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Es gibt einen ziemlich guten Trick, die eigenen Gefühle richtig zu deuten

Unsere Gefühle sind ein ziemlich guter Indikator dafür, was wir wirklich wollen. Aber irgendwie haben wir das Gespür für uns selbst verloren. Wie wir es zurückgewinnen können? Dafür gibt es einen ziemlich guten Trick.

Wir haben das Gefühl zu uns selbst verloren

Der beste Wegweiser für mehr Klarheit, Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein ist, meiner Meinung nach, das eigene Gefühl. Diesen Wegweiser tragen wir immer mit uns, egal wo wir sind. Und wir können uns in jedem Moment auf ihn verlassen, wenn wir in hören, wahrnehmen, ernstnehmen und uns trauen, für unsere Gefühle, und damit für uns, einzustehen. Oft fällt uns das schwer. Woran liegt das? Und was können wir dagegen tun? Ein paar Gedanken dazu:

Immer wieder stelle ich bei mir in der Praxis fest, dass viele Frauen den Wegweiser des eigenen Gefühls und ihren Zugang dazu, in der Hektik des Alltags, vergessen haben. Es fällt ihnen schwer, ihre Gefühle wahrzunehmen und/oder ihnen zu vertrauen. Diese Gefühle sind halt da und dann auch gleich wieder weg, sie sind oft so selbstverständlich und latent anwesend, dass sie nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie eigentlich verdient haben. Denn diese Gefühle machen uns schließlich aus. Und wenn ich sie nicht achte, brauche ich mich über zunehmende Fremdbestimmung nicht zu wundern.

Zeit zur Selbstreflexion

Wie kann man diese Fremdbestimmung allerdings feststellen? Meistens beginnt es mit einer Unzufriedenheit, bei der man nicht so recht weiß, wo sie eigentlich herkommt. Sie ist mal da, mal nicht, kommt aber immer wieder und bleibt zunehmend länger. Man fühlt sich verstärkt getrieben, der Tag wird immer kürzer, die Zeit immer knapper, und am Ende ist einem nicht so recht klar, was man heute alles geschafft hat, weil man ja nur von A nach B gerannt ist um für C etwas zu besorgen, D in den Musikunterricht zu bringen, für E spontan einen Businesslunch zu zaubern, dazwischen noch ca. vier Stunden F mit perfekt gestemmten Projekten, mit denen sich G vor H mal wieder wunderbar profilieren kann, beglückt hat. Soll ich noch weiter machen? Kein Wunder das hier das ich und damit die eigenen Gefühle auf der Strecke bleiben, die haben da ja schließlich auch keinen Raum.

Doch genug gejammert! Ab jetzt wird alles anders, denn wir konzentrieren uns nun zur Abwechslung mal auf uns selbst! Ja richtig, ohne das geht’s leider nicht. Doch ich kann euch verraten: Es gibt meiner Meinung nach fast nichts Wertvolleres im Leben, als immer wieder einen Moment der Ruhe mit sich selbst zu verbringen, probiert es aus.

Wozu sind Emotionen eigentlich da?

Als Fachbegriff wurde „Emotion“ vom Schweizer Psychiater Eugen Bleuler (1857-1939) geprägt. Die Wurzel des Wortes „Emotion“ ist „movere”, lateinisch für bewegen; die Vorsilbe „e“ bedeutet herausbewegen, was darauf hinweist, dass jeder Emotion eine Tendenz zum Handeln innewohnt. Einige typische Emotionen sind Aggression, Angst, Antipathie, Ärger, Besorgnis, Freude, Liebe, Trauer, Wut und Zorn. Die „bewegende“ Erfahrung der Emotion umfasst sowohl körperliche Reaktionen als auch „aufgewühlte“ Gefühle.

Personen, die eine bestimmte Emotion haben, erleben dies selbst innerlich als ein bestimmtes Gefühl, zeigen bestimmte körperliche Veränderungen und bestimmte charakteristische Verhaltensweisen in der Folge der Emotion. Emotionen steuern unsere Aufmerksamkeit und treiben uns zum Handeln an. Sie koordinieren die unterschiedlichen  biologischen Systeme unseres Körpers: Gesichtsausdruck, Spannungsgrad der Muskeln, Nerven und Hormone, um uns so in optimale Reaktionsbereitschaft zu versetzen. Diese biologischen Handlungsbereitschaften werden zusätzlich durch unsere Lebenserfahrung und unsere Kultur geformt.

