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Ich habe gegen Liebeskummer getindert und es war schrecklich

Tinder ist die beste Medizin gegen Liebeskummer? Da muss ich euch leider enttäuschen. Meine Dating-Erfahrungen haben mir erst deutlich gemacht, wie sehr ich meinen Ex-Freund vermisse.

Daten gegen Liebeskummer

Ok, ich gebe zu: Vielleicht bin ich zu naiv an die Sache ran gegangen. Habe gedacht, dass ich es vielleicht schaffen könnte, über den Herzschmerz hinweg zu kommen, der vor einem halben Jahr über mich hereinbrach. Habe gedacht, dass all die hübschen Gesichter fremder Männer, über die reichlich Hipster-Filter gelegt worden sind, all die zugeschnittenen und perfekt inszenierten Bilder, mich an einen Punkt bringen könnten, zumindest das Gesicht meines Ex-Freundes zu vergessen und es durch die Bilder anderer zu ersetzen. Aber ich habe mich geirrt.

Tinder kann dir zwar die Einsamkeit abnehmen, aber reden musst du immer noch selbst. Ich war ja auch nicht in Wirklichkeit so, wie in diesem quadratischen Etwas, das mein Profil darstellte. Ich war weder so zuckersüß, wie diese seltsame Selfie-Kamera mich dargestellt hat, noch war ich in Wirklichkeit so schmal, wie es auf andere wirkte. Ich war voller Aufregung und Schmerz und wollte wissen, ob der Funke schnell überspringen würde, ob ich jemanden heiraten wollen würde, jemandes Bart kraulen könnte. Aber das, was geschah als ich die Dating-App benutzte, hinterlässt in mir nur Ratlosigkeit und viele Fragezeichen.

Wer bist du?

Wer waren diese Männer eigentlich? „Richtig kennengelernt” habe ich nicht einen einzigen von ihnen. Mit „richtig kennengelernt” meine ich, dass sie mich in ihr Leben eingegliedert hätten, mich zu Partys mitgenommen, oder mich ihren Freunden vorgestellt hätten. Oder dass sie auch nur irgendjemandem von mir erzählt hätten. Und andersherum tat ich es ja auch nicht. Also, wer waren diese fremden Menschen eigentlich, dass ich mich am Ende sogar vor Freunden rechtfertigen musste, was ich da eigentlich tue?

All diese seltsamen WhatsApp-Nachrichten (WhatsApp stellte sich als das eigentlich schlimmere Tinder heraus) werfen Fragen auf, und wühlen sich durch meine unter- und oberflächlichen Gefühlsebenen. So schlimm, dass ich noch nicht mal ein Wort dafür finde.

Wie datet man eigentlich richtig?

Eigentlich wusste ich noch nicht mal, wie das läuft, das mit dem Daten. Auf jemanden attraktiv wirken zu müssen, durch Make-up und Gesten Interaktionen herbeiführen, all diese Regeln, von denen man immer in Frauenzeitschriften liest oder die man sich von YouTube-Ratgebern aufquatschen lässt, sich jemandem wie aus dem Nichts heraus anzunähern, all das war mir komplett fremd.

Und wie erteilt man jemandem einen Korb, den man zwar nett findet, nett ja aber bekanntlich die kleine Schwester von Scheiße ist. Ich kannte Trennungen nur unter furchtbarem Geschrei, mit Vorwürfen und großem Drama. Wieso bringt dir keiner im Internet bei, wie man sich höflich lösen kann, wenn man nach drei Dates völlig desinteressiert ist, ohne dass man am Ende als Bitch dasteht? Nicht mehr schreiben,einfach ignorieren? Blockieren? Nicht mehr auf irgendwas eingehen?

Tinder macht dich arm

Teuer ist das Daten zu allem Überfluss auch noch. So teuer, dass ich teilweise schon Dates absagen musste, weil ich nicht wusste, wie ich jetzt die nächste Rechnung zahlen sollte. Geld sollte man immer parat haben, man kann ja nicht immer davon ausgehen, dass man eingeladen wird. Und zu sagen, dass man pleite ist, ist leider total unsexy.

War das damals eigentlich auch so, als ich das letzte Mal wirklich hart verliebt war? Habe ich mir da Gedanken machen müssen, was ich in jenem Moment zu sagen habe, damit es den anderen imponiert? Ich habe unterschiedliche Männer unterschiedlicher Art getroffen, denen ich so niemals begegnet wäre, bin in Bars und Clubs gegangen, in die ich nie vorher gegangen wäre. Diese Orte scheinen gut an meinen Dates verdient zu haben.

Tinder zwingt dich, mit dir selbst klarzukommen

Doch – und das ist es, was mich für mich selbst unerträglich macht – war die Erkenntnis, dass ich eigentlich ein total langweiliger Mensch bin. Zumindest dachte ich das nach etlichen Wiederholungen und Phrasen, die ich irgendwann bei jedem neuen Date herunterbeten konnte. Als trüge ich eine Maske, als wäre das einzig wahre Gefühl nur die brennenden Augen der Kontaktlinsen. Das Bedürfnis auch mal alles fallen zu lassen und vollkommen Ich sein zu wollen, wuchs und wuchs. Denn ich empfand mich irgendwann nur noch als Hülle meiner selbst.

Das Rechts-Links-Switchen, all das neu anfangen, eigentlich nur gähnende Leere – warum wollte ich das auf einmal? Ich habe sogar meiner Freundin Tipps gegeben, als sie sich bei einer anderen Plattform angemeldet hatte: Triff dich bloß noch nicht bei ihm zu Hause, sagte ich zu ihr. Was war mit mir los? Ich kam mir vor wie ein Katalog, den man nie angefordert hatte. Wollte mein Wissen an andere weitergeben, es ihnen aufzwingen.

Als ich dann merkte, dass durch das ständige Daten mein Interesse an mir selbst flöten ging, riss ich mich los von dieser Verbindung, die in diesem Augenblick zwischen Tinder, mir und meinem Facebook-Account bestand. All die Seelen, von denen ich mich vollquatschen ließ, entschwanden als Geister wieder in ihre Flaschen. Mein alter Liebeskummer hingegen kehrt hin und wieder in Schüben zurück. Und das sogar noch schlimmer als jemals zuvor.

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