In ihrer Kolumne schreibt Camille Haldner über alles, was ihr auf den Keks geht. Dieses Mal: Menschen, die an überholtem Sprachgebrauch festhalten, der nicht dem gesellschaftlichen Status Quo entspricht.
Der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß hat in einem Interview ein Verbot der „Gendersprache” für staatliche Stellen gefordert. Und damit ist er nicht allein: Inzwischen hat sich die gesamte Hamburger CDU mit einem einstimmigen Beschluss für Ploß‘ Vorhaben ausgesprochen. Damit reiht sich Ploß, neben Friedrich Merz, in ein beträchtliches Grüppchen von Männern ein, die in den vergangenen Wochen mit populistisch-plumpen Argumenten Stimmung gegen gendergerechte Sprache gemacht haben. Ploß begründet sein Vorhaben mit dem Argument, er setze sich für „den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein und für eine Sprache, die zusammenführt“. Er betont, dass für Ausgrenzung oder Diskriminierung kein Platz in unserer Gesellschaft sein dürfe.
Dass das von ihm favorisierte generische Maskulinum – das von drei in Deutschland offiziell anerkannten Geschlechtsidentitäten nur eines abbildet – genau das tut, scheint er auszublenden.
Was viele Gegner*innen geschlechtergerechter Sprache nicht realisieren oder ignorieren: Sprache, die nur das generische Maskulinum verwendet, ist gegendert – männlich gegendert. Manche Menschen verstehen das Männliche offenbar so sehr als Norm, dass sie es gar nicht mehr als gegendert erkennen. Der Versuch, andere Geschlechter in der Sprache abzubilden, ist also nicht gendern, sondern sprachliche Erweiterung, die idealerweise über binäre Geschlechter hinausgehen sollte.
„Sprache, die nur das generische Maskulinum verwendet, ist gegendert – männlich gegendert. Manche Menschen verstehen das Männliche so sehr als Norm, dass sie es gar nicht mehr als gegendert erkennen.“
Ein Trugschluss
Das generische Maskulinum ist ein Relikt aus einer Zeit, in der allein Männer das Sagen hatten. Frauen hatten nicht nur nichts zu melden, ihre sprachliche Unsichtbarkeit wurde zum Beispiel in der Schweiz sogar als Argument dafür angeführt, Frauen bis 1971 das Stimmrecht zu verwehren. Das Bundesgericht betonte 1923, dass im Verfassungsartikel, in dem es um das Stimmrecht geht, nur „die Schweizerbürger männlichen Geschlechts“ gemeint seien. Es gäbe also keine Grundlage, Frauen eine Stimme zu geben.
Inzwischen will man uns vom Gegenteil überzeugen und behauptet, dass beim generischen Maskulinum alle mitgemeint seien. Das ist jedoch ein Trugschluss. Zahlreiche Studien (hier, hier, hier und hier) belegen, dass das generische Maskulinum gar nicht so generisch, also allgemeingültig, ist, wie behauptet, sondern vor allem männliche Bilder im Kopf erzeugt. Ebenfalls durch zahlreiche Studien belegt ist, dass die Nutzung geschlechtergerechter Sprache dazu führt, dass Frauen gedanklich mehr einbezogen und bei Stellenausschreibungen stärker berücksichtigt werden; dass sich Kinder durch die Nennung aller Geschlechter in Jobtiteln mehr Berufe zutrauen und Menschen offener über Geschlechterrollen denken.
Mitgemeint ist nicht mitgedacht
Ich verstehe nicht, warum andauernd gefordert wird, dass sich die Hälfte der Bevölkerung damit abzufinden hat, dass der Sammelbegriff für alle Menschen männlich gegendert ist. Bloß weil der Standard in unserer Gesellschaft noch immer männlich ist? Wohin diese männlichen Standards führen, hat Caroline Criado Perez in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“ eindrucksvoll gezeigt: zu einer Welt, in der Schutzmasken nicht auf die Gesichter von Frauen passen, Sicherheitsgurte nicht abgestimmt sind auf weibliche Körper und Frauen mit Herzinfarkt schlechter behandelt werden, weil sie „untypische“ – also nicht-männliche – Symptome zeigen.
