Foto: Paula Kittelmann

Svenja Gräfen: „Selbstfürsorge ist eine Superpower!“

Für eine bessere Welt kämpfen, das ist nur möglich, wenn wir uns auch um uns selbst kümmern. Svenja Gräfen hat deshalb ein Buch über Selbstfürsorge geschrieben. Ein Interview via Sprachnachricht.

Ein Interview in Form von Sprachnachrichten. Warum? Selbstfürsorge! So oft ist es schwierig, Termine einzuhalten – und auch anstrengend, per Telefon oder Videocall am Stück miteinander zu sprechen. Eine Sprachnachricht kann man abhören, wenn es passt. Und antworten, wenn es passt. Dazwischen ist Zeit für Gedanken und gute Formulierungen. Ein Sprachnachrichten-Interview ist ein Interview mit Selbstfürsorge.

Svenja Gräfen hat genau darüber ein Buch geschrieben. Es geht darum, wie wir mit Sorge für uns selbst gut – oder besser – durchs Leben kommen. Sie erklärt, warum Selbstfürsorge in einem kapitalistischen System, das unsere Aufopferung schamlos ausbeutet, so wichtig ist: Einerseits für das eigene Überleben, andererseits um weiterhin die Ressourcen zu haben, strukturelle Probleme anzugehen. Denn nur wer sich Aus- und Ruhezeiten gönnt, kann gestärkt und nachhaltig gegen die Missstände angehen, die uns umgeben.

Sprachnachrichten kommen dem entgegen. Also fragen wir Svenja Gräfen, ob Sprachnachrichten für sie okay sind.

Foto: Paula Kittelmann

Svenja Gräfen, geboren 1990, lebt in Leipzig und ist Autorin für Prosa, Essays und Drehbücher. Sie veröffentlichte bisher zwei Romane, „Das Rauschen in unseren Köpfen“ (2017) und „Freiraum“ (2019), sowie Texte in diversen Anthologien und Literaturzeitschriften. Für ihr Schreiben hat sie bereits zahlreiche Stipendien erhalten. Sie leitet außerdem Schreibkurse und arbeitet als freiberufliche Redakteurin, Lektorin und Kreativberaterin.




Svenja Gräfen via Sprachnachricht: „Ich finde das eine super Form des Interviews. Auch, weil ich erst mal gern über Fragen nachdenke, bevor ich antworte.“

Mareice Kaiser via Sprachnachricht: Liebe Svenja, woran merke ich, dass ich Selbstfürsorge brauche?

Svenja Gräfen: „Ich muss mich im Grunde nur fragen: Bin ich ein Mensch? Wenn die Antwort ,Ja‘ lautet, brauche ich Selbstfürsorge, und dann habe ich auch einen fürsorglichen Umgang mit mir selbst verdient. Damit muss ich also nicht warten, bis ich merke: Jetzt brauche ich’s, weil es mir nicht gut geht. Es sollte mehr als nur ein Pflaster sein. Im Idealfall entwickle ich eine ganz grundsätzliche selbstfürsorgliche Art zu leben. Das fängt schon bei Fragen an wie: Wie geht es mir eigentlich gerade? Wie sitze ich gerade am Schreibtisch? Habe ich genug Wasser getrunken? Und dann zu schauen: Was kann ich tun, damit es mir besser geht? Im Kleinen also zum Beispiel: aufstehen, strecken, Wasser trinken.“ 

Warum sprichst du nicht von Self-Care? Hast du bei dem Begriff auch ein seltsames Gefühl?

„Ich spreche von beidem, mehr oder weniger synonym. Aber ich verstehe das komische Gefühl. Self-Care ist ein Buzzword, das total aufgeladen ist und auch vereinnahmt wird von der Wellness-Industrie. Es wird vielleicht eher verknüpft mit Kosmetik, mit teuren Produkten, oder es wird als Hashtag fast schon sinnentleert genutzt, steht dann möglicherweise sogar wirklich für eher egoistisches Verhalten. Ich schätze, deshalb ist bei vielen Menschen die Assoziation da: Self-Care gleich Egoismus. Aber das stimmt nicht.“ 

Worum geht es dir bei den Begriffen?

