Foto: Science in HD/Unsplash

Der Output von Wissenschaftlerinnen sinkt während der Corona-Krise dramatisch

Autor*in
Alena Sander

Unsere Community-Autorin ist Wissenschaftlerin und kommt im Home Office zu nichts. Das deckt sich mit der Erkenntnis, dass sich die Produktivität von Wissenschaftlerinnen seit Beginn der Corona-Epidemie auf einem Tiefstand befindet.

Seit Beginn der Coronakrise haben Frauen aus Wissenschaft und Forschung weniger Artikel zur Publikation eingereicht als zuvor, so twitterte kürzlich Elizabeth Hannon, Herausgeberin des British Journal for the Philosophy of Science. Es liegt nahe, als Grund dafür die Doppelbelastung mit Kind im Home Office zu vermuten, die besonders für Frauen seit Beginn der Coronakrise gestiegen ist. Doch Schuld ist nicht nur die Tatsache, dass Hausarbeit und Kinderbetreuung aktuell zeitaufwendiger sind als zuvor – auch der unsichtbare Teil der Sorgearbeit, das Sich-Sorgen-machen, hat zugenommen und raubt Frauen – und nicht nur Wissenschaftlerinnen – Energie, Inspiration und Produktivität.

Vor einer Woche nahm ich an einer virtuellen Konferenz teil, in der auch Maria do Mar Pereira, Mitherausgeberin der wissenschaftlichen Zeitschrift Feminist Theory, bestätigte: „Seit zwei Monaten habe ich nicht einen einzigen Artikel von einer Frau erhalten“, und das, obwohl ihre Autor*innenschaft normalerweise zu gut 80 Prozent aus Frauen bestünde. Auch das American Journal of Political Science bestätigt diesen Trend in einer hauseigenen Analyse für Artikel, die Frauen als Einzelautorinnen verfasst und eingereicht hätten. Währenddessen gab David Samuels, Mitherausgeber der Zeitschrift Comparative Political Studies an, dass sein Magazin im vergangenen Monat 25 Prozent mehr Artikel erreicht hätten als in den Monaten zuvor – diese stammten alle von Männern.

Doch wo sind all die kluge Frauen-Köpfe dieser Welt abgeblieben? Wer uns an unseren Schreibtischen sucht, sucht oft vergebens. Während unsere männlichen Kollegen, so scheint es, munter ihre wissenschaftliche Karriere ausbauen, stehen viele von uns in Zeiten von Corona in der Küche, kümmern uns um den Nachwuchs oder die kranken Eltern, denn: selbst hoch ausgebildete Akademikerinnen sind nicht vor der traditionellen Rollenverteilung zu Hause gefeit, welche sich in den vergangenen Wochen wieder in unseren Alltag eingeschlichen hat. Diese führt schließlich auch dazu, dass wir selbst die wenige Zeit, die uns zum Arbeiten bleibt, nicht produktiv nutzen können.

Tägliche emotionale Arbeit

Auch ich bin Wissenschaftlerin und sitze seit elf Wochen mit Kleinkind und Mann zu Hause im Office. Unser Heimleben haben wir gut durchgetaktet: Wir haben das Glück, uns die Arbeitszeit gerecht aufteilen zu können. Auch wenn wir unsere vertraglich geregelten Acht-Stunden-Tage aktuell bei weitem nicht runterackern können (von Überstunden mal ganz zu schweigen), so hat doch jeder von uns fünf bis sechs Stunden Ruhe am Tag, und Zeit zu arbeiten, während der jeweils andere den Zweijährigen bespaßt.

Und doch: Während mein Mann an seiner (nichtwissenschaftlichen) Karriere feilt und bei der Arbeit alles um sich herum vergisst, komme ich, sobald meine Home-Office-Zeit beginnt, einfach nicht in den Flow.

Laptop auf – und der erste Klick geht auf eine Nachrichtenseite, wo ich mit Grauen lese, wie viele Menschen inzwischen in Kurzarbeit oder pleite gegangen sind. Ich denke an meine Freundin in Berlin. Wie es der wohl geht? Ich schreibe ihr eine Nachricht. Im Hintergrund höre ich unseren Sohn laut lachen und lächle eher gequält. Armer kleiner Kerl, der weiß gar nicht, was hier los ist, und versteht nicht, warum er Oma und Opa schon so lange nicht mehr gesehen hat. Ob es denen wohl gutgeht?

Zuhören, ermutigen, solidarisch sein

Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Was essen wir eigentlich heute Mittag? Ich rufe meinen Mann, der sagt: „Keine Ahnung.“ Ich schlage vor: „Dann mach doch nochmal die leckeren Nudeln vom letzten Mal.“ Unser Sohn kommt rein und ruft aufgeregt „Mama, Mama!“ und zeigt mir seinen Holzzug.

