Tiaji Sio, die Gründerin des Netzwerkes Diplomats of Color, erzählt, wie sie zum auswärtigen Dienst kam und warum es so wichtig ist, dass auch der diplomatische Dienst in Deutschland diverser wird. Ein Interview von Celia Parbey.
Weil sie der Meinung war, dass es nicht genügend Schwarze Menschen und People of Color im deutschen auswärtigen Dienst gibt, gründete Tiaji Sio kurzerhand das Netzwerk Diplomats of Color. Die gebürtige Frankfurterin, die derzeit bei der deutschen Botschaft in Vietnam arbeitet, möchte mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in ihren Berufszweig locken. Dafür braucht es Sichtbarkeit, denn „You can’t be what you can’t see“, sagt Tiaji. Für ihren Einsatz wurde sie jetzt mit einem Platz auf der diesjährige Forbes 30 unter 30 Liste belohnt.
Tiaji, du lebst gerade in Hanoi, Vietnam und arbeitest für die Deutsche Botschaft. Was für Aufgaben übernimmst du dort?
„In Hanoi arbeite ich in den Abteilungen für Wirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit. Wir fördern die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Vietnam und Deutschland. Beispielsweise unterstützen wir deutsche Unternehmen in Vietnam oder beantworten Anfragen zum kürzlich in Kraft getretenen Freihandelsabkommen zwischen Vietnam und der EU. Hierzu sprechen wir uns auch regelmäßig mit den anderen EU-Mitgliedstaaten ab. Ein weiteres Schwerpunktthema ist der Bereich Klima, Umwelt und Energie. Vor kurzem habe ich beispielsweise einen Round Table zur Energiewende in Deutschland und Vietnam organisiert, zu dem verschiedene Expert*innen und Unternehmensvertreter*innen eingeladen waren.
Im Bereich Entwicklungszusammenarbeit fördere ich Kleinstprojekte und arbeite eng mit Organisationen wie etwa der GIZ oder der KfW zusammen. Aktuell spielt auch die Covid-19- Pandemie eine große Rolle. Dabei geht es um die Prävention von Zoonosen und die Unterstützung von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen, die überproportional von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sind.“
Wie kamst du zum diplomatischen Dienst?
„Ich habe mich schon während meiner Schulzeit für Politik interessiert und habe zum Beispiel im europäischen Jugendparlament und bei Model United Nations Konferenzen mitgemacht. Außerdem wollte ich gerne einen Beruf ausüben, bei dem ich in verschiedenen Ländern leben und unterschiedliche Kulturen kennenlernen kann. Nach dem Abitur habe ich daher ein duales Studium im gehobenen Auswärtigen Dienst angefangen.“
Welche Karrierewege können beim deutschen auswärtigen Dienst eingeschlagen werden?
„Grundsätzlich ist das Auswärtige Amt für die Gestaltung der deutschen Außenpolitik und die Pflege der diplomatischen Beziehungen mit anderen Ländern zuständig. Weltweit arbeiten im Auswärtigen Amt rund 12.000 Menschen in den unterschiedlichsten Funktionen. Der klassische Karriereweg im Auswärtigen Amt ist eine der drei Beamt*innenlaufbahnen: der mittlere, der gehobene oder der höhere Dienst.
Jede der Laufbahnen hat unterschiedliche Bewerbungsvoraussetzungen und bereitet auf unterschiedliche Aufgaben vor. Im mittleren Dienst ist man vor allem für die Verwaltung zuständig. Im gehobenen Dienst ist der Schwerpunkt der Rechts- und Konsularbereich, aber auch die Wahrnehmung von Führungspositionen in der Verwaltung können dazugehören. Im höheren Dienst wird man als Referent*in eingesetzt, beispielsweise in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit oder Protokoll und hat eines Tages die Aussicht auf eine Tätigkeit als Botschafter*in oder Generalkonsul*in.“
Was sollten Interessierte wissen, bevor sie sich bewerben?