„Was nimmt es den einen weg, wenn die anderen mitgesprochen werden?“
Mitgemeint reicht nicht. Denn mitgemeint bedeutet nicht automatisch mitgedacht. Der logische, nächste Schritt wäre also, das immer größer werdende Wissen um Ungleichheiten in unserer Gesellschaft dazu zu nutzen, diese auf allen Ebenen zu bekämpfen – auch auf der sprachlichen. Und doch wird die Ablehnung gegenüber gendergerechter Sprache sogar größer, wie das Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap für die „Welt am Sonntag“ ermittelt hat. Demnach lehnen es 65 Prozent der Befragten ab, unterschiedliche Geschlechtsidentitäten sprachlich durch geschlechtsneutrale Formulierungen oder Sonderzeichen wie dem * kenntlich zu machen.
Aber warum? Was nimmt es den einen weg, wenn die anderen mitgesprochen werden? Weshalb fühlen sich manche Menschen so bedroht von der Idee, mehrere Geschlechter in ihren Sprachgebrauch zu integrieren?
Überforderung oder Intoleranz?
Glauben – oder hoffen – Gegner*innen geschlechtergerechter Sprache, solange Frauen, nonbinäre, inter und agender Menschen in unserer Sprache nicht vorkommen, könnte man sie auch von „zu viel“ Repräsentanz in unserer Gesellschaft abhalten? Ich kann mir die heftige Gegenwehr nur so erklären. Und das führt mich unweigerlich zum Schluss, dass diese Gegenwehr aus Intoleranz entsteht – oder aus Überforderung. Überforderung angesichts der Tatsache, dass das als Norm betrachtete binäre System ins Wanken geraten könnte; dass die Welt doch komplexer ist, als es auf den ersten heteronormativen Blick scheint.
Die gute Nachricht: Sollte es sich tatsächlich „nur“ um Überforderung handeln, lässt sich dieser ganz gut beikommen. Zum Beispiel indem wir uns bewusst machen, dass eine vielfältigere Gesellschaft nichts Negatives ist. Heute outen sich mehr und mehr Menschen, eine Geschlechtsidentität zu haben, die von der Norm abweicht; das ist kein Trend, sondern eine positive Entwicklung, die darauf zurückzuführen ist, dass diese Menschen weniger Repressionen befürchten müssen. Und darauf, dass die sozialen Netzwerke Öffentlichkeit demokratisiert haben und vielfältigere Identitäten endlich sichtbarer werden.
Sprachliche Inklusion
Warum eine Entwicklung hin zu Akzeptanz aller Menschen blockieren, indem wir an einem veralteten, nicht inklusiven Sprachgebrauch festhalten, der jahrhundertelanger patriarchaler Unterdrückung entspringt? Die Vergangenheit zeigt uns: Änderten sich gesellschaftliche Verhältnisse, veränderte sich oft auch der Sprachgebrauch: Während unverheiratete Frauen früher noch als „Fräulein“ bezeichnet wurden, ist es heute gesellschaftlicher Konsens, dass man als Frau keine Auskunft über den Ehestand geben muss, was wiederum dazu geführt hat, dass das Wort „Fräulein” quasi abgeschafft wurde.
„Ich wünsche mir, dass wir Sprache weniger als Museum betrachten, das zeigt, wie die Welt vor zweihundert Jahren aussah und mehr als Spielplatz, auf dem wir neue Dinge bauen und uns darauf freuen können, was noch alles entstehen könnte.“
Aktivistin Anna Rosenwasser in der Folge „Das Kreuz mit dem Genderstern“ des „Mundart“-Podcasts (SRF).
Unser Sprachgebrauch wird der immer offener gelebten Vielfalt in unserer Gesellschaft nicht (mehr) gerecht, sie bildet die Realität nicht korrekt ab. Aber genau das sollte sie tun – insbesondere in Texten öffentlicher Institutionen. Egal was manche Politiker*innen behaupten mögen, ein inklusiver Sprachgebrauch ist weder Trend noch Ideologie, sondern ein wirksamer Hebel im Kampf gegen gesellschaftliche und politische Ungleichheit.
Niemand behauptet, gendergerechte Sprache einzuführen, sei die Lösung, mit der die Gleichberechtigung aller Menschen final erreicht werde. Doch Sprache entscheidet darüber, wie wir die Welt wahrnehmen und die sprachliche Inklusion mehrerer Geschlechter hat das Potenzial, uns einige Schritte näher an eine vielfältigere, tolerantere Welt zu bringen.