Foto: Valerie-Siba Rousparast

„Vietnames*innen bilden die größte asiatische Community in Deutschland, trotzdem existieren wir für viele gar nicht“

Im Februar 2018 gingen die Journalistinnen Vanessa Vu und Minh Thu Tran das erste Mal mit ihrem Podcast „Rice and Shine“ online. In diesem sprechen sie über ihr Leben als Vietdeutsche in Deutschland, was sie beschäftigt und was sie bewegt. Wir haben die beiden zum Gespräch getroffen.

Vietdeutsch in Deutschland

Etwa 100.000 Vietnames*innen und Deutschvietnames*innen leben heute in Deutschland. Viele von ihnen schon seit Jahrzehnten. Und doch führen sie im öffentlichen Diskurs oft ein Schattendasein. Ihre Geschichten werden in der deutschen Mehrheitsgesellschaft nur vereinzelt wahrgenommen oder lediglich herausgegraben, um sie für die Diffamierung anderer Einwander*innengruppen zu instrumentalisieren. Vanessa Vu und Minh Thu Tran sind gerade dabei, das mit einem Podcast zu ändern. Beide sind Kinder vietnamesischer Einwanderer*innen und in Deutschland aufgewachsen. Im Februar 2018 ging ihr Podcast „Rice and Shine“ das erste Mal online. In diesem befassen sie sich mit Themen, die sie als Vietdeutsche in der Bundesrepublik beschäftigen: vom vietnamesischen Neujahr und seinen Bräuchen über ihre soziale Herkunft und Alltagsrassismus bis hin zur Frage, warum Glutamat ungerechtfertigterweise einen so schlechten Ruf genießt. Am 15. jedes Monats gibt es eine neue Folge, in der die beiden Einblicke in ihre persönlichen Erfahrungen und die vietdeutsche Lebenswelt gewähren. Meist zu zweit, manchmal auch mit Gästen. So hatten sie zum Beispiel schon den ehemaligen Bundesvorsitzenden der FDP Philipp Rösler bei ihnen im Studio.

Den Podcast machen die beiden neben ihren jeweiligen Vollzeitjobs. Vanessa arbeitet als Redakteurin für Zeit Online und Minh Thu ist freie Hörfunkjournalistin bei WDR Cosmo und Deutschlandfunk Nova in Köln. Nicht immer ein leichtes Unterfangen. „Manchmal nehmen wir um elf Uhr nachts auf“, erzählt Vanessa. Ans Aufhören denken sie deshalb aber nicht, im Gegenteil. Ihre Community, die von Podcast zu Podcast weiter wächst, ist für Vanessa und Minh Thu Ansporn, das Projekt weiterzuführen. Im Gespräch erzählen sie, warum sie sich damals dazu entschieden haben, die erste Folge „Rice and Shine“ aufzunehmen, wie sie das Leben mit zwei Identitäten in Deutschland meistern und welche #FrageAnAsiaten sie im Alltag partout nicht mehr hören möchten.

Könnt ihr einmal erzählen, woher ihr euch kennt und worum es bei eurem Podcast „Rice and Shine“ geht?

Vanessa: „In unserem Podcast sprechen wir über Themen, die uns als Vietdeutsche bewegen. Ursprünglich hatten wir damit angefangen, weil wir großen Redebedarf hatten über unsere Vergangenheit und was sie mit uns gemacht hat. Wir sind beide relativ isoliert von anderen Vietdeutschen aufgewachsen und haben uns in der Journalistenschule in München kennengelernt und sofort viele Fragen an die andere gehabt.“

Minh Thu: „Das war krass. Viele Vietdeutsche ergreifen klassische renommierte Berufe wie Ärzt*in, sie werden Jurist*in oder studieren BWL. Das war das erste Mal, dass ich eine Vietdeutsche in meiner Bubble hatte. Wir haben uns dann am Anfang erst mal beschnuppert.“