„Du solltest dir gut überlegen, ob du alle drei bis vier Jahre in einem anderen Land leben und arbeiten und als Generalist*in die unterschiedlichsten Aufgabenbereiche wahrnehmen möchtest. Man kann sich online über die Webseite des Auswärtigen Amts informieren und bewerben. Dann muss man ein schriftliches und ein mündliches Auswahlverfahren bestehen und eine Ausbildung an der Akademie des Auswärtigen Amts absolvieren.“
Was sind die Herausforderungen für Schwarze Menschen und People of Color im Auswärtigen Dienst?
„Die größte Herausforderung ist es, den Mut zu haben, sich trotz fehlender Repräsentation zu bewerben. Aber auch wenn man das Auswahlverfahren bestanden hat und für das Auswärtige Amt arbeitet, muss man sich darauf einstellen, in vielen Situationen die einzige Schwarze Person oder Person of Color zu sein. Wie auch in anderen Ministerien wird deutlich: Je höher man in der Hierarchie geht, desto geringer wird der Anteil an BIPoC.
Gleichzeitig glaube ich, dass insbesondere im Vergleich zu anderen Ministerien das Auswärtige Amt aufgrund seines weltweiten Netzes an Auslandsvertretungen und der ständigen Rotation offener ist, sich selbstkritisch mit institutionalisiertem Rassismus auseinanderzusetzen und hier eine Vorreiterrolle einnehmen wird. Vor Kurzem wurden beispielsweise zwei neue Positionen geschaffen: ein*e Referent*in für Chancengerechtigkeit und eine Ombudsperson für lokal Beschäftigte. Das spiegelt die Bereitschaft wieder, sich auch institutionell mit dem Thema Diversität und Inklusion zu befassen. Gerade für die Tätigkeit an Auslandsvertretungen sind interkulturelle Kompetenz, Sprachkenntnisse und Anpassungsfähigkeit wichtige Voraussetzungen. BIPoC wachsen oft mit mehreren Sprachen auf und bewegen sich selbstverständlich zwischen Kulturen. Das Auswärtige Amt sollte davon stärker als bisher profitieren.“
Du hast 2019 das Diversity-Netzwerk Diplomats of Color mitgegründet für People of Color im deutschen Auswärtigen Dienst. Was für eine Initiative ist das genau?
„Diplomats of Color ist die erste Interessenvertretung und das mittlerweile größte Diversitätsnetzwerk innerhalb der Bundesverwaltung. Wir treiben im Auswärtigen Dienst und darüber hinaus den Antirassismus-Diskurs voran und fordern eine stärkere Repräsentation von BIPoC in Politik und Verwaltung. Neben hochrangigen Gesprächen mit Spitzen von Verwaltung und Politik erreichen wir Beschäftigte des öffentlichen Dienstes wie auch interessierte BIPoC, die sich für eine Tätigkeit in der Bundesverwaltung interessieren, regelmäßig über digitale Veranstaltungen. Dazu laden wir Expert*innen aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft ein, zuletzt Janina Kugel, Aminata Touré, Tupoka Ogette und Pa Sinyan. Wir haben in mehr als zehn digitalen Veranstaltungen zu den Themen Diversität, Anti-Diskriminierung und Rassismusbekämpfung weit mehr 1.000 Personen erreicht.“
„Ich setze mich dafür ein, dass die Bundesregierung erkennt, dass Diversität und Chancengerechtigkeit ein Gewinn für uns alle ist und nachholt, was trotz des dringenden Handlungsbedarfs bisher versäumt wurde.“
Warum brauchte es ein solches Netzwerk?
