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Warum Gleichberechtigung nichts wert ist, wenn sie nur für privilegierte Frauen gilt

Eigentlich lief es gut mit der Geschlechtergerechtigkeit, fand unsere Community-Autorin. Dann kam die Corona-Krise und ihr wurde klar: Gleichberechtigung muss für alle gelten, sonst ist sie nichts wert.

Es schien doch alles recht gut zu laufen für uns und die Gleichberechtigung. Gute Ausbildung, Elterngeld für das erste Jahr mit Baby, einigermaßen aufgeklärte Männer, die es wichtig finden, dass ihre Frau sich selbst verwirklicht. Gut, es war uns klar, so ganz zu 100 Prozent gleichberechtigt waren wir noch nicht.

Obwohl Frauen die besseren Bildungsabschlüsse machen, werden vor allem Männer Chefs. Den Kuchen für das Kindergartenfest backen noch immer die Mütter, sie sind es, die an die Geburtstagsgeschenke denken, an Arzttermine oder die silberne Hochzeit der Schwiegereltern: Mental Load. Aber wir waren doch auf einem guten Weg. Irgendwie. Fanden wir. Wir privilegierten weißen Frauen mit hoher Bildung und Partner.

Dann kam Corona und lachte uns frech ins Gesicht. Auf einmal standen die Frauen wieder am Herd. Ein Schlag in die Magengrube. „Mädels, ob wir euch im Beruf oder Zuhause haben wollen, das entscheiden immer noch wir“, ruft uns nun das Patriarchat entgegen. Homeschooling, Kita-Kinder betreuen, Home-Office mit Hausarbeit, das alles machen überwiegend Frauen. Überwiegend allein. Die Soziologin Jutta Allmendinger prophezeite am 4. Mai bei Anne Will, dass unsere Gesellschaft eine „entsetzliche Retraditionalisierung erfahren“ werde.

Die Empörung war und ist groß. Petitionen gab es zahlreiche. Und ja, es ist auch alles so unfassbar, dass es einem*r den Magen umdreht.

Am Ende sind wir egal

Liebe mit-privilegierte Frauen, wir sollten die Taschentücher stecken lassen und in den Spiegel schauen. In den letzten Jahren hätten uns viele Alleinerziehende, finanziell Benachteiligte, Women of Colour und Schwarze davon berichten können: Am Ende sind wir egal. Sobald eine Frau nicht ein klares Set an Funktionen und optischen Standards erfüllt, kommt sie nur schwer voran.

Muslimischen Frauen wird der Zugang zu bestimmten Berufen verwehrt, Alleinerziehende werden härter besteuert als kinderlose Ehepaare, Women of Colour und Schwarze müssen sich tagtäglich mit rassistischen Stigmatisierungen rumschlagen, die ihnen die Wege in höhere Bildung und Berufe erschweren und oft unmöglich machen.

Ja, in den vergangenen Jahrzehnten hat sich einiges bewegt. Dabei ging es aber nie um Frauen an sich, nie um die strukturelle Benachteiligung, nie um die Care-Arbeit, die überwiegend von uns geleistet wird. Es ging um den Bedarf des Arbeitsmarktes.

Alles für den Arbeitsmarkt

Das Elterngeld gab es, so wurde es explizit formuliert, damit die Akademikerinnen, die der Arbeitsmarkt sich wünschte, Kinder bekamen. Es ging nicht um die Förderung von Care-Arbeit. Es war kein grundlegendes Interesse an der Situation „der Frau“. Man wollte eine bestimmte Art von Arbeitnehmer*innen, nämlich gut ausgebildete, vermehrt haben. Und da hat man halt die Frauen als stille Ressource entdeckt und ihnen ein paar Euro gegeben.

Dass Frauen bestärkt wurden, MINT-Berufe zu ergreifen, hat man auch nicht aus Liebe zu Frauen getan. Man brauchte in diesem Bereich einfach mehr Arbeitskräfte und hat gleich nebenbei die Botschaft ausgesendet: Dieser ganze Pflege-, Sozial- und Kulturkram, den vor allem Frauen sonst gern machen, der ist zwar niedlich, aber eigentlich braucht das doch kein Mensch. (Dass es genau diese Dinge sind, die unsere Gesellschaft tragen, dafür braucht es einen eigenen Artikel.)

