Fotos: siehe Beitrag, Collage: EDITION F

„Ich will mehr sein“: Fünf Frauen über Selbst- und Fremdwahrnehmung

Der Blick von außen und der Blick von innen – passen die zusammen? Wir haben fünf Frauen nach ihren Perspektiven gefragt.

Wir alle kommen nicht umhin, uns mit unserer Selbstwahrnehmung und damit wie wir auf andere wirken, auseinanderzusetzen. Aber wie kann das eigentlich (gut) gelingen? Wir haben fünf spannende Frauen gefragt, wie sie eine Balance finden: Zwischen der Art und Weise, wie andere sie sehen, dementsprechenden Ansprüchen sowie deinem eigenen Selbstbild.

Amani Abuzahra

Foto: Dar Salma

Amani Abuzahra ist Autorin, Speakerin und Coach. Sie beschäftigt sich mit Toleranz in multikulturellen Gesellschaften, Rassismus und Diversität.

Wie wünschst du dir, wie andere dich sehen?

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„Um ehrlich zu sein, denke ich nicht so viel darüber nach, wie andere mich sehen, sondern lieber darüber, wie ich mich entwickeln kann, wie ich mehr und Positives bewirken kann. Und ich würde mir wünschen, dass mehr Frauen ihre Energie und Zeit in ihre Entwicklung investieren, anstatt anderen gefallen oder es recht machen zu wollen.“

Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass du von anderen anders wahrgenommen wirst als du dich selbst wahrnimmst?

„In Bildungsinstitutionen: Meine erste Erinnerung an ,Anders‘-sein war, als ich im Kindergarten arabische Musik mitbrachte und dazu tanzte. Wir waren im Bewegungsraum, alle Kinder saßen auf der Turnbank und sahen mir zu, wie ich tanzte. In dem Moment war ich ‚anders‘, aber ich empfand es als positiv, weil ich sowohl die Musik als auch das Tanzen dazu liebte und eine schöne Sache mit anderen teilte.

Später in der Grundschule war ,Anders‘-Sein sehr negativ konnotiert. Es ging mit Diskussionen los, warum ich z.B. beim gemeinsamen Mittagessen kein Schweinefleisch esse. Das war sehr nervig und da war die ,Anders‘-Markierung negativ geprägt. Ich habe nicht verstanden, wie man so begriffsstutzig sein kann und warum mich die Menschen immer dasselbe fragten. Ein weiteres Erlebnis: Als ich meiner Lehrerin in der Volksschule erzählte, ich würde gerne Anwältin werden, meinte sie, das würde nichts werden mit meinem stark rollenden ,R‘. Ich habe mich in dem Moment so geschämt für (m)ein ,hörbares‘ Anderssein. Da gibt es noch zig weitere Beispiele.

Dieses Anderssein habe ich für mich dann zu einem ,ich bin anders und das ist gut, richtig und schön so‘ verinnerlicht. Ich brauche mich nicht zu verbiegen, nur weil andere das nicht nachvollziehen können. Bestärkende Eltern halfen mir in der Umdeutung von Anderssein zu einem Besonderssein.“

Was ist dir wichtig bei deiner Selbstwahrnehmung?

„Mir ist wichtig, mir immer wieder zu vergegenwärtigen, wie dynamisch Selbstwahrnehmung sein kann. Dass es gute und weniger gute Tage gibt, aber das schlechte Tage z.B. nicht das Fundament für meine Selbstwahrnehmung sind. Ich gewinne oder verliere nicht an Wert durch negative Emotionen, Rassismus oder wie produktiv mein Tag war. In Zeiten, wo von außen viel Druck da ist, vor allem in einem neoliberalen System, ist es für mich von Bedeutung, dass mein Maßstab über mein Selbst nicht ,draußen‘ oder im Vergleich liegt, sondern ich den Blick auf mich zurücklenke und Kraft im Islam und in meiner Spiritualität finde.“

Häufig gehen Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinander – wie findest du eine Balance zwischen der Art und Weise, wie andere dich sehen und dementsprechenden Ansprüchen und deinem eigenen Selbstbild?

