Foto: David Streit | Unsplash

Findet euch damit ab, dass wir nicht das gleiche Leben wie unsere Eltern führen können!

Wir wollen alles – und am liebsten sofort: Urlaub, Auto, Designer-Teile. Verzichten? Können wir nicht. Haben wir ja nie gelernt. Was wir dagegen hervorragend können: Jammern.

Früher war alles einfacher

Wir sind wütend, weil das mit dem Eigenheim, mit dem Wohlstand, in dem wir selber aufgewachsen sind, in diesem Leben wohl nichts mehr wird. Weil die Welt ungerecht ist und, überhaupt, weil „früher alles einfacher war”. Aber stimmt das wirklich?

In unserer Blase geht es uns gut. Uns stehen alle Türen offen: Wir haben ein gutes Elternhaus, eine teure Ausbildung, waren im Ausland und wenn wir dann in unserer ersten ordentlich bezahlten Festanstellung stecken, ja dann zerbrechen wir uns über den nächsten Urlaub den Kopf oder wenigstens darüber, was in der kommenden Woche so im Kino, Theater oder auch im Fernsehen läuft. Denn ganz anders als unsere Eltern, die zum Teil noch in den ersten Jahren nach dem Krieg aufgewachsen sind, müssen wir uns um die Basics keine Sorgen machen. Eher ertrinken wir noch im Meer der Möglichkeiten. All das hat aber auch eine Schattenseite.

Die Qual der Wahl

Mehr Möglichkeiten bedeuten nämlich auch mehr Möglichkeiten, sich falsch zu entscheiden und mehr Wege, zu scheitern. Es heißt nicht umsonst „die Qual der Wahl”. Denn umkehrt bedeutet der ganze Strauß an Optionen auch, dass entsprechend viel von uns erwartet wird. Nur ein Studium? Reicht oft nicht. Im Alleingang die dritte Fremdsprache fließend lernen oder sich selbst InDesign und Photoshop so gut beibringen, dass man einer gelernten Grafikdesignerin in nichts nachsteht, muss schon drin sein. Und während wir damit beschäftigt sind, uns und unsere Lebensläufe bis zum Umfallen zu optimieren, indem wir im 20. freiwilligen Praktikum hocken und das zehnte unbezahlte – aber natürlich total prestigeträchtige – Projekt nebenbei machen, müssen wir feststellen: Das alles bringt uns nicht weiter. Oder zumindest nicht dahin, wo wir uns als Kinder für die Zeit des Erwachsenseins vielleicht ganz selbstverständlich gesehen haben.

Denn die Wahrheit ist: Wir werden nie das Leben unserer Eltern führen. Jedenfalls nicht in Hinblick auf den Wohlstand, den sie uns ermöglicht haben und in dem wir aufgewachsen sind. Wir werden das nicht mir nichts, dir nichts fortführen können. Wir werden unsere Kinder nicht wie selbstverständlich im eigenen Haus mit Garten aufwachsen sehen, jede Schulferien mit Urlaub zupflastern, zwei Autos fahren und mit spätestens 50 alles abbezahlt haben. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie komplex.

Blick vom Baukran: In den 70ern waren viele unserer Eltern mit 30 schon angekommen im Leben – oder zumindest im neugebauten Eigenheim. Quelle: privat

Verzichten? Können wir nicht

Schon mit 20 war unser Lebensstil ganz anders als der unserer Eltern damals. Wir wollten alles, und zwar sofort. Verzicht? Kannten und kennen wir nicht, können wir nicht. Haben wir ja nie gelernt. Essen gehen, Urlaub, Wohnung mit neuen Möbeln aus dem Katalog, dazu angesagte Klamotten, Frisör, Maniküre und Co. Das muss mindestens drin sein. Dem entsagen, wenn scheinbar alle um einen herum genau das schaffen? Wir wollen ja nicht abgehängt werden.

Und selbst wenn wir dann mal gut verdienen, ist unser Berufsleben viel unsicherer als das unserer Eltern: Meist hatten sie das Glück, Jahrzehnte lang in einer Firma arbeiten zu können. Die Beförderungen bemaßen sich weniger an erbrachten Leistungen, sondern viel mehr an der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Gehaltssprünge von 20 bis 30 Prozent waren absolut drin. Und gekündigt werden? Da musste man sich schon hart daneben benehmen. Bei uns reiht sich dagegen eine befristete Stelle an die andere – vom holprigen Berufseinstieg vor ein paar Jahren, als wir uns gegenseitig bei den Gehaltsvorstellungen unterboten haben, um trotz Hochschulabschluss und Zusatzqualifikationen wenigstens irgendeinen Job zu finden, wollen wir gar nicht erst anfangen.