„,You can’t be what you can’t see‘ – wir schaffen über Sichtbarkeit die Grundlagen dafür, dass die Realitäten der deutschen Gesellschaft bald auch in öffentlichen Führungspositionen ankommen. Mittlerweile gehören zu unserem Netzwerk bereits mehr als 150 Kolleg*innen des Auswärtigen Amts, die sich ehrenamtlich für mehr Diversität und Inklusion einsetzen. Seit NSU und NSU 2.0, Hanau und Halle sowie dem Mord an George Floyd ist der Diskurs zu strukturellem Rassismus auch in Deutschland angekommen. Ich setze mich dafür ein, dass die Bundesregierung erkennt, dass Diversität und Chancengerechtigkeit ein Gewinn für uns alle ist und nachholt, was trotz des dringenden Handlungsbedarfs bisher versäumt wurde. Politik und Verwaltung in Deutschland müssen für alle Menschen und alle Teile unserer Gesellschaft da sein. Der kürzlich veröffentliche Maßnahmen-Katalog des Kabinettsausschusses gegen Rechtsextremismus und Rassismus, ist ein wichtiger erster Schritt. Jetzt gilt es, diese Versprechen auch umzusetzen.“
Welche Ziele verfolgt ihr mit dem Netzwerk noch?
„Diplomats of Color setzt sich zudem für eine kritische Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit des Auswärtigen Amtes ein. Das Auswärtige Amt hat bereits bewiesen, dass es sich kritisch mit der eigenen Rolle im Nationalsozialismus auseinanderzusetzen vermag. Jetzt gilt es, auch einen offenen Umgang mit möglichen Beiträgen zu kolonialem Unrecht zu pflegen. Historische Verantwortung zu übernehmen, kann dazu beitragen, auch in der Gegenwart (post-)koloniale und rassistische Strukturen zu erkennen, aufzubrechen und zu verändern. Hierzu hat kürzlich die virtuelle Shared History Konferenz stattgefunden.“
Am diesjährigen Diversity-Day des Auswärtigen Amtes hast du das Programm auf euren Social-Media-Kanälen vorgestellt. Im Anschluss fluteten Rechtsextremist*innen und Rechtspopulist*innen die Kommentare. Wie hast du den Shitstorm damals mitbekommen?
„Ich war ziemlich überrascht und hätte nicht mit so viel Gegenwind gerechnet – insgesamt waren es über 1.000 sexistische und rassistische Hasskommentare aus dem rechten Spektrum.“
Was hat dich motiviert, weiter zu machen?
„Ich habe mir bewusst gemacht, dass die Kommentare nicht gegen mich als Person gerichtet sind, sondern die Unzufriedenheit und den Hass einer Minderheit in Deutschland repräsentieren, die glauben, dass BIPoC und andere marginalisierte Gruppen nicht zu Deutschland gehören. Mich hat die Solidarität aus dem Kollegium von Außenminister Heiko Maas und vielen anderen Stimmen aus dem Bundestag und aus der Öffentlichkeit motiviert, weiterzumachen. Ein besonderer Erfolg nach der Hasskampagne gegen unser Netzwerk ist das klare Bekenntnis der Bundesregierung zu Diversität in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der AfD-Fraktion mit rassistischem Unterton. Das ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Ziel, die gesellschaftliche Diversität in Deutschland in Politik und Verwaltung angemessen repräsentiert zu finden.“
Hast du Tipps für Schwarze Menschen, die auch in den auswärtigen Dienst möchten?
„Viele Schwarze Menschen und People of Color mit denen ich spreche, sind überrascht darüber, dass bereits BIPoC in deutschen Bundesministerien arbeiten, wenn auch viel zu wenig gemessen am Anteil der Gesamtbevölkerung und immer weniger, je weiter oben in der Führungsriege man sucht. Mein Tipp ist: Traut euch und lasst euch nicht abschrecken!
Positionen in öffentlichen Institutionen und in der Politik sollten wir genauso selbstverständlich einnehmen wie weiße Personen, denn auch wir gehören zu Deutschland und das muss sich auch in Positionen in der Politik und Verwaltung bemerkbar machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir durch multiperspektivische und inklusive Arbeitsprozesse innerhalb des Auswärtigen Dienstes zu einer noch effektiveren und glaubwürdigeren Außenpolitik kommen.“
Dieses Interview von Celia Parbey ist zuerst bei unserer Kooperationspartnerin „RosaMag“ erschienen. Wir freuen uns sehr, dass wir es bei uns veröffentlichen dürfen.