Foto: Privat

#hospitaldiary: Wie diese Lyrikerin auf Instagram für psychische Erkrankungen sensibilisiert

Mit Poesie, Humor und Smartphone berichtet Sirka aus ihrem Alltag in der psychosomatischen Klinik.

„Ich sollte danken, dass es Leben gibt“

Sirka ist Lyrikerin und schreibt Sätze wie diesen. Manchmal liest die 23-Jährige ihre Gedichte auf Theaterbühnen. Gerade steht sie oft im Raucherpavillon einer psychosomatischen Klinik, meistens mit ihrem Smartphone in der Hand. Von hier aus schreibt sie Tagebuch, digital, auf Instagram. Unter dem #hospitaldiary zeigt Sirka ihren Klinikalltag. Mittlerweile folgen ihr dabei über 6.000 Menschen.

Auf Instagram nennt Sirka sich fredminuserika, abgeleitet von ihrem zweiten Vornamen Frederika. Genau so heißt auch ihre Webseite, darauf zu finden ist Sirkas Lyrik. Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus studiert sie in Hildesheim, seit zwei Monaten lebt sie in einer psychosomatischen Klinik in Niedersachsen und setzt sich dort mit ganz anderen Themen auseinander: Depressionen, Traumatherapie, Magersucht. Um aus ihrem Klinikalltag zu berichten, verballert Sirka das Internetkontingent ihres Smartphones – WLAN gibt es in der Klinik nämlich nicht.

Today’s-Crying-Selfies neben Tanzvideos

2016 war Sirka das erste Mal in der Klinik und postete Fotos, Gedanken und Songs unter dem Hashtag #hospitaldiary. Jetzt porträtiert sie den gesamten Aufenthalt. Sie fing schon vorher an, mit Tipps für den Klinikkoffer.

„Man muss an sehr viel denken, zum Beispiel alle Medikamente, eine Müslischale (weil man nach drei Aufenthalten gelernt hat, dass die Müslischalen nichts taugen), Aromaspray zum Nerven regulieren und falls nach der Chefarzt-Visite morgens um halb acht ein unangenehmer Aftershavegeruch in der Luft liegt LOL, Fotos von supportive people, mit denen man die Kunstdrucke im Zimmer überkleben kann, Musikboxen zum morgendlichen abdancen beim Zähneputzen, (…) Stifte zum Mandalas ausmalen (ok kidding), ein paar gute Bücher und noch viel mehr, aber ich gebs auf“, schreibt Sirka in ihrer Instagram-Story.

„Gestern wieder ordentlich einen weggeweint.“ – Sirka auf Instagram zu einem Foto von Taschentüchern

Sirka wusste anfangs nicht, wohin sie ihr digitales Tagebuch führen würde – aber sie wusste, sie wollte offen darüber berichten. Und das macht sie: Mit Fotos, Videos, Songs und Texten. In einem Video tanzt sie zu Kraftklub und schreibt dazu „wenn in der Tanztherapie wieder der Enya-Fanclub die Überhand hatte und du jetzt was nachzuholen hast“.

In einem anderen Story-Foto sind Taschentücher zu sehen, Sirka schreibt: „Gestern wieder ordentlich einen weggeweint“. Manchmal postet sie auch einfach ein Today’s-Crying-Selfie. Sirka nimmt ihre Follower*innen mit zu den traurigen Momenten, aber auch zu den lustigen.


„Weil es kein Internet gibt, muss man sich mit anderen Dingen behelfen.“ Quelle: fredminuserika

Dabei bleibt sie immer die Lyrikerin, die Geschichtenerzählerin: „Es ist ein schmaler Grat zwischen Fiktion und Wirklichkeit“, erklärt sie. Für Sirka ist das die Möglichkeit, ihre Anonymität zu bewahren, trotz der Intimität, die sie zulässt. Sie nennt ihre Mitpatient*innen nicht beim Namen, zeigt keine wiedererkennbaren Orte, lässt vieles im Verborgenen. Und bleibt dabei doch ganz nah, wenn sie sich nach einem Heulkrampf auf einem Foto zeigt. Auf ihrem Instagram-Kanal sei sie zu 50 Prozent Lyrikerin, zu 50 Prozent Patientin, sagt Sirka. Die Geschichten setzten sich zusammen aus dem, was passiere und dem, was sie sich dazu denke.

