Auf dem Foto ist die Autorin Caroline Rosales zu sehen, sie trägt ein weißes Hemd und ein schwarzes Jackett.
Foto: Annette Hauschild/Ostkreuz

Caroline Rosales: „Frauen sind mit steigendem Alter einem gewissen Kontrollverlust ausgesetzt“

Warum werden Frauen jenseits der vierzig oder fünfzig in unserer Gesellschaft zunehmend unsichtbar? Caroline Rosales hat eine Romanfigur erschaffen, die versucht, mit all den Widersprüchen und Zumutungen für Frauen, die nicht mehr „jung“ sind, zurechtzukommen.

In ihrem Roman „Das Leben keiner Frau“ erzählt die Journalistin und Schriftstellerin Caroline Rosales die Geschichte der fünfzigjährigen Melanie. Melanie ist erfolgreiche Journalistin, sie ist Mutter einer Tochter, die ganz anders ist, als Melanie sich das gewünscht hätte. Und Melanie ist die Tochter einer zunehmend pflegebedürftigen Mutter, zu der sie ein angespanntes, von früheren Verletzungen geprägtes Verhältnis hat. Als Leser*innen sind wir Zeug*innen, wie Melanies an der Oberfläche erfüllt und glamourös scheinendes Leben nach und nach Kratzer bekommt und Melanie sich einem Abgrund nähert.

„So zynisch, ehrlich und schonungslos durften bislang nur Männer, Teenie-Mädchen oder Greisinnen in der Literatur sprechen. Eine schöne fünfzigjährige Erzählerin, die derart konsequent Sex, Alter, Beziehungen und Karrieren seziert, ist für mich eine Offenbarung“, schreibt die Schriftstellerin Alina Bronsky zum Buch.

Warum werden Geschichten wie die von Melanie, also von Frauen jenseits der Lebensmitte, so selten erzählt? Warum werden Frauen ab einem bestimmten Alter in unserer Gesellschaft zunehmend unsichtbar? Und warum wird ihnen abgesprochen, unabhängig von einer Beziehung glücklich sein zu können? Wir haben mit Caroline Rosales über ihre Romanfigur gesprochen.

Lisa Seelig: Warum hast du eine Frau wie Melanie als Protagonistin, als Heldin deines Romans gewählt? Wie ist die Idee zur Figur entstanden?

Caroline Rosales: „In meinem letzten Buch ,Sexuell verfügbar‘ habe ich mich mit meiner eigenen Geschichte, der einer Frau bis in ihre späten Dreißiger, beschäftigt. Über das Älterwerden, das Alter konnte ich damals nicht viel sagen. Heute bin ich fast 40 Jahre und im ständigen Diskurs mit den Frauen in meiner Familie, meiner Mutter, meinen Tanten, ihren Bekannten und Freundinnen. Ich denke, dass viele sich in der Generation auf das Konzept der weiblichen Attraktivität, der Ehe verlassen haben und viele, auch weil ihnen ihre eigene Selbstständigkeit wichtig war, nun alleine sind. Auch mir wurde schon als junges Mädchen ständig erzählt, dass ich schön sein und heiraten muss. In diesem erzieherischen Konstrukt groß zu werden und, schlimmer noch, zu altern, ist allerdings fatal, wie ich finde – weil es eigentlich die Formel zum Unglücklichsein ist. Die Gedankenwelt einer solchen 50-jährigen Frau zu erzählen, hat mich interessiert.“ 

Bestimmt gibt es jede Menge Leute, die erstmal denken: „Naja, hat doch jede Frau selbst in der Hand, was sie mit vierzig oder fünfzig macht und ob das dann ein Leben ist, das ihr gefällt“ – kannst du erklären, welches die gesellschaftlichen Mechanismen und Voraussetzungen sind, die dafür sorgen, dass für Frauen jenseits der vierzig und fünfzig oft keine so gute Phase beginnt?

„Ich glaube, dass Frauen mit steigendem Alter einem gewissen Kontrollverlust ausgesetzt sind, weil das gesellschaftliche Narrativ für sie entscheidet. Viele berühmte Frauen oder auch Autorinnen sprechen in Interviews oder Essays davon, dass es den Punkt in ihrem Leben gab, an dem sie einfach unsichtbar geworden sind, also nicht mehr die Beachtung ihrer Mitmenschen gefunden haben. Das betrifft das Berufs- und Liebesleben, aber auch die Fähigkeit, ihre Geschichte selbst erzählen zu dürfen. Melanie entgleitet ihre Tochter, für die sie einen ganz anderen Plan hatte. Ihre Mutter stirbt, sie kann nur zusehen. Ihr Chef, mit dem sie eigentlich fast auf derselben Hierarchie-Ebene steht, erkennt ihr die intellektuelle Autorität ab. Ihr Frauenarzt erklärt ihr von oben herab ihre Wechseljahre. Ehefrauen oder die Männer, mit denen sie Affären hat, strafen sie ab. Diese Ohnmacht, diese plötzliche Entmündigung, ist natürlich grausam und sicherlich für mich auch die Verarbeitung einer Urangst.“