Nun aber ab an die Arbeit, denke ich mir, und scheuche meine Männer wieder aus dem Zimmer. Mein Telefon klingelt – es ist die Leiterin unserer Krippe, die, seitdem Eltern entschieden haben, ihre Kinder aufgrund von Corona zu Hause zu behalten und keine Beiträge mehr zu zahlen, kurz vor der Schließung steht. Ich höre zu, ermutige sie und versuche, solidarisch zu sein. Gleichzeitig erscheint eine E-Mail in meinem Postfach: Mein Kollege ist krank – er wurde positiv auf Covid-19 getestet und hat Angst. Seine Familie liebt im Ausland und ich fühle mit ihm, denn auch unsere Familien leben nicht im selben Land wie wir. Ich schreibe eine lange E-Mail zurück, verspreche, mich später bei ihm zu melden. Dabei fällt mir ein, dass ich auch von unserer Haushaltshilfe schon lange nichts mehr gehört habe. Ich rufe sie an, frage, ob sie über die Runden kommt, wie wir ihr helfen können, plaudere kurz.

Endlich sitze ich vor einer leeren Seite in Word. Ich starre auf die weiße Wand hinter meinem Bildschirm. Versuche mich an das zu erinnern, was ich ursprünglich einmal zu Papier bringen wollte. Zweieinhalb Stunden sind vergangen, seitdem ich mich an den Schreibtisch gesetzt habe. Mein Mann wird mich später fragen: Warum hast du denn nicht gearbeitet?

Und ich werde mir bewusst, dass ich sehr wohl gearbeitet habe. Und dass meine frustrierend geringe Produktivität nicht nur auf die verringerte Anzahl der Stunden, die ich ungestört vor meinem Computer verbringen darf, zurückzuführen ist. Denn während die leere Seite vor meinen Augen leer geblieben ist, habe ich bereits (ungefragt) eine Menge emotionaler Arbeit für andere Menschen und einen riesigen Mental Load hinter mir.

Sorgearbeit bedeutet für Frauen auch: sich Sorgen machen

Dieses Sich-Sorgen-machen war schon immer Teil der sogenannten „invisible labor“, die Frauen tagtäglich nicht nur für sich, sondern auch für andere übernehmen. Sei es der Ehemann, die Kinder, Freund*innen oder auch Kolleg*innen. Frauen tun das übrigens nicht, weil sie sich grundsätzlich mehr für ihre Umwelt interessieren oder besonders viel Zeit haben, sondern weil sie es von klein auf so gelernt haben und so sozialisiert wurden.

Niemals hätte die Leiterin unserer Kita meinen Ehemann angerufen. Niemals wäre mein Ehemann auf die Idee gekommen, unsere Haushaltshilfe zu kontaktieren. Und da es dank Covid-19 momentan viele Dinge gibt, um die frau sich sorgen kann, verbrauche ich viel mehr Zeit und Energie dafür als je zuvor. Gefühlt nehmen meine aktuellen Sorgen daher viel Platz in meinem Gehirn weg, den ich nicht für andere Dinge – wie zum Beispiel meinen bezahlten Job als Wissenschaftlerin – zur Verfügung habe.

Tschüss Produktivität

Doch nicht nur uns Wissenschaftlerinnen geht es so. Freundinnen – insbesondere solche mit Kindern – in anderen Jobs im Home Office ist die Produktivität ebenso abhandengekommen wie uns, obwohl auch sie sagen, dass ihnen ihr Partner tagtäglich den Rücken für ein ungestörtes Arbeiten freihält. Gleichzeitig berichten viele von ihnen von Schlaflosigkeit, Niedergeschlagenheit.

Die Coronakrise bringt traditionelle Rollenbilder von Frauen und Männern in Familien wieder zum Vorschein: Frauen übernehmen wieder mehr Sorgearbeit als zuvor. In der aktuellen Situation bedeutet das, dass sich Frauen vermehrt um Kinder und Haushalt kümmern. Und es bedeutet für viele eine erhöhte emotionale Arbeit und einen größeren Mental Load als zuvor.

Die Wiedereröffnung der Kitas und Schulen löst daher nur einen Teil des Problems für Mütter, denn sie nimmt ihnen nur den sichtbaren Teil der Sorgearbeit ab. Ihr unsichtbarer böser Zwilling, das Sich-Sorgen-machen, bleibt. Und das gilt auch für Frauen ohne Kinder. Es raubt nicht nur Wissenschaftlerinnen, sondern auch Frauen, die in anderen Berufen arbeiten, Energie, Inspiration und Kreativität.

Im Kontext der aktuellen Krise ist es daher notwendig, nicht nur den sichtbaren Teil der unbezahlten Sorgearbeit, den Frauen leisten, genauer unter die Lupe zu nehmen und Lösungen zu schaffen, sondern auch weniger sichtbare Aspekte wie die emotionale Arbeit, welche ebenfalls größtenteils und völlig kostenfrei von Frauen getragen wird, in politische Entscheidungen mit einzubeziehen, die auch über die aktuelle Krise hinaus wirken sollten. Dies betrifft vor allem Maßnahmen, die ganz grundsätzlich eine gerechtere Verteilung der Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern fördern, wie zum Beispiel vollbezahlte Elternzeiten, die über einen verlängerten Zeitraum von bis zu sechs Jahren genommen werden können, oder verlängerte Vaterschaftsurlaube nach Geburt eines Kindes.

Die Autorin:

Alena Sander lebt in Brüssel und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Louvain. Sie promoviert am Institut für Politikwissenschaften Louvain-Europa zu den Themen Frauenrechte, Widerstand und Entwicklungspolitik im Nahen Osten. Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit gibt sie Trainings für Organisationen und Unternehmen rund um Genderthemen.

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