Vanessa: „So nach dem Motto: Ist das jetzt Konkurrenz oder ist das eine gute Sache?“

Minh Thu: „Wir hatten auch die gleichen Themen bearbeitet: Vanessa hat Südostasienwissenschaften studiert und ich habe in dem Bereich meine Bachelorarbeit geschrieben. Da haben wir uns erst gefragt, ob wir unsere Themen jetzt aufteilen müssen. Im Endeffekt sind wir aber Verbündete geworden und es war richtig schön, jemanden zu haben, die einen ähnlichen Hintergrund hat.“

Was für ein Feedback habt ihr für den Podcast bis jetzt bekommen? Aus der eigenen Community, aber auch von außen?

Minh Thu: „Unsere ersten Folgen waren sehr intim. Wir haben über Familie gesprochen und den Rassismus, den wir täglich erfahren : wie wir damit aufgewachsen – und damit umgegangen sind. Das waren Themen, die die Community getriggert haben. Da kam viel Feedback von Menschen, die Berührungspunkte gefunden haben. Teilweise auch von Leuten, die nicht vietdeutsch sind, sondern einen anderen asiatischen Background haben, oder andere People of Color, oder auch weiße Menschen mit Diskriminierungserfahrungen.“

Vanessa: „Es haben uns auch Leute geschrieben, die meinten, dass sie den Podcast mit der Familie am Esstisch hören und anschließend darüber sprechen. Wir hätten nie erwartet, dass wir solche Gespräche anregen könnten.“

Wie entscheidet ihr das jeweilige Format für eine Podcastfolge? Bisher gibt es ja eine wilde Mischung. Manchmal habt ihr Interviews mit Studiogästen dabei, manchmal auch mehrere.

Minh Thu: „Wenn es um Erfahrungen geht, die wir beide gemacht haben, bietet es sich an, sie zu zweit zu besprechen. Wenn wir bestimmte Erfahrungen nicht gemacht haben, laden wir Gäste ein. Bei der Folge „Queerasians” haben wir zum Beispiel eine Person interviewt, die sich als queer definiert. Wir sind beide cis-Frauen und heterosexuell. Es wäre einfach nicht okay gewesen, sich dem Thema anzunehmen, ohne eine nicht-heterosexuelle und nicht cis-gender Person mit einzubeziehen.“


Ihr habt in euren Podcastfolgen auch regelmäßig das Segment:#FrageAnAsiaten. Gibt es eine Frage an Deutschvietnames*innen, die ihr nicht mehr hören könnt?

Minh Thu: „Die Frage ist insofern schwer zu beantworten, weil wir bei #FrageAnAsiaten wirklich den Anspruch haben, dass keine Frage eine blöde Frage ist. Man kann uns da die schlimmsten Klischeefragen stellen und wir besprechen sie…“

Vanessa: „…aber nur, wenn wir die besprechen wollen. In dieser Kategorie entscheiden wir uns aktiv dazu, bestimmte Fragen zu beantworten – was nicht heißt, dass wir diese Fragen im Alltag gerne ständig beantworten wollen. Ich kann zum Beispiel die Frage nach meiner Herkunft nicht mehr hören. Ich spreche darüber nur noch unter meinen Bedingungen und nicht mehr beim Smalltalk, wenn fremde Leute fünf Mal nachhaken, wo meine Großeltern herkommen. Da verliere ich die Geduld. Interessanterweise werde ich bei dieser Frage mit der Zeit nicht entspannter. Sie regt mich immer mehr auf.
“

In einer Folge sagst du, Vanessa: „Ich stehe mittlerweile dazu, dass ich eine andere kulturelle Identität habe, aber ich habe mich lange damit schwergetan, weil mich die Leute ausschließlich in diese Schublade stecken wollten.” Wie war es für euch, mit zwei verschiedenen Identitäten aufzuwachsen? Wie habt ihr es geschafft, die verschiedenen Identitäten miteinander zu vereinbaren?

