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Feminismus und Deutschrap: Wie soll das zusammenpassen?

Würde mehr Feminismus im Rap unsere Gesellschaft verändern? Dieser Frage ist Alina Hoppe nachgegangen und hat dazu unter anderem mit der Rapperin Sookee gesprochen.

Mit Hass gegen Frauen in die Charts

Deutschrap ist aus der Musik-Szene schon lange nicht mehr wegzudenken. Genau das spiegeln auch die deutschen Charts: Überwiegend männliche Künstler wie Capital Bra, Raf Camora und Nimo haben das Rap-Game in der Hand – und hinterlassen mit ihren Punchlines bleibenden Eindruck. Das liegt nicht zuletzt an der rauen Sprache, die oft auch gegen Frauen verwendet wird. Nimmt man die Rapper beim Wort, so könnte man davon ausgehen, dass sie das weibliche Geschlecht hassen. Frauen sind für sie in ihren Texten: Bitches und Hoes, Schlampen und Nutten.

Aber ist die Frauenfeindlichkeit und der Sexismus in diesen Texten wirklich das Problem oder liegt das nicht, viel tiefer verankert, in den Strukturen unserer Gesellschaft? Geht es den Interpreten darum, Menschen bewusst zu diskriminieren oder passiert das unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit? Um diese Fragen zu beantworten, habe ich nicht nur meine eigene Haltung hinterfragt, sondern auch mit zwei Frauen gesprochen, die selbst Deutschrap produzieren und eine weibliche, feministisch argumentierende Perspektive auf das Thema werfen.

Was höre ich da eigentlich?

Im Rap ist es üblich, eine etwas „härtere“ Gangart an den Tag zu legen. Das muss man nicht gut finden. Die vulgäre Sprache geht schließlich so weit, dass sich manche Menschen durch sie beleidigt, verletzt oder minderwertig fühlen, oder Menschen das Gefühl haben, dass durch die Texte ihre Existenzberechtigung in Frage gestellt wird. Diese Gefühle haben absolut ihre Berechtigung.

Die Kritik mancher Menschen ist allerdings oft undifferenziert. Denn oftmals wird das Genre Deutschrap verallgemeinernd als Problem betrachtet, das vor allem junge Menschen negativ in ihrer Entwicklung beeinflusst. An dieser Stelle wird oft vergessen, dass Deutschrap ganz bewusst mit gesellschaftlichen Klischees spielt und, zumindest auf der sprachlichen Ebene, jegliche Grenzen auslotet und nicht selten überschreitet.

Umso wichtiger finde ich es, einen neuen Blickwinkel auf dieses Thema zu werfen. Wie viele andere Frauen auch, höre ich Deutschrap – seit ich 14 Jahre alt bin. Wer oder was mich dazu inspiriert hat, weiß ich heute nicht mehr. Die Ära um Kool Savas, Samy Deluxe und Fler war jedenfalls meine Zeit. Ich bin damit aufgewachsen, ganz unbedacht, die Beats und Rhymes des Berliner Undergrounds zu imitieren. In schwierigen Momenten konnte ich dadurch abschalten, meine Gedanken und Gefühle verarbeiten, und manchmal sogar eine neue Perspektive finden. Eine der wichtigsten Lektionen für mich: Ich muss immer wieder aufstehen, und bin stärker als zuvor. Wenn Sido, ein Junge von der Straße, mit seinen weitaus schlimmeren Problemen fertig wird, dann schaff ich das auch. Grundsätzlich ging es mir auch nie um den sprachlichen Duktus, mit dem die Rapper arbeiten, sondern vielmehr um die Dramaturgie des Ganzen. Die Art und Weise, wie Menschen ihre Geschichten mit der Welt teilen: Geschwindigkeit, Rhythmus und Melodie.

Warum wir mehr Frauen im Rap brauchen

Auch wenn die meisten dieser Geschichten nie ohne die Herabwürdigung von Frauen oder Minderheiten funktionierten, ließ mich der originelle Umgang mit Worten darüber hinwegsehen. Ich definiere mich auch nicht über die Attribute, die Rapper Frauen geben. Ehrlich gesagt ist das bis heute so geblieben: Obwohl ich mich als Frau mit feministischen Werten beschreiben würde, fasziniert mich dieses Musik-Genre. Diese Position wird nicht jede*r mit mir teilen können. Manchmal fühle ich mich ja selbst gespalten, zwischen meinem Verhalten und meinen Gedanken. „Das habe ich schon immer gehört“ und „Ich fühle mich von den Beleidigungen nicht angesprochen“ sind definitiv keine überzeugenden Argumente. Vielleicht ist das ja ein Fall von kognitiver Dissonanz? Damit bezeichnen Psycholog*innen einen ambivalenten Gefühlszustand, den wir verspüren, wenn wir vermeintlich unvereinbare Wahrnehmungen, Gedanken oder Absichten haben.

