Welche Bedeutung hat Kunst für unser Leben? Wie wirkt sich Kunst auf unsere Arbeit, unseren Alltag, unsere Köpfe aus? Warum könnte es gerade in der gegenwärtigen Zeit wichtig für uns alle sein, den Perfektionismus abzulegen und von Kindern zu lernen, wie man sich mutig an weiße, leere Blätter wagt? Wir sprachen darüber mit der Musikerin und Bewegungstherapeutin Katharina Schüßler alias KÄTHE. – Ein Porträt.
Samstagabend, Ende November 2022. Der beleuchtete Rahmen der Eingangstür erhellt das sonst eher unspektakuläre Wohngebiet. Ganz unterschiedliche Menschen aus allen Ecken und Enden des Landes begrüßen sich, es werden immer mehr. Im hinteren Raum ist die Decke pompös bemalt, punktuell mit Blattgold verziert. Die Wilma im Norden von Berlin war früher mal ein griechisches Restaurant. Vorne, leicht erhöht, steht ein schwarzer Flügel. Viele andere Instrumente. Verstärker. Und eben: Käthe.
Ab dem Moment, in dem sie anfängt zu performen, ist es, als würde sie den Raum ihrem Publikum überlassen: Bitteschön! Der Ort gehört jetzt uns allen! Tobt euch aus! Das wird gut! – Katharina Schüßler alias Käthe feiert ihr Album-Release, bei dem rein gar nichts vorhersehbar ist.
Die eigene Form finden
Käthe ist ausgebildete Tanz- und Bewegungstherapeutin, außerdem hat sie Jazzgesang in Antwerpen studiert. Der logische Schritt aus dem Studium heraus wäre gewesen, als Therapeutin in einer psychiatrischen Einrichtung zu arbeiten. Käthe aber sagt: „Ich kann nicht in einem Rahmen arbeiten, in dem ich mich selbst nicht wohl fühle und für den ich auch nicht in jedem Detail stehen kann. Ich musste meine eigene Form finden. Das habe ich schnell verstanden.“
Vor allem nach der Schulzeit ist Käthe der eigenen Form auf die Spur gekommen. In ihrer Schulzeit fehlte ihr der Support für ihre Kreativität. „Ich konnte die Schule nicht genießen, weil ich mich viel mehr den Naturwissenschaften widmen musste, als mich in meinen wahren Interessen (Kunst und Sprachen) vertiefen zu können.“ – Das ist einer der Gründe, warum sich Käthe heute so fürs Schulsystem einsetzt, für Konzepte, die auf Wagemut, dem erlaubten Scheitern, der Neugier, der Kreativität beruhen.
„Wir haben das Gefühl, wir müssen etwas liefern, was wir kopiert haben und wenn wir es gut kopiert haben, dann sind wir wer. Das ist einfach schlimm.“
Käthe
Wir müssten ja nicht das Rad neu erfinden, es sei alles schon da, sagt Käthe mit einem Verweis auf Finnland, wo Kinder lernen, selbstständig zu denken, in dem man sie schlichtweg ernst nimmt: Einschulung mit 7, Bildung für ALLE, später Schulbeginn, hoher Stellenwert von Freizeit, enge Zusammenarbeit von Eltern, Lehrer*innen, Sozialpädagogìnnen und Psycholog*innen etc. etc. Käthe zitiert einen französichen Humoristen, Francois Rabelais, der schon vor 500 Jahren wusste: ,Kinder sind keine Fässer, die gefüllt werden, sondern Lichter, die entzündet werden wollen.‘ Das, findet Käthe, wäre dringend notwendig. „Aber im Moment sieht es so aus: Wir haben das Gefühl, wir müssen etwas liefern, was wir kopiert haben und wenn wir es gut kopiert haben, dann sind wir wer. Das ist einfach schlimm.“
„Kinder sind keine Fässer, die gefüllt werden, sondern Lichter, die entzündet werden wollen.“
Francois Rabelais
Ab in die Transformation
Zusammen mit der Nachhaltigkeitsökonomin und systemischen Coachin Johanna Ernst gründete Käthe vor zweieinhalb Jahren das Unternehmen Ab in die Transformation. Gemeinsam schaffen sie in Workshops, Seminaren, Coachings und Projektwochen Räume für Potenzialentfaltung und Zukunftsgestaltung. Ihre Mission: Ab in die Transformation bietet Formate, um Zukunftsgestaltung von der Passivität in die Aktivität zu katapultieren.
Käthe und Johanna bieten beispielsweise Prozessbegleitung (Talkrunden oder Events) zu den Themen: neue Nachhaltigkeit und Zukunftsgestaltung gepaart mit kreativen Methoden, die Menschen um die Ecke denken lassen.