Wenn wir unsere Gefühle ständig unter- oder wegdrücken, fehlt uns dieses Momentum des ins Handeln gehen. Tun wir das zu oft, kann uns das sogar krank machen. Ich führe nur mal Herz-/Kreislauferkrankungen, Krebs, Fibromyalgie, Depression, Blutdruckprobleme etc. an. Also im Umkehrschluss bedeutet das, wer seine Gefühle lebt, ihnen Ausdruck verleiht und für die Konsequenzen daraus einsteht, sorgt gut für sich und seine Gesundheit.

Gefühle zu ignorieren ist gefährlich

Ich empfehle euch ganz genau auf eure Gefühle zu achten. Welche machen sich bemerkbar? Wie fühlen sie sich an? Sitzen sie an einer bestimmten Stelle im Körper? In welchen Situationen tauchen Sie auf? Bemerkt ihr das gleiche Gefühl in unterschiedlichen Situationen? Vielleicht schreibt ihr diese Gefühle auf? Aber bitte nicht bewerten, nur beobachten. Schimpft nicht mit euch, wenn ihr ein Gefühl habt, das ihr jetzt eigentlich gar nicht haben wollt. Heißt es willkommen und schaut es genau von jeder „Seite“ an. Mehr nicht!

Leider verlieren wir unsere Gefühle schnell wieder aus den Augen. Auch mir geht es immer wieder so und weißt du, welches Gefühl mich dann wieder darauf aufmerksam macht, nach mir zu schauen? Genau – das schlechte, unzufriedene, latent unglückliche Gefühl, dass mich dann tagtäglich begleitet, kaum wahrnehmbar, aber immer irgendwie anwesend. Nicht schmerzhaft genug, als dass es meine ganze Aufmerksamkeit beanspruchen würde aber auch nicht leise genug, um komplett ignoriert zu werden. Es sucht sich seinen Platz irgendwie dazwischen.

Es ist aber wichtig, dass wir uns unsere Gefühlswelt vergegenwärtigen und uns mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Damit das gelingt, habe ich einen ganz praktischen Tipp: eine Gefühlsampel. Wie das geht? So:

Und so geht eine Gefühlsampel

Male eine Ampel auf ein Blatt. Zum roten Licht schreibst du deine schlechten Gefühle, die kein Mensch braucht – und du am allerwenigsten. Zum grünen Licht schreibst du deine positiven Gefühle. Und dann ist da noch das gelbe Licht, dort notierst du deine Gefühle, die irgendwo dazwischen liegen, nicht gut genug, als dass du den ganzen Tag damit verbringen wolltest, nicht schlecht genug, als dass sie dir so richtig den Tag vermiesen – also die Gefühle, die dich nicht wirklich stören, wenn sie da sind, die du aber auch nicht wirklich vermisst, wenn sie fehlen.

Male sie dir auf ein größeres Blatt Papier oder setze sie sonst irgendwie visuell um. Lass deiner Phantasie freien Lauf und bastle was das Zeug hält. Dann suche einen guten, präsenten Platz für deine Ampel, an dem du täglich mehrmals vorbeiläufst oder sonst irgendwie mit ihr in Kontakt kommst. Und jedes Mal, wenn du ein Gefühl wahrnimmst, dann schreibe/male es in die Ampel an den passenden Platz – rot, gelb oder grün. Notiere dir auch ein paar Stichworte dazu, wie sich das Gefühl anfühlt und welche Situation es hervorgerufen hat. Das gleiche Gefühl kann auch öfters in eine Ampel notiert werden, wenn die Situation vielleicht eine andere ist. Aber bitte, bewerte deine Gefühle jetzt noch nicht weiter, denn sie sind immer gut und hilfreich, egal welche Qualität sie haben.

Meine Gefühlsampel

Mich sucht immer wieder gerne das „schlechte Gewissen“ heim, weil ich etwas nicht erledigt oder jemandem eine Zusage gemacht habe und sie nicht einhalten konnte. Deshalb notiere ich auf dem roten Licht: schlechtes Gewissen / war für Mutter nicht einkaufen.

Oder mich weist jemand auf einen Fehler hin, den ich selbst noch nicht längst entdeckt habe. Dann notiere ich auf Rot erneut: schlechtes Gewissen/Fehler nicht gesehen.

Wichtig ist jetzt, dass jeder seine eigene Ampel entwickelt um auch die nächsten Schritte nachvollziehen zu können.

Rot, Gelb oder Grün – das machst du damit

So, wie geht es dir mit deiner Ampel? Hast du sie mit Gefühlen und Situationen gefüllt? Ja? Dann hast du all deine Gefühle so schön gesammelt, nicht bewertet und weißt aber nicht so recht, was du damit machen sollst. Also greifen wir auf das Beispiel mit dem schlechten Gewissen zurück. Was passiert da genau?

