In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, warum die Liebe einer Sucht ganz ähnlich ist.
Die Liebe ist wie eine Droge
Und dann schlägt der Lieblingsmensch die Tür zu und ist weg. Einfach so. Man selbst bleibt zurück, starrt auf den leeren Fleck im Raum, an dem er gerade noch stand und fühlt das riesiges Loch, das mit der Trennung in Herz und Leben gerissen worden ist. Ein Loch, das sich immer weiter ausbreitet, je länger man darauf starrt. Und gerade, als man das Gefühl hat, man könnte das schaffen, könnte irgendwie, irgendwann daran vorbeigehen, dran vorbeisehen, dann verschluckt es einen von hinten. Und der Kampf mit sich, mit dem verdammten Leben, das sich nun 23 Stunden am Tag beschissen anfühlt, fängt wieder von vorne an.
Jeder der im Leben schon einmal verlassen wurde, kennt wahrscheinlich dieses Gefühl, dass selbst eine Liebe, die vielleicht vorher schon fast eingeschlafen war oder zumindest ab und an wegdämmerte, mit voller Wucht zurückkehrt. Einfach so, als müsste sie sich aus Prinzip noch ein letztes Mal aufbäumen – nur leider viel zu spät. Der kennt vielleicht, dass man sich auf einmal für jeden Streit hasst, für jede Mahnung, die man wegen rumliegender Socken, der fragwürdigen Restaurantauswahl, der verpassten Ausstellung ausgesprochen hat. Erinnert sich daran, wie man sich nun für jeden Knatsch verteufelt, der einmal wichtig schien und nun nur noch ein Beweis mehr dafür ist, dass man es nicht wert ist, geliebt zu werden. Der andere aber, erscheint in einem fast gleißenden Licht, verlockend schön und irrational perfekt – oder zumindest, so oder so, wahnsinnig liebenswert.
Ich kann mich nicht lösen
Ein Gefühl, das erst einmal ganz real scheint – bei allem Bewusstsein dafür, dass da etwas nicht stimmen kann. Und alles schreit in einem nach Antworten: Wieso nur, konntest du mich, der dich so unendlich liebt und uns, die wir doch so unfassbar verbunden waren, einfach zurücklassen? Wieso nur? Schließlich, da ist man sich sicher, man selbst hätte diese Beziehung niemals so einfach aufgegeben. Die Liebe nicht aufgegeben, die sich nun, in der Endgültigkeit der Trennung, so unfassbar groß anfühlt, obwohl man zuvor ab und an, ja vielleicht sogar öfter, selbst daran gedacht hat, ob die Beziehung noch Sinn macht.
Tja, und da kann Freud, der für eine gelingende Trauerbewältigung (der Verlust eines Menschen geht ja nicht zwangsläufig mit einem Tod einher) voraussetzt, sich emotional komplett vom anderen zu lösen, auch nicht helfen – denn genau diese emotionale Bindung, die kann man ja gerade nicht kappen. Alles nur das nicht. Schließlich ist sie doch der letzte Beweis, dass da was Großes war. Dass man nicht komplett irre ist, nur weil man so unendlich leidet. Bis man es eben doch irgendwann schafft, in dem nicht die Zeit, sondern alles, was in dieser Zeit passiert, einen Schorf über die Wunde gelegt hat, die wahrscheinlich für immer leicht unter der Gefühlshaut hervorschimmern wird.
Was ein Ende der Liebe mit unserem Gehirn macht
Warum ist das so, wieso bäumt sich im allerletzten, eigentlich schon viel zu späten Moment, die Liebe noch einmal dermaßen auf? Wieso wird das Gefühl für den anderen auf einmal so stark wie noch nie zuvor? Ist es das Verlustgefühl? Sind es die Bande, die noch einmal ihre ganze Kraft entfalten? Als ich noch dachte, dass das wohl immer im Dunkeln bleiben wird, was ja auch okay gewesen wäre, da stieß ich neulich auf den sehr spannenden TED-Talk der Anthropologin Helen Fisher, die das „verliebte Gehirn“ erforscht – und eben auch das, was in uns passiert, wenn wir verlassen werden. Und da wurde mir so einiges klarer, nämlich, dass dieses Gefühl nicht zwingend durch eine besonders starke Bindung zu einem anderen Menschen, oder eine besonders tiefe Liebe ausgelöst wird, sondern es eine eigentlich recht simple Reaktion unseres Gehirns im Moment des Verlassenwerdens ist. Und das mag man nun wahnsinnig deprimierend oder sehr bestärkend finden, ich finde es vor allem interessant:
Helen Fisher fand mit ihrem Team den Grund dafür heraus, warum die Liebe wie eine Droge wirkt und das Gefühl nach ihr einer Sucht gleichkommt. Kurz gesprochen: Wenn sie uns versagt wird, wenn sie verboten ist, dann will man sie nur noch mehr. Das liegt an Aktivitäten im Moment des Verlustes, die im Belohnungssystem des Gehirns stattfinden, das unter dem kognitiven Denkprozess, unter unseren Emotionen liegt. Es sind die Teile des Gehirns, die mit unseren Wünschen, der Motivation und der Begierde zusammenhängen und die auch angesprochen werden, wenn man etwa einen Kokainrausch hat. Nur, dass die Liebe, so beschreibt Fisher es, eben ein Kokainrausch ist, von dem man nicht runterkommt. Es ist ein Rausch, der uns besessen danach werden lässt, ihn wieder aufleben zu lassen – und es ist ein Rausch, der umso lauter ruft, wenn er uns versagt wird. Und es sind auch jene Aktivitäten, die uns eine tiefe Bindung zu dem Menschen vormachen (ob sie da ist oder nicht), der uns dieses Gefühl zuletzt gegeben hat, Ein ziemlich fiese Kiste von unserem Gehirn, wenn ihr mich fragt.
So ist das also mit dem Liebeskummer. Und den besonders rationalen Menschen unter uns wird es vielleicht bei der Trauer helfen oder davor bewahren, nichts Dummes zu machen, um die Liebe wieder zurückzubekommen. Aber sehr wahrscheinlich ist es nicht. Schließlich bleibt ein Gefühl wahr, wenn wir es fühlen, auch wenn uns jemand etwas Gegenteiliges sagt. Und genau deshalb ist es ja auch so schwer, jemandem in der Trauer um jemanden oder um eine Beziehung Trost zu spenden.
Aber vielleicht hilft diese Erkenntnis auch dabei, dass nicht ständig gesagt wird: Jetzt komm doch mal drüber weg. Denn das braucht eben seine Zeit, manchmal richtig viel und manchmal bleibt es ein Leben lang. Und damit wäre doch auch schon etwas getan.
Hier könnt ihr euch übrigens den spannenden Talk in ganzer Länge ansehen.
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