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Wo die Freundschaft aufhört

Was lasse ich meinen Freunden durchgehen? Und zu welchen Kompromissen sollte man in einer Freundschaft bereit sein?

Bleiben Freunde für immer?

Ein Umzug in den vierten Stock, Altbau ohne Fahrstuhl – kein Problem. Wozu gibt es Freunde? In einem solchen Fall werden keine 378 Facebook-Freunde vor der Tür stehen, aber die echten, guten Freunde. Ob Umzug, Liebeskummer, Stress im Job oder Ärger mit der Familie – auf Freunde ist Verlass. Freunde bleiben. Immer.

Immer? Manchmal kriselt es aber auch. Die beste Freundin kommt regelmäßig 15 Minuten zu spät oder sagt kurzfristig ab. Der Kumpel trifft fürs Wochenende mehrere Verabredungen und geht dann zur coolsten Party. Es ist kein Beinbruch, aber nervt auf Dauer, wenn man nur eine Option unter vielen ist. Auch wenn wir noch so gut befreundet sind, werden Freundschaften oft auf die Probe gestellt.

Dabei muss es nicht mal der große Knall sein. Die Freundin muss nicht mit dem eigenen Ex ins Bett gestiegen sein, nachdem sie beim Haustiersitting den Goldfisch hat vertrocknen lassen oder das Bankkonto geleert hat.

Einer der Klassiker ist vielleicht: Die beste Freundin bekommt einfach ein Kind. Punkt. Sie ist in einem anderen Lebensabschnitt; man selbst kann da gerade nicht mitreden, wenn sich auf einmal alles um Windeln, Maxi Cosi und Kita-Platz dreht. Hinzu kommt, dass die Freundin zeitlich jetzt noch mehr eingebunden ist – es vergeht kaum ein Treffen, bei dem der Nachwