Viele Menschen neigen dazu, sich unter ihrem Wert zu verkaufen. Wir haben sechs Frauen nach ihren Erfahrungen gefragt und wollten wissen, worauf es beim Verhandeln wirklich ankommt.
Verhandlungen spielen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen eine wichtige Rolle – und stellen für die meisten von uns dennoch eine große Herausforderung dar. Wie begründe ich meine Forderung nach einer Gehaltserhöhung? Wie verhandle ich bessere Arbeitsbedingungen? Wir haben die Medienanwältin Ama Walton, die Gründerinnen Uta Geyer und Anni Kralisch, die Podcasterin Gregorine Agbekponou, die Investorin Gülsha Wilke und die Journalistin Anne-Kathrin Gerstlauer nach ihren Erfahrungen und Tipps gefragt.
Ob beruflich oder privat – fast jede unserer Interviewpartnerinnen nennt Selbstunterschätzung bei Frauen als Problem bei den Verhandlungen. Denn: Es hat nichts mit Arroganz oder Übermut zu tun, wenn wir selbstbewusst einfordern, was uns zusteht.
Ama Walton
Ama Walton ist Medienanwältin, Wirtschaftsmediatorin und integraler Business Coach. Sie ist eine ausgewiesene Expertin in der Unterhaltungsindustrie, mit den Schwerpunkten kooperative Verhandlungen und Konfliktlösung. In den letzten drei Jahren war sie im Vorstand der BMG Rights Management GmbH tätig. Davor arbeitete sie als Geschäftsführerin der Musikunternehmen der Constantin Film AG und im Management-Team der EMI Music Germany GmbH & Co. KG als leitende Rechtsanwältin. Prägend in ihrem Leben und in ihrer Arbeit sind die Prinzipien der Menschlichkeit und Empathie sowie ein faires Miteinander, in Akzeptanz und Anerkennung der gegenseitigen Unterschiede.
Welchen Fehler hast du in der Vergangenheit bei Verhandlungen gemacht?
„Ein beliebter Fehler von mir war, dass ich in Verhandlungen Annahmen getroffen habe, ohne diese mit gezielten Fragen zu überprüfen. Diese Annahmen gingen von meinen Vorstellungen aus und hatten möglicherweise nichts mit den Fakten oder der Perspektive des*r Verhandlungspartner*in zu tun. Ich war von meinen Annahmen überzeugt und habe mich entsprechend verhalten. Ein Beispiel: Bei einer Verhandlung mit dem Management einer bekannten Metal-Band über deren nächstes Album, war ich davon überzeugt, dass die Band das Album unbedingt bis zu einem bestimmten Termin veröffentlichen wollte. Da mein damaliger Chef diesen Fakt bestätigte, war ich davon überzeugt, dass dem so sei und Zeitdruck bei der Gegenseite bestünde. Diesen ,vermeintlichen Zeitdruck‘ wollte ich zu Gunsten unserer Verhandlungsposition nutzen, stellte aber immer wieder fest, dass das Management in den Verhandlungen sehr entspannt und selbstbewusst auftrat. Irgendwann sagten sie, sie hätten alle Zeit der Welt, könnten die Veröffentlichung sowie die Tour schieben und hätten ohnehin noch ein anderes Angebot vorliegen. Das hat unsere Verhandlungsposition geschwächt und die Karten neu gemischt.“
Was hast du daraus gelernt?
„Ich habe gelernt, mich immer gut auf Verhandlungen vorzubereiten und keine Annahmen zu treffen, sondern so viele Fragen wie möglich zu stellen. Es ist wichtig, alle ,vermeintlichen‘ Fakten zu prüfen. Zudem sollte man die persönliche und die sachliche Beziehung trennen. Es ist entscheidend, eine gute persönliche Beziehung zu Verhandlungspartner*innen aufzubauen und in der Sache trotzdem klar und konsequent zu sein. Wenn die Kommunikation und das Vertrauen zwischen den Parteien stimmt, ist es auch möglich, die eigenen Interessen zu adressieren und durchzusetzen. Ein guter Reminder ist ,Die Geschichte mit dem Hammer‘ aus dem Buch ,Anleitung zum Unglücklichsein‘ von Paul Watzlawick. Dort wird gut beschrieben, wie sehr die eigenen Vorstellungen uns Menschen beeinflussen, obwohl sie nichts mit der Realität zu tun haben.“
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Was hast du gut verhandelt? Im Job, aber auch im Privatleben.
