Bestsellerautorin Mariana Leky steht vor dem Filmplakat von „Was man von hier aus sehen kann“, darauf abgebildet ist ein Okapi und der Titel, der Hintergrund ist rosa, Mariana trägt einen dunkelblauen Mantel und richtet die Unterarme nach rechts und links aus.
„Was man von hier aus sehen kann“ Weltpremiere ASTOR Film Lounge im ARRI, München ©Kurt Krieger/STUDIOCANAL

Mariana Leky: „Am liebsten hätte ich jedes Bild abfotografiert und aufgehängt“

Die Verfilmung des Bestsellers „Was man von hier aus sehen kann“ kommt am 29. Dezember in die Kinos. EDITION F durfte ihn jetzt schon sehen und – noch schöner – mit der Bestsellerautorin Mariana Leky am Tag der Weltpremiere darüber sprechen.

Der Roman von Mariana Leky „Was man von hier aus sehen kann“ wurde über 800.000 mal verkauft und hielt sich nicht etwa Monate, sondern jahrelang auf der Spiegel-Bestsellerliste. Die Figuren sind eigenartig verschroben und ganz tief drinnen erinnern sie uns … an uns selbst.
Sie leben irgendwo im Westerwald. Selma, die Großmutter der Protagonistin Luise, träumt manchmal von einem Okapi. Kurz darauf stirbt jemand in dem kleinen, namenlosen Dorf. Der Roman ist ein wahrhaftiges Stück Literatur – das nun verfilmt wurde.

Die größte Herausforderung von Literaturverfilmungen? Das ist wohl, dass ein Buch im Kopf der*des Lesenden Bilder entstehen lässt, die es nur ein einziges Mal genauso gibt. Und auf diese Weise kann eine Verfilmung des Lieblingsbuches schnell irritieren. Vielleicht kommt es dabei – wie bei so vielem – auf die innere Haltung an, meint auch Mariana Leky. Die ständige Neigung zu Vergleichen im Vorhinein zu vermeiden und davon auszugehen, dass es sich hier um ein eigenständiges Kunstwerk handelt. Hat sie das geschafft? Und wenn ja: Wie findet sie das aus ihrem Buch entstandene neue Kunstwerk des Regisseurs Aron Lehmann?

Wir treffen Mariana digital, am Tag der Weltpremiere in München: Sie gibt Interviews im Bayerischen Hof, im Palais Montgelas. Sie war bereits in der Maske, heute geht alles Schlag auf Schlag, bevor sich der Vorhang lüftet und der Film „Was man von hier aus sehen kann“ dem ersten großen Publikum zugänglich gemacht wird.  

Liebe Mariana, welche Gedanken gingen dir durch den Kopf, als dich die Nachricht erreichte, dass dein Buch „Was man von hier aus sehen kann“ verfilmt wird?

„Die erste Reaktion war Freude und Aufregung und die wurde dann sofort flankiert von dem Gedanken: Wie soll denn das gehen? Ich konnte mir nicht gut vorstellen, wie man dieses Buch verfilmen kann, weil es ja gar nicht so sehr darum geht, was erzählt wird, sondern wie es erzählt wird. Jedenfalls meinem Empfinden nach. Ich habe mich gefragt, wie man wohl einen Erzählton verfilmen kann. Zum Glück habe ich dann den Regisseur Aron Lehmann getroffen, ich hatte sofort das Gefühl: Das ist mein Mann.“

Habt ihr während des Entstehungsprozesses miteinander gesprochen, euch ausgetauscht?

„Es ist grundsätzlich eine Option, dass Autor*innen bei Literaturverfilmungen mitarbeiten. Viele möchten das auch gerne. Aber ich wollte das unter gar keinen Umständen. Mein Buch ist sozusagen nur eine Materialkiste für den, der das Drehbuch daraus schreibt. Es muss sich in etwas ganz anderes verwandeln. Deswegen wollte ich auch auf gar keinen Fall etwas damit zu tun haben. Auch, weil ich Drehbuch einfach nicht kann. Ich habe etwas anderes gelernt. Aron Lehmann hat mir ab und zu das Drehbuch zu lesen gegeben und da habe ich vereinzelt Anmerkungen am Rand gemacht, wenn ich dachte: Hier könnte man noch mal etwas verändern. Aber das ist vielleicht zweimal der Fall gewesen.“

Du sagtest mal in einem Interview, dass du sehr sehr lange nachdenkst, bevor du anfängst zu schreiben und bevor die Figuren wirklich stehen und miteinander agieren. So hast du selbst ein sehr festes Bild von diesen Figuren – wie sie aussehen, wie sie sich verhalten. War es schwierig für dich, die Diskrepanz auszuhalten?

„Dadurch, dass ich nicht involviert war, ist es so, als würde ein Leser – in diesem Fall der Regisseur Aron Lehmann – mir seine ganz eigenen Bilder zu den Figuren zeigen. Es hat ja jede*r Leser*in eigene Bilder von den Figuren im Kopf. Ich ganz andere als du, wenn ich an das Buch, an die Geschichte denke. Und darin sehe ich auch die größte Herausforderung bei den Literaturverfilmungen. Wenn ich eine Literaturverfilmung sehe und sofort denke: Ach nee, ich hab mir das aber ganz anders vorgestellt – schon ist der Film schlecht. Das ist sicher nicht einfach.

