Miriam Stein - Credit: Debora Mittelstaedt
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„Es gibt keine innere Uhr!“ Miriam Stein fordert neuen Blick auf den weiblichen Körper

Warum wurde wertvolles Wissen von Heilerinnen, Hebammen und Schamaninnen über Jahrhunderte abgewertet oder ignoriert? Ein Gespräch über feministische Weisheit, die Tabus der Frauengesundheit und warum es an der Zeit ist, weibliches Wissen zu feiern.

Die Kulturjournalistin und SPIEGEL-Bestsellerautorin Miriam Stein legt ihr neues Buch „Weise Frauen. Warum unsere Gesellschaft mehr weibliches Wissen braucht” vor. Dafür begibt sie sich auf Spurensuche nach den oft vergessenen Heldinnen der Geschichte – Frauen, deren Wissen und Wirken unser Denken bis heute beeinflusst. Heilerinnen, Schamaninnen, Priesterinnen, Hebammen und Frauengemeinschaften haben über Jahrtausende hinweg kostbares Wissen über Heilkunst, Pflege, Spiritualität und Sexualität geteilt. Aber in einer patriarchal geprägten Welt wurde dieses Wissen oft abgewertet oder in die Ecke der Esoterik geschoben. Miriam Stein spricht im Interview darüber, warum es Zeit ist, diese Weisheit neu zu entdecken – und was wir alle daraus lernen können.

In deinem aktuellen Buch „Weise Frauen“ geht es um eine feministische Sicht auf Weisheit. Was sind für dich ,weise Frauen’?

„Ich habe mit einer Weisheitsforscherin gesprochen, die sagte: ,Wir alle haben das Potenzial, weise Menschen zu werden.’ Weisheit bedarf Offenheit, Empathie, die Fähigkeit, einen Schritt zurückzugehen und das große Ganze zu sehen. Die Fähigkeit, die Illusion von Kontrolle loszulassen und dass man den wahren, echten Gefühlen im angemessenen Sinne Raum gibt. Was ich daran interessant fand, war, dass diese Art der Weisheitsforschung gar nicht primär die akademische Expertise meint. Man braucht schon Wissen, um weise zu sein, aber Wissen kann alles Mögliche sein. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man den Begriff von Weisheit vergrößert, damit Weisheit nicht so ein akademischer Elfenbeinturm bleibt.“

Für dein Buch hast du über Heilerinnen, Hebammen und Frauengemeinschaften seit prähistorischen Zeiten recherchiert. Was hat dich bei deinen Recherchen nachhaltig beeindruckt?

Miriam Stein: Weise Frauen

„Ich habe mich mit der Entwertung des Frauenwissens auseinandergesetzt. Dieses Wissen wurde nicht nur akademisch nicht anerkannt, sondern zudem auch noch schlecht gemacht. So bin ich auf die Geschichten der ‚Godsibbs ‘ gestoßen. Das Wort ‚Gossip‘, Tratsch auf Englisch, kommt von einer Frauengruppe, die damals die Geburt begleitet hat. Im Hochmittelalter haben in Großbritannien nicht nur Hebammen die Geburt begleitet, sondern alle Freundinnen und Nachbarinnen. Das waren Bierbrauerinnen und Reinigungsfrauen, Köchinnen und Spülerinnen. Diese Frauen hatten Zugang zu den Häusern der Reichen und somit zu den Alltagsgeheimnissen von Menschen mit Einfluss – Männern mit Einfluss. Diese Frauen hatten somit ein soziales Machtpotenzial. Heute würde man sagen, sie hätten Shitstorms lostreten können. Und wie kann man am besten dagegen angehen, wenn man der Mann ist, der den Shitstorm vermeiden möchte? Indem man es als fürchterliches, wertloses Gerede von irgendwelchen Frauen abstempelt.  

Was mich so überrascht hat, ist, dass ich dem selbst aufgesessen bin, dass ich auch fand, dass Tratsch wenig wert ist, dass das mitunter üble Nachrede ist, wenn Frauen die Köpfe zusammenstecken. Es wurde nie darüber gesprochen, unter welchen Umständen dieses Bild zustande gekommen ist. 

Abseits der Forschung in der Geschichte hast du während deiner Recherche weltweit viele interessante Frauen getroffen. 

