ein Aufklärungsunterricht nötig und möglich ist. Es muss wirklich gleichberechtigt über die weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane gesprochen werden. Man weiß ja, dass Kinder bevor sie geboren werden, sich schon im Mutterleib befriedigen, weil das etwas ist, das Entspannung gibt. Bei den Mädchen wird dann aber von klein auf gesagt, dass sich nicht anfassen sollen, weil das schmutzig wäre. Bei den Jungen hingegen ist das lustig. Das zeigt eine Grundhaltung. 

Aber wenn die Sexualität der Mädchen weniger schamhaft angeschaut würde, etwas Natürliches sein würde, würde sich viel verändern. Das könnte beginnen, indem man im Sexualkundeunterricht auch von der Klitoris erzählt. Man sollte nicht nur über den Penis reden und wie sensibel der ist oder wie Kinder entstehen. Darauf wird die Vulva nämlich meist reduziert: dass ein Kind irgendwann daraus entsteht und wie man verhindern kann, dass man beim ersten Mal schwanger wird. Aber das Lustorgan der Frau ist leider oft kein Thema. In vielen europäischen Aufklärungsbüchern wird, wie auch unsere Protagonistin Leyla Hussein in englischen Aufklärungsbüchern festgestellt hat, die Klitoris nicht dargestellt. Sie existiert nicht! Das ist der Wahnsinn.“

Glaubst du, dass das auch mit dem Urgedanken der fünf Weltreligionen zu tun hat, dass der Körper der Frau der Ursprung allen Übels ist, der unrein ist?

„Ja, wobei ich glaube, dass wir uns dessen gar nicht mehr bewusst sind. Mir war es wichtig das zurück in unser Bewusstsein zu holen: Wir leben seit Tausenden Jahren mit Moralvorstellungen, die besagen, dass der weibliche Körper, die weibliche Sexualität etwas Schlechtes sind. Zum Beispiel wird die Menstruation so gesehen, dass sie eigentlich ein Ausdruck von Unreinheit und von etwas Schlechtem ist – sei es im Buddhismus oder im ultraorthodoxen Judentum. Auch im japanischen und im nepalesischen Buddhismus glaubt man, dass es die Sünde ist, die dann aus der Frau austritt und die die ganze Welt verschmutzt. Im tiefsten Innern sind wir dennoch von diesen Gedanken geprägt. 

Meine Großmutter, die Schwiegermutter meiner Mutter, sagte zu ihr: ‚Du musst nicht nur gut putzen, du musst auch gut hinhalten können.‘ Das war in den Siebzigerjahren. Das ist noch nicht so lange her. Es gibt Fortschritte, es hat sich etwas verändert seit der 68er Bewegung. Es hat sich etwas verändert für uns. Und trotzdem: wenn ich mir jetzt heute die Mainstreampornos anschaue, dann ist es auch wieder: die Frau hält hin.“ 

Ist es trotzdem möglich religiös und sexuell befreit zu sein?

„Es gibt Formen der Religionen, bei denen es um Machtausübung und die Unterdrückung der Sexualität sowohl von Frauen als auch von Männern geht, da ist das dann selbstverständlich sehr schwierig. Aber ich glaube eigentlich, dass das überhaupt nichts mit dem Glauben zu tun hat. Ich glaube, dass man ein tiefgläubiger Mensch sein kann, als Glaube, nicht als Religionsstruktur, und trotzdem eine schöne Sexualität leben kann. Aber sobald man sich dann in fundamentalistische oder strenggläubigere Religionsaspekte begibt und sich dem unterwirft, nein, dann glaube ich, dass es schwierig wird eine schöne, befreite Sexualität zu leben.“

Im Film, besonders auch im Trailer, wurden Frauen in Burka, Niqab oder Hidschab gezeigt. Es ist ja ein sehr strittiges Thema, ob sich alle Frauen dazu selbstbestimmt entscheiden oder nicht. Viele muslimische Frauen stehen dafür. Ich hatte den Eindruck, dass den Szenen eine Wertung zu Grunde lag. Glaubst du, dass es nicht auch eine selbstbestimmte Entscheidung sein kann ein Kopftuch zu tragen?

„Ich glaube, dass man ein Kopftuch oder einen Hidschab aus Rebellion tragen kann. ‚Ich mach das und ich find das gut. Für mich ist das wichtig.‘ Und trotzdem ist es für mich absurd, dass ein Mann an einem Strand in Badehose liegen darf und daneben sitzt eine schwarz bekleidete Frau, sogar mit Strümpfen, mit einem verhüllten Gesicht, bei vierzig Grad. Also ja, es geht um eine Verhüllung, das Verstecken des weiblichen Körpers. Und ich bin der Meinung, dass jegliche Art von religiös-vorgeschriebener Verhüllung, die dazu dient, dass man die Frau nicht als sexuelles Wesen sehen darf, weil sie sonst einen Mann verführen könnte, nicht wirklich selbstbestimmt ist.

Bei uns war es ja auch zur Zeit unserer Großmütter noch so, dass Frauen keine Hosen tragen durften, nur lange Röcke und ein Kopftuch, wenn sie das Haus verliessen. Bikini, Minirock oder eben Hosen waren nicht nur unzüchtig und unanständig, sondern schlicht undenkbar.