„Indem ich mir klar mache, dass die Ansprüche anderer deren sind und es meine Entscheidung ist, ob ich diese annehme, diese für mich als wichtig erachte oder eben nicht. In dem Moment, in dem die Fremdwahrnehmung sehr präsent wird, gibt man nämlich ein Stück Macht ab, nämlich über sich selbst.  Ich finde es wichtig, im Austausch mit anderen zu sein. Aber in einer Dominanzgesellschaft, in der muslimische Frauen als unmündig, unterdrückt etc. gespiegelt werden, muss ich gut achtgeben, welche Fremdwahrnehmungen eine Rolle für meine Selbstwahrnehmung spielen. Darüber hinaus gibt es noch das Idealbild, zusätzlich zum Fremd- und Selbstbild. Das ist nicht so sichtbar, aber sehr wirkmächtig. Darüber sprechen wir noch sehr wenig. Das Idealbild kann toxisch sein, ein (unwahrer) Maßstab, der aber nicht greifbar ist. Es braucht viel Reflexion, um sich den Dynamiken bewusst zu werden, zu bleiben und ein bewusstes Leben zu führen. Offen zu bleiben für die Empfindungen der anderen Menschen und auch das eigene Handeln zu überprüfen.“

Katrin von @wayofkat

Foto: Privat

Katrin thematisiert auf ihrem Instagram-Profil @wayofkat feministische Themen, Inklusion und den offenen Umgang mit Behinderungen.

Wie wünschst du dir, wie andere dich sehen?

„Ich wünsche mir, dass andere mich so sehen, wie ich bin bzw. so wie ich mich gerade in der Situation gebe – ganz ohne Assoziationen, die mit bestimmten Teilen meines Seins einhergehen: weiblich sein, be_hindert sein, studiert haben, blond sein … Natürlich führen bestimmte Teile meines Seins zu weitaus größeren Assoziationen – ihr könnt euch denken, welche beiden der Genannten. Mein ganzes Leben wünsche ich mir schon, dass diese Wahrnehmung ohne diese Teile stattfinden kann – bzw. dass diese Teile und Belastungen, die mit ihnen einhergehen, anerkannt werden, ohne dass sie mein ganzes Sein überschatten. Ich will mehr sein, als diese einfache Wahrnehmung von bloß ein oder zwei Bestandteilen.“

Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass du von anders wahrgenommen wirst als du dich selbst wahrnimmst?

„Ich glaube, meine erste bewusste Erinnerung daran stammt aus dem Anfang meiner Kindergartenzeit, es fängt eigentlich mit der Zeit an, wo meine Erinnerung mehr ist als bloße Fetzen. Damals habe ich gemerkt, dass ich nicht als Kind mit Be_hinderung wahrgenommen werde, sondern als be_hindertes Kind. Was ist der Unterschied? Ganz einfach: Für mich sind das zwei verschiedene Dinge, die nicht unbedingt miteinander verwoben sind. Andere können Be_hinderung aber meistens nicht von den anderen Teilen meines Selbst trennen. Das heißt: Meine Be_hinderung ist für sie festverankerter Teil meines Seins, auf den sie immer, wirklich immer achten und der wirklich immer mit mir verankert ist. Und das wirkt sich auf jede Interaktion mit mir aus. In jedem Gespräch bin ich Katrin mit der Be_hinderung, nicht einfach nur Katrin.“

Was ist dir wichtig bei deiner Selbstwahrnehmung?

„Mich selbst frei von den Wahrnehmungen anderer zu machen. Mir immer deutlich zu machen, dass die Wahrnehmung, die andere von mir haben, sich auch auf meine Selbstwahrnehmung auswirkt. Das muss ich mir immer wieder verdeutlichen und mich davon abgrenzen. Ich muss mich selbst erinnern wer ich bin: Katrin, die in bestimmten Situationen so oder so reagiert. Nicht Katrin, als Frau mit Be_hinderung, die in bestimmten Situationen immer wieder auf die bestimmte Weise wegen ihrer Be_hinderung, oder weil sie eine Frau ist, behandelt werden muss.“

Häufig gehen Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinander – wie findest du eine Balance zwischen der Art und Weise, wie andere dich sehen, dementsprechenden Ansprüchen und deinem eigenen Selbstbild?

„Ich muss mir immer wieder deutlich machen, dass die Wahrnehmung von anderen ein Spiegel ist, ich mich also oft so verhalte oder so gebe, wie andere es durch ihre Reaktionen auf mich erwarten. Und dass dieser Spiegel oft nicht das Richtige zeigt – denn andere verhalten sich mir gegenüber nicht als Spiegel meines tatsächlichen Seins, sondern aufgrund von Vorurteilen, die sie über mich haben. Ich muss mir also immer wieder mein richtiges Spiegelbild anschauen und mir bewusst machen, wer ich wirklich bin. Wer Probleme hat sich das vorzustellen, hier ein Beispiel: Weil ich hochgradig schwerhörig/taub bin, reden andere Menschen oft in einfacher Sprache mit mir, als ob ich weniger intelligent sei. Wenn tagtäglich so mit dir umgegangen wird, dann fängst du vielleicht irgendwann an es selbst zu glauben. Und verhältst dich auch so. Indem du zum Beispiel seltener deine Meinung sagst, dabei knappe Worte benutzt, weil du Angst hast, dass andere dich für weniger intelligent halten. Als Antwort halten andere dich dann tatsächlich für weniger intelligent, weil du ihre Wahrnehmung scheinbar bestätigst. Das ist ein Teufelskreis – der einzige Weg den ich für mich gefunden habe, um daraus auszubrechen: mir dessen bewusst sein, es anderen bewusst zu machen und darüber aufzuklären, z.B. auf Social Media. Ich bin froh, dass es mittlerweile so viele Podcasts, Auftritte, Instagram Profile etc. von Frauen mit Be_hinderung gibt.“

