Unsere Redakteurin Gizem kennt die Werbebranche gut und äußert berechtigte Kritik, denn es zeichnet sich ein Muster ab: Schwarze Frauen sind plötzlich Aushängeschild für viele Marken. Doch ohne strukturelle Veränderung ist diese scheinbar diversere Werbung mehr Hype als Fortschritt, findet Gizem.
„Das fühlt sich nicht gut an“, denke ich mir, als ich an einem Tag schon das zehnte mal ein Werbeplakat sehe, auf dem eine Frau abgebildet ist, die meine Schwester sein könnte. Die ich sein könnte. Sie trägt einen blauen Bikini, ihre braunen, voluminösen Haare wehen im Wind, während sie freundlich in die Kamera lächelt. Ich warte auf die U7, mein Herz klopft immer lauter und das liegt zur Abwechslung nicht an dem Chaos der Berliner U-Bahn.
Ich bleibe lange vor diesem Plakat stehen, fotografiere es ab, um es einer Freundin zu schicken. „Wieso sehen jetzt eigentlich alle Models aus wie ich?“, frage ich sie und denke darüber nach, was diese Werbung und all die anderen Bilder, die ich in letzter Zeit in Print, TV und Social Media sehe, in mir eigentlich auslösen. Es ist so auffällig, wie sehr die Werbung aktuell auf schwarze mixed, schlanke, als weiblich gelesene Person mit großen Augen und definierten, langen Locken setzt. Nach dem Motto: Das ist unsere Vorzeige-diverse-Person! Äh hallo, merkt ihr was? (Anscheinend nicht, sonst würde ich diesen Text nicht schreiben…)
Jetzt schäme ich mich sogar, werde wütend und ein bisschen traurig. Ich nehme bewusst ein paar Meter Abstand von dieser großen Anzeige und warte auf meine Bahn.
Intersektionalität? Fehlanzeige! Es geht nur um die Quote
Seit meinem 17. Lebensjahr stehe ich als Werbemodel vor der Kamera. Immer mal wieder habe ich für kleine und auch größere Kampagnen gemodelt. Die Arbeit machte mir meistens Spaß, aber oft hatte ich dabei das Gefühl, „die freundliche Schwarze mit den schönen Locken“ zu spielen.
In all den Jahren habe ich nur ein einziges Mal mit einer dark skinned Person geshootet. Noch nie stand ich gemeinsam mit einer muslimisch gelesenen oder queeren Person vor der Kamera. Versteht mich nicht falsch – ich freue mich, wenn ich Frauen in der Werbung sehe, die aussehen wie ich. Mit Anfang 20 hätte ich mich darüber gefreut, da gab es kaum Jobs in der Werbung und jetzt kann ich mich vor Castings kaum retten.
Aber ich würde auch gerne anderen Personen sehen! Ich habe eine türkische Mutter, die ich nicht in der Werbung repräsentiert sehe, obwohl sie viel öfter in der deutschen Gesellschaft wiederzufinden ist als beispielsweise schwarze mixed Frauen. Wieso ist das so? Ist meine Mama gerade nicht trendy genug?
Auch scheinbar diverse Werbung wird immer noch von weißen Männer produziert
Und nochmal: Ich freue mich, wenn die Werbung diverser wird. Wenn wir in den Werbepausen unterschiedlichen Menschen dabei zusehen können, wie sie genussvoll in ihre Burger beißen, ein Bierchen zapfen oder in Bikinis am Strand liegen. Aber in den Agenturen, die diese Werbung produzieren, sehe ich keine freundlich lachenden schwarzen mixed Frauen, die bei dem Konzept der Werbekampagne mitentscheiden durften.
Ich konnte mir in den letzten Jahre einen guten Eindruck vom Leben hinter den Kulissen verschaffen und kann euch versprechen: dort sieht es weiß und männlich aus.
„Aber ich bin kein Trend.“
Gizem Eza
Und wisst ihr, was mich richtig wütend macht? Dass wir, also ich und die anderen Frauen, die jetzt ständig in der Werbung auftauchen, mixed Personen sind! Also schwarz, aber nicht „zu schwarz“, denn wir haben Locken, aber keine krausen Haare, haben eine dunklere Haut als der Durchschnitt in Deutschland aber sind nicht „zu dunkel“. Colourism at its best. Dann noch eine Brise Tokenism und wir fassen die deutsche Werbung zusammen.
Die deutsche Werbung will meiner Meinung nach nicht diverser werden, weil sie die deutsche Gesellschaft widerspiegeln oder bestehende Machtstrukturen aufbrechen möchte. Die deutsche Werbung setzt einfach nur einen Haken hinter ihre „Wir-müssen-diverser-werden-To-Do-Liste“ ohne wirklich nachzudenken. Ja, die mixed Frau mit definierten braunen Locken ist anscheinend gerade ein Trend!
„Aber ich bin kein Trend“, sage ich mir und steige endlich in die U-Bahn ein. Ich fühle mich weder geschmeichelt noch gesehen oder repräsentiert. Ich fühle mich nicht ernst genommen und instrumentalisiert.
Dieser Text erschien erstmals in unserem Voices Newsletter, für den ihr euch HIER anmelden könnt. Jede Woche teilt darin eine Stimme aus dem EDITION F-Team ihre ganz persönlichen Gedanken zu den Themen Sex, Vereinbarkeit, Popkultur, Mental Health und Arbeit.