Darüber, wie es um die Gleichberechtigung von Frauen wirklich bestellt war, hätte jede weniger privilegierte Frau uns Vorträge halten können. Ein paar, wie etwa Christine Finke, haben uns aber auf dem Laufenden gehalten darüber, wie klein der Schritt sein kann von der gut bezahlten Führungskraft zu „ach, die Alleinerziehende“.

Christine Finke ist weiß. So wie ich. Um nicht zu kneifen, hier eine Liste meiner Privilegien:

  • Ich bin weiß.
  • Meine Eltern sind beide weiß und Akademiker*innen.
  • Ich habe immer der finanziellen Mittelschicht angehört.
  • Ich habe keine körperlichen oder psychischen Einschränkungen.
  • Ich bin heterosexuell.
  • Ich bin atheistisch aufgewachsen, aber in einem christlichen Kontext.
  • Ich bin in Westdeutschland geboren.
  • Ich bin normalgewichtig.
  • Ich bin überdurchschnittlich attraktiv. (Ich habe mich bewusst entschlossen, auch hier nicht zu kneifen und „sagt man mir“ oder ähnliches zu schreiben. Denn es gehört zu meinen Privilegien, dass ich ein vergleichsweise normenkonformes Äußeres habe, was nicht mein Verdienst ist.)
  • Ich habe einen sehr guten Uni-Abschluss.
  • Ich habe einige berufliche Erfolge vorzuweisen.

Hätte ich die letzten beiden Punkte, die einzigen, die ich maßgeblich beeinflussen konnte, erreicht, ohne die lange Liste davor? Hätte ich als junge Frau mit Einwanderungsgeschichte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften studiert und eine Führungsposition erreicht? Vielleicht. Es wäre auf jeden Fall viel viel viel schwerer geworden. Und genau hier, wo ich jetzt gerade sitze und das Privileg genieße, diesen Text zu schreiben, in einer Eigentumsdoppelhaushälfte, säße ich sehr wahrscheinlich nicht.

Wir alle sollten uns fragen: Was ist mit mir? Wo wäre ich, wenn ich Schwarz wäre? Oder meine Eltern aus der Türkei eingewandert wären? Wie viele Privilegien genieße ich eigentlich, ohne mir dessen bewusst zu sein?

Wer glaubt, es sei schon irgendwie okay, dass in Gymnasien, Unis, Führungsetagen oder Fernsehtalkshows unterproportional viele Schwarze Menschen und People of Color diskutieren, ist ebenso rassistisch, wie alle sexistisch sind, die das über den mangelnden Frauenanteil denken.

Der grausame Tod von George Floyd und die folgenden weltweiten Proteste der „Black Lives Matter“-Bewegung bringen uns den strukturellen und alltäglichen Rassismus, den es auch in Deutschland gibt, wieder ins Bewusstsein. Endlich.

Mit Rassismus gibt es keine Gleichberechtigung

Wie schwer es ist, als Schwarze oder Woman of Colour ernst- und wahrgenommen zu werden, haben uns zum Beispiel Dr. Reyhan Şahin, aka Lady Bitch Ray, die Autorin Kübra Gümüşay oder die Autorin Anne Chebu berichtet. Um nur drei von sehr vielen zu nennen. Wir hätten wissen können, wie es wirklich um den Rassismus in diesem Land steht und damit um die wirkliche Gleichberechtigung. Und wir haben sie ignoriert.

Jedenfalls weitestgehend. Denn, Hand aufs Herz: Wer hat sich für die Rechte von Altenpflegerinnen und Putzfrauen eingesetzt, Berufe, die überproportional häufig von Women of Colour, Schwarzen Frauen und Osteuropäerinnen ausgeübt werden? Wer weiß, wie hoch der Hartz IV Satz für Kinder ist und hat sich für die Mütter eingesetzt, die damit klarkommen müssen?

Wie viele von uns haben kopftuchtragenden Lehrerinnen und Rechtsreferendarinnen den Rücken gestärkt? (Ja, ich finde es anmaßend, wenn Frauen, die Kopftuch tragen, der freie Wille abgesprochen wird.) Wer hat nachgefragt, warum eigentlich in den Gymnasien zwar viele Mädchen, aber unterdurchschnittlich viele Kinder mit Einwanderungsgeschichte sind?

