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Victoria Van Violence: „Alles, was das Selbstwertgefühl attackiert, begünstigt Depressionen“

In ihrem Buch „Meine Freundin, die Depression“ erzählt Victoria van Violence darüber, weshalb sie ihre Depression jahrelang geheim gehalten hat und welche Rolle die sozialen Medien dabei gespielt haben.

Über Cyberdepressionen und den Umgang damit

Victoria van Violence ist Bloggerin, Tattoomodel und erreicht mit ihrem Instagramaccount über 180.000 Menschen. Oft zeigen soziale Medien bloß einen Ausschnitt der Realität. Meist einen besonders aufgehübschten Teil. Was macht es mit einem Menschen, der dem Druck von Perfektion der sozialen Netzwerke standhalten muss und stets mit dem romantisierten Abziehbild des eigenen Leben und der anderer umgeben ist? Victoria van Violence machte ihr Instagramaccount depressiv, sagt sie.

In ihrem Buch „Meine Freundin, die Depression“erzählt Victoria van Violence über die beiden Seiten von sozialen Netzwerken. Wie geht man während einer depressiven Episode mit Instagram und Co. um? Welche Einflüsse und Gründe haben diese Medien selbst auf ihre Depression gehabt?

Hier könnt ihr einen Buchausschnitt lesen.

Wenn soziale Netzwerke depressiv machen

Menschen, die an einer sogenannten Cyberdepression leiden, sind längst keine Sonderlinge mehr. Immer mehr, vor allem junge Menschen sind davon betroffen. Mir war selbst lange nicht klar, wie sehr die heutige Social–Media–Nutzung in das Leben und Erleben einer ganzen Generation eingreift – und dass sie regelrecht krank machen kann. Wer die Inhalte auf Instagram & Co. zu seinem Lebensinhalt überhöht und es versäumt, sich rechtzeitig abzugrenzen, gerät unter Umständen in einen destruktiven Sog, der nach und nach wie eine ätzende Säure das Selbstwertgefühl zersetzt. Die Gefahr, in diesen Sog zu geraten, ist gerade bei jungen Leuten zwischen elf und 18 Jahren besonders groß, weil sie in dieser Zeit von Unsicherheit, Ängsten und Zweifeln geplagt sind. Der perfekte Nährboden für die Samen der Cyberdepression, ausgelöst von selbstzerstörerischen Vergleichen in digitalen Zerrspiegeln wie Instagram.

„Absurderweise wird Authentizität und Perfektionismus gleichzeitig erwartet“

Auf der Bilder–Plattform Instagram mit weltweit 1 Milliarde aktiven (!) Nutzern setzen sich die sogenannten Influencer in Szene, und das natürlich möglichst von ihrer besten, sprich photoshopgetunten Seite. Perfekte Pose, perfektes Outfit, perfekter Background, Falten, Pickel, Dellen weg. Irgendwo dazwischen finde ich statt. Auch als Influencer. Obwohl ich durchaus versuche, mich so echt wie möglich zu zeigen. Der Druck auf Menschen wie mich wird durch diese perfekte Scheinwelt nicht weniger. Im Gegenteil. In Zeiten, in denen Likes eine kostbare Währung sind und Normalsein verpönt ist, überlegt man sich dreimal, ob man ein Bild nun natürlich lässt oder das Pickelchen wegretuschiert. Da ist die aktuelle Self–Love–Bewegung teilweise nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn wir werden überrollt von falschen und vor allem unerreichbaren Schönheitsidealen. Die Internetrealität ist schon so verzerrt, dass die Community inzwischen absurderweise Authentizität und Perfektionismus gleichzeitig erwartet.

Auf Instagram entdecke ich immer mehr Profile von Kindern, die höchstens zwölf Jahre jung sind, aber schon posen wie Kim Kardashian. Auch ich wollte als Zwölfjährige aussehen wie Shakira. Die neuen Idole aber wirken heute „dank“ Instagram, YouTube und Konsorten viel nahbarer, weil sie sich auch am Frühstückstisch oder im Schlafzimmer zur Schau stellen; deswegen sind sie aber keineswegs echter als die Sternchen auf einem Bravo–Cover von 1999. In den sozialen Netzwerken wird ein inszeniertes Leben als echt verkauft – und im Vergleich damit schneiden die meisten Menschen mit ihrem Leben unweigerlich „schlechter“ ab. Ich habe den Vorteil, dass ich viele dieser vermeintlich perfekten Menschen persönlich kenne und deshalb genau weiß, wie viel Fassade da im Spiel ist. Das half mir in Akutphasen, meinen Selbstwert angesichts der perfekten Leben anderer nicht komplett zu demontieren. Auch ein Blogger oder Influencer hat mal fettige Haare, Selbstzweifel und Warzen am Fuß. Davon aber ist im Netz natürlich nichts zu sehen. Stattdessen wird da ein Wesen hingezaubert, das jeden Morgen eine Smoothie-Bowl am Strand von Bali genießt, die gebräunte Haut am Superbody, die glänzende Haarpracht und die vollen Lippen dabei bestmöglich ausgeleuchtet. Und dann sind da all die dreizehnjährigen Mädchen aus Karlsruhe, Passau und Schleswig, die jeden Morgen als Erstes mit dieser Scheinwelt und dann mit ihrem eigenen, nicht selten verzerrten Selbstbild konfrontiert werden. Da kann ein noch wackeliges Selbstwertgefühl schnell zusammenkrachen – und zack ist da der nagende Gedanke im Kopf: „Ich bin nicht gut genug.“

