Foto: Toa Heftiba | Unsplash

Sex und Beziehungen sollten wir mehr voneinander trennen

Warum halten wir, in einer Zeit der gelebten Vielfalt, immer noch an der einen, exklusiven Partnerschaft fest? Würden wir nicht alle gewinnen, wenn wir diese Konventionen über Bord werfen würden?

Single sein heißt nicht einsam sein!

Seit etwas über einem Jahr bin ich nun Single, solo, ohne festen Partner oder wie auch immer man es umschreiben möchte. Aber einsam, allein oder ständig auf der Suche nach etwas, das mir vermeintlich fehlen würde, bin ich nicht.

Es ist seltsam, mit Mitte 20 das erste Mal in seinem mehr oder minder sexuell-aktiven Leben an einen Punkt zu kommen, an dem man realisieren muss, dass nach guten acht Jahren Dauerbeziehung mit drei verschiedenen Männern ohne wirklich längere Übergangsphase der Tag gekommen ist, an dem keine Kongruenz zwischen meinen Gefühlen und denen eines anderen vorliegt, sodass ich unvermittelt und begleitet von einem befreienden Glücksgefühl ins Singleleben segelte.

Für immer – zumindest fünf Monate lang

Mit 15 Jahren hatte ich mich Hals über Kopf in meinen späteren ersten Freund verliebt. Da der wunderschöne, aufregende Typ erfreulicherweise ebenfalls eine gewisse, durch mich ausgelöste Zerrüttung zum Ausdruck gebracht hatte, wusste ich nach dem Kinodate, inklusive Händchen halten: ER ist der Mann meines Lebens. Long story, short: Er war’s nicht. Trotzdem: Die impulsive Gewissheit ‚die Liebe meines Lebens gefunden zu haben, zog sich dank der übermächtigen rosaroten Brille wie ein roter Faden durch mein Leben. Nur blöd, dass das „The-One-and-only-Gefühl” bei allen Herren nach etwa fünf Monaten schlagartig nachließ und ich mal mehr, mal weniger himmelhochjauchzend in etwas reingeraten war, das die Gesellschaft Beziehung nennt. Und das, wie wohl kaum etwas anderes, behaftet ist mit Vorstellungen, Klischees, Stereotypen und konformistischem Gedankengut, die zum einen schwer greifbar und darum auch schwer zu durchbrechen sind.

Als, dank der Erziehung meiner Eltern, gut sozialisierter, wertebewusster, von Moralvorstellungen und dem Über-Ich kontrollierter (Danke, Sigmund!) Mensch der Extreme, fiel mir das Führen einer ruhigen, harmonischen Beziehung immer schwer. Ich suchte Reibereien, wo eigentlich keine zu finden waren, war schnell gelangweilt, machte mein eigenes Ding ohne größere Kompromisse und schenkte dem „Du-bist-so-egoistisch”-Vorwurf keine weitere Aufmerksamkeit.

Festhalten an erzwungenen Konstrukten

Retrospektiv muss ich mir eingestehen, dass ich in der ganzen Zeit, in der ich in Beziehungen steckte, über Gott und die Welt nachdachte, aber niemals über das Konstrukt der monogam gelebten Zweisamkeit, deren „Gos und No-Gos” ohne Unterlass in jeglichen Medien zerpflückt werden.

Es gibt wenige Themen, über die so viel geredet wird, zu denen jeder eine Meinung hat (stets natürlich die Richtige!) wie zu Sexualität, Liebe und Beziehung. Themen, die augenscheinlich unvermeidbar zusammen gehören – aber warum eigentlich? Und wer hat das bitte festgelegt? Warum ist Monogamie das Nonplusultra, Polyamorie verpönt und wieso zum Teufel wird das Ganze meist nur bewertet statt kontrovers diskutiert?