Situation: Du sagst deiner Mutter erneut zu, sie auch in dieser Woche wieder abzuholen und mit ihr einkaufen zu gehen. Sie ist über 70, kann nicht mehr Autofahren, ist aber völlig klar im Kopf, weiß also genau was sie will, und was sie braucht, sie könnte auch zu Fuß zum Supermarkt im Ort gehen. Du lebst in Stuttgart, deine Mutter auf dem Land, euch trennen mal eben knapp 30 Kilometer. Dein Leben ist vollgepackt mit Verpflichtungen, einem stressigen Job und das bisschen Haushalt muss ja auch noch jemand erledigen. Es ist für dich jedes Mal eine Herausforderung das zeitlich auf die Reihe zu bekommen. Doch du bist eine brave Tochter und machst es irgendwie möglich! Die letzten drei Jahre, seit deine Mutter alleine ist, hast du es auch immer irgendwie geschafft, ab und an bist du später als verabredet gekommen und musstest dir so manche Vorwürfe anhören.

So auch heute: Du seist unzuverlässig, schließlich warte deine Mutter auf dich, du hast es doch versprochen, dann halte dich doch auch dran, sie habe doch sonst niemanden außer dir. Puh … Jetzt reicht es dir, dir platzt der Kragen, ein Wort gibt das andere und schließlich, irgendwann gibst du klein bei. Da ist es wieder, das schlechte Gewissen! Ja, sie kann ja nicht mehr so wie sie will, sie wartet auf mich, was soll sie denn tun, sie hat ja sonst keinen und ich kümmere mich eh zu wenig, bin viel zu selten da, es ist doch meine Pflicht – ist es denn wirklich deine Pflicht?

Was löst deine Gefühle aus?

Welche Gedanken stecken wirklich hinter deinen Gefühlen? Was genau ärgert dich? Wie ist es möglich, dass ein Mensch so viel Macht über dich hat und dir schlechte Gefühle bereiten kann? Wird es nicht langsam Zeit, selbst zu bestimmen, ob du dich gut oder schlecht fühlen willst? Was willst du in dieser Situation denn wirklich? Wie sollte die Situation sein, damit sie für euch beide gut ist? Wer kann was dazu beitragen?

Was in meinem Beispiel genau passiert ist? Die Tochter hat für die Mutter die Verantwortung übernommen. Die kann sie aber nicht wirklich erfüllen. Doch genau das versucht sie und deshalb bekommt die Tochter ein schlechtes Gewissen. Diese Tochter ist aber, objektiv betrachtet, nicht dafür verantwortlich, dass die Probleme ihrer Mutter gelöst werden. Und genau diese Grenzen gilt es klar zu ziehen.

Das gelingt aber erst, wenn ich mir darüber im Klaren bin, was ich will und wie diese Situation in Zukunft genau aussehen soll, damit zumindest ich mich gut fühle – die Kür wäre natürlich, dass sich die Mutter auch noch gut fühlt. Aber das wichtigste ist erst mal, dass die Tochter begreift, dass man nicht die Verantwortung für die Mutter sondern für sich selbst übernehmen muss.

Es geht um dich!

Also lautet die ganz emotionslose Frage aus Sicht der Tochter: Wie kommt Mutter an Lebensmittel, ohne dass ich mich jede Woche verbiegen und die dafür nötige Zeit krampfhaft aus den Rippen schneiden muss? Na, was für Ideen hast du dazu? Welche Möglichkeiten gibt es? Welche davon liegen in deiner Macht? Das sind die Fragen, die man sich nach der Analyse seiner Gefühlsampel stellen muss.

So kannst du dich nun in jeder Situation deines Lebens, die dir Unannehmlichkeiten, Druck oder Zwang bereitet, selbst hinterfragen. Dabei ist es wichtig, dass du die Fragen der Reihe nach beantwortest: Was löst das Gefühl in mir aus? Worum geht es für mich wirklich? Schau nicht auf den Auslöser,  im Beispiel die Mutter, sondern darauf, was genau du tust bzw. was dich an der ganzen Sache ärgert. In unserem Beispiel übernimmt die Tochter Verantwortung für etwas, für das sie nicht wirklich verantwortlich ist und auch eigentlich nicht verantwortlich sein will.

Frag dich also, wie die Situation aussehen müsste, damit du dich gut damit fühlst. Stell dir diese Frage so lange, bis du eine wirklich zufriedenstellende Antwort gefunden hast. Dann frag dich: Was kann ich dazu beitragen, damit meine Wunsch-Situation auch Realität wird. Damit übernimmst du Verantwortung für dich und deine Gefühle und kannst wirklich etwas ändern.

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