„Ich habe als General Counsel bei BMG (Bertelsmann Music Group) ein Verfahren gegen einen Kabelbetreiber in den USA – nach der zweiten Instanz im Rahmen einer Mediation – mit einem sehr guten Vergleich beilegen können. Das war ein Kraftakt und mit vielen Reisen in die USA und Stunden am Telefon verbunden. Als Wirtschaftsmediatorin schlägt mein Herz für außergerichtliche Streitbeilegung, weil es die Kosten schont und die Möglichkeit schafft geschäftliche Beziehungen zu erhalten, wenn nicht sogar noch zu stärken.“
Welche Tipps hast du – gern auch speziell für Frauen – für Verhandlungen?
„Ich habe zwei Tipps für Frauen in Verhandlungen, einen für das Innenleben und einen für die Beziehung zur Außenwelt: Es ist wichtig, dass sich Frauen nicht unterschätzen und ihren Wert kennen. Das bedeutet auch der eigenen Stimme und dem inneren Koordinatensystem zu vertrauen. Dieses mag anders sein als das der meistens ,männlichen‘ Mehrheit, aber es bringt einen Mehrwert an den Tisch, weil es Entscheidungsfindungsprozesse diverser macht, in Verhandlungen weitere Perspektiven aufzeigt und vollständiger macht. Damit können aus meiner Sicht bessere Lösungen gefunden werden. Zweitens darf man sich als Frau in einer Verhandlung durchaus unterschätzen lassen, es empfiehlt sich sogar. Damit ist es möglich, den Verhandlungspartner zu überraschen und bessere Ergebnisse zu erzielen.“
Uta Geyer
Die studierte Film- und Kulturwissenschaftlerin Uta Geyer hat ihre Liebe für Designklassiker mit ihrem Brillenlabel „Lunettes Selection“ zum Beruf gemacht.
Welchen Fehler hast du in der Vergangenheit bei Verhandlungen gemacht?
„Unter Zeitdruck entsteht bei mir vor oder während länger andauernden Verhandlungen immer mal wieder das das Gefühl, als ob plötzlich alles auf dem Spiel steht. Die Situation erscheint stark zugespitzt so, als müsste man in dieser Verhandlung über den Rest des Lebens entscheiden. In der Retrospektive wird klar: Tatsächlich ist es nur sehr selten so, dass von EINER Verhandlung der Rest des Lebens abhängt. Deshalb versuche ich, die Ruhe zu bewahren – die Sichtweise zu relativieren – Abstand zu gewinnen – mir Zeit zu nehmen. Es ist sicher nicht die erste und letzte Gehaltsverhandlung, sicher nicht der erste und letzte Mietvertrag, den man abschließt, nicht das letzte Gespräch mit dem der Familie oder dem*r Partner*in über den Verlauf der gemeinsamen Beziehung. In der Retrospektive stellt man schnell fest, dass es im Leben tatsächlich nur sehr wenige Entscheidungen gibt, die unwiederbringlich sind. Das sollte man sich vor Augen halten und den Druck in der Situation vermindern. Man erleichtert so möglicherweise die Verhandlung, verliert das Ziel nicht aus den Augen und kann seine Ziele souveräner erreichen.
Unter Zeitdruck ist es mir passiert, dass ich bspw. in Personalentscheidungen und den dazugehörigen Verhandlungen zu schnell reagiert habe. Ungeduld und Angst vor möglichen Umsatzverlusten waren so stark, dass ich nicht auf mein Bauchgefühl gehört habe. Ich hätte mir ausreichend Zeit nehmen sollen, darauf zu achten, ob die Person wirklich ins Team passt. Aus Angst davor Zeit und Umsatz zu verlieren, habe ich Verhandlungen kurz gehalten und dadurch Menschen eingestellt, die nicht wirklich ins Team passten. Das fiel mir dann langfristig ,auf die Füße‘ weil ein*e Mitarbeiter*in, der*die nicht hinter der Philosophie steht, auf die Stimmung im Team schlägt. Heute würde ich lieber auf etwas Umsatz verzichten als jemanden einzustellen, der*die nicht hinter der Philosophie meines Unternehmens steht. Das heißt: Langfristig denken und sich mehr Zeit für Verhandlungen nehmen.“
Was hast du daraus gelernt?