Minh Thu: „Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, das mir eigentlich immer gezeigt hat, dass es in Ordnung ist, beides zu sein. Das heißt jetzt nicht, dass ich mich nie gefragt hätte, warum ich nicht weiß und deutsch sein kann, aber ich hatte damit keinen so schweren inneren Konflikt.“

Vanessa: „Ich habe das Vietnamesischsein lange sehr negativ assoziiert, weil ich dafür ausgelacht, gehänselt und zusammengeschlagen wurde. Im Grunde wollte ich normal sein und dachte, dass ,normal‘ weiß und blond bedeutet. Ich war besessen davon, mein Deutsch zu perfektionieren und habe meinen Vornamen eingedeutscht. Ich habe nie vorgelebt bekommen, dass es in Ordnung ist, anders zu sein, dass es sogar interessant sein kann. Die Erkenntnis sickerte erst durch, nachdem ich den kleinen Ort verlassen habe, in dem ich aufgewachsen bin. Während des Studiums habe ich mich mit Rassismus und Diskriminierung auseinandergesetzt, Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Lebensentwürfen kennengelernt. Seitdem habe ich mich mehr mit mir selber angefreundet. Ich würde heute weder sagen, dass ich deutsch bin, noch, dass ich vietnamesisch bin. Je nach Kontext entscheide ich mich, welche Identität ich habe und das fühlt sich für mich genau richtig an.“

Ihr sagt von euch selbst, dass ihr Vietdeutsche seid. Warum, glaubt ihr, haben so viele Menschen ein Problem damit, doppelte Identitäten zu verstehen und auch zu akzeptieren?

Vanessa: „Wir lernen, dass ein einziger Nationalstaat unsere Identität bestimmt, und alles darüber hinaus ist die Abweichung von der Norm. Was wir nicht lernen, ist, dass auch weiße Deutsche verschiedene Identitäten haben. Sie sind mal aus Bayern, mal Westdeutsche, mal Deutsche, mal Europäer*innen. Sie sind Töchter oder beste Freundinnen oder die Lebensgefährtin. Das heißt, auch weiße Deutsche nehmen ständig verschiedene Rollen ein. Sie reflektieren nur oftmals nicht, dass sie das tun und dass sie sich auch entsprechend unterschiedlich verhalten. Kulturelle Identität ist im Grunde genommen nichts anderes als eine weitere Rolle.“

Minh Thu, du sagst in einer Folge: „Keiner weiß etwas über Vietnames*innen, obwohl wir die größte asiatische Einwanderer*innengruppe in Deutschland bilden, aber wir müssen trotzdem regelmäßig als Vorzeigemigrant*innen herhalten. Das ist merkwürdig.” Kannst du diese Aussage etwas genauer erklären?

Minh Thu: „Immer, wenn mir diese blöde ,Woher kommst du eigentlich wirklich‘- Frage gestellt worden ist, waren die möglichen Antworten: China, Japan, vielleicht Korea. Auf Vietnam kam niemand. Die Vietnames*innen bilden die größte asiatischstämmige Community hier in Deutschland und trotzdem existieren wir in den Köpfen der deutschen Mehrheitsgesellschaft gar nicht. 2011 gab es mal so eine Welle an Artikeln über die guten Migrant*innen, die Vietnames*innen. Ich habe mich damals gefragt, wie es kommt, dass wir jetzt die Vorzeigemigrant*innen sind, obwohl unsere Existenz davor gar nicht wahrgenommen wurde. Das hat mir gezeigt, dass sich die Deutschen nicht mit uns als Teil der Gesellschaft beschäftigt haben. Wenn es aber dann darum geht, ein positives Vorzeigeexempel zu haben gegenüber den bösen, muslimischen Migrant*innen, dafür sind wir dann gut.“