„Ich sehe den Film nicht als Visualisierung des Buches, sondern als eigenständige organische Sache, als etwas Anderes, etwas Neues.“

Mariana Leky

Aber nein: Mir hat das keine großen Schwierigkeiten gemacht, weil ich den Film nicht als Visualisierung des Buches sehe, sondern als eigenständige organische Sache, als etwas Anderes, etwas Neues.“

Wenn du es geschafft hast, loszulassen, kannst du vermutlich auch eine neue Freude auf etwas entwickeln, was du selber noch nicht kennst.

„Ganz genau. Und noch ein Grund, aus dem ich mit der Entstehung des Films im Grunde nicht so viel zu tun haben wollte war, dass alles rund um den Film gerade so los ging in einer Phase, wo ich überlegte, ein neues Buch zu schreiben. Da dachte ich: Ich muss dieses Buch auch irgendwann loswerden. Es kam ja durch alle möglichen Sachen immer wieder zu mir zurück und so großartig und wunderbar das ist: Für mich war es nicht denkbar, sich durch die Arbeit am Film erneut mit den Figuren auseinanderzusetzen. Ich musste sie nun langsam aus mir hinauskomplimentieren. Dadurch konnte ich das alles leicht loslassen. Und das hat dazu geführt, dass ich jetzt diesen ganz guten Abstand dazu habe.“

Der Regisseur Aron Lehmann sagte mal: „Ich finde es so reizvoll, immer wieder auszuprobieren, wie nah man Tragödie und Komödie aneinanderführen kann, wie man damit spielen kann. Das hat mich beim Filmemachen immer gereizt, weil ich das Leben auch so empfinde.“ Ist das auch dein Anspruch beim Bücherschreiben?

„Ja, auf jeden Fall. Das war etwas, was er gleich ganz am Anfang so ähnlich zu mir sagte. Und das war auch der Moment, in dem ich dachte: Wir verstehen uns. Es ist tatsächlich so. Ich glaube, dass ich eine Tragödie nicht ohne Komik erzählen könnte und dass beides einander anstrahlt und sich auch gegenseitig unterstützt.“

„Ich glaube, dass ich eine Tragödie nicht ohne Komik erzählen könnte.“

Mariana Leky

Heute Abend ist die Premiere in München: Mit welchen Gefühlen und mit welchen Erwartungen gehst du in diesen Abend?

„Ich versuche, eine Perspektive einzunehmen, die ich gut kann und kenne: Ich versuche mich im Hintergrund zu halten und zu gucken, wie die Leute das so finden und überhaupt, wie das so ist, auf einer glamourösen Filmpremiere. Das ist ja überhaupt nicht meine ,artgerechte Haltung’…“

Du hast mal gesagt, Inspiration sei eine Haltung: Wenn man sich innerlich ausrichtet, inspiriert werden zu wollen, kann man die Ideen sozusagen in jeder Situation empfangen. Das fand ich sehr schön. Kannst du bei solchen Anlässen wie heute Abend auch inspiriert werden?

„Danke, dass du mich daran erinnerst. Ich werde versuchen, diese Haltung einzunehmen. Es wäre gut, wenn mir das gelingt [lacht]… Ja, ich meinte das auch als Selbstermächtigung gegen dieses schreckliche Warten auf den Musenkuss. Dass man einfach so eine bestimmte offene Haltung entwickelt – eine vorbehaltlose Neugier. Und dann haben die Ideen eher die Chance, zu einem zu kommen. Wo man dann ist, ist eigentlich egal. Es muss nicht die Waldeinsamkeit sein.“

Der Moment, nachdem du den Film „Was man von hier aus sehen kann“ zum ersten Mal gesehen hast und der Abspann kam – wie war das für dich?

„Ich habe den Film zum ersten Mal im Rohschnitt auf meinem Computer im Wohnzimmer gesehen, und das war sehr lustig: Im Rohschnitt, wenn einer vom Hochsitzt fällt, sieht man noch das Seil, das alles festhält… Außerdem gab es noch keine Musik.

Ich glaube, ich war erleichtert, dass es gut ausgegangen ist – und damit meine ich jetzt nicht die Handlung.

Die Bilder mochte ich sehr gerne. Am liebsten hätte ich jedes einzelne Bild abfotografiert und aufgehängt, weil ich diese Bild-Farb-Komposition so unheimlich schön fand. Und ich habe mich auch sehr gefreut an den Kinderdarsteller*innen. Vor allem Cosmo Taut, der den kleinen Martin spielt, und dem Optiker (gespielt von Karl Markovics) hätte ich wirklich noch ein paar weitere Stunden zugucken können.“

Ein kleiner Ausblick in die nahe Zukunft. Ich frage jetzt nicht nach deinen guten Vorsätzen, aber: Wie sieht dein kommendes Jahr aus?

„Ich denke am nächsten Buch herum. Ich finde Vorsätze ja immer sehr gut, auch, wenn man sie kaum einhält; aber ich versuche es immer wieder. Und mein Vorsatz ist, ein Buch fertig zu schreiben im nächsten Jahr. Das ist mein Vorhaben. Bis dahin hat sich der Trubel um den Film etwas gelegt und auch alles rund um den Roman ,Kummer aller Art‘. Und dann wird es Zeit, dass etwas Ruhe in mein Leben kommt – und ich weiter arbeiten kann.“

Kinostart 29. Dezember 2022

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Der Film „Was man von hier aus sehen kann“ kommt am 29. Dezember 2022 in die Kinos. Wer das Buch vorher lesen oder zum Fest verschenken möchte, wendet sich am besten an die nächste Lieblingsbuchhandlung – und das geht auch online.

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