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Zermürbung durch das Banale: Wer Kinder hat, braucht keine Hobbys (hätte aber gern welche)

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa (jetzt wieder) über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Abstriche machen.

Spontan gebildete Selbsthilfegrüppchen

Liebe Leserinnen, liebe Leser, also erstmal: Ich bin wieder da. Hurra! Zum dritten Mal ein Jahr Elternzeit abgearbeitet, dann ist das Thema also jetzt endgültig durch. Check.

Neulich unterhielt ich mich mit einem Freund, der vor einem Jahr Zwillinge bekommen hat und nun ebenfalls insgesamt über drei Kinder verfügt. „Also ich hab ja das Gefühl, drei wird das neue zwei“, sagte er. „Und wir sind jetzt noch Avantgarde!“

Ich freute mich natürlich über diese Art beschwörender Selbstvergewisserung, kann man immer gut gebrauchen: Nein, das war keine falsche Entscheidung. Nein, ich bin nicht nur fremdgesteuert. Ja, ich führe noch ein eigenes Leben und ein Erfüllteres obendrein!

Für diese Erkenntnis brauche ich nicht mal den Input solcher sich immer wieder mal spontan bildenden Selbsthilfegrüppchen von Leuten aus „kinderreichen Familien“, wie das so schön heißt, sondern ich kann mich auf die Wissenschaft beziehen: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt nämlich: Menschen mit drei Kindern sind tendenziell zufriedener und gesünder als die mit weniger Kindern. Ob sie nun drei Kinder haben, weil sie gesünder und zufriedener sind, oder gesünder und zufriedener, weil …? Ach, egal. Zufrieden und gesund!

Im Körper einer Rentnerin

Ich freue mich natürlich über derartige Bestätigung von außen, kann mir aber auch nicht so recht erklären, wie die Leute vom Institut zu derartigen Ergebnissen gelangt sind, meine Lebensumstände haben sie jedenfalls nicht berücksichtigt.

Gesünder? Drei Geburten gehen an (fast) niemandem spurlos vorüber, wage ich mal zu behaupten. Ich lebe im Körper einer 85-Jährigen. Wenn ich morgens aufstehe, ist öfters meine Hüfte steif, weil ich die Nacht eingekesselt von einem Baby, einem Erwachsenen und zwei Kindern im „Familienbett“, das mir als Konzept eigentlich überhaupt nicht zusagt, verbracht habe, weil ich zu faul war, zu flüchten, als die Kinderdichte auf dreieinhalb kümmerlichen Quadratmetern irgendwann zu hoch wurde. Wenn die Hüfte in Ordnung ist, habe ich einen steifen Nacken und kann im Auto keinen Schulterblick machen.

Zufriedener? Wahrscheinlich ist es schon irgendwo, das Glück, ich habe aber selten genug Zeit, es zu finden. Was mir im vergangenen Jahr am meisten bewusst geworden ist: Der unheimliche logistische Aufwand, den drei älter werdende Kinder mit sich bringen, ist immer weniger kontrollierbar.

Eine Broschüre für die Eltern von Schulanfängern teilte mir neulich mit: „Schule wird in Zukunft zu einem ihrer wichtigsten Gesprächsthemen werden“ – das war wahrscheinlich als Information über eine Tatsache gemeint, klang für mich aber eher nach einer Drohung.

Zermürbung durch das Banale

Die meisten Menschen wären mit der Organisation eines einzigen Lebens, nämlich ihres eigenen, ausreichend beschäftigt; (ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass ich im kinderlosen Zustand je gedacht hätte, ich müsste mir jetzt eigentlich einige ergänzende Hobbys oder eine Charity-Tätigkeit zusätzlich suchen, um für Auslastung zu sorgen.) Wenn du dann noch darüber hinaus für drei zusätzliche Leben das Event-Management machen sollst, dann geht das nicht, ohne Abstriche zu machen.

Und nun schaffe ich es nicht mal, 20 Minuten Yoga auf Youtube zu machen, um die körperliche Beweglichkeit aufrecht zu erhalten. Sondern organisiere drei kleine Agenden, deren Inhalt gerade für Leute, die mit dem Thema nichts zu tun haben, geradezu provozierend öde klingen müssen – die Zermürbung durch das Banale: Vitamin D, zahnärztliche Vorsorgeuntersuchung, monatliche Allergiespritze, Weihnachtsbasar, Impftermin, Adventsbasteln in der Kita, U-Termin, Kita-Eingewöhnung, Playdates, neue Matschhose, Elternsprecherversammlung (selbst schuld, aber anderes Thema …), Judoanzug auf Ebay-Kleinanzeigen besorgen, jeden Tag ausreichend vollwertigen Inhalt für drei Brotdosen bereithalten,  es hört einfach nicht auf. Es wird immer mehr.

Bügelbild beleidigt? Die Nachmittagsplanung bricht zusammen

An manchen Abenden sitzen wir vor den Kalendern und konstruieren in planerischer Feinarbeit ein Gerüst für den nächsten Tag. Heraus kommen dann hochkomplexe Gebilde, die einfach einkrachen, sobald man das falsche Stäbchen irgendwo rausnimmt. Das macht es zusätzlich anstrengend, dieses Wissen darum, dass man sich auf nichts verlassen kann. Diese Willkür. An einem Tag ist noch alles gut, am nächsten Tag wachst du auf und ein Kind hat mit Flüssigkeit gefüllte Pickel am ganzen Körper; du willst los zur Kita, und das Kind bemerkt, dass die Jeans, die es traditionell mindestens 40-mal anzieht, bevor sie heimlich gewaschen und trockengefönt wird, feucht ist. Du willst länger arbeiten und hast alles und jeden wegorganisiert, und ein Kind teilt dir mit, dass es nicht vorhat, heute nach der Kita zu seinem Kumpel zu gehen, der sei nämlich doof, weil er gestern sein Bügelperlenbild beleidigt habe.

Und, trotzdem, oder eher, klar, wird es immer schöner. Mir wäre es äußerst unangenehm, wenn jemand von extern abends zuhören würde, wie mein Mann und ich uns verzückt darüber austauschen, was Kind A wieder unheimlich Süßes gesagt hat, Kind B unheimlich Schlaues geäußert, Kind C unheimlich Lustiges gemacht hat.

Aber: Politische Bildung, kulturelle Teilhabe, körperliche Fitness, ausreichend hohe Zahl sinnstiftender Konversationen, in denen das Wort „Kinder“ nicht vorkommt: Ich weiß, was Verzicht bedeutet. Und wenn ich dann mal kurz Zeit habe, muss ich überlegen, wie ich das alles kolumnenmäßig verarbeiten kann. Ich habe hier schließlich auch noch einen Job zu erledigen.

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