Vanessa: „Das ist seit Sarrazin ganz stark so, dass die Vietnames*innen sich als Vorzeigemigrant*innen in den Köpfen der Deutschen eingenistet haben.“

Minh Thu: „Es gab damals viele Fernsehreportagen und Beiträge, in denen vietnamesische Familien besucht wurden und es ausschließlich darum ging, dass die Kinder so gute Noten schreiben. Natürlich eine komplett verkürzte Sicht auf das Thema. Da wird ignoriert, dass das auch viel mit Leistungsdruck, teilweise auch Gewalt zu tun hatte.“


Ihr sprecht auch an, dass ihr das Gefühl habt, es herrsche eine mangelnde Solidarität zwischen Vietdeutschen und anderen Einwanderer*innenguppen. Sorgt dieses Ausspielen von Migrant*innengruppen gegeneinander dafür, dass sich bestimmte Stereotype gegenüber anderen Migrant*innen bei den Leuten innerhalb der Community verfestigen?

Vanessa: „Viele Vietdeutsche sind sehr dankbar für ihre gesellschaftliche Position als Mustermigrant*innen. Und entsprechend besorgt, dass sie vielleicht in die Rolle fallen könnten, die anderen Einwanderer*innengruppen zuteilwird. Ich beobachte immer wieder, dass sich Menschen mit asiatischem Hintergrund eher negativ oder auch gar nicht äußern zu Themen wie Diskriminierung und Rassismus in Deutschland. Gerade dort wird oft sogar besonders laut gesagt, das gäbe es hier alles gar nicht.“

Minh Thu: „Möglichst nicht negativ auffallen…“

Vanessa: Ich beobachte auch, dass das bei der ersten Generation noch stärker ist. Der Bundesverband vietnamesischer Flüchtlinge zum Beispiel blockiert seit Jahren das Bestreben von Do Mui: Sie will eine Straße umbenennen lassen nach ihrem 1980 von Neonazis ermordeten Sohn Do Lan Anh und dessen Zimmernachbar Nguyen Ngoc Chau. Der Verband hat einen Brief an den Hamburger Senat geschrieben, in dem er sich gegen das Vorhaben ausspricht.“

Um keine Aufmerksamkeit darauf zu lenken?

Vanessa: „Um den Hamburger Senat davon zu überzeugen, dass Vietnames*innen das in Wirklichkeit gar nicht wollen, obwohl vietnamesische Menschen die Initiative um Do Mui bilden. Für den Hamburger Senat ist es natürlich bequemer, sich auf den Verband zu berufen und zu sagen, dass die Straßenumbenennung kein Wunsch aus der Community sei. Dabei spricht der Verband nicht für alle Vietnames*innen in Deutschland. Sein Interesse scheint vor allem zu sein, unbedingt das Bild der Dankbarkeit aufrechtzuerhalten.“

Minh Thu: „Nachdem in den 1980er-Jahren viele Vietnames*innen nach Deutschland gekommen sind, herrschte in den 90er-Jahren ein rassistisches Klima in Deutschland. Viele hatten Angst vor Gewalt. Deswegen war es unseren Eltern wichtig, nicht negativ aufzufallen. Und nur als die fleißigen, hart arbeitenden, dankbaren Migrant*innen angesehen zu werden und nicht in den Fokus rechtsextremer Gruppierungen zu geraten. Was aber auch nicht funktioniert hat, wenn man sich Rostock-Lichtenhagen anschaut.“

Wie habt ihr das bei euch in der Familie damals mitbekommen?