„Bei Personalverhandlungen auch unter Zeitdruck nicht in Panik geraten, sondern Ruhe bewahren und eher langfristig denken. Versuchen mit Abstand auf die Situation zu schauen. Lieber so lange suchen, bis die Person hundertprozentig passt, sonst holt einen das Personalthema nach kürzester Zeit wieder ein. Das gilt im Übrigen auch für Arbeitnehmer*innen. Auf lange Sicht zählt auch der Wohlfühlfaktor in einem Unternehmen am Arbeitsplatz, da wir nirgendwo so viel Lebenszeit verbringen wie bei der Arbeit.“
Was hast du gut verhandelt? Im Job, aber auch im Privatleben.
„Während des Lockdowns sind mir zwei Vermieter aufgrund meiner Bitte um Mietminderung entgegengekommen. Ich denke, ich habe klar vermittelt, dass wir als Unternehmen alles dafür tun, dass der Geschäftsbetrieb – wenn auch anders als üblich – wieder weiter gehen kann und ich an einer langfristigen Partnerschaft interessiert bin. Einer der Vermieter hat sogar von sich aus das Gespräch gesucht und betont, dass Mieter*in und Vermieter*in langfristige Partner*innen sind. Das fand ich sehr nachhaltig gedacht auch von seiner Seite. Denn langfristig kann man auf dieser Ebene nur gemeinsam gewinnen. Ein dritter Vermieter hat meine Kontaktaufnahme allerdings komplett ignoriert. Gutes Verhandeln reicht nicht immer aus. Man braucht eben auch ein offenes Gegenüber. Jemanden, der*die bereit ist, zu verhandeln. Sonst nützt die beste Verhandlungsstrategie nichts.
Außerdem bin ich gerade dabei, eine Patenschaft für einen aus Spanien geretteten Hund zu übernehmen. Er wird mein erster ,Teilzeithund‘. Dabei habe ich mit der eigentlichen Halterin abgestimmt, wie die Verantwortlichkeiten verteilt sind. Zeitlich, monetär, aber auch für den Fall, dass der Hund möglicherweise verunfallt. Bisher verliefen die Verhandlungen sehr vertrauensvoll und auf Augenhöhe. Und natürlich im besten Sinne für den Hund, hoffe ich. (Fragt mich in sechs Monaten nochmal, ob ich das gut verhandelt habe.)“
Welche Tipps hast du – gern auch speziell für Frauen – für Verhandlungen?
„Erstens: Ob in der Beziehung oder im Job: Dann verhandeln, wenn gerade gute Stimmung herrscht. Nicht auf einen Moment warten, in dem man unzufrieden ist. Aus einer negativen Stimmung heraus lässt es sich nicht gut verhandeln. Besser eine positive Welle aufgreifen.
Zweitens: Nicht scheuen eigene Stärken an- und auszusprechen. Mir scheint, Frauen neigen oft dazu, Eigenschaften wie Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit als selbstverständlich zu erachten – sind sie definitiv nicht!
Drittens: Aus meiner Erfahrung generell lieber mündlich und von Angesicht zu Angesicht verhandeln. Gerade mit Humor kann man in einer Verhandlung viel erreichen. Mit einem Lächeln lässt sich eher mutig ,nach vorne preschen‘ als in einer Email. Man kann auch die Stimmung des Gegenübers viel besser beobachten, aufnehmen und abschätzen, wie weit man gehen kann oder eben nicht. Gerade im direkten Gespräch kann man die Grenzen des*der Verhandlungspartners*in viel besser beobachten, austesten und letztlich auch Verhandlungsspielraum erkennen und stärker ausreizen.
Viertens: Der*dem Anderen unbedingt aufzeigen, welche Vorteile für die Zusammenarbeit oder das Projekt entstehen. Win-win-Situationen aufzeigen.