Tipps zum Umgang mit psychisch erkrankten Menschen

Sirkas Instagram-Kanal behandelt psychische Erkrankungen, ist deshalb aber längst nicht nur traurig oder melancholisch – im Gegenteil. „Natürlich hat hier jede*r so seine Momente und trägt viel mit sich herum, es passieren traurige Sachen. Aber selbst in diesen Momenten ist es manchmal so bizarr, dass es schon wieder komisch ist.“ Zuletzt gelacht hat Sirka am Raucherpavillon. Dort verabschiedete sich eine Frau mit den Worten: „Ich gehe jetzt mal, mir Scheiße ausdenken, die ich nachher wieder labern kann.“

Gestartet hat Sirka das digitale Tagebuch vor allem für sich selbst, dafür, nicht mehr allein zu sein. Durch die Resonanz hat sich das mittlerweile verändert. „Es gibt Leute, denen das hilft, was ich auf Instagram mache“, sagt sie. Deshalb macht sie manchmal auch Posts, die dafür sorgen sollen, dass es ihren Follower*innen besser geht. Sie bewegt sich dann auf einem schmalen Grat: Betroffenen müsse sie manchmal sagen, dass sie keine Therapeutin sei und keine Diagnosen stellen könne. Sie rät dann zu professioneller Hilfe. Negative Reaktionen hat Sirka bisher noch keine einzige bekommen. Es melden sich täglich um die fünf Follower*innen bei ihr.

Oft schreiben ihr Betroffene, aber auch immer mehr Angehörige und Freund*innen von psychisch erkrankten Personen nehmen Kontakt zu Sirka auf. Eines ihrer Formate heißt How to. Darin gibt sie Tipps, wie man mit seelisch kranken Menschen umgehen kann. Etwa so: „Jemand taucht unter Wasser und eine andere Person sagt: Wenn du wieder auftauchst, stehe ch am Beckenrand.“ So eine Begleitung wünscht Sirka sich für sich selbst und für andere psychisch erkrankte Menschen. Besonders wichtig sei es, dass jemand da ist und bleibt und auffangen kann, wenn es sein muss.

In den zwei Monaten Berichterstattung aus der Klinik sind über 2.000 Follower*innen dazu gekommen und es werden immer mehr. Manchmal vergisst Sirka, dass es so viele Leute sind. Sie weiß um die Ambivalenz, mit dem Thema psychische Erkrankung im Netz präsent zu sein: Noch immer gibt es Stigmatisierungen und Vorurteile. Noch immer erzählen Menschen, die sich in Behandlung begeben, sie fahren zur Kur. Genau deshalb macht Sirka ihre Geschichte öffentlich.

Offener Diskurs über seelische Erkrankungen

„Psychische Erkrankungen öffentlich zu machen ist noch eine Seltenheit“, sagt Catarina Katzer, Psychologin mit Schwerpunkt Internet, Emotionen und Denken im digitalen Zeitalter. „Über Krankheiten wie Krebs sprechen mittlerweile viele Menschen im Netz, bei seelischen Erkrankungen ist das noch anders – das hat viel mit Schuldzuweisungen und Vorurteilen zu tun“, sagt die Psychologin. Psychische Erkrankungen würden noch immer zu selten als Krankheiten anerkannt – dabei sind sie es. „Es braucht einen offenen Diskurs darüber, denn schließlich nehmen psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft zu“, so Catarina Katzer.

Genau um diese Entstigmatisierung geht es auch Sirka – und um Empowerment. Sowohl für sie selbst, als auch für die Menschen, die ihr folgen. Was bei fredminuserika online passiert, unterscheidet sich kaum von der Gruppentherapie in der psychosomatischen Klinik. „Es ist die virtuelle Hand auf der Schulter, ich bin da, ich höre dir zu“, beschreibt es Psychologin Katzer.

In drei Wochen steht Sirkas Entlassung an. „Irgendwann kriegt man einen Koller“, lacht sie und freut sich auf den Neuanfang. Im Herbst wird sie nach Wien ziehen, um dort Sprachkunst zu studieren. Internetkunst macht sie schon jetzt, auf Instagram. Sirkas Facebook-Hintergrundbild ist ein Screenshot: „I am online and you all have to deal with it“. Vermutlich ist das der richtige Weg, mit psychischen Krankheiten im Netz zu sein.

 
 
 

Ein Auszug aus Sirkas Hospital Diary auf Instagram. Quelle: fredminuserika

Hinweis: Eine erste Anlaufstelle bei seelischen Belastungen ist die Telefonseelsorge. Du erreichst sie online oder telefonisch unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222. Du kannst dich dort anonym und vertraulich beraten lassen, welche Form der Therapie dir helfen könnte.

Der Originaltext von Mareice Kaiser ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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