Vanessa: „Mein Vater hat mir erst viel später erzählt, dass wir damals in unserem Zimmer im Asylbewerber*innenheim immer ein Seil neben dem Fenster hatten, damit wir jederzeit aus dem Fenster klettern konnten. Sie haben die Bilder im Fernsehen gesehen und gewusst: Im Zweifel trifft es auch uns und wir müssen jederzeit fliehen können.“

Minh Thu: „Aus diesem Grund können wir unseren Eltern auch eigentlich überhaupt keinen Vorwurf machen, dass sie manche Sachen nicht angesprochen haben oder versucht haben, unauffällig zu bleiben.“

Vanessa: „Ich schaue heute auch selbstkritisch auf meine eigene Vergangenheit zurück. Früher wollte ich ja auch unbedingt deutsch sein und habe es als Kompliment genommen, wenn mir gesagt wurde, ich sei gar nicht wie die anderen Ausländer*innen. Es hat sich nie ganz richtig angefühlt. Warum, verstehe ich jetzt im Nachhinein. Ich hatte Angst, wie die ,schlechten‘ Ausländer*innen wahrgenommen zu werden, habe versucht, besonders gut Deutsch zu sprechen, besonders gebildet aufzutreten, immer wieder zu betonen, dass ich auf dem Gymnasium war oder studiert habe. Erst später habe ich das reflektiert und dieses Verhalten langsam abgelegt.“

Die Sprache, die wir uns mit so viel Mühe angeeignet haben, bewirkt nichts gegen diese Menschen. Das ist letztendlich das Demütigende.

Es gibt eine Podcastfolge, in der du, Minh Thu, sagst: „Wir sehen uns ja trotzdem als Deutsche. Wir sind Asiatinnen, sehen auch asiatisch aus, aber wir sind Deutsche. Wir sind hier geboren, hier aufgewachsen, haben viele deutsche Freund*innen. Wenn einem da jedes Mal ein „Ni Hao“ oder „Ching Chang Chong“ entgegenschmettert wird, ist das der Beweis: „Ihr gehört nicht dazu.“ In eurem Podcast ist oft von „Othering“ die Rede. Könnt ihr das etwas näher erklären? Was macht das mit einer Person, wenn sie immer als fremd betitelt wird?

Minh Thu: „Es trifft einen auch echt in den beschissensten Situationen. Nachdem ich ein Jahr in Frankreich war, bin total froh gewesen, wieder Zuhause zu sein und habe dann direkt einen ,Ching Chang Chong‘- Gesang abbekommen. Ich dachte mir nur, das ist mein Zuhause, aber für manche Personen ist es nicht in Ordnung, dass ich das hier so benenne. Das tut schon weh.“

Vanessa: „Im Grunde genommen sind das Aggressionen gegen unsere Existenz in diesem Land. Es sind immer so Kleinigkeiten, es könnte einem egal sein, aber ich erinnere mich für immer und ewig an jeden einzelnen Vorfall…“

Minh Thu: „Ich erinnere mich auch an jede einzelne Begegnung, jedes Mal, wenn das passiert ist.“

Vanessa: „Ich weiß noch, als ich mit meiner Schwester in unserer Heimatstadt war, Eltern besuchen. Wir sind zu McDonalds gefahren und haben uns Pommes geholt. Es war dunkel. Wir gehen raus und da steht eine Gruppe von drei blonden Jungs, die uns ,Ching Chang Chong‘ hinterhergerufen und gekichert haben. Ich habe mich damals sogar umgedreht, zum ersten Mal in meinem Leben, und habe ihnen gesagt, dass das nicht lustig sei. Daraufhin haben die noch mehr gelacht. In dem Moment habe ich mich so ohnmächtig gefühlt. Ich war da schon Mitte 20, aber ich wusste nicht, was ich gegen ihr Lachen tun sollte. Es war demütigend. Und das in meinem Heimatort.“

Minh Thu: „Man hat auch nicht immer die Kraft, dem was entgegenzusetzen und man muss das auch nicht.“