Die Corona-Krise macht uns noch einmal unmissverständlich klar: Wir sind nicht gleichberechtigt. Nicht mal im Ansatz. Und das, was man uns gegeben hat, ist man sehr schnell bereit, uns wieder zu nehmen. Denn es war alles nur für den Moment, als nicht Corona war und arbeitende Frauen irgendwie gut in den Kram passten.

Wir werden so lange nicht selbst gleichberechtigt sein, bis es nicht alle Frauen sind. Bis in der Gesellschaft nicht angekommen ist, dass das, was in den Bereich der Frauen fällt, nicht für Doofe ist, die man ruhig schlecht bezahlen darf. Oder gar nicht, wenn die Arbeit eben Zuhause anfällt. Wir sind dann erst gleichberechtigt, wenn anerkannt ist, dass das, was überwiegend Frauen tun, im Herzen von Allem liegt.

Die persönliche gläserne Decke

Wir hatten es uns gemütlich gemacht in unserer weißen Akademiker*innen-Bubble. Hier und da hat es ein wenig gezwickt. Aber wir haben unsere Kostümchen angezogen, weitergestrampelt und uns vor allem über unsere persönliche gläserne Decke empört. Dass viele unserer Privilegien nur deshalb funktionierten, weil weniger privilegierte Frauen für wenig Geld Care-Arbeit schultern, hat uns weniger interessiert.

Wir werden so lange nicht selbst gleichberechtigt sein, bis es nicht alle Frauen sind.

Häufig erledigen Women of Colour, Schwarze oder Osteuropäerinnen die Pflege-, Putz-, Haushalts- und Fürsorgearbeit, für die wir keine Zeit haben. Oft auch, obwohl sie völlig überqualifiziert sind – oder genau so intelligent und fähig wie wir. Sie hatten nur nicht ausreichend Privilegien, um einen anderen Weg zu nehmen.

Um es klar zu sagen: Ein großer Teil der für uns erreichten Fortschritte funktioniert nur, weil sie für weiße privilegierte Frauen gedacht sind und auf den Schultern von nicht-weißen Frauen getragen wird. Ohne den systemischen Rassismus, der Schwarze und People of Colour an ihrem Platz hält, wäre der Fortschritt der weißen Frauen sehr viel schwerer vorangegangen.

So lange Feminismus also nicht intersektionaler Feminismus ist, ist er vor allem, wie es Rachel Cargle (die sich in den USA maßgeblich für intersektionalen Feminismus einsetzt) nannte: „White Supremacy in Heels“ , weiße Vorherrschaft in Pumps.

Wenn wir nicht dafür sorgen, dass alle gleichberechtigt sind, dann setzen wir uns nicht für Frauen ein. Dann kämpfen wir für unsere eigenen Privilegien. Und die Tendenzen zeigen sich leider schon wieder. Es wird vehementer für ein Corona-Elterngeld gestritten als für eine angemessene Bezahlung für systemrelevante, aber schlecht bezahlte Care-Berufe. Damit bekämen wieder vor allem Privilegierte Geld, während andere weiter für wenig schuften.

Kämpfe statt Selbstmitleid

Wir können uns jetzt selbst bemitleiden. Oder wir machen es diesmal richtig. Lasst uns für ein Elterngeld kämpfen, das auch Geringverdienerinnen und Hartz-IV-Empfängerinnen etwas bringt. Lasst uns für Krankenpfleger*innen und andere systemrelevante aber mies bezahlte sogenannte „Frauenberufe“ auf die Straße gehen. Lasst uns darüber nachdenken, ob wir unsere Putzfrau wirklich gut genug bezahlen. Und lasst sie uns dann besser bezahlen.

Lasst uns dafür sorgen, dass Women of Colour und Schwarze Frauen faire Chancen bekommen, denn sie sind doppelt benachteiligt. Lasst uns für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen eintreten, die noch immer massiv diskriminiert werden und Hass und Hetze ausgesetzt sind.

Ja, lasst uns auch in Konferenzen der Kollegin zur Seite stehen, deren kluger Beitrag mal wieder von einem Mann gekapert wird. Wenn wir auf die Barrikaden gehen, sollte auf unseren hippen T-Shirts nicht stehen: Slay the Patriarchy. Es muss heißen: Slay the white Patriarchy.

Und lasst uns das auch tun, wenn all diese Menschen nicht eure besten Freund*innen sind. Nicht nur aus Menschlichkeit. Auch aus schlichtem Egoismus. Denn die Freiheit der Anderen ist auch deine Freiheit.

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