„Ja. Und wer mich nachhaltig beeindruckt hat, ist die Forscherin Jennifer Garrison, die ich in San Francisco getroffen habe. Sie forscht an der sogenannten ‚Hirn-Eierstock-Achse‘. Dabei geht es darum, wie das Gehirn den Eierstöcken von Frauen mit Anfang 30 erzählt, sie sollen jetzt mal in den Frühruhestand gehen und langsam die Produktion einstellen. Jennifer Garrison sagte mir: ‚Wir wissen nicht, wie das zustande kommt, niemand hat diese Frage jemals gestellt.‘ Sie möchte deshalb mehr darüber herausfinden, und zwar in erster Linie, weil so viele Alterserkrankungen tatsächlich mit den Wechseljahren und dem fehlenden Östrogen zusammenhängen.“  

Die Wechseljahre sind ein Beispiel für vieles, was in Bezug auf Frauengesundheit im Argen liegt. Jahrtausende lang hieß es, der männliche Körper stehe stellvertretend für den menschlichen Körper. Wie konnte diese falsche Annahme so lange Bestand haben? 

„Ich habe mich das auch gefragt. Und daraufhin versucht, in der Historie herauszufinden, ob es denn wirklich keine Ärztinnen gab. Und es gab sie natürlich, sowohl in der Prähistorie als auch in der Antike. Es war sogar so, dass oft Frauen für die Gesundheit der Menschen zuständig waren. Erst mit dem  Aufkommen eines Medizinstudiums wurde plötzlich erklärt: Frauen können das nicht. Dabei geht aus den Quellen klar hervor, dass die ersten akademischen Mediziner das Gleiche praktiziert haben wie Kräuterfrauen und Heilerinnen vor ihnen.  

Das ist tatsächlich ein Problem von Sexismus. Dass man ganz strukturiert und mit Plan Frauen aus der Medizin ausgeschlossen hat. Wären sie geblieben, hätten sie weiter praktizieren dürfen, da bin ich mir sicher, wären wir bei Gynäkologinnen bezüglich der Wechseljahre besser beraten, weil sie aus eigener Motivation eine Bedeutung in der Forschung sehen. Dabei muss man gar nicht auf die Wechseljahre warten. PMS betrifft auch Frauen, aber das wird oft gar nicht ernst genommen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir tatsächlich selbstständig diese Informationen und Forschungen einfordern und uns gegenseitig helfen.“  

„Das ist tatsächlich ein Problem von Sexismus. Dass man ganz strukturiert und mit Plan die Frauen aus der Medizin ausgeschlossen hat.“ 

Miriam Stein

Du hast damals das zum Bestseller gewordene Buch „Die gereizte Frau“ über die Wechseljahre geschrieben, weil du dich nicht gut informiert gefühlt hast.   

„Ich dachte, ich hätte mit 50 zwei Hitzewallungen und dann menstruiere ich nicht mehr. Das fand ich eine super Aussicht. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich jeden Monat wahnsinnig auf ihre Menstruation freuen. Und plötzlich konnte ich mit Anfang 40 nicht mehr schlafen. Die Zyklen wurden kürzer und die Blutung schlimmer. Ich habe gedacht, dass ich verblute. Ich wusste nicht mehr: Ist das die Periode oder ein medizinischer Notfall? Man redet erst seit ein paar Jahren über die  Periode, aber dass man tatsächlich Stücke verliert und mitunter öffentlich, das ist unbekannt. Ich finde das schlimm, weil viele Frauen nicht nur nicht wissen, was es ist – es ist auch wahnsinnig  peinlich. Man schämt sich, wenn man anfängt zu bluten und man schämt sich, wenn man aufhört zu bluten. Und das kann ja irgendwie nicht sein.“  

Ich dachte auch, man hat Hitzewallungen und die Periode hört auf. Stattdessen gibt es so viele Beschwerden, die man dann gar nicht zuzuordnen weiß, weil man auch gleichzeitig älter wird. 

„Der Witz ist ja: Die Hitzewallungen, die wir mit den Wechseljahren assoziieren, kommen irgendwann ganz am Schluss. Wenn wir mit Ende 30 und Anfang 40 in die Perimenopause kommen, haben wir ganz andere Symptome. Man kann zum Beispiel nicht mehr schlafen, sich nicht mehr konzentrieren und man ist schlecht drauf. Es gibt auch Frauen, die bekommen Migräne oder Hautprobleme. Vieles davon wird nicht assoziiert mit den Wechseljahren, weil die anhand der Menopause Rating Scale (MRS) diagnostiziert und eingeordnet werden. Und da sind nur circa zehn Symptome drauf. Ich habe mit Expertinnen in den USA gesprochen und die haben gesagt, dass es vermutlich über 120 Symptome gibt.“  

Du setzt dich sehr dafür ein, dass Frauen die Wechseljahre positiver sehen.  

