Es ist „ein Zustand vorfreudiger Aufgeregtheit mit so einer kleinen Unsicherheit, die aber in diesem Zusammenhang auch etwas Schönes ist.“ – So beschreibt Christian Dittloff seine Gemütsverfassung, kurz vor der Veröffentlichung seines dritten Romans, in dem er sich dem Thema Männlichkeit widmet. Ein Wagnis. Denn er untersucht die eigene Kindheit und Jugend auf patriarchale Bruchstücke, die zu teilweise auch schmerzhaften Eingeständnissen führen. Zugleich ist dieses Buch ein Manifest für lebenslange Veränderung, unermüdliche Reflexion und Bewusstmachung dessen, was anders werden muss, um irgendwann ein gleichberechtigtes ,Wir’ zu leben.
Christian, in wenigen Tagen erscheint dein neuer Roman „Prägung“. Wie hat sich die Idee, über Männlichkeit literarisch nachzudenken, entwickelt?
„Ich bin durch den Tod meiner Eltern in diese Rückwärtsbewegung gekommen. In meinem Buch ,Niemehrzeit‘ (2021) habe ich mich vor allem mit der Beziehung und den Erinnerungen an meine Eltern beschäftigt und untersucht: Was kann für mich bleiben? Viele andere Erinnerungen sind in dieser Zeit gekommen, die sehr eng miteinander zusammenhängen. Während der Arbeit an ,Niemehrzeit’ habe ich damit angefangen, an einem Buch über Männlichkeit zu arbeiten, ohne zu wissen, was daraus wird.
„Ich möchte die Bruchstücke meiner Prägung oder meiner Kindheit aufbrechen und gucken, was darin enthalten ist.“
Im Buch beschreibe ich diesen einen Punkt, an dem ich dachte: Ich muss mich mit Männlichkeit beschäftigen. Ich war bei einer Meditation im Rahmen einer therapeutischen Übung. Während meiner wunderschönen Gedankenreise haben ein paar Männer den Mund aufgerissen und laut und genüsslich gestöhnt – das hat mich unglaublich gestört.
Vor dem Hintergrund des trauernden Zustands, in dem ich mich befand, kam die Wut wahrscheinlich ein bisschen schneller hervor, vielleicht auch, weil diese Gefühle eng miteinander verwoben sind – Wut und Trauer. Und dieses riesige Sich-Breit-Machen als Atemgeräusch hat mich so aufgeregt, dass ich wirklich zuschlagen wollte. Ich habe die Fäuste geballt beim Meditieren. Und da habe ich gemerkt: Diese Wut und Gewaltbereitschaft – darin lag auch eine Form von toxisch männlicher Energie. Das war die Initialzündung, um diesen Zusammenhang genauer zu untersuchen.“
Du zitierst an einer Stelle im Buch die Autorin Annie Ernaux, die sagt, es gebe zwei Arten von Literatur: Die nacherzählende und die suchende. Dies ist ein suchender Text. Was suchst du?
„Ich suche zunächst die Suche selbst, die suchende Bewegung. Ich habe nichts Konkretes, was ich finden will, kein konkretes Bild oder ein konkretes Ergebnis. Aber ich möchte in diesem Buch verstehen, wie ich der Mann geworden bin, der ich heute bin. Ich möchte die Bruchstücke meiner Prägung oder meiner Kindheit aufbrechen und gucken, was darin enthalten ist. Ich suche eigentlich nach bedeutsamen Erlebnissen, die eine nachhaltige Wirkung auf mich hatten. Das müssen nicht unbedingt immer die Erlebnisse sein, die man zu Beginn schon vor Augen hat, es kann auch versteckt liegen und deshalb muss ich sehr tief in meinen inneren Steinbruch gehen.“
Ja, der innere Steinbruch ist das zentrale Bild – warum hast du dieses Bild gewählt?
„Ich wollte das Buch in keine klassische Erzählung fassen – das wäre eine klassische Heldenreise geworden, und ich wollte mich selbst nicht zum Helden machen, sondern etwas mehr Ambivalenz in meine Figur bringen. Ein Bild für Erinnerung ist für mich der Steinbruch. Ich gehe in den inneren Steinbruch herab, hole eine Erinnerung hoch, diese Erinnerung ist wie eine Art Steinkugel, und ich breche sie auf und schaue, was darin enthalten ist. Das ist die einfache Metapher.