„Plötzlich sind wir Opfer unser eigenen Illusion“

Wer sich selber für minderwertig hält und meint, alle anderen hätten ein geileres Leben als man selbst, verlässt die Realität, sieht sich selbst nicht mehr und kann schließlich gar nicht anders, als sich schlecht zu fühlen. Es gibt extreme Beispiele von Menschen, die wirklich alles versuchen, um das gewünschte Aussehen oder den coolen Lifestyle zu erreichen, die zig Operationen über sich ergehen lassen, Anabolika nehmen, sich verschulden oder auf Size 0 runterhungern. Wenn dann trotzdem der erhoffte Glückseffekt ausbleibt, sind der Frustration und nicht selten der Depression Tore und Türe geöffnet. Ich persönlich denke, dass sich ein Mensch kaum etwas Schlimmeres antun kann, als einem bestimmten Schönheits– oder Lifestyle–Ideal nachzueifern. Denn dabei lösen sich das eigene Selbst und der Blick für alles Gute im eigenen Leben auf. Entsprechende Studienergebnisse sind alarmierend: So gab beispielweise über die Hälfte der Befragten an, sich nach der Nutzung von Social Media schlechter zu fühlen, „weil jemand anderes ein besseres Leben hat als ich selbst.“ Inzwischen geht es oft nur noch darum, die meisten Gefällt–mir–Klicks abzustauben, um den Selbstwert zu erhöhen. Insofern wundert es auch nicht, dass sich 54 Prozent der befragten Personen dafür interessieren, wie viele Likes sie für einen Beitrag oder ein hochgeladenes Foto bekommen. Ich kenne das nur zu gut, habe ich doch selbst lange Zeit meinen Selbstwert an Likes festgemacht. Sogar bei Posts, die nur meine „Freunde“ sehen konnten, dachte ich im Nachhinein oft darüber nach, wieso dieser oder jener Beitrag nun nicht so gut ankam.

Nicht nur Vergleiche mit der stilisierten Online–Welt sind problematisch, vielmehr kann sogar der Vergleich mit sich selbst triggern, sprich emotionale Negativspiralen in Gang setzen. Beim Betrachten des eigenen Feeds, alter Bilder und Beiträge entsteht womöglich der trügerische Eindruck, das eigene Leben sei vor einigen Monaten oder Jahren wesentlich besser gewesen als heute. Schließlich werden ja meist auch nur jene Aspekte des Lebens mit der Netzwelt geteilt, die wir selbst gut finden oder uns in einem guten Licht erscheinen lassen. Alles andere wird einfach ausgeblendet – und plötzlich sind wir Opfer unserer eigenen Illusion.

Kurzum: Alles, was das Selbstwertgefühl attackiert, begünstigt Depressionen. Daher können sich in der realitätsfernen Online–Welt eigentlich nur jene unbeschadet tummeln, die ein gesundes Selbstbewusstsein haben. Alle anderen sollten ab und zu einen Realitätscheck durchführen: App schließen, Handy ausmachen, mit Freunden treffen und das persönliche Gespräch genießen.

MEIN PERSÖNLICHES HOW-TO IM UMGANG MIT SOCIAL MEDIA

  • Definiere in depressionsfreien Phasen Regeln im Umgang mit den sozialen Medien für dich und schreibe sie auf.
  • Überprüfe dabei genau, ob und wie du Social Media nutzen möchtest.
  • Weihe eine vertraute Person ein, damit diese dir gegebenenfalls bei der Umsetzung deiner eigenen Regeln helfen kann.
  • Überlege genau, welche Inhalte dir helfen, dich besser zu fühlen.
  • Meide Content, der dich runterzieht. Im Zweifelsfall solltest du gewisse Seiten entfolgen. Wetten, dass du dabei nur gewinnen kannst?
  • Mit bestimmten Apps wie Moment und Offtime kannst du regulieren, wie viel Zeit du auf welchen Plattformen verbringst. Bist du mehr als zwei Stunden täglich in den sozialen Netzwerken unterwegs, solltest du die Nutzungsdauer drosseln.
  • In Akutphasen kannst du dein Handy auch einer vertrauten Person geben, um auf diese Weise ganz darauf zu verzichten.
  • Überlege dir genau, was du öffentlich posten möchtest. Bedenke dabei immer, dass sich in einer depressiven Phase alles anders anfühlt und du öffentliche Gefühlsausbrüche auch schon nach wenigen Stunden oder Tagen bereuen könntest.

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aus: „Meine Freundin, die Depression“ von Victoria van Violence, 192 Seiten, mvg Verlag, 16,99 Euro

Titelbild: Depositphotos.com

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