Leider schützt weder ein Kopftuch noch eine Vollverschleierung Frauen vor sexuellen Übergriffen. Das erleben Frauen weltweit täglich. 

Völlig neutral könnte ich diese Vorschriften nur betrachten, wenn sie genauso für Männer gelten würden. Es gab eine von Frauen initiierte Protestaktion bei den Protesten im Iran, bei der Männer ein Foto von sich mit Kopftuch oder Niqab veröffentlichten. Da wurde so klar sichtbar, welche Ungleichbehandlung bei sogenannt religiösen Vorschriften zwischen den Geschlechtern oft herrscht und wie diskriminierend viele davon sind.“

Feministische Religionskritik birgt die Gefahr instrumentalisiert zu werden. Ich denke da zum Beispiel an islamfeindliche oder antisemitische Kontexte. Ist dir das bewusst oder hast du, vielleicht in Kommentaren schon Erfahrungen gemacht? 

„Der Film ist bisher nur in Locarno gelaufen. Aber es war mir schon sehr bewusst, dass man so einen Film missbrauchen könnte. Deshalb war es mir wichtig im Film zu zeigen, dass es nicht um eine Religion oder eine Kultur geht. Wir haben dieses Problem auf der ganzen Welt. Diese patriarchalen Strukturen, wie Leila Hussein sagt: Überall wird das Patriarchat, die universelle Religion, praktiziert. Das steht eigentlich historisch hinter jeder Kultur, jeder Religion. Und davon sind wir alle betroffen. Weltweit. Für mich war nicht das Ziel zu sagen die sind schuld oder die oder die machen das schlechter. Denn überall in den heiligen Schriften steht das gleiche: wir Frauen sollen uns dafür schämen, dass wir einen weiblichen Körper haben und dass wir sexuelle Wesen sind.”

„Überall wird das Patriarchat, die universelle Religion, praktiziert.“

Wie sollten Zuschauer*innen aus dem Film gehen? 

„Es geht um Empowerment! Wir müssen hinschauen, wir haben ein Problem. Aber wir können das auch gemeinsam verändern, Männer und Frauen zusammen. Wir müssen den Mut haben und die Kraft zu sagen: Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, jetzt machen wir wirklich was. Das wird für uns alle ein Riesengewinn sein.“

Und wie kann das praktisch aussehen? Vielleicht auch im Kleinen? Im Alltag?

„Ich glaube, dass es besonders für uns Frauen wichtig ist, uns nicht im Alltag zu unterwerfen, sondern nach unseren Bedürfnissen zu handeln. Das geht besonders auch um die eigene Sexualität. Wir sollten uns trauen zu sagen, was wir möchten, was wir brauchen und unsere Wünsche anbringen. Ich glaube Frauen sind sehr zurückhaltend beim Sprechen darüber, was ihre wirklichen Bedürfnisse sind. Frauen denken oft, dass der Mann herausfinden muss oder bereits weiß, was uns gefällt. Das weiß er natürlich nicht automatisch. Und dann ist er eigentlich auch traurig oder frustriert, dass das nicht so ist. Man muss als Frau auch sagen können, das würde ich mir wünschen oder lass uns das ausprobieren. Frauen müssen mehr zu ihren eigenen Bedürfnissen stehen und brauchen sich derer nicht schämen.“

Wie kann man schon in der Erziehung ansetzen, um einen offeneren Bezug zu seinem Körper zu haben – sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen?

„Mädchen und Jungen müssen lernen ihren Körper zu akzeptieren und ihre Grenzen zu spüren. Die eigene Nacktheit zu akzeptieren, vielleicht auch die Eltern nackt zu sehen. Eltern haben ja oft eine Scham und wissen nicht, soll ich jetzt mit meinen Kindern über Sexualität oder Pornographie sprechen? Oder wann? In einer meiner Fernsehdokus ‚Jugendliche Schauen Pornos – Eltern schauen weg‘ war ein zentrales Thema, dass jugendliche Jungs ab etwa elf, Mädchen ab zwölf, dreizehn die ersten Pornobilder sehen und dann sehr oft viele Jahre damit alleingelassen werden. In der Schule wird es mit vierzehn, fünfzehn das erste Mal zum Thema. Aber es besteht eine große Gefahr darin, wenn das die Bilder sind, mit denen sie aufwachsen und diese nicht einordnen können. Man muss als Elternteil den Mut haben zu fragen, ob die eigenen Kinder solche Bilder schon mal gesehen haben. Danach, was das bei ihnen ausgelöst hat. Und dann erklären, dass das nicht die richtige Sexualität ist, dass das Darsteller sind, dass Sexualität auch anders aussieht, mit Küssen, mit Zärtlichkeit. Was Kinder und Jugendliche dort sehen ist keine authentische Sexualität. Das sind Spielfilme.

Man muss Kinder begleiten und sich eben nicht schämen und schweigen, weil man denkt, dass sie zu klein sein, um mit ihnen darüber zu sprechen. Die Realität sieht anders aus. Selbst wenn man im Internet Lego bestellt, poppen oft schon die ersten Pornowerbungen auf. Ein offener Umgang ist da einfach wichtig.“

Am 8. November startet der Film #FEMALE PLEASURE in den Kinos!
 

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