Ich bin ein Fan von Wortspielen. Und da ist mir relativ schnell aufgefallen, dass sich in dem Wort ,Steinbruch’ noch andere Worte verstecken, die mich anleuchten: Man blendet einzelne Buchstaben aus, und dann ergeben sich zum Beispiel Tuch, Buch, Ich, Stich, aber auch Einbruch. Bei dem Wort Teich wurde es für mich besonders eindrücklich.
Ich erinnerte mich an drei Teiche an meiner Kindheit. Der eine Teich ist bei uns am Reihenhaus im Garten, er steht für die Angst meiner Mutter. Dann gibt es den Teich am Kindergarten, der ist umgeben von einem Verbot: Wir dürfen da alleine nicht hingehen. Und dann gibt es den Teich bei der Oma eines Freundes, wo wir machen dürfen, was wir wollen, weil sie sagt: ,Jungs müssen draußen sein und spielen‘. Und ich habe gemerkt: Über dieses Bild kann ich bestimmte Erziehungsmethoden, aber auch Zugriffe von Institutionen, Freunde von Freunden und Eltern erzählen und so kam dieses Erinnern ins Rollen, weil ich gemerkt habe: Ich kann eigentlich überall hingucken, es lohnt sich.
„Es ist egal, wohin ich in meiner Kindheit blicke, ich bin letzten Endes immer geprägt von Bildern patriarchaler Männlichkeit.“
Die These, die dahinter steckt ist: Es ist egal, wohin ich in meiner Kindheit blicke, ich bin letzten Endes immer geprägt von Bildern patriarchaler Männlichkeit. Das ist eine der Grundannahmen dahinter. Deshalb hab ich es erst einmal fragmentarisch betrachtert, um es dann doch zu einer Art von Erzählung zusammenzuführen, die auch konsumierbar ist. Ich habe die Fragmente thematisch und chronologisch geordnet, ich wollte, dass es sich fügt über die die Erinnerung.“
Patriarchat, Männlichkeit: Welche Ängste waren im Vorfeld mit deinem Buch verbunden?
„Viele Ängste. Ich wollte auf keinen Fall mich selbst als ,einer der Guten‘ darstellen – das war mir wichtig. Dann war mir wichtig, die Gewalt, die ich in meiner Kindheit beobachtet habe, zum Beispiel gegen Mitschüler*innen, nicht einfach nur zu reproduzieren und dann von dieser Reproduktion zu profitieren. Und: Ich wollte kein Buch schreiben, das anschlussfähig ist für Männerrechtler, in irgendeiner Form. Das waren meine drei Wünsche.
Und eine Befürchtung oder eine Angst, die ich im Buch benenne und die gleichzeitig schwer auszusprechen ist: Ich hatte Angst, dass ausgerechnet die Menschen, deren Meinung mich am meisten interessiert – progressive Feminist*innen – gleichzeitig auch die schärfsten Kritiker*innen sein könnten. Dass das Buch nicht den richtigen Ton trifft. Das waren die größten Befürchtungen.“
Hat sich deine persönliche Beziehung respektive Bewertung von Männlichkeit im Prozess des Schreibens verändert?
„Manche Dinge haben sich mit dem Schreiben manifestiert, andere haben sich verändert. Was sich wirklich festgesetzt hat und wovon ich zutiefst überzeugt bin, dass strukturell alle Cis-Männer durch eine Art der patriarchalen Zurichtung gehen. Das heißt, dass sie durch Schule, durch Freunde, durch große Brüder, durch Eltern, durch Popkultur, durch Produkte, die sie kaufen können, durch Erzählungen, durch Literatur auf eine bestimmte Art und Weise gesehen werden. Das mag sein, dass das aktuell auch ein wenig aufgebrochen wird.