„Absolut. Wir sprechen immer von der Diagnose Wechseljahre. Ist das denn überhaupt eine Erkrankung? Ist die Pubertät eine Erkrankung? Wir wissen immer noch nicht, warum wir Wechseljahre haben, es ist bisher ein evolutionsbiologisches Rätsel. Außer uns Menschen leben nur ein paar Walarten – Orcas, zum Beispiel – so lange wie Menschen nach der Menopause. Ihr Beispiel ist sehr mutmachend: Die postmenopausalen Walkühe haben sehr wohl eine Funktion in ihren Herden – sie führen sie an. Sex haben sie laut der Forscherin Deborah Giles auch noch – sogar viel und durchaus mit jüngeren Männchen. Da geht also noch einiges.“   

„Es betrifft die Hälfte aller Menschen“

Du bist Mitbegründerin des Projekts „Wir sind 9 Millionen“, mit dem ihr das Thema Wechseljahre in die Gesellschaft und in die Politik tragen wollt. Wie kam es dazu?

„Das ging auf meine Erfahrung mit den Wechseljahren zurück. Ich habe nicht verstanden, wie jemand wie ich, die Journalistin und lebenslange Feministin ist, nichts über die Wechseljahre wusste. Dann habe ich erfahren, dass Wechseljahre im Medizinstudium so gut wie gar nicht thematisiert werden. Dass Ärzt*innen die Beratung von Wechseljahresbeschwerden nur mit circa 17 Euro pro Quartal abrechnen können – egal, wie oft die Patientin in die Sprechstunde kommt, dass wir überhaupt nicht genau wissen, wie der weibliche Körper eigentlich funktioniert. Und das kann nicht sein. Schließlich betrifft es die Hälfte aller Menschen.

Sheila de Liz kannte ich vorher bereits, und dann lernte ich die Politikerin Dorothee Bär kennen, die uns in den Bundestag einlud. Als wir über Instagram publik machten, dass Sheila de Liz und ich vor Politiker*innen im Bundestag sprechen, kamen plötzlich wahnsinnig viele Nachfragen. Irgendwann standen wir mit über 100 Frauen im Bundestag. Das war ein sehr empowernder Moment.

Mittlerweile besteht unser Team aus 25 bis 30 Frauen, Influencerinnen, Ärztinnen, Ernährungsberaterinnen, Sportberaterinnen, die sich in verschiedenen Funktionen und in verschiedenen Teilen des Landes mit den Wechseljahren beschäftigen. Hinzu kommt, dass wir in diesen ratlos machenden Zeiten leben und es viele Menschen gibt, die der Demokratie nicht mehr vertrauen. Ich fand es daher schön, dass man all diesen Frauen, die alle Bürgerinnen und Wählerinnen sind, sagen kann, wir können jetzt alle zusammen Demokratie machen. Wir können alle zusammen unsere Stimme erheben. Wir haben nämlich das Recht, für unsere Rechte einzustehen. Das dürfen wir in der Demokratie. Es heißt ja oft: ‚Die da oben machen es nicht richtig‘, aber man selbst bringt sich nicht ein.“

Wie kann sich jede*r Einzelne einsetzen, um mitzugestalten? Was können da erste Schritte sein?

„Erste Schritte beginnen schon damit, sich mit den Abgeordneten in Verbindung zu setzen, um eben dem politischen Berlin klarzumachen, dass es ein Thema ist. Ich garantiere dir, dass für Politiker*innen immer alles wichtiger ist als Frauengesundheit. Frauengesundheit steht immer ganz hinten an, es sei denn, es geht um Familienplanung. Die Wechseljahre betreffen aber nun mal alle Frauen, je nach zeitlicher Definition aktuell etwa neun Millionen. Und wir werden mehr, weil die Gesellschaft älter wird. Es kann einfach nicht sein, dass es niemanden interessiert, dass es keine Forschung gibt, keine adäquate Behandlung und keinen wirtschaftlichen Anreiz für Ärzt*innen. Warum sollte Frauengesundheit weniger wert sein? Wir haben die Abgeordneten gewählt und ihre Aufgabe ist, uns alle zu vertreten.“  

Wichtig wäre auch, dass wir generationsübergreifend denken. Weil wir alle irgendwann in die Wechseljahre kommen. Wie können wir dafür sorgen, dass junge Frauen besser informiert sind als wir das waren?  