„Die Krisen unserer Zeit wollen als Chancen angepackt werden!“
Käthe und Johanna
Klarheit brauchen viele von uns in einer Zeit, die geprägt ist von Katastrophen, Kriegen, Klimawandel. – Kann das auch lähmen? Käthe nickt, ja, sicher. Umso wichtiger aber sei es, die Menschen ins Machen zu bringen und Räume bereitzustellen, die zur Partizipation aufrufen: ,Kannst du irgendwas dazu beitragen, dass es hier schöner wird?‘. In diesem Zusammenhang verweist Käthe auf die Transformationsforscherin Maja Göpel. Die spreche von einer Waschmaschinenzeit, in der wir aktuell leben: Wer alles nur im Schleudergang sieht, der sieht am Ende gar nichts mehr. Mit ihrem neuesten Buch „Wir können auch anders“ (Lesetipp von Käthe und Johanna!) ruft sie dazu auf, dass jede*r Einzelne von uns, aber auch die Gesellschaft als Ganzes es sich erlaubt, neu zu denken, neu zu träumen und diese eine radikale Frage zu stellen: Wer wollen wir sein?
Wenn Käthe an die Kinder und Jugendlichen denkt, mit denen sie arbeitet, ist in ihrem Gesicht vor allem Hoffnung: „Natürlich glaube ich an tolle Ergebnisse, wenn ich von den Kiddies wissen möchte, was deren Ideen sind. Es ist eine der tollsten Methoden, die Kinder zu fragen: Was kotzt euch so richtig an? – Und genau daran wird jetzt gearbeitet.“ Warum sollte das nicht möglich sein? Käthe lächelt entschlossen. Die Glühbirne sei ja schließlich auch mal irgendwann erfunden worden. „Ich höre nicht auf, nur weil jemand sagt, hier sei nichts mehr zu wuppen. Das ist leider die Einstellung unserer Gesellschaft geworden. – Und das will ich nicht.“
„Ich will in Rahmen arbeiten, in denen Menschen empowert werden, sich selbst zu fühlen, sich selbst Mut zu machen, mit ihrem eigenen Feuer in Verbindung zu kommen.“
Käthe
In der Schule merkte Käthe, dass sie jede Menge Talente hat: Sie lernt schnell und gut Sprachen. Sie tanzt. Sie singt. Sie liebt die Bühne. Und so, wie die Schule nicht ausreicht beziehungsweise ganz falsche Wege für sie vorschlägt, genau so reicht es ihr nicht, vier Jahre lang „auf therapeutische Ideen trainiert zu werden.“ Ihr fehlt die Kunst. Sie weiß: „Ich will in Rahmen arbeiten, in denen Menschen empowert werden, sich selbst zu fühlen, sich selbst Mut zu machen, mit ihrem eigenen Feuer in Verbindung zu kommen und zu wissen: Das bin ich, ich bin es wert und ich hab Bock auf dieses Leben.“ In all ihrem Tun ist die Frage zentral: Wie kann ich Kreativität und Kunst so einsetzen, dass andere Menschen in den Genuss kommen, ihre eigene Kreativität zu entdecken?
„Es wäre toll, wenn wir uns trauen würden, viel mehr an Kinder abzugeben, sie eigene Entscheidungen treffen zu lassen.“
Käthe
Eine Gruppe von Menschen hat diese Verbindung zu Kunst und Kreativität ganz bestimmt: die Kinder. Und Käthe ist sich sicher, dass die Erwachsenen, die vermeintlich auf alles eine Antwort haben, von den Kindern extrem viel lernen können. Das Problem dabei: Kinder werden oft unterschätzt. „Kunst“ sagt Käthe „ist zu verkopft. Ich kenne zu viele Horrorgeschichten von Kindern, die gesagt bekommen: ,Du tanzt wie ein Affe. Deine Bilder sind viel zu hässlich, die darfst du nicht in der Schule aufhängen. Du darfst nicht mitsingen, weil du nicht singen kannst.’ Das sind Storys, die mich richtig antreiben und die mich in Workshops total interessieren, nach denen ich auch frage, überall, wo ich hingehe.“
Käthe ist am liebsten mit Kindern, die seien uns allen weit voraus. Sie habe eine ganz aufrichtige Neugier an deren Leben, an deren Lebendigkeit. „Und es wäre toll, wenn wir uns trauen würden, viel mehr an Kinder abzugeben, sie eigene Entscheidungen treffen zu lassen. Wie beim FREI DAY, ein Tag in der Schule, der jetzt schon an einigen Stellen etabliert wurde: Kinder dürfen sich einen Tag in der Woche ihren Themen widmen, sowohl politisch als auch kreativ. Margret Rasfeld hat das Ganze im Rahmen von Schule im Aufbruch angestoßen.“
„Wer hat dir irgendwann mal eingeprägt, dass du Kunst nicht benutzen darfst?“
Käthe
Zurück zum Konzert, im Norden von Berlin – ein Samstagabend am Ende eines aufwühlenden, chaotischen, traurigen, aber auch Hoffnung machenden Jahres.