„Die Generation, die jetzt auch in gewisser Weise in die Zentren der Macht drängt, die bestimmte Posten übernimmt, die selber zu Gatekeepern werden, die eine große Sprachmacht haben und eine große Verantwortung tragen – sie alle sind durch diese Schule gegangen.“
Aber für mich als heterosexueller cis Mann, geboren Anfang der 80er Jahre in Westdeutschland, war es auf alle Fälle so. Die Generation, die jetzt auch in gewisser Weise in die Zentren der Macht drängt, die bestimmte Posten übernimmt, die selber zu Gatekeepern werden, die eine große Sprachmacht haben und eine große Verantwortung tragen – sie alle sind durch diese Schule gegangen. Das hat mir dieses Buch auch noch mal vor Augen geführt. Die Suche in meiner eigenen Vergangenheit und das Sprechen mit Freunden von früher hat mir das durchaus wieder vergegenwärtigt.
Was sich geändert hat, ist eine Art Mitgefühl zu haben für mich selbst als Kind in der Zeit. Aber nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere Jungs und Männer, aber natürlich für alle Menschen, die in der Zeit aufgewachsen sind. Ich möchte niemals biologisch deterministisch argumentieren und sagen: Männer sind so. Sondern Männer werden so gemacht und darunter leiden Männer auch. Ich finde es aber ganz wichtig, bei diesem Leiden und Selbstmitleid nicht stehen zu bleiben, sondern weiter zu gehen: Wie leiden auch andere Menschen in dieser Gesellschaft unter mir als Mann, der patriarchal geprägt wurde?“
Mein Sohn ist sieben und hat aufgrund seiner langen Haare und seiner Vorliebe für bunte Farben Probleme mit Mobbing. In deinem Kapitel SEI beschäftigst du dich mit den Imperativen – also wie ein Mann zu sein hat. Viele sagen, der Feminismus habe diese alten Jungs- und Männerbilder mittlerweile aufgeweicht. Wo stehen wir aktuell?
„Schwer zu sagen. Ich denke schon, dass Feminismus eine große Strahlkraft hat. So weit, dass er längst auch im Kapitalismus eingemeindet werden kann und man von ihm profitiert. Ich glaube, dass bei Kindern in dem Alter immer noch alles eingeordnet wird und auf so eine Seite geschoben werden kann – was ist männlich als Gendernorm, was ist weiblich als Gendernorm? Bunte Bilder = weiblich. Lange Locken = weiblich. Fahrrad mit 21 Gängen = männlich. Fahrrad mit drei Gängen = weiblich. Es gibt so absurde Skalierungsnotwendigkeiten – daran muss man sehr beharrlich arbeiten und Kinder in ihrem Unbehagen unbedingt bestärken und auffangen.“
Du beschreibst, dass du sehr viel im Gespräch warst mit Frauen, die unter patriarchal geprägten Männern zu leiden haben oder hatten. Hast du im Lauf der Arbeit am Roman auch mit männlichen Freunden darüber gesprochen?
„In der Vorbereitung habe ich diese Art Gespräch nicht so sehr gesucht oder geführt. Wenn ich jetzt mit Freunden spreche, ist es aber so, dass sie sich in dem Erzählten wiedererkennen und ihr Leiden erkennen und eben auch ihre Verantwortung erkennen, die sich aus dieser Prägung ergibt.
Tatsächlich habe ich auch Widerwillen verspürt. Ein Satz, der kam, lautete: ,Christian, sei doch nicht so hart mit dir‘. Ich fand das interessant, weil ich gar nicht das Gefühl habe, dass ich hart mit mir bin, sondern ehrlich, wenn ich sage: Ich habe als Teenager einen Weg gefunden, von meiner vielleicht charakterlich bedingten Weichheit trotzdem noch zu profitieren, in dem ich die anderen, stärkeren, vielleicht auch gewalttätigeren Jungs benutzt habe, um mich von ihnen zu unterscheiden und darüber auch Mädchen für mich zu begeistern – dann ist das erstmal eine richtige Beobachtung. Ich fand das nicht hart.