„Die Diskriminierung von älteren Kolleg*innen ist, glaube ich, in jeder Branche ein großes strukturelles Problem. Leider.“

Ich musste beim Lesen an ein anderes Buch denken, das ich kurz zuvor gelesen hatte, nämlich „Ciao“ von Johanna Adorjan: Beide Bücher spielen in der Medien- und Social-Media-Blase, beide Male gibt es eine Frau um die 50 in einer Sinnkrise, bei Johanna Adorjan ist eher der Ehemann der Frau eine tragische weil erbärmliche Figur, die Protagonistin hadert eher … würdest du sagen, unsere Branche und verwandte Bereiche sind wegen der Häufung von Eitelkeiten besonders prädestiniert für solche tragischen Geschichten, für das Hadern? Ich fragte mich beim Lesen öfters: Ist es in anderen Bereichen für Frauen leichter, „alt zu werden“? Zum Beispiel, wenn sie Ärztin sind, oder Erzieherin, oder im Baumarkt arbeiten?

„Jede Branche der freien Wirtschaft, die auf steilen, straffen Hierarchien basiert und wo traditionell Männer das Sagen haben, ist natürlich ein Sammelbecken der Eitelkeiten und Machtkämpfe. Weil in der Medienbranche und im Journalismus diese Machtkämpfe semi-öffentlich über die sozialen Medien ausgetragen werden, eignet sich dieser Berufszweig natürlich besonders, um dieses Hadern, Fallen, Verlieren und die Lächerlichkeit dieses Scheiterns darzustellen. Die Diskriminierung von älteren Kolleg*innen ist aber, glaube ich, in jeder Branche ein großes strukturelles Problem. Leider.“

In beiden Büchern sieht sich die etwa 50-jährige Protagonistin einer jungen, aufstrebenden, unbekümmerten, reichweitenstarken Social-Media-Influencerin gegenüber … spielt aus deiner Sicht auch dieser digitale Bruch eine Rolle beim Hadern der 50-Jährigen? Dieses Gefühl „Da kann ich nicht mehr mithalten“? Oder ist das eher etwas aus unserer Medien-Bubble? 

„Nein, nein, die Eilika in meinem Roman ist keine Influencerin. Ich nehme an, dass sie nicht mehr als 2000 Follower*innen hat, sie steht ja noch ganz am Anfang ihrer großen möglichen Karriere. Im Grunde ist Eilika aber eigentlich für mich die tragische Figur und nicht die 50-jährige Melanie. Sie kann sich eigentlich anstrengen wie sie will, der Neid und die Missgunst ihrer älteren Kollegin ist erdrückend und vernichtend. Melanie hat es ja eigentlich gut, sie müsste sich ja nur ein bisschen locker machen. Andererseits hat genau dieser Ratschlag noch nie dazu geführt, dass sich jemand locker gemacht hat.“

Das Beunruhigende an deinem Buch fand ich, dass kein Ausweg gezeigt wird, wenn es um die Frage geht, wie man als Frau die vierzig und fünfzig überschreiten kann und trotzdem ein gutes Leben haben kann: Mit demselben, womöglich sogar Ehe-Partner ist es langweilig und man hat es sich halt in der Ödnis eingerichtet, ohne feste Beziehung ist man im Freiflug ohne Halt …das ist natürlich die zugespitzte Lage in deinem Roman – wie beurteilst du die Lage „in echt“? Welche freudvollen Möglichkeiten gibt es für Frauen?

„Im Roman wird kein Ausweg gezeigt? Das ist eine Frage der Lesart. Meine Lektorin war zum Beispiel fest davon überzeugt, dass sogar eine Art ,Happy End‘ im Raum steht. Ich habe ihr dann gesagt, dass ich jetzt selbst nochmal lesen müsste. Aber diese ganze Sache mit der Ehe oder der möglichen Beziehung – nun, ich weiß es natürlich selber nicht. Vielleicht nur, dass ich nicht freudvoll sein will, sondern dann schlecht gelaunt und frustriert, wann immer mir danach ist.“

„Schweigen ist eigentlich die schlimmste und fatalste Form der Zustimmung.“ 

„Die willigsten Helfer des Patriarchats sind oft die Frauen selbst“, schreibt Maxim Biller in seinem Text auf der Buchrückseite – ich persönlich weiß gar nicht, ob ich Melanie als willige Helferin sehen würde … siehst du sie so? Und warum?

„Ja, aber er hat recht, oder? Melanie ist sicherlich eine willige Helferin des Patriarchats, weil sie die Autorität ihres Chefs, ihres Arztes, ihrer Lover oder ihres Ex-Manns nie infrage stellt. Und Schweigen ist eigentlich die schlimmste und fatalste Form der Zustimmung.“ 

Maria Furtwängler wiederum schreibt, dass Gefälligkeit ein Gefängnis sei, aus dem wir uns befreien müssten, und dass Melanie nicht gefällig sei und wir mehr unbequeme Frauen bräuchten. An Melanies Beispiel aber sehen wir, dass unbequem sein nicht gerade glücklich macht. Und andererseits: Ihre Tochter Mona wirft ihr ja durchaus Gefälligkeit vor, wenn sie ihr vorhält, dass sie sich immer verbogen habe, je nachdem, was der jeweilige Mann von ihr gewollt oder in ihr gesehen habe … Was ist für dich damit gemeint, mit „unbequem sein“? Würdest du eine generelle Empfehlung an Frauen aussprechen wollen, unbequem zu sein?