„Vielmehr als um vorher festgelegte Zeitfenster oder strikte Morgenroutinen geht es mir darum, eine grundsätzliche Haltung zu entwickeln. Also nicht nur während der halben Stunde Yoga nett zu mir zu sein, sondern 24 Stunden am Tag so gut mit mir umzugehen, wie es mir gerade möglich ist. Dazu gehört auch, nicht zu hart mit mir zu sein, wenn mir das mal nicht gelingt. Auf jeden Fall kommt es nicht nur darauf an, dass ich etwas mache, das als Self-Care gelabelt ist. Die Autorin Marlee Grace sagt, ,You can run yourself a bath and hate yourself at the same time‘ – das verdeutlicht total gut, was ich damit meine. Häufig heißt es ja, dass man sich Self-Care leisten können muss. Für bestimmte Dinge trifft das sicher zu, aber um mich radikal von Grund auf mit mir auseinanderzusetzen und zu üben, freundlicher zu mir zu sein, brauche ich weder Geld noch Zeit. Auch am stressigsten Tag kann ich selbstfürsorglich sein – nicht als weiteres To-do auf der Liste, sondern eher, in dem ich versuche, mich nicht auch noch dafür zu verurteilen, dass mir an so einem Tag die Leichtigkeit abhandenkommt.“ 

Warum hat das Wort Fürsorge eigentlich so eine uncoole Konnotation? Fürsorge klingt irgendwie altbacken. Können wir das verändern mit deinem Buch?

„Fürsorge ist nach wie vor weiblich konnotiert und wird abgewertet – das hat ja leider Tradition im Patriarchat. Hinzu kommt, dass es dabei auch um Verletzlichkeit geht, die schnell als Schwäche ausgelegt wird. Das schreckt ab, so nach dem Motto: Ich soll mich um mich selbst kümmern? Das hab ich doch gar nicht nötig, ich bin doch stark! Außerdem steckt das Wort ,Sorge‘ drin, das ja auch nicht gerade vor positiver Bedeutung strotzt. Auf jeden Fall hoffe ich, dass mein Buch da etwas verändern kann. Dass daraus gezogen wird: Okay, eigentlich ist es total cool, mich um mich selbst zu kümmern und zu wissen, wie ich mir helfen kann. Es ist quasi eine Superpower! Und es ist total wichtig. Genau so, wie es natürlich wichtig ist, sich um andere Menschen zu kümmern.“ 

Dein Text wird im Buch ergänzt durch Illustrationen von Slinga Illustration. Wie sieht für dich die perfekte Illustration zu Selbstfürsorge aus?

„Ich weiß nicht, ob es die eine perfekte Illustration gibt, weil das Thema so vielschichtig ist. Und ich liebe jede einzelne von Slingas Illustrationen im Buch! Eine davon bringt es ganz gut auf den Punkt: Da sind zwei Personen zu sehen, die eigentlich eine Person sind – also eine Person, die sich um sich selbst kümmert. Und da steht: ,Es ist eine Herausforderung, parallel die Person zu sein, um die sich gekümmert werden muss als auch die, die sich kümmert. Aber es ist möglich!‘ Das ist auch so der Spirit des Buchs: Es ist möglich. Selbstfürsorge ist möglich, und zwar für alle. Sie muss nicht zwingend Geld kosten. Es ist etwas, das ich üben kann – und das mir einfach guttut.“ 

Slinga Illustrations im Buch „Radikale Selbstfürsorge“
Quelle: Thalia.de

Svenja Gräfen: „Radikale Selbstfürsorge. Jetzt!“, Eden Books, 2021, 15 Euro.

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