„Man kann gucken, wie das Thema Menopause in der Schule platziert wird. Die Schulbücher enden nämlich mit der Geburt. Zudem kann man überlegen, ob und wie man mit jugendlichen Mädchen über diese Übergänge spricht. Beides, die Pubertät und die Wechseljahre, sind nämlich Übergänge. Was verbindet uns da eigentlich mit den pubertierenden Mädchen? Was können wir voneinander lernen? Der Umgang junger Mädchen mit ihrer Menstruation ist viel offener. Die bleiben zu Hause, wenn es ihnen nicht gut geht. Vielleicht kann man ihnen im Gegenzug davon erzählen, dass die Wechseljahre etwas sind, was man überhaupt nicht fürchten muss. Dass es auch keine innere Uhr gibt, die abläuft, wenn sie Mitte 30 sind. Ja, sie können nicht ihr ganzes Leben Kinder bekommen, aber vielleicht ist das auch gut so. Das Generationsübergreifende, was du ansprichst, halte ich für sehr wichtig, weil man sich austauschen und voneinander lernen kann.“ 

Was wünschst du dir von der männlichen Gesellschaft in Bezug auf die Wechseljahre?  

„Ich sage immer, dass alle von den Wechseljahren betroffen sind. Die eine Hälfte der Menschen direkt und die andere indirekt. Ich wünsche mir von Männern, dass sie erst mal gar nicht kommentieren, sondern einfach nur zuhören, was ihre Partnerinnen, Mitarbeiterinnen und Chefinnen zu sagen haben. Gerade auch sexuelle Gesundheit ist hier ein wichtiges Stichwort. Man hat immer schon sehr viel darüber gesprochen, dass das Sexleben irgendwann einschläft bei Langzeitbeziehungen. Aber dass natürlich die Wechseljahre auch ein Riesenfaktor sind, das wird seltener erzählt. Oder eben so Sachen wie vaginale Atrophie (Scheidentrockenheit), dass einfach viele Frauen echt Schmerzen und deshalb gar keine Lust mehr auf Sex haben. Wir müssen in einem Dialog bleiben, der nicht schambehaftet ist, weder seitens der Frauen noch der Männer.“

Politiker*innen lassen sich häufig durch finanzielle Argumente überzeugen. Du hast mal erzählt, dass wirtschaftlicher Schaden entsteht, wenn Frauen nicht mehr arbeiten können oder aufgrund ihrer Beschwerden in Teilzeit gehen.  

„Genau, mit Geld kommen wir wahrscheinlich am einfachsten an Entscheider*innen. Politiker*innen denken an Geld und die Wechseljahre sind schlecht für die Volkswirtschaft. Ein bis zwei Drittel der Frauen leiden während ihrer Menopause am Arbeitsplatz und können in manchen Fällen nicht mehr arbeiten. Eine Studie aus Deutschland aus dem letzten Jahr besagt, dass über 55-jährige Frauen zu über 25 Prozent in Frührente gehen wollen oder schon gegangen sind – wegen der Wechseljahre.

Die Frage ist: Wo arbeiten Frauen? In der Pflege, in der Schule, in den Kitas und in den Dienstleistungen. Und wo ist der größte Fachkräftemangel? In der Pflege, in der Schule, in den Kitas und in den Dienstleistungen. Das heißt, wir verlieren Kräfte, die wir in der Coronapandemie noch systemrelevant genannt haben. Es gibt eine Berechnung, die besagt, dass 1,8 Milliarden Dollar pro Jahr allein in der US-Wirtschaft dadurch verloren gehen. Ich glaube, dass man noch nicht mal angefangen hat, das Potenzial zu bergen, das in Frauen liegen kann, wenn sie eben mit Mitte 50 so lange gelebt und gearbeitet haben.“  

Du hast mal einen sehr schönen Post auf Instagram gemacht, wo es darum ging, wie die moderne Arbeitswelt aussähe, wenn weise Frauen sie mitgestaltet hätten.  

