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Geschwister: Irgendwo zwischen Hass und Liebe

Wir haben uns nie bewusst für eine Beziehung zu unseren Geschwistern entschieden, und doch ist sie eine der längsten unseres Lebens: irgendwo zwischen Gönnen und Neid, Gemeinschaft und Rivalität, Hass und Liebe.

Zwischen Hass und Liebe

Sie hocken mit dir auf der Fensterbank und flechten dir Zöpfchen. Sie wecken dich nachts auf, um gemeinsam den geheimen Süßigkeitenvorrat zu plündern. Sie spielen mit dir Indianer, ballern dir zum ersten Mal den Fußball mitten ins Gesicht, starten eine riesige Badesession mit Flutgefahr, erleben deinen ersten betrunkenen Abend und hören sich geduldig deine Liebesstorys an. Geschwister sind dir so nah wie niemand anderes je sein wird. Niemand wird vermutlich je deine Macken und Tücken so genau kennen und dich in neuen Situationen einzuschätzen wissen. Niemand hat daher das größere Recht dazu, dich zurechtzuweisen und dir die Meinung zu geigen.

Aufgrund dieser Nähe gelingt es aber auch keinem besser, diese Karten gegen dich auszuspielen und in den empfindlichsten Momenten deinen wundesten Punkt zu treffen. Geschwister. Ein Paar zwischen Liebe und Hass. Zwischen Gemeinschaft und Rivalität, zwischen Gönnen und Neid. Keine Beziehung kann so pur und ehrlich sein wie diese.

Gemeinsam oder gegeneinander?

Als Duo oder Duell – bevor es an den Geschwistern ist, die Antwort selbst für sich herauszufinden, ist es die Aufgabe unserer Eltern, zwei Wesen, die sich niemals bewusst dazu entschieden haben, am Leben des jeweils anderen teilzuhaben, füreinander zu begeistern. Man wächst gemeinsam auf, strebt in ähnliche oder andere Richtungen und entwickelt Gemeinsamkeiten oder Differenzen.

Es gibt Geschwister, die sich voneinander abkapseln und von Anfang an kaum ein Wort miteinander wechseln, weil der Altersunterschied zu groß ist, kein Bedürfnis nach Kontakt besteht oder die Charaktere zu unterschiedlich sind. Dann gibt es diejenigen, die keinen ständigen Kontakt brauchen, um sich verbunden zu fühlen. Und wieder ganz andere sind ein Herz und eine Seele. Und doch vereint sie alle eine Tatsache: Die Beziehung zu unseren Geschwistern ist wohl das erste soziale Geflecht überhaupt, in dem wir selbst unseren Platz finden müssen.

Durch unsere Geschwister lernen wir, dass sich der ganze Kosmos nicht nur um uns dreht, sondern dass es ein Miteinander gibt, dass man teilen und abgeben, Kompromisse schließen und sich arrangieren muss. Und zwar jeden Tag aufs Neue. So buhlen beide um die Aufmerksamkeit der Eltern, beide wollen das leckerste Bonbon und als Erster auf dem Schoß der Mutter sitzen – Rivalität auf Augenhöhe. Es liegt ganz einfach an uns, kein Macht- oder Kompetenzgefälle untereinander entstehen zu lassen, Emotionen unter Kontrolle zu halten, aufeinander aufzupassen, klare Grenzen zu ziehen und bestenfalls eine Welle zu finden, auf der man gemeinsam schwimmen kann.

Ich weiß, wie du tickst!

Die Emotionen, die Geschwister füreinander hegen, haben nichts mit einer Eltern-Kind-Beziehung gemein. Die Geschwister-Beziehung ist ehrlicher, emotionaler, intensiver, irgendwie authentischer. Deine Geschwister wissen, wer du früher warst, wer du heute bist und wie du später einmal sein willst. Ihnen gegenüber kannst du keine Stärke vortäuschen, Unsicherheit überspielen oder dein Leben ausschmücken. Sie haben dein Leben aus erster Perspektive mit erfahren, deine Identität geprägt und dir in schwierigen Situationen Orientierung geboten. Sie kennen dich. In- und auswendig.

Du und ich

Die Beziehung zwischen Geschwistern kann sich verändern, sobald dein Partner in Crime auszieht und das Zuhause verlässt, das mehr als 18 Jahre lange euer gemeinsames war. Man sieht sich monatelang nicht, weil er jetzt sein und du dein eigenes Leben lebst. Deine erste Perspektive musst du an seine neuen Freunde abtreten, du erfährst nur noch alles aus zweiter Hand. Beim ersten Besuch ist man sichtlich nervös, den eigenen Bruder in einem neuen Umfeld zu erleben, seine Freunde kennenzulernen, zu erfahren, inwiefern er sich abseits von dir verändert hat.

Was am Anfang des Lebens noch als Schicksalsgemeinschaft bezeichnet werden konnte, sehe ich heute vielmehr als bewusste Aufgabe. So nehme ich mir bewusst Zeit, meine Schwester zu besuchen oder auch nur ein kurzes Update zu geben und sie an meinem Leben teilhaben zu lassen. Und es war meine bewusste Entscheidung, in die Studienstadt meines Bruders zu ziehen und mit ihm gemeinsam eine WG zu gründen.

Und selbst wenn man sich monatelang mal nicht sieht und an Weihnachten wieder zusammenkommt, macht die örtliche Distanz keinen Unterschied mehr. Die gleichen Zankereien finden statt, die gleichen Sprüche werden geklopft, die gleichen Sachen diskutiert. So sehr man sich in der neuen Umgebung vielleicht verändert hat: Die Familie bleibt irgendwie gleich.

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