In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über den fehlenden Größenwahn der guten Leute.
Ich, größenwahnsinnig? Aaaww, danke!
Neulich habe ich einen Text gelesen, in dem gefragt wurde, ob die Generation Y größenwahnsinnig sei. Yeah, dachte ich! Das wäre doch mal was! Und auch wenn der Artikel ansonsten gut war, das wurde leider wieder relativiert. Alles plausible Forderungen, gar kein Wahn, keine erkennbar überdimensionierte Größe. Dabei wäre es zu schön gewesen, mal nicht der ängstlichen, biederen oder welches-Attribut-auch-immer-Generation anzugehören,
sondern einfach mal der Generation, die komplett größenwahnsinnig geworden ist. Warum das so gut wäre? Nun.
Fragt man den Duden nach „Größenwahn, der“, dann klingt das zugegebenermaßen mau. Denn da steht als Erklärung übersteigerter Geltungsdrang. Und der ist jetzt wirklich nicht so sexy. Egal, schaue ich mir einfach eine andere Quelle an: Hallo wie Wikipedia! Und tatsächlich, das gefällt mit schon viel besser – herrlich, das Internet bietet für alles eine Lösung.
Größenwahn steht für:
– eine kognitive Verzerrung durch Überbewertung eigenen Könnens und eigener
Kompetenzen, siehe Selbstüberschätzung
– eine Wahnvorstellung, bei der sich die betroffene Person für eine wichtige
Persönlichkeit hält, siehe Megalomanie
– das Streben, Mitmenschen durch übersteigerte Leistungen zu übertreffen, siehe Gigantomanie
Was daran jetzt gut ist? Nun erst einmal hören sich Begriffe wie Megalomanie und Gigantomanie total super an und man kann sie als gefährliches Halbwissen in langweilige Gespräche einbinden. Aber jetzt mal im Ernst, kommen wir zu zweitens, also zu Punkt 1:
Überwertung des eigenen Könnens
Ich kenne wahnsinnig viele Menschen, die ihr Können unterbewerten und nur wahnsinnig wenige, die es überbewerten. Und deshalb frage ich mich, wie das wohl wäre, wenn wir uns einfach mal so richtig gut finden. So richtig überzeugt von uns sind. Ganz einfach: Wir würden mehr wagen und über uns hinauswachsen. Denn mal ehrlich, für’s Gründen braucht man ebenso etwas Wahnwitz und Mut, wie dafür, in diese Welt Kinder zu setzen. Ach was sag ich: selbst, um mal andere Farben in meiner Garderobe auszuprobieren als Schwarz, Weiß und Grau brauche ich an so manchem Morgen eine Portion Größenwahn. Also: Adieu Komfortzone! Wer braucht sowas? Wir nicht!
Das macht also schon mal Sinn. Weiter geht’s zu Punkt 2.
Sich für eine wichtige Persönlichkeit halten
Sich für eine wichtige Person halten, warum eigentlich nicht? Macht auch total Sinn. Denn ich umgebe mich tatsächlich mit lauter Personen, die ich wahnsinnig wichtig finde
und ohne die mein Leben so gar nicht funktionieren würde. Oder einfach nur viel
viel unschöner wäre als es jetzt ist. Das können meine Eltern sein, meine
Geschwister, meine tollen Freunde und Kollegen – oder meine Kaffeeverkäuferin, die mich auch bei Regen mit dem einem Lächeln begrüßt und mir den Kaffee hinstellt, ohne das ich was sagen muss. Sensationell! Und das Verquere ist: Die ahnen selbst gar nicht, wie wichtig die eigentlich sind! Und nicht nur für mich, egozentrische Person, sondern einfach so, weil sie so sind wie sie sind. Das sollte sich dringend ändern.
Und wenn ich mich selbst öfter für eine richtig wichtige Person halten würde, dann hätte ich vielleicht noch mehr Geld auf dem Konto, müsste mich zu weniger Kompromissen durchringen und beim Anstehen an der Bar nicht immer stundenlang ausharren, weil ich jeden aus verblödeter Freundlichkeit vorlassen würde. Nein! Dann würde ich sagen: Hallo, hier, ich bin wichtig: Ich brauche JETZT einen Drink. Das klappt! Ich habe das bei
anderen beobachtet.
Mitmenschen durch übersteigerte Leistung übertreffen wollen
Und nun zum langweiligsten, aber auch sehr wichtigen Punkt: Das Streben, andere mit der eigenen Leistung zu übertreffen. Hört sich erst einmal unbequem an und ist es sicher oft auch. Aber wie oft hat man Dinge nicht gemacht, weil man sagt: „Nee, ist schon OK, das kann XY sowieso besser.“ Na? Hier, ich auch schon oft. Vielleicht sagt man aber das nächste Mal einfach: Ich, ich mach das! Ich kann das besser! Was für wundersame Sachen da passieren
könnten: Auf einmal steht man vielleicht auf Bühnen und redet vor Publikum, vielleicht schreibt man auch ein Buch, vielleicht strickt man einen mega schönen Schal oder gründet das großartigste Unternehmen der Welt? Oder man ist auf einmal eine super Köchin oder die allerschnellste Bobfahrerin! Nur weil’s schon mal jemand sehr sehr gut gemacht hat, heißt das ja noch lange nicht, dass ich und du das nicht besser können, oder?
Außerdem sind die Vernünftigen, doch eh immer viel zu still und zu zurückhalten und all die Dummen oft so laut. Lasst uns das doch umkehren, lasst uns doch sagen: Klar geht das, wir machen das. Wir verändern die Welt, jetzt. Wir retten den Regenwald, jetzt! Wir machen, dass
Kohlenhydrate nicht mehr der Feind sind, jetzt! Solche Dinge, ihr wisst schon.
HA! Zack, der Größenwahn hat mich schon! Meine Güte, das fühlt sich gut an. Tschüß Komfortzone, du olle Nervkuh. Du warst sowieso nur der neue Schweinhund, den niemand braucht. Außer vielleicht an verregneten Tagen, an denen ich einfach nur müde bin. Da können wir uns vielleicht noch mal zu einem Tête-a-Tête treffen.
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