Fünftens: Nicht alles auf eine Karte setzen. Lieber gut vorbereitet auch in ,Etappenzielen‘ denken, die man vorab vorbereitet hat. Denn wenn ich alles auf eine Karte setze, kann ich schneller verlieren. Zum Beispiel sollte man bei Gehaltsverhandlungen nicht nur auf ein höheres Gehalt setzen. Wenn ich merke, das Gegenüber zieht nicht mit, dann mit anderen Forderungen aufwarten wie zum Beispiel: okay, dann aber zwei Tage mehr Urlaub oder Fahrkarte oder ähnliche Leistungen. Nicht einfach klein beigeben. Nachhaken. Die Verhandlung gegebenenfalls nach einigen Monaten wieder aufgreifen.
Sechstens: Nicht zu schnell zusagen! Auch wenn ein Angebot verlockend ist, nicht sofort dem Impuls nachgehen und schon zu Beginn der Verhandlung zusagen. Das erste Bauchgefühl wahrnehmen, aber trotzdem die Verhandlungen weiterführen. Sich Zeit nehmen und in Ruhe entscheiden, ob man vielleicht noch Forderungen einbringen kann.
Siebtens: In einer Gehaltsverhandlung gut vorbereitet sein. Wo steht das Unternehmen? Wie hat es sich entwickelt. Wenn ich bereits im Unternehmen bin, aufzeigen, was ich ggf. dazu beigetragen habe. In einer Beziehung oder Freund*innenschaft: Wissen, was man bereits investiert hat und was man weiter investieren möchte oder eben nicht. Eine Bestandsaufnahme von beiden Seiten kann sehr schnell deutlich machen, wo beide Verhandlungspartner*innen gerade stehen sowie ob und wie ein weiterer gemeinsamer Weg aussehen kann. Eine Bestandsaufnahme als Ausgangspunkt für eine Verhandlung sehen, die auf eine gemeinsame Zukunft abzielt.“
Gregorine Agbekponou
Gregorine Agbekponou arbeitet als IT-Consultantin in einer Unternehmensberatung. Sie ist Co-Host des Podcasts „Blac Wine“, bei dem sie über die Erfahrungen als Afrodeutsche Frau spricht. Zudem engagiert sie sich in ihrem Unternehmen und außerhalb der Arbeit für eine größere Sichtbarkeit und Inklusion von Schwarzen Menschen in Deutschland.
Welchen Fehler hast du in der Vergangenheit bei Verhandlungen gemacht?
„Einer meiner Fehler war es, mich nach meinem Studienabschluss mit dem erstbesten Angebot zufrieden zu geben. Die Angst davor zu Scheitern bzw. kein besseres Angebot zu erhalten, führt oftmals dazu, voreilige Entscheidungen zu treffen. Jede Frau sollte sich ihres eigenen Werts bewusst sein und sich nicht davor scheuen, auf Angebote zu warten, die ihren Qualifikationen und Ansprüchen entsprechen.“
Was hast du daraus gelernt?
„Für mich persönlich ist es von großer Bedeutung, zunächst herauszufinden, welche Ansprüche ich an mich selbst habe – ohne fremdbestimmte Einwirkungen von Eltern, Partner*innen oder anderen Parteien. Das inkludiert die Entwicklung des richtigen Mindsets, das es mir erlaubt meine persönlichen und beruflichen Ziele klar zu formulieren, um diese anschließend nach außen zu kommunizieren. Ein starkes Selbstbewusstsein gründet auf richtig auferlegten Mindsets und führt zu einem sicheren und kompetenten Auftreten in Verhandlungssituationen.“
Was hast du gut verhandelt? Im Job, aber auch im Privatleben.
„In den letzten Monaten habe ich mich, so intensiv wie nie zuvor, mit meinen Wünschen und Zielen auseinandergesetzt. Dies führte dazu, dass ich sowohl privat wie auch beruflich meine Ziele klarer definieren konnte. Das beinhaltete die Visualisierung dieser Ziele und das Setzen klarer zeitlicher Zielvorgaben. Mit dieser Vorplanung und Selbsterkenntnis hatte ich bspw. den Mut, im beruflichen Kontext die Rolle einzufordern, in der ich für mich persönlich die besten Weiterentwicklungsmöglichkeiten sah. Im Privatleben hieß das, meine Komfortzone zu verlassen und Herzensprojekte anzugehen, wie der Start meines Podcasts. Den Mut, die eigene Stimme für wichtige Themen in der Öffentlichkeit zu nutzen, erforderte eine Art persönliche Verhandlung, in der ich mich selbst über den Zweck der Sache und den Mehrwert, der dieser für mich und andere stiften würde, überzeugte.“
Welche Tipps hast du – gern auch speziell für Frauen – für Verhandlungen?
„Es heißt ,Bescheidenheit ist eine Zier, aber weiter kommst du ohne ihr‘. Frauen neigen dazu, ihre Erfolge und Leistungen klein zu reden. Wir müssen lernen, uns unserer eigenen Erfolge und Leistungen bewusster zu werden und diese öfter mit Vorgesetzten, Freund*innen und Familienmitgliedern zu teilen. Hartnäckigkeit und Mut, die eigenen Anforderungen bei seinem Gegenüber klar zu platzieren, zahlen sich meist aus. Ich habe außerdem gelernt keine Angst vor dem Scheitern zu haben und setze mir meine Ziele mittlerweile lieber zu hoch als zu niedrig. Für Verhandlungen empfiehlt es sich, ebenfalls eine Wunschvorstellung zu äußern, die knapp über der des*der Verhandlungspartner*in liegt.“
Anni Kralisch
Anni Kralisch ist Mitbegründerin des Online-Magazins „im gegenteil“. Seit 2013 werden hier Singles vorgestellt, die auf der Suche nach einem*r Partner*in sind.
Welchen Fehler hast du in der Vergangenheit bei Verhandlungen gemacht?
„Bei Gehalts- bzw. Budgetverhandlungen bin ich früher öfter ziemlich nah an meiner unteren Schmerzgrenze eingestiegen. Ich wollte es meinem Gegenüber dadurch so unkompliziert wie möglich machen und habe lieber darauf verzichtet, für mich das Beste rauszuholen. Ich wollte immer ,die Nette und Einfache‘ sein.“
Was hast du daraus gelernt?
„Wer sich selbst und seine (finanziellen) Bedürfnisse ganz hinten anstellt, landet auch ganz hinten. Nach Business-Coachings und mit mehr Lebenserfahrung habe ich gelernt: preislich lieber zu hoch ansetzen und das Gegenüber kommen zu lassen. Wenn es beide wollen, wird man sich eh einig. Außerdem: Wer sich ,billig‘ verkauft, wird auch nicht hochwertig wahrgenommen. Mir ist klar, dass das immer so einfach dahin gesagt wird und gerade in Corona-Zeiten viele Menschen um jeden Cent und um das Überleben ihres Unternehmens kämpfen müssen. Da gehen viele lieber Deals ein, bei denen sie schlecht da stehen, als gar keine Einnahmen mehr zu haben. Ich bleibe im großen Ganzen allerdings dabei: Wir sollten alle adäquate Preise für gute Leistung einfordern. Das sind wir alle wert.“
Was hast du gut verhandelt? Im Job, aber auch im Privatleben.
„Für ,im gegenteil‘ gibt es nicht so viel zu verhandeln, denn wir gehen aus moralischen Gründen wenige Deals ein. Meistens sagen wir ab. Besonders gerne bei McDonalds. Für unsere Content Creation Agency ,Agentur der Herzen‘ gehen wir so vor: Wir fragen uns, ob unsere Leistung ausreichend und fair bezahlt wird? Stimmen die Bedingungen? Um welche Inhalte geht es? Wenn alles passt, kommt ein Deal der liebevollen Arbeit und des Respekts zustande. Aktuell kann ich mit allen laufenden Verträgen gut schlafen.
Im Privaten ,verhandle‘ ich täglich mit meinem Kind. Das ist oft das Schönste auf der Welt. Erstmal gibt es ein Küsschen und dann gucken wir, ob heute schon wieder ein Eis dran ist oder ob wir den süßen Hunger nicht auch mit etwas Obst gestillt bekommen. Natürlich MUSS es das Eis sein. Ich gebe sicherlich zu oft nach. Außenstehende haben vermutlich das Gefühl, dass ich zu relaxed bin und zu viel durchgehen lasse. Grenzen mit dem eigenen Kind zu setzen, finde ich mittlerweile knackiger als im beruflichen. Darin möchte ich mich gerne verbessern, denn ich weiß, dass Kinder Grenzen brauchen, um Halt und Sicherheit zu spüren. Hach. Heute also kein Eis. Wer sagt’s dem Kind?“
Welche Tipps hast du – gern auch speziell für Frauen – für Verhandlungen?
„Kenne deinen eigenen Wert und stehe zu diesem. Sage nein, wenn dir etwas unangenehm aufstößt. Wenn du das Bedürfnis hast, deinem Gegenüber dein Nein zu erklären, tu das, auch wenn das Gegenüber nicht an deiner Begründung interessiert scheint. Höre auch dem Gegenüber und seiner*ihrer Perspektive zu. Werde nicht ungerecht, weder in Business- noch in persönlichen Verhandlungen. Das Leben ist ein Geben und Nehmen. Wer nur gibt und nicht ausreichend erhält, hat irgendwann nichts mehr zu geben und laugt aus. Und das hilft wirklich niemandem.“
Gülsah Wilke
Gülsah Wilke ist Investorin bei Axel Springer und verantwortlich für einen großen Teil der Investment-/Portfolioaktivitäten. In dieser Rolle ist sie Aufsichtsratsmitglied von StepStone, eines der global führenden E-Recruitment-Unternehmen und die größte Portfolio Company von Axel Springer. Zuvor war sie für Axel Springer unter anderem im Silicon Valley und arbeitete als Strategieberaterin bei McKinsey&Company und IBM. Vor einem Jahr hat Gülsah „Axel Springer WoMen“, das erste globale Netzwerk bei Axel Springer für Frauen zur Unterstützung bei Themen wie Leadership, Equal Pay und Mentoring, gegründet.
Welchen Fehler hast du in der Vergangenheit bei Verhandlungen gemacht?
„In der Vergangenheit war ich zurückhaltend, habe manchmal zu früh nachgegeben und bin nicht immer ausreichend auf den*die Verhandlungspartner*in eingegangen.“
Was hast du daraus gelernt?
„Es ist wichtig, sich seinen eigenen Wert vor Verhandlungen nochmal klar zu machen und in der Verhandlung auf die Beweggründe, Motivation und Denkweise des*der Verhandlungspartner*in einzugehen. Das bewirkt in Verhandlungssituationen Wunder und knackt auch eher ,schwierige‘ Gespräche und Situationen.“
Was hast du gut verhandelt? Im Job, aber auch im Privatleben.
„Verhandlungen sind Teil meines Jobs: In Personalführungsgesprächen sowohl mit meinen Mitarbeiter*innen als auch mit meinem Vorstand, in Investmentgesprächen/-entscheidungen oder in Vertragsgesprächen mit Anbieter*innen von diversen Leistungen für meine Abteilung und mein Team. Gehaltsgespräche sind oft ein ,Tabuthema’ und dabei so wichtig für uns Frauen, um fair bezahlt zu werden. Hier hatte ich in der Vergangenheit gute Gespräche. Und wie immer gilt: Üben, üben, üben!“
Welche Tipps hast du – gern auch speziell für Frauen – für Verhandlungen?
„Zu Verhandlungen gehören immer zwei Parteien – und ,Preparation is key‘:
Erstens: Analysiere dein Gegenüber inklusive Motivation und Denkweise sehr genau, um so besser deinen Standpunkt/deine Forderung gegenüber dieser Person in seiner ,Sprache‘ vermitteln zu können – es geht hier um das richtige Überzeugen und Wording.
Zweitens: Bereite dich sorgfältig auf die Verhandlung vor, indem du schriftlich deinen Standpunkt aufschreibst und dir eine ,Spanne‘ überlegst – das heißt, was möchtest du maximal rausholen (think big) und was wäre deine tolerierbare Untergrenze. Dabei ist es wichtig, mit dem Maximum, auch wenn etwas unrealistisch, zu starten. Sei mutig und selbstbewusst und verkaufe dich nicht unter deinem Wert
Drittens: Mache dir deinen Wert vor der Verhandlung sehr bewusst, hole dir Feedback von Vertrauten, Mitarbeiter*innen, die dich kennen und schreib das Feedback auf. Es geht darum, selbstbewusst (nicht arrogant) in eine Verhandlung reinzugehen und sich während des Termins nicht für den Standpunkt zu rechtfertigen. Achte dabei auf kurze und prägnante Sätze und baue Pausen ein, um deinen Punkten Nachdruck zu verleihen.
Wenn es nicht direkt auf Anhieb klappt, ist das völlig normal. Es gilt: Übung macht den*die Meister*in, das heißt suche dir ,low risk‘-Alltagssituationen im Privatleben, um es zu üben.“
Anne-Kathrin Gerstlauer
Anne-Kathrin Gerstlauer arbeitet als Journalistin, Beraterin und Dozentin für Onlinejournalismus und Kommunikation mit Millennials. Zuvor war sie stellvertretende Chefredakteurin von „watson.de“ und verantwortliche Redakteurin von „Zeit Campus online“. Sie gibt Workshops an Hochschulen und in Medienunternehmen. Daneben unterstützt sie Frauen bei Fragen zu Gehalt und Honoraren.
Welchen Fehler hast du in der Vergangenheit bei Verhandlungen gemacht?
„Ich habe sie gar nicht geführt. Mein erstes Gehalt habe ich einfach so hingenommen, auch danach habe ich zwei Jahre lang nicht nach Geld gefragt. Ich war einfach nur glücklich, den Job bekommen zu haben. Außerdem habe ich gedacht: Wenn sie mir das anbieten, ist das vermutlich fair, zu verhandeln hätte eh keinen Sinn und mehr haben sie auch gar nicht.
Außerdem war ich schlecht informiert. Ich habe sogar noch kurz gegoogelt, ob das Gehalt dem Tarif entspricht, aber dabei nicht darauf geachtet, dass der Tarif 13,5 Gehälter waren, ich aber nur zwölf bekommen sollte.“
Was hast du daraus gelernt?
„Nie wieder so spät oder selten fragen! Je später man fragt, desto schwieriger wird es, weil es viel einfacher ist, in kleinen Schritten ein bisschen mehr Geld zu bekommen als viel auf einmal. Mir hat es geholfen, mit Freund*innen zu üben. So wusste ich, welche Gegenargumente kommen können und war in der Lage, zu kontern.“
Was hast du gut verhandelt? Im Job, aber auch im Privatleben.
„Mittlerweile verlange ich meistens ziemlich viel Geld und bekomme deshalb oft zu hören, ich sei zu teuer. Und das als Frau. Natürlich wirft einen das jedes Mal wieder kurz zurück, und da sind diese Zweifel, doch zu viel, doch zu dreist? Und dann bekomme ich ein tolles Angebot und weiß, ich bin auf dem richtigen Weg.“
Welche Tipps hast du – gern auch speziell für Frauen – für Verhandlungen?
„Ich glaube, wichtiger als alle Tipps ist eher die Erkenntnis: Man gilt nicht direkt als arrogant, nur weil man nach einem angemessenen Gehalt fragt. Ich dachte das auch lange. Es ist eher wie ein Spiel, der*die Chef*in will unverschämt wenig zahlen, deshalb muss ich mich ebenfalls mindestens schämen, um genug Geld zu bekommen. Wenn ich Mitarbeiter*innen eingestellt habe, habe ich übrigens nie gedacht: Wow, ist das arrogant viel Geld. Sondern eher: Wenn jemand nach viel Geld verlangt, dann muss der super gut sein. Was übrigens selten korreliert.
Aber klar, es wird Frauen natürlich auch vermittelt, sie sollen nicht aufbegehren, nicht zu selbstbewusst sein und nach viel verlangen. Und tatsächlich wurde ich auch schonmal gefragt, ob ich den Job nur für Geld und Titel haben möchte. Übrigens von zwei Frauen. Und ich glaube nicht, dass diese Frage schon jemals ein Mann gestellt bekommen hat.“
Auf Augenhöhe. Wie du fair und erfolgreich verhandelst – alle Inhalte.
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