„Melanie ist unbequem, aber das ist ein positiver Effekt, den sie auf die Leser*innen ausstrahlt. Sie ist sich ihrer Unbequemlichkeit aber gar nicht bewusst. Dennoch betrinkt sie sich, raucht Kette und flucht in der Öffentlichkeit. Sie streitet mit ihrer besten Freundin und lästert ziemlich ungehemmt, wo sie nur kann, geht auf Partys, hat viel Sex. Ihre Agenda ist dabei eigentlich nur sie selbst. Diese Art von Unbequemlichkeit würde ich allerdings nicht empfehlen. Außer das mit dem Sex vielleicht.“

Am Ende ist es bei Melanie trotz allen beruflichen Erfolgs, trotz aller Unabhängigkeit so, dass sie sich nach der beständigen Liebe eines Mannes sehnt … ist das die allgemeine Tragik? Dass nicht davon ausgegangen wird, dass Frauen dauerhaft ohne Beziehung erfüllt und glücklich sein können? Können sie das aus deiner Sicht unter den gegebenen Voraussetzungen? 

„Ja, ich denke, das ist der größere Konflikt. Einer Frau, die verheiratet ist, unterstellt die Gesellschaft Souveränität, die sie allein vermeintlich nie erreichen könnte. Das ist natürlich ein Klischee, toxisch und bösartig, weil das Glücksgefühl und die Selbstzufriedenheit ohne Partner ja viel höher sein kann. Ich schaue zu diesen alleinstehenden Frauen auf. Die Frage nach ihrer Erfüllung oder ihrer Formel müssen sie aber beantworten, nicht ich.“

Spontane These: Frauen im Alter von Melanie gehorchen noch dem gesellschaftlichen Druck, begehrenswert sein zu müssen und in amourösen Beziehungen, egal welcher Natur, engagiert zu sein, erst wenn man als Frau „richtig alt“ ist, setzt wirkliche Entspannung ein … zumindest die anekdotische Evidenz in meinem Umfeld gibt das her, also dass Frauen über 60 Männer nicht mehr so wichtig finden, und entspannter mit der Frage umgehen, weniger getrieben sind … teilst du diese Beobachtung? Und welche Schlüsse ließen sich daraus ziehen?

„Hmm, fragen wir sie. Fragen wir Melanies Mutter. Von den Frauen in meiner Familie und deren Freundinnen, gerade den älteren, werde ich regelmäßig und schon mein ganzes Leben gefragt: ,Und hast du einen Freund, einen Mann?‘ Und in meinen Single-Jahren, als ich mit ,Nein‘ antwortete, war die Enttäuschung natürlich groß. Ich glaube, es ist tragischerweise so, dass Frauen und auch Männer dem Wertekompass ihres Elternhauses nur schwer abstreifen können. Und dass die Erinnerung, die Vergangenheit dann die Gegenwart vergiftet. Im Alter bedeutet dieses Weltbild dann Stillstand.“ 

In einem inneren Monolog von Melanie, als sie überlegt, ob sie die junge Eilika trösten soll, die geopfert und gefeuert wurde, kulminieren alle Widersprüche, mit denen sich – in dem Fall junge – Frauen auseinandersetzen müssen: Zieh dir was Kurzes an, aber nicht zu schlampig, sei nicht zu ehrgeizig, aber auch nicht zu locker, sei kollegial, aber nicht zu sehr, sonst wollen sie Sex, meide alte weiße Männer, fürchte alte weiße Frauen … das klingt furchtbar deprimierend, ist natürlich zugespitzt, aber trotzdem: Welche Auswege kann es geben? Gibt es individuelle Auswege, oder nur durch gesellschaftliche Veränderung?

„Ich glaube, dass große gesellschaftliche Veränderungen möglich sind, die von Frauen ausgehen werden. Ich erlebe sie. Alleine für diesen Roman habe ich mit vier Frauen in Melanies Alter zusammengearbeitet, die mich extrem darin bestärkt haben, dass dieser Stoff ein Buch ist. Dazu hoffe ich natürlich insgeheim, dass meine jüngeren Kolleg*innen mich mit meinen fast 40 Jahren noch als Teil ihrer Bubble empfinden und sogar mögen. Das ist doch alles schon ein guter Anfang.“

Caroline hat einen Trailer für ihr Buch produziert – die Schauspielerin Laura Tonke spielt Melanie:

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Caroline Rosales: „Das Leben keiner Frau“, Ullstein Hardcover, 30. August 2021, 240 Seiten, 22 Euro. 

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