„Ja, in dieser Welt wäre es normal, dass man Menopauseprogramme installiert. Genauso wie es eben mittlerweile ganz gezielte Vorsorge für Rückenerkrankungen gibt. Wenn du ein Attest hast, dann kriegst du ganz selbstverständlich einen Stehtisch. In den zehn Jahren, in denen ich in einem deutschen Medienkonzern gearbeitet habe, wo viele, gerade Männer, solch einen Stehtisch hatten, habe ich nicht einmal erlebt, dass das eine Frau als diskriminierend empfunden hat. In einer Welt, die von weisen Frauen mitgestaltet wird, würde es ähnliche Programme selbstverständlich auch für Frauen in den Wechseljahren geben.  

Ich glaube, dass Fürsorge und Fürsorglichkeit eine ganz andere Rolle spielen würden. Letztendlich ist Führen nichts anderes, als Mitarbeiter*innen zu bestärken, ihr Bestes zu geben. Und das macht man am besten, meines Erachtens, mit sanfter Autorität und ganz viel Fürsorge. Es gäbe auch womöglich weniger Konkurrenzdenken und diese Einstellung, dass etwas nur dann zum Erfolg wird, wenn man die andere Person mal so richtig wegbeißt.  

Das, was ich für die Arbeitswelt gesagt habe, gilt natürlich auch für die Gesellschaft allgemein und die Konflikte in dieser Welt. Ich weiß nicht, ob das in allen Konfliktsituationen so ist, aber in vielen Friedensverhandlungen sitzen nur Männer. Obwohl die Leidtragenden dieser Kriege mindestens 50 Prozent Frauen sind. Wie sähen diese Verhandlungen aus, wenn Frauen mitentscheiden könnten und man ihnen zuhören würde? Ich finde es sehr bezeichnend, dass an dieser Stelle die Weisheit von Frauen gar nicht wertgeschätzt wird. Wenn die weibliche Weisheit nicht seit Tausenden von Jahren unterdrückt worden wäre, wäre wahrscheinlich vieles positiver verlaufen.“ 

Nicht nur die Forschung, auch die Kultur ignoriert Frauen in diesem Alter. Im Gegensatz zur Pubertät, die popkulturell sehr gefeiert wird, kommen die Wechseljahre dort kaum vor. 

„Das Ding ist: Es gibt immer noch Männer und Frauen, Kulturkritiker*innen und Feuilletonist*innen – wirklich auch Frauen, die sagen: Das ist Privatsache. Sie wollen das in der Literatur nicht lesen und sie wollen das auch in Filmen nicht sehen. Die Menopause wurde über die letzten 2000 Jahre dermaßen entwertet, dass sie in der Kunst nicht stattfinden darf. Sie kann keine Kunst sein, sie kann keine Kultur sein, sie darf nicht erforscht werden, sie ist nicht politisch. Wir haben eine Lebenserwartung von ca. 83 Jahren, die Menopause ist in Deutschland im Schnitt mit 52 vorbei. Das heißt: 30 Jahre lang ist man was? Das ist doch verrückt. Wir werden als Gesellschaft älter, wir werden als Frauen älter, und hier darf nicht einfach Schluss sein!“  

„Wenn man aufhören würde, das Leben als eine Blütezeit zu sehen, die man als junge Frau hat, dann hat man auch keine Angst vor den Wechseljahren oder dem Alter.“

Miriam Stein

Was wünscht du dir für die jungen Frauen, die die Wechseljahre noch vor sich haben?

„Ich würde mir wünschen, dass sich junge Frauen nicht mehr schämen, für nichts und gar nichts – weder für das, was sie sind oder fühlen, noch für das, was aus ihrem Körper kommt, egal, was es ist. Nicht dafür, wie sie riechen, nicht dafür, wie ihre Haare sind. Sondern dass sie einfach sind.  

Wenn man aufhören würde, das Leben als eine Blütezeit zu sehen, die man als junge Frau hat, dann hat man auch keine Angst vor den Wechseljahren oder dem Alter. Ich würde jungen Frauen immer sagen: Erfahrung ist etwas ganz Großartiges. Es ist toll, nicht mehr unsicher zu sein. Es ist toll, sich nicht mehr zu fragen: Was halten die anderen von mir? Das kann man eben erst, wenn man ein paar Jahre gelebt hat. Und wenn man dann gelernt hat, dass man sich nicht schämen muss, dann ist man, glaube ich, auf einem sehr guten Weg.“ 

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