„Durch eine intensive Selbstbeschäftigung zu gehen ist auf alle Fälle anstrengend und fordernd. Vor allem diese Idee, mir etwas einzugestehen, erfordert Kraft und Aufwand, aber keine Härte. Langfristig bedeutet es eher, weich mit mir zu sein.“
Klar macht man Dinge, um gemocht zu werden, das wollen ja alle irgendwie. Aber dass ich trotzdem von der Gewalt anderer Männer profitiere, in dem ich mich als ein anderer Mann zeigen kann, das fand ich wichtig zu benennen und mir einzugestehen. Es war wichtig, diesen Weg mit mir zu gehen. Ich finde es eigentlich viel härter, mich nicht mit mir zu beschäftigen. Durch eine intensive Selbstbeschäftigung zu gehen, ist auf alle Fälle anstrengend und fordernd und vor allem diese Idee, mir etwas einzugestehen, erfordert Kraft und Aufwand, aber keine Härte. Langfristig bedeutet es eher, weich mit mir zu sein.“
Ich musste lange über diese Stelle im Roman nachdenken – und habe sie auch als Stärke gesehen. Dass du diese Verbindung hergestellt hast, zeugt von einem großen Reflexionsvermögen.
„Das war auch etwas, wovor ich Angst hatte oder was mir wichtig war: Jetzt nicht feministische Posen zu nutzen, um sie für mich zu kapitalisieren. Es besteht eine grundsätzliche Gefahr darin, dass man alles, was man neu lernt, nutzt, um andere dadurch zu reglementieren oder sich über sie zu erheben, weil man etwas besser weiß als sie. Gerade in einem Diskurs, der sehr schnell ist und in dem der Ton schnell wechselt, kann man das schnell tun und es ist mir wichtig, das nicht zu tun. Wir müssen anerkennen: Wir sind nicht alle synchron und jeder Weg ist unterschiedlich. Vielleicht hat auch das mit einem Startpunkt zu tun und manche Männer brauchen etwas länger, um sich bestimmte Dinge einzugestehen und nützliche Allys zu sein. Antisexistisches Verhalten, Feminismus, Antirassismus können nur durchgesetzt werden, wenn es Allys gibt und nicht nur die Menschen, die betroffen sind, kämpfen. Es braucht Verbündete, sonst sind faktisch einfach nicht genug Menschen involviert. Für Männer braucht es aber manchmal den Weg durch das Eingeständnis, durch das Selbstverständnis.
„Antisexistisches Verhalten, Feminismus, Antirassismus können nur durchgesetzt werden, wenn es Allys gibt und nicht nur die Menschen, die betroffen sind, kämpfen.“
Das Buch ist nicht zu Ende, ich schreibe im Kopf irgendwie immer noch weiter daran – und so ein zentraler Satz über das Buch hinaus ist: Das ist kein Geständnis, sondern ein Eingeständnis. Es geht also nicht darum, vor einem imaginierten Außen zu sagen: ,Oh nein, sorry, das habe ich falsch gemacht, bitte verzeiht mir‘. Sondern es geht darum, dass man es sich selbst eingesteht und durch das Eingeständnis die Kraft entwickelt, ein Verbündeter zu sein. Das ist etwas, was ich mit dem Roman anstrebe.“
Dabei ist es wichtig, die Bühne dafür zu schaffen. Ich habe das Gefühl, dass Männer überhaupt erst sehen müssen, dass sie ebenso angesprochen sind. Gerade Bücher mit literarischem Ansatz – und eben nicht nur unbedingt Sachbücher – können Knoten zum Platzen bringen.
„Ich bin froh, dass du es ansprichst. Das Buch hätte zwischendurch auch mal ein Sachbuch sein können. Titel wie ,Untenrum frei‘ von Margarete Stokowski oder ,Sie hat Bock‘ von Katja Lewina hätten durchaus noch stärker Vorbild für mein Buch sein können. Die beiden sind tolle Autor*innen, ihre Bücher nehmen aber eher die Perspektive des persönlichen Sachbuchs ein, und ich wollte aus einer persönlich-literarischen Perspektive schreiben, diese Unterscheidung ist mir wichtig. Es gibt ganz viele Bücher von Journalist*innen, die auch die fachliche Grundlage längst geschaffen haben – das wollte ich jetzt erneut machen, sondern mich auf sie berufen und auch im Buch erwähnen.