In der Summe klingt das ganz schön blöd. Denn immerhin haben wir uns nicht ausgesucht, dass Auswahlverfahren für Jobs heute härter geführt werden, die Beförderung nicht automatisch kommt und auch die Immobilienpreise in deutschen Großstädten derart explodiert sind, dass wir auch noch in den nächsten 60 Jahren vom Eigenheim am Stadtrand nur träumen werden. Und auch die Tatsache, dass wir selbst für den Mietvertrag für die 1-Zimmer-Wohnung in einer x-beliebigen deutschen Großstadt unsere Eltern brauchen, entspricht nicht gerade unserem Unabhängigkeitsgedanken.

Erwachsen nur auf dem Papier

Erwachsen sind wir offenbar viel zu oft nur auf dem Papier. Geht es um Zukunftsentscheidungen wie Rente oder Berufsunfähigkeitsversicherung, ist uns der nächste Urlaub am Ende oft doch wichtiger. Und wenn im Bad wegen des undichten Waschmaschinenschlauchs eine Überschwemmung droht? Rufen wir Papa an.

Und so sitzen wir da mit Anfang 30, und staunen darüber, wie unsere Eltern in unserem Alter schon mit Kind und Kegel im Eigenheim saßen. Wie sie scheinbar angekommen waren, während wir vor lauter Monatsanfangsluxus die Zeit bis zum nächsten Zahltag mal wieder mit Nudeln mit Tomatensoße überbrücken und davon träumen, vom WG-Zimmer irgendwann in eine Zwei-Zimmer-Wohnung zu ziehen – um dann vielleicht, irgendwann mal, mit Mitte 30, ein Kind zu planen.

Der Preis, den unsere Eltern zahlten

Wenn wir ehrlich sind, war der 80er Jahre-Wohlstand, in dem, zumindest in Westdeutschland, so viele von uns aufwuchsen, vor allem auch eins: das Ergebnis des Verzichts unserer Eltern. Ja, sie wohnten mit Mitte 20 im eigenen Haus, fuhren ein Auto und bekamen Kinder. Aber dafür zahlten sie einen Preis: Kein Urlaub oder wenn überhaupt höchstens mal an der Nordsee, keine Designer-Möbel, sondern der alte Plunder von den Eltern, kein wöchentlicher Shopping-Trip, sondern Selbstgestricktes.

Nicht zuletzt durch die fertigen Häuschen unserer Eltern mit ihren perfekt gepflegten Vorgärten wird uns heute vorgegaukelt, dass wir die Basics schon seit unserer Geburt in der Tasche haben. Und dass wir deswegen gleich alles haben können: Ein Kind, ein Haus, Designertasche, Urlaub, Auto und eine Einrichtung wie aus dem Katalog. Solange wir nicht erkennen, dass das, auch heute, und nicht nur, als unsere Eltern jung waren, eine von der Werbung geschaffene Illusion ist, die nur für einige wenige schon mit 25 Realität wird, werden wir weiter daran verzweifeln.

Fangen wir an, weniger zu wollen

Vielleicht ist es Zeit, unsere Ansprüche ein Stück herunter zu schrauben. Hören wir auf, uns gegenseitig vorzumachen, dass unser Dispo unendlich ist und wir uns alles leisten können. Fangen wir an, ein wenig weniger zu wollen und die überzogenen Ansprüche an uns selbst und das Leben, das wir führen wollen, abzustellen. Erkennen wir an, dass die Zeiten sich geändert haben und wir schlicht weniger bereit sind, zu verzichten und Opfer zu bringen. Und bitte: Hören wir auf, gleichzeitig darüber zu jammern, dass der Lebensstandard unserer Eltern für uns unerreichbar bleiben wird. Wenn ihr die Fernreise, die 100-Quadratmeter-Wohnung mit Balkon mitten in der Stadt und den Mini vor der Tür braucht, holt euch all das! Aber dann erzählt mir nicht, dass die ungerechte Welt da draußen eurem Traum vom Eigenheim mit 30 im Weg steht.

Der Text erschien zuerst auf Tainas Blog bware.blog. Wir freuen uns, dass sie ihn auch hier veröffentlicht.

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