Vanessa: „Es ist auch frustrierend, dass andere Leute nicht mal eine ordentliche Sprache mit einem sprechen müssen. Wir haben uns so viel Mühe gegeben ordentlich Deutsch zu lernen, um unsere Gefühle auszudrücken und unsere Gedanken zu sortieren und dann schmettern die Menschen einem ,Ching Chang Chong‘ entgegen, was nicht mal eine Sprache ist. Wenn du etwas erwiderst, kommt als Antwort ein Lachen, was auch keine Sprache ist. Die Sprache, die wir uns mit so viel Mühe angeeignet haben, bewirkt nichts gegen diese Menschen. Das ist letztendlich das Demütigende. Ich frage mich, was hilft gegen solche Menschen, was hilft gegen diesen Hass und diesen Hohn, wenn es nicht mal Sprache ist?“

Wenn People of Color solche Erfahrungen äußern, heißt es ja ständig, sie seien zu sensibel, oder sie sollten sich über das Interesse freuen. Habt ihr für euch Wege gefunden, damit umzugehen, wenn dieser Vorwurf gemacht wird?

Vanessa: „Ich wünschte, ich wäre da vollkommen gelassen, aber ich glaube, alle Aggressionen, die sich im Kern gegen meine Existenz richten, kann ich nicht einfach wegstecken.“

Minh Thu: „Ich habe dafür auch noch keine Methode gefunden. Es nervt auch immer, wenn man in einer großen Gruppe ist und andere dann sagen: ,War nur ein Witz.‘ Ich möchte auch nicht immer der ,Killjoy‘ sein, die, die ständig politisch korrekt ist. Im Endeffekt ist es aber etwas, was mich wirklich stört.“

Ihr erklärt bei „Rice and Shine“ auch einige Phänomene, von denen Menschen außerhalb der Community vielleicht noch nicht so viel gehört haben. So erzählt ihr zum Beispiel von deutschen Ersatzverwandten, die ihr in der Familie hattet. Was hat es damit auf sich?

Minh Thu: „Wir haben inzwischen mitbekommen, dass das gar kein typisch vietnamesisches Phänomen ist, sondern eines, das unter People of Color im Allgemeinen existiert. Das sind Menschen in unseren Leben gewesen, Nachbar*innen zum Beispiel, die keinen sichtbaren Migrationshintergrund hatten. Meistens ältere Menschen, die wir Oma und Opa genannt haben oder Tante und Onkel, die Familienmitglieder für uns waren und die diese Rollen auch wirklich in unseren Leben eingenommen haben. Sie haben uns vom Kindergarten abgeholt, am Sonntag gab es Kuchen bei denen, sie haben uns mit Möbeln ausgeholfen oder unseren Eltern beim Behördenkram geholfen. Damit haben sie auch eine totale Bürde auf sich genommen. Das rechnen wir ihnen bis heute hoch an.“

Vanessa: „Ich glaube, der deutschen Öffentlichkeit ist gar nicht bewusst, was für eine wichtige Rolle Einzelpersonen bei der Integration von ganz vielen Familien gespielt haben. Eine Hörerin hat uns zu diesem Thema etwas sehr Ermutigendes geschrieben. Sie meinte, dass das kein Phänomen der Vergangenheit sein muss, sondern wir jetzt alle die Chance hätten, heute die Ersatzverwandten von den neuen Einwanderer*innen zu werden und ihnen helfen können, in dieser Gesellschaft besser Fuß zu fassen.“

Steht ihr denn heute noch in Kontakt?

Minh Thu: „Na klar, sehen wir uns noch…“

Vanessa: „…mindestens einmal im Jahr an Weihnachten.
“

Wenn ihr ein mal in „Rice and Shine“ reinhören möchtet, geht das hier. Außerdem könnt ihr Vanessa und Minh Thu unter diesem Link bei ihrem Podcast unterstützen.

Mehr bei EDITION F

Alltagsrassismus: „Nein, nur weil ich asiatisch aussehe bin ich nicht gut in Mathe!“ Weiterlesen

Ja, Alltagsrassismus beginnt bei der Frage, woher ich „wirklich“ komme. Weiterlesen

Podcasts von Frauen für Frauen: Unsere Top 8. Weiterlesen

Anzeige