Mittlerweile steht sie dort vorne nicht mehr allein. Vor kurzem hat sich eine Band um sie herum gebildet: Tukanayani. Der Name entstand dank Käthes Mitbewohner und Bandmitglied Tahin (Percussions), das Wort kommt aus Madagaskar und bedeutet übersetzt Einheit oder: Wir sind alle eins. Das hat gepasst. Und auch der Song passt: Suppe kochen. Die Lyrics bringen zum Ausdruck, worauf es eigentlich ankommt: Auf das Miteinander. Nicht auf das Gegeneinander. Käthe strahlt ja immer. Aber inmitten der anderen Musiker*innen scheint sie zu Hause angekommen zu sein.
Die Leute im Publikum konsumieren nicht, die arbeiten, die stellen sich Fragen: Was fehlt mir eigentlich und an welchen Stellen habe ich mich selbst betäubt? Käthe ist ein Verbindungsmensch. Sie gibt den Leuten einen immensen Vertrauensvorschuss und die Sicherheit, das eigene Leben und damit eben auch das große Ganze in den Händen zu haben. „Ich will von Leuten wissen: Wer hat dir irgendwann mal eingeprägt, dass du Kunst nicht benutzen darfst? Ich bin der Meinung, wenn unsere Kreativität mal verloren geht – dann sind wir einfach am Arsch. Und das betrifft nicht nur das Malen und Tanzen, sondern auch: Wie baust du ein Motorrad zusammen? Hast du Lust, deinem Nachbarn einen Tisch zu bauen? Hast du Lust, ein Frauennetzwerk zu gründen, damit wir uns treffen und alles besser machen? Das ist ja alles derselbe Muskel. Das ist der Muskel der Kreativität. Deshalb versuche ich auch, meine Kunst und meine Workshops so zu gestalten, dass alles nahbar ist. Ich möchte vermitteln: Leute, dieser Perfektionismus darf jetzt mal gehen! Fehler dürfen gemacht werden. Dinge, die nicht geplant waren, dürfen passieren. Ich glaube, das braucht unsere Zeit mehr denn je.“
Die Welt in zehn Jahren?
„Ich wünsche mir, dass wir nicht mehr wie tote Roboter durch die Gegend laufen.“
Käthe
Als ich Käthe frage, wie die Welt in zehn Jahren sein soll, freut sie sich. „Normalerweise stelle ich diese Frage immer allen anderen.“ Dann überlegt sie ein wenig länger als sonst. „Wir Menschen sollten in zehn Jahren eine ganz andere Beziehung zur Natur haben und zu dem, was uns umgibt. Wir sollten maximal Zeit für Sachen haben, die wir lieben. Wir sorgen füreinander, weil wir die Wertigkeit für dieses Füreinander noch einmal neu definiert haben. Und wir haben ein Bewusstsein für das, was wirklich wichtig ist. Ich wünsche mir, dass wir nicht mehr wie tote Roboter durch die Gegend laufen. In zehn Jahren will ich eine Welt sehen, die so viel mehr Gemeinschaft lebt und so viel mehr das Individuum schätzt. Wir freuen uns, wenn wir scheitern, weil wir danach wissen, was wir besser machen können. Wir dürfen uns ausprobieren. Und wir schätzen es, liebevoll miteinander umzugehen. Das ist die Welt in 2030.“
Der Wert der Kunst
Käthe will ihre Kunst aber heute schon leben. Die Schwierigkeit für sie und für alle Künstler*innen: Menschen denken oft, dass Kunst so mitläuft. Die entsteht einfach. Die ist plötzlich da. Ohne zu sehen: Kunst braucht Zeit. Und damit auch Geld. Wie viel ist uns ein Song wert, der uns aus einem tiefen Loch rettet? Wie viel ist uns ein Satz wert, der uns einen Weg zeigt, den wir vorher nicht gesehen haben?
Gegen Ende des Konzertes an diesem Samstag im Norden von Berlin ist Käthe mit der Gitarre in der Hand für einige glitzernde Minuten Hildegard Knef. Sie singt laut und wild: „Die Welt sollte sich umgestalten!“ – Danke, Käthe, für deine Kunst. Wer die erleben und supporten möchte, hat verschiedene Möglichkeiten. Ihr könnt
1. Käthe für die Zukunftskunst bei Patreon mit kleinen monatlichen Beträgen unterstützen.
2. Ihr Vinylalbum „Was ich zu sagen hätte“ kaufen
3. zu euch nach Hause holen und ein Wohnzimmerkonzert veranstalten
Workshop am 14. Januar 2023
Wenn ihr euch für Ab in die Transformation interessiert, findet ihr alle Infos zu Workshops, Seminaren und Projektwochen hier. Informationen für euer Unternehmen zu Workshops rund um Teambildung findet hier hier.
Der nächste Workshop mit Käthe und Johanna ist am 14. Januar 2023 und hier buchbar.