Sheryl Sandberg schrieb mit „Lean In“ eine viel beachtete Karrierebibel für Frauen. Öffentliche Kritik und ein persönlicher Schicksalsschlag haben sie dazu gebracht, ihre Definition von Feminismus zu überdenken.
Feminismus für die Elite?
2013 erschien Sheryl Sandberg viel beachtetes Buch: „Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg”. Für viele ambitionierte Frauen überall auf der Welt galt das Manifest der Facebook-Geschäftsführerin von da an als Karrierebibel. Sandberg ging es um Chancengleichheit, die man ihrer Meinung nach nur erreichen kann, wenn mehr Frauen in Politik und Wirtschaft ganz oben stehen. Genauer gesagt: Frauen sollte die Hälfte aller Firmen und Länder führen und Männer die Hälfte aller Haushalte. Hinter „Lean In” steckt auch die Idee, dass Frauen sich in Netzwerken (bei Sandberg „Circle” genannt) zusammentun und dann gemeinsam die gläserne Decke durchbrechen.
Neben viel Zuspruch, gab es an dem Konzept auch einige Kritik: Sandberg wurde zum Beispiel vorgeworfen, dass sie alleinerziehende Frauen eigentlich völlig ausklammere und für einen elitären Feminismus, der privilegierten weißen Frau stünde. Ein Einspruch, der nicht von der Hand zu weisen ist – das hat auch Sandberg selbst eingesehen. In einem Interview für „USA Today” im Rahmen des „Women History Month” in Amerika, räumte Sandberg ein, dass sie ihre Definition von Feminismus nach der Kritik noch einmal überdenken musste – ein wichtiger Schritt, der uns alle daran erinnert, dass wir uns unserer Privilegien und unser Position immer wieder bewusst werden und Feminismus über unseren eigenen Tellerrand hinausdenken müssen:
„Ich glaube, mir war vorher nicht vollkommen bewusst, was es heißt, eine alleinerziehende Mutter zu sein. Ich habe zwar in ,Lean In‘ darüber geschrieben, aber ich habe eben auch ein ganzes Kapitel geschrieben, das ,Mach deinen Partner zu einem echten Partner’ heißt und das für Menschen, die keinen Partner haben, sehr schwer zu lesen gewesen sein muss.”
Perspektivenwechsel
Neben der öffentlichen Kritik, hat Sandberg aber noch etwas Anderes zu dieser Einsicht bewegt: 2015 ist ihr Ehemann überraschend verstorben. Seitdem ist sie selbst alleinerziehend. Auch das hat sie zur Überarbeitung ihres Verständnisses von Feminismus geführt:
„Ich habe viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, eine alleinerziehende Mutter zu sein, weil ich jetzt selbst eine bin – allerdings ohne die finanziellen Hürden, die so viele Single-Mütter überwinden müssen. 37 Prozent der alleinerziehenden Mütter in Amerika leben in Armut, unter Schwarzen und Latinas sind es sogar 40 Prozent. Das ist nicht akzeptabel.”
Ihre eigene Erfahrung des Verlustes, über die sie gerade auch ein Buch geschrieben hat, das am 24. April erscheint, zwang sie in eine neue Rolle einzunehmen. Eine, die ihr klarmachte, dass der Kampf für Gleichberechtigung diese Frauen viel deutlicher in den Fokus nehmen muss, vor allem diejenigen Frauen, die, anders als sie selbst, in einer finanziell unsicheren Situation sind.
Stillstand?
Trumps Präsidentschaft und die Stagnierung der Gleichberechtigungsbestrebungen in Politik und Wirtschaft überall auf der Welt stimmen die bekennende Hillary-Clinton-Unterstützerin vier Jahre nach Erscheinen ihres Buches, für eine Bestandsaufnahme in dem Interview leider nicht gerade positiv:
„Was Frauen in Führungspositionen angeht, hat sich nichts getan. Wir stagnieren bei weniger als 6 Prozent weiblichen CEOs bei Fortune 500 und deren Äquivalenten in fast jeden Land der Welt. Als ,Lean In‘ raus kam, gab es 19 Staatschefinnen, heute sind es nur noch elf. {…} Alles in alle sehen wir in keinem Land und keinem Wirtschaftssystem der Welt einen wirklichen Anstieg an weiblichen Führungskräften. Ich finde, das ist eine Schande.”
Ein ganz schön düsteres Bild, das Sandberg da zeichnet. Zeit also, den Kopf in den Sand zu stecken? Nein, denn die Facebook-Geschäftsführerin schöpft Hoffnung aus den vielen engagierten Netzwerken, in denen Frauen sich vereinigen und gemeinsam für eine wirkliche Veränderung zu einer faireren Welt kämpfen.
„Die Tatsache, dass überall auf der Welt so viel Energie in die Gleichberechtigung gesteckt wird und so viele Frauen in Netzwerken organisiert sind, gibt mir Hoffnung {…}”
Ein Gefühl, das wir nur bestätigen können. Gemeinsam können wir es schaffen, wenn wir einander zuhören und uns gegenseitig unterstützen, auch wenn wir die Erfahrungen nicht teilen, es vielleicht leichter hatten und andere persönliche Ziele vor Augen haben.
Titelbild: Sheryl Sandberg – World Economic Forum Annual Meeting 2011 | Flickr | CC BY-NC-SA 2.0
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