Was mich aber definitiv bestärkt, ist die Tatsache, dass Deutschrap in den letzten Jahren diverser und vielfältiger wurde. Endlich gibt es mehr Frauen, die Rap hören, oder selbst hinter dem Mikro stehen. Dadurch ändern sich nicht nur die Inhalte, sondern auch die Erwartungen an einen Track. Schließlich gibt es auch viele Rapper*innen, die mit ihrer Musik, wenn vielleicht auch unbewusst, feministische Werte vertreten. Die Rapperin Sookee macht sich seit einigen Jahren für Gleichberechtigung und intersektionalen Feminismus stark. Ich wollte von ihr wissen, wie sie die Situation von Frauen in unserer Gesellschaft bewertet: „Wenn Frauen erkennen, dass männliche Bewertungsmaßstäbe im Kapitalismus sie kontrollieren und sie sich daraus emanzipieren, ist schon eine Menge gewonnen. Männer müssen peilen, wie ungehindert sie ihr Ding in der Welt machen können, während andere hinter ihnen strukturell zurückbleiben.“ Sookees Rap ist politisch und gesellschaftskritisch, und positioniert sich gegen jede Form von Diskriminierung.


Sookee ist auch dem Pseudonym „Quing of Berlin“ bekannt. Quelle: Eylul Aslan

Antifuchs, deren Markenzeichen eine schwarze Fuchsmaske ist, wählt einen wesentlich agressiveren Weg, sich als Frau in der Männerdomäne zu positionieren. Ich habe sie gefragt, wie sie ihre starke Wortwahl einsetzt, um mehr Respekt von ihren männlichen Kollegen zu bekommen: „Wenn ich in Battles behauptet habe, meine Gegner haben kleine Geschlechtsmerkmale, war ich, glaube ich, genauso sexistisch wie die Texte, die bei Männern kritisiert werden.“ Auf diese Weise könne sie gleichberechtigt unter ihren männlichen Kollegen bestehen.

Kunstfreiheit legitimiert nicht alles

Wenn ich zurückdenke, war Deutschrap in meinen Augen schon immer genau das: eine Antihaltung, wie sie Antifuchs vertritt, eine Kritik an der Gesellschaft. Ein Sprachrohr für diejenigen, die nicht so privilegiert waren und ihrem Ärger Luft machen wollten. Wie in anderen Kunstformen des Hip-Hops, geht es beim Deutschrap auch stark um einen Wettbewerbsgedanken. Sogenannte Battles gehören dazu und zielen darauf ab, die*den Gegner*in zu besiegen. Dazu wird seit jeher die Übertreibung und Überhöhung des Selbst genutzt, als sprachliches Stilmittel.

Antifuchs findet dafür einen passenden Vergleich: „Du versuchst deine*n Gegner*in mit allen Mitteln schlechter dastehen zu lassen als dich. Übertragen wir das Ganze auf einen Boxer. Der streichelt seinen Gegner auch nicht, sondern zieht seinen Kinnhaken voll durch. Auf der Straße würde ein Boxer ja trotzdem nicht willkürlich jemand eine mitgeben.“ Aber  – und das ist für mich der springende Punkt der Debatte – wer bestimmt, wann die Grenzen überschritten sind, wann das Ende des Boxkampfs erreicht ist, wenn wirklich „alle Mittel“ erlaubt sind? Natürlich ist das Ermessenssache jedes Einzelnen, abhängig von dem Kontext und der Lebenssituation, in der man sich befindet. Allerdings finde ich, dass manche Themen, insbesondere geschichtliche Ereignisse wie der Holocaust, selbst im Rap nicht zum Gegenstand einer Satire gemacht werden dürfen. Wenn die Würde eines Menschen, in diesem Fall der Opfer des Nationalsozialismus, verletzt wird, ist für mich eine Grenze erreicht, die niemand überschreiten darf.


Antifuchs wurde durch Battle-Rap-Turniere bekannt. Quelle: Roy Fritzsche

Vielleicht sollten wir aber dennoch, bevor wir einen Text negativ werten, versuchen genau hinzuhören, die Texte zu analysieren, Stilmittel zu identifizieren, Vergleiche zu verstehen und auch Übertreibungen ihren Platz lassen. Viele Rapper*innen distanzieren sich auch ganz bewusst von dem musikalischen „Ich“­, das sie in ihren Lines vorgeben zu sein. Wie etwa Bushido, der seine private Rolle als Vater und Ehemann deutlich von der als Musiker trennt. Wenn er im Studio sitzt und Songs aufnimmt, bedient er angeblich eine bestimmte Sprache, ganz unabhängig von dem, was ihn in seinem Leben beschäftigt. Das mag ja sein, aber wieso sollte diese Rollenverteilung jemanden davon entbinden, sich an gewisse Maßstäbe und Richtlinien zu halten? Nur weil man sich hinter seiner Rolle als Künstler*in verstecken kann, heißt das nicht, dass Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit plötzlich erlaubt sind, oder?