Wir leben in einer Gesellschaft, die sich ach so open-minded schimpft, wir bewundern in Museen antike Vasen, auf denen sich die alten Griechen von vorne, hinten, oben und unten begatten. Werden dann aber schräg angeschaut, wenn wir sagen, dass wir unseren Freund lieben, aber der Gedanke an Sex mit einem anderen trotzdem nicht aus unserem Kopf will.

In anderen Bereichen akzeptieren wir ja auch Pluralität

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr ärgert mich das Bewerten nach gesellschaftlichen Konventionen und striktes Schubladendenken. Wir forcieren die Akzeptanz und das Verständnis unseres Gegenübers, üben uns stets darin, die Perspektive des Anderen nachzuvollziehen. Das Interesse der Individuen unterscheidet sich und das ist doch auch super. Meine beste Freundin liebt Grüntee.  Und obwohl wir uns über alles lieben, uns bei den Grundwerten der Freundschaft einig sind und auch sonst wie Arsch auf Eimer zusammen passen, muss ich bei Grüntee fast kotzen. Sie findet Herr der Ringe und Harry Potter spitze, ich gar nicht. Sie trägt Klamotten, die ich niemals tragen würde; dafür hat eine andere Freundin, deren Style und unterschwellige Coolness ich leise bewundere, einen, meiner Meinung nach, verflixt schlechten Musik-und Männergeschmack. Mein werter Herr Papa und ich sind uns in vielerlei Hinsicht ähnlicher als ähnlich, trotzdem gibt es Aspekte, die mir negativ aufstoßen. Dann sage ich ihm das und wir tauschen uns aus, ohne final das „Richtig” oder „Falsch” definieren zu müssen. Andere Geschmäcker, Meinungen, Interessen, Ideen und der Austausch darüber dienen immer einer Horizonterweiterung. Ich finde das toll!

Jetzt erkläre mir bitte mal jemand, wieso es diesen EINEN Partner geben muss im Leben, mit dem alles passt? Der in Liebe, Sex und Beziehung ähnliche Ansichten hat? Idealerweise nicht nur in Liebe, Sex und Beziehung sondern auch noch in Sachen Humor, Familienplanung, Interior-Design, Haushalt und der Farbe des Familienschlittens? Wie soll denn das funktionieren?

Es gibt so viele Möglichkeiten einer Beziehung

Ehrlicher Sex, Wünsche und Fantasien werden in festen Beziehungen meistens zu wenig thematisiert. Wenn ich ehrlich auf BDSM stehe, mein Partner dem ganzen aber nichts abgewinnen kann, ist das objektiv betrachtet ungefähr so, als würden für mich ausgiebige Schaumbäder süße Paradiestrips sein, für meinen Schatz allerdings eher Höllentrips, weil er weder Wasser, noch Schaum, noch schrumpeligen Zehen irgendwas abgewinnen kann. Man macht es vielleicht ab und an dem anderen zuliebe; mehr als ein Kompromiss wird es aber nie werden.

Und da ich zumindest für mich persönlich unterschreiben kann, dass Sex ohne Liebe durchaus funktioniert, frage ich mich, warum es so ein Drama wäre, wenn sich zwei Lebens- und Seelengesellen in fremden Betten das holen, was sie sich wünschen? Warum ist Fremdgehen als Trennungsgrund weitaus akzeptierter als „Ich habe das Gefühl, er hat den Respekt vor mir verloren”?

Ein Plädoyer für Polyamorie soll das hier nicht sein – ehrlicherweise weiß ich nicht, ob ich in so einer Beziehung glücklich wäre. Denn Emotio läuft Ratio dann eben doch oft den Rang ab. Komme ich damit klar, dass mein Partner mit jemand anderen schläft? Obwohl ich selber weiß, dass ich da auch öfters Bock drauf hab, keine Ahnung. Ich wünsche mir nur, dass wir die Normen endlich niedertreten, moralische Damoklesschwerter in die Tonne kloppen und uns frei machen von festen Beziehungsideen, Klischees und Stereotypen. Dann endlich kann jeder die Frage, wie er seine Beziehung führen möchte, ganz frei für sich persönlich beantworten.

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