Thelma Buabeng

Foto: Kimi Palme Portraits

Die Schauspielerin Thelma Buabeng ist sowohl auf Theaterbühnen zu sehen als auch in Filmen und Serien. Sie setzt sich aktiv für Anti-Rassismus ein.

Wie wünschst du dir, wie andere dich sehen?

„Schön wäre es, wenn ich durch meine Arbeit als Schauspielerin und Comedienne vor allem BIPoC inspirieren kann. Ich bekomme manchmal Mails von jungen Schwarzen Schauspieler*innen, die mir schreiben, dass sie mich im Theater oder in einem Film gesehen haben und es ihnen gut getan hat, jemanden zu sehen, mit dem sie sich identifizieren können. Das tut gut.“

Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass du von anderen anders wahrgenommen wirst als du dich selbst wahrnimmst?

„Als ich meine ersten Rollenangebote bekommen habe und feststellen musste, dass ich als Schwarze Frau lediglich gebeten werde, Klischees zu bedienen. Meine Figuren sprachen meist gebrochenes oder gar kein Deutsch und waren oft bedürftige ,Fremde’. Es war ziemlich ernüchternd, festzustellen, dass man als Schwarze Frau so in der deutschen Medienlandschaft porträtiert und demnach auch wahrgenommen wird.“

Was ist dir wichtig bei deiner Selbstwahrnehmung?

„Das ist keine einfache Frage. Aber ich glaube ich bin ein ziemlich selbstreflektierter Mensch, der sich über seine Schwächen und Stärken sehr bewusst ist. Mich selbst in allen Lebenslagen, ehrlich zu betrachten und zu akzeptieren, ist mir wichtig. Nicht immer einfach but I am trying.“

Häufig gehen Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinander – wie findest du eine Balance zwischen der Art und Weise, wie andere dich sehen, dementsprechenden Ansprüchen und deinem eigenen Selbstbild?

„Ach, ich bin einfach ich selbst. Abtauchen in andere Rollen kann ich in meinem Beruf und wie andere mich wahrnehmen, kann ich im Grunde ja nicht beeinflussen. Die Menschen, die mich wirklich kennen, sehen hoffentlich MICH.“

Serin Khatib

Foto: Serin Khatib

Auf ihrem Blog und Instagram-Profil @serintogo, beschäftigt sich Serin mit Achtsamkeit, Selbstliebe, Nachhaltigkeit und Schönheit, die von innen kommt.

Wie wünschst du dir, wie andere dich sehen?

„Früher habe ich mir gewünscht, dass mich keiner sieht. Ich war ziemlich schüchtern, habe beim Laufen immer auf den Boden geguckt und wollte gerne unsichtbar sein. Mittlerweile ist das anders. Ich selbst sehe mich als selbstbewusste, ehrliche, sinnliche, sensible und gleichzeitig starke Frau und würde so natürlich auch gerne von anderen wahrgenommen werden.“

Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass du von anderen anders wahrgenommen wirst als du dich selbst wahrnimmst?

„Es gibt eine Situation, die mich besonders geprägt hat. Mit ca. 16 wollte ich zum Friseur gehen und man sagte mir im Salon, dass ich noch warten müsse. Für mich war das okay und ich setzte mich mit einer Zeitschrift in den Wartebereich. Nach einigen Minuten kam die Friseurin auf mich zu und sagte: Du musst nicht so böse gucken, nur weil du warten musst. Ich habe mich total erschrocken, weil das überhaupt nicht meine Absicht war. Immer wieder mal wird mir gespiegelt, dass ich grimmig oder arrogant gucken würde. Irgendwann ist mir klargeworden, dass mein entspannter Gesichtsausdruck einfach so aussieht. Haha.