Bushido rappt in seinem Track „Kommt Zeit, kommt Rat“ unter anderem über Gewalt gegen Frauen: „Ich boxe auch Frauen, das ist Emanzipation“. Manche sehen darin womöglich einen Angriff auf die allgemeine Situation von Frauen in unserer Gesellschaft, andere tun diese Aussage schlichtweg als sprachliche Entgleisung ab. Für meinen Geschmack gehen Texte wie diese, über Vergewaltigungsfantasien und Gewaltandrohungen von Bushido, Haftbefehl und Farid Bang, definitiv zu weit. Wenn man sich eingehend mit diesen Texten beschäftigt, fällt auf, dass die oben genannten Interpreten nicht ohne Beleidigungen und Herabwürdigungen auskommen – und sich sehr oft an der Grenze der Geschmacklosigkeit bewegen.

Punchlines wie „Und wegen mir sind sie beim Auftritt bewaffnet, mein Körper definierter als von Auschitzinsassen“ werden von vielen Menschen, darunter auch Rap-Anhänger*innen, nicht toleriert – das zeigte unter anderem die Debatte um die Echo-Nominierung von Kollegah und Farid Bang vor fünf Monaten. Diese Form von antisemitischen, rassistischen und gewaltverherrlichenden Inhalten dürfen nicht im Deutschrap vorgelebt werden, so meine Meinung. Einerseits sollten sich auch Institutionen wie die Deutsche Phono-Akademie mit ihren Auszeichnungen von den Künstler*innen distanzieren, die gezielt Hass und Hetze verbreiten und ihren Erfolg nur auf Kosten anderer aufbauen. Andererseits dürfen wir als Hörer*innen auch keinen Platz dafür machen, Credits geben und somit Sichtbarkeit schaffen.

Eine Zensur bringt uns nicht weiter

Obwohl ich Deutschrap aus vielen Aspekten heraus durchaus kritisch betrachte, finde ich es wichtig, dass keine Inhalte gestrichen werden. Sprechgesang sollte nach wie vor frei geäußert werden dürfen – solange nicht die Ehre eines Menschen verletzt wird. Jede*r, der sich näher mit Deutschrap auseinandergesetzt hat, weiß, dass eine Zensur nichts ändern würde an den grundlegenden Problemen mit Sexismus, Rassismus und Homophobie, die in unserer Gesellschaft nach wie vor bestehen. Die Themen, die in den Texten platziert werden, kommen schließlich nicht von irgendwo, sondern aus der Mitte unserer Gesellschaft.

Das ist natürlich ein grundsätzliches Problem, das viele Bereiche unserer Gesellschaft, insbesondere der Sprache, betrifft. Wenn man Äußerungen verbietet, ändert sich natürlich nichts am Geist derjenigen, die sie verbreiten. Im Deutschrap kommen diskriminierende Tendenzen, rechtspopulistischer, rassistischer oder sexistischer Natur, ebenso zum Ausdruck, wie im alltäglichen Leben. Deshalb ist und bleibt es wichtig, darüber zu sprechen und hinzuhören – aber gelegentlich auch mal einen Blick über den Tellerrand zu werfen. Neben dem Auf-die-Fresse-Rap, der sich rund um Drogenexzesse, schnelle Autos und One-Night-Stands dreht, sollten auch mal andere Themen und Menschen zu Wort kommen – diejenigen, die wirklich etwas zu erzählen haben. Frauen, die alleinerziehend sind und finanzielle Schwierigkeiten haben. Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben und sich für andere stark machen wollen.

Das Potential, das Rap bietet, sollten Musiker*innen erkennen und nicht nur für stupide Beleidigungen, leere Hülsen und herablassende Kommentare nutzen, die angeblich ja gar nicht so gemeint sind. Wenn mehr Frauen ihre Stimme erheben und Feminismus einen Platz im Deutschrap einräumen, könnte das in eine Richtung gehen, die uns als Gesellschaft weiterbringt. Das gilt für die Musik, wie für alle anderen Lebensbereiche. Nur so kann das Publikum, unsere Gesellschaft, mitziehen, ein Gespür für wichtige Themen entwicklen und eine differenzierte Haltung einnehmen.

Titelbild: Depositphotos.com

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