„[Das Buch versucht], die Notwendigkeit zur Veränderung durch ein Gefühl zu erzeugen und den Männern insbesondere der Generation Y und der Generation X einen Spiegel vorzuhalten.“
Meine Stärke ist die literarische Arbeit mit dem sehr persönlichen und gleichzeitig künstlerischen Ansatz. Der Knoten wird auf eine andere Art und Weise zum Platzen gebracht, das passiert über das Gefühl und nicht über den Fakt. Das ist der Trick, den dieses Buch versucht, also die Notwendigkeit zur Veränderung durch ein Gefühl zu erzeugen und den Männern insbesondere der Generation Y und der Generation X einen Spiegel vorzuhalten und zu sagen: ,Ich schäme mich zum Teil für mein Verhalten oder ich habe gelitten unter dieser Art der Erziehungsmethoden und auch der Popkultur und so weiter – und ich wünsche es mir anders, vielleicht geht es dir auch so.‘“
Ich hatte trotz des Kreisens um ein Ich auch ein starkes WIR im Kopf während des Lesens. Du lässt weiblich gelesene Menschen zu Wort kommen, die das Buch mit Anmerkungen versehen oder Fragen, die sie zum Text stellen.
„In meinem Buch kommen vier Personen besonders stark wie in das Buch hineinsprechende Stimmen vor: Das sind meine Partnerin C., mein Lektor, meine Agentin und meine literarische Kollegin und Freundin Paula. Das war im Vorfeld nicht geplant, es hat sich bei der Arbeit entwickelt. Als ich erste Bruchstücke aus meinem Steinbruch den Erstleser*innen gezeigt habe, habe ich gemerkt, dass ich total von ihrer Kritik profitiere. Es war mir wichtig, dieses Profitieren zu honorieren, die persönliche Arbeitsweise offenzulegen und zu zeigen, dass man durch Austausch mit Menschen lernt und kritikfähig sein muss. ich wollte diese Idee von ,Genie‘ ganz stark verlassen und deutlich machen: Auch dieses Buch ist ein Buch des Austauschs unter vielen. Es soll das Mitwirken des persönlichen Umfelds anzeigen. Ich fand es wichtig, das in die Schreibweise einzuflechten, weil es meinem persönlichen Wachstum nahekommt – mich über Gespräche zu erkennen und auch verändern zu wollen.
„Dieses Buch ist ein Buch des Austauschs. Es soll das Mitwirken des persönlichen Umfelds anzeigen.“
Du hast gesagt, dass es dieses ,Wir‘ gibt und niemand ausgeschlossen ist. Und zugleich ist es wichtig, dass ich beim ,Ich‘ anfangen muss, um zum Wir zu kommen. Weil gerade manchmal in diesen total krassen Details die Anschlussfähigkeit liegt. Auch wenn du vielleicht ein anderes Lied 1999 auf dem Weg zur Schule gehört hast als ich – aber du hast auch ein Lied gehört und es hat dich auch berührt. Strukturell gibt es dann eine Möglichkeit, wieder ins alte Ich zu gucken.
Das habe ich bei NiemehrZeit gemerkt, dass ich einen sehr individuellen Weg der Trauer gezeichnet habe und ich danach wirklich auch über Instagram, per E-Mail Hunderte von Nachrichten bekommen habe von Leuten, die gerade in Trauer sind oder ähnliche Erfahrungen gemacht habe, die gesagt haben, wir sehr ihnen das Buch geholfen hat, sich selbst zu verstehen, auch, wenn es bei ihnen selbst ganz anders war. Und das war ein Grund, warum ich diesen Ansatz bei Nachdenken über Männlichkeit auch gewählt habe.“
Hast du dadurch auch deine literarische Form gefunden, über NiemehrZeit?
„Das ist auch etwas, was ich schwer über die Lippen bringe. Der Tod meiner Eltern hat mich in eine literarische Arbeitsweise gebracht, in der mich mein literarisches Schreiben komplett neu gefunden hat. Das hängt auch stark mit dem Wunsch nach persönlichem Wachstum und persönlicher Neugierde zusammen und kommt nicht mehr so stark vom Schaffen her, sondern vom Verändern. Das habe ich mit NiemehrZeit gefunden und in Prägung noch mal ausgearbeitet, mit vielleicht noch mehr Kniffen in Hinblick auf Selbstreflexion in den Text bringen. Ich glaube auch, dass mein nächstes Buch ein ganz anderes wird, weil ich auch nicht der Autor sein will, der immer nur sich selbst beleuchtet. Das hab ich relativ schnell relativ viel gemacht, also zwei so persönliche Bücher in drei Jahren zu schreiben, war hart für mich. Und jetzt brauch ich auch irgendwann mal wieder den Abstand. Jetzt kommt auch erst mal eine Lesereise.“
Mit welchen Gefühl, mit welcher Bewegung sollen Leser*innen aus der Lektüre herausgehen?
„Ich wünsche mir, dass Menschen, die dieses Buch lesen, stärker mit sich selbst in Kontakt kommen und hinterfragen, wie sie aufgewachsen sind und was sie weitergeben möchten. Prägung ist ja der erste Teil des Lebens und Verantwortung ist der zweite Teil des Lebens. Sich der Prägung bewusst zu werden, um verantwortungsvoll agieren zu können, das wäre mir ein großes Anliegen. Und ich glaube, das betrifft erst mal alle. Insbesondere Männer sollten sich eingestehen, in patriarchalen Verhältnissen aufgewachsen zu sein, darunter gelitten zu haben und zugleich vielleicht ein Mensch geworden zu sein, unter dem andere leiden. Gleichzeitig gibt es Techniken der Selbstreflexion, die in diesem Buch auch aufgezeigt werden, die anderen Menschen helfen können.
„Männer sollten sich eingestehen, in patriarchalen Verhältnissen aufgewachsen zu sein, darunter gelitten zu haben und zugleich vielleicht ein Mensch geworden zu sein, unter dem andere leiden.“
Und ein Satz noch: Ich glaube, was Männer tun müssen, um feministische Allys zu sein, ist, dass sie eine Lernbereitschaft mibringen. Der erste Schritt des Lernens wäre, sich selbst innerhalb eines Geschlechterverhältnisses zu begreifen und zu merken, dass man auch innerhalb dieses Geschlechterverhältnisses zu leiden hat. Darin darf man aber nicht verharren. Der nächste Schritt wäre, auch andere Männer in entsprechenden Räumen auf Fehlverhalten hinzuweisen. Es reicht nicht, sich Frauen gegenüber gut und richtig zu verhalten. Man muss schon in die Konfrontation gehen mit Männern, die es offensichtlich falsch machen – also auch in reinen Jungs- und Männergruppen laut sein und darauf hinweisen: Hey, das ist nicht richtig, so etwas zu sagen oder gar zu tun.“
„Prägung“ – Veröffentlichung und Buchpremiere
Ihr möchtet den autobiografischen Roman jetzt unbedingt lesen? Dann haben wir jetzt zwei Pflichttermine für euch: Am 23. Februar leuchtet das Buch „Prägung. Nachdenken über Männlichkeit“, erschienen im Berlin Verlag, im Schaufenster, in den Regalen und auf den Bestsellerpotenzial-Tischen der Buchhandlung(en) eures Vertrauens.
Und am 7. März 2023 bekommt ihr jetzt noch die letzten Karten für die Buchpremiere mit Christian Dittloff im Pfefferberg-Theater – moderiert wird die Veranstaltung von der einzigartigen Mareice Kaiser.
Solltet ihr an dem Tag verhindert sein, könnt ihr hier alle Termine der Lesereise auf einen Blick sehen.
Christian Dittloff ist dabei auf dem FEMALE FUTURE FORCE Day 2023
Ihr möchtet den Autor Christian Dittloff live on stage erleben? Könnt ihr! Am 21. Oktober 2023 füllt er die Arena Berlin zusammen mit anderen großartigen Künstler*innen mit klugen Gedanken und Schritten hin zu einer gleichberechtigen Zukunft: The Future Is Equal. Early Bird Tickets gibt es schon ab dem 1. März 2023.