Aber auch bei Instagram würde ich immer wieder gefragt, wie ich es geschafft habe, so selbstbewusst zu sein. Sehr lange habe ich das nicht verstanden, weil ich mich nie selbstbewusst gefühlt habe. Allerdings hat die Community wohl viel schneller als ich selbst erkannt, dass ich einen Wandel durchgemacht habe und mich mittlerweile wirklich ganz anders fühle. Eben mehr wie ich selbst.“

Was ist dir wichtig bei deiner Selbstwahrnehmung?

„Mir ist wichtig, dass ich immer ehrlich zu mir selbst bin. Ich habe nicht nur gute Eigenschaften, auch wenn ich mir das wünsche. Mich selbst wahrzunehmen heißt auch, meine Schatten zu sehen und anzuerkennen. Auch ich bin launisch, faul, chaotisch, eifersüchtig und ängstlich. Außerdem muss ich immer eine Art Realitycheck durchführen, um zu verstehen, wo ich gerade stehe. Selbstreflexion ist der Schlüssel zu eigenem Wachstum. Das habe ich durch eigene Erfahrung gelernt. Wenn ich beispielsweise merke, dass mich meine Angst vor Ablehnung gerade fest im Griff hat, dann versuche ich in dem Moment meine Situation von außen zu betrachten und zu verstehen, wo das gerade herkommt. Diese Methode bedarf ein bisschen Übung, aber ist für die Selbstwahrnehmung ein echter Gamechanger.“

Häufig gehen Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinander – wie findest du eine Balance zwischen der Art und Weise, wie andere dich sehen und dementsprechenden Ansprüchen und deinem eigenen Selbstbild?

„Mein eigenes Selbstbild ist durch den Vergleich mit anderen Menschen oft verzerrt. Nicht gut genug. Nicht schön genug. Nicht schlau genug. Die Liste ist endlos. Die Balance gelingt mir vor allem durch Gespräche auf der Metaebene. Mit meinem Freund und meinen Freund*innen spreche ich regelmäßig darüber, wie ich mich selbst wahrnehme und wie sie mich wahrnehmen. Manchmal deckt sich das und manchmal geht es total auseinander, was ich immer sehr interessant und spannend finde. Sich gegenseitig zu spiegeln, ist für mich eine sehr effektive Methode, bei der es gar nicht um richtig oder falsch geht. Eine weitere Strategie für die innere Balance ist für mich die Meditation. Einmal in mich selbst reinfühlen und mich ordnen. Das dauert nur ein paar Minuten und ist wirklich effektiv.“


Jule Waibel

Foto: Lisa Winter

Jule Waibel ist Designerin und die Gründerin vom Label „Unfolded Universe“, das gefaltete Mode, Dekorationen und Installationen herstellt.

Wie wünschst du dir, wie andere dich sehen?

„Ich möchte Menschen eine Inspiration sein, ihnen durch Kunst und Design das Schöne und Gute zeigen. Ich wünsche mir, dass die Leute mich so sehen, wie ich mich die meiste Zeit fühle: Stark und voller Energie mit meiner weichen, intuitiven, femininen Seite.“

Wann hast du das erste Mal gemerkt, dass du von anderen anders wahrgenommen wirst als du dich selbst wahrnimmst?

„Ich arbeite immer noch an meinem Selbstwertgefühl. Es ist ein Prozess, in dem ich kontinuierlich stecke. Kein Mensch ist perfekt und schwache Seiten kann man auch in Stärke umwandeln. Das Feedback von anderen Menschen hilft mir, mich so wie ich bin wahrzunehmen und positiv zu bestärken, wobei das Wichtigste ist, sich ohne Außenwahrnehmung zu lieben und zu akzeptieren.“

Was ist dir wichtig bei deiner Selbstwahrnehmung?

„Ehrlich und loyal zu mir selbst zu sein. Mich ohne Filter zu akzeptieren, nicht zu streng zu mir zu sein, Imperfektion zu embracen und zu wissen das Schönheit von Innen kommt. Ein schöner Charakter bleibt für immer und wird mit einer gewissen Reife sogar noch besser.“

Häufig gehen Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinander – wie findest du eine Balance zwischen der Art und Weise, wie andere dich sehen und dementsprechenden Ansprüchen und deinem eigenen Selbstbild?

„In den Spiegel zu schauen und zu wissen dass alles gut ist. Nicht die Fehler zu suchen sondern das Schöne zu sehen. Versuchen sich so zu sehen und zu lieben, wie dich dein*e beste Freund*in sieht – oder wie du deine Freund*innen siehst. Es ist ein Prozess.“

Der Blick auf uns. Wie du mit Selbst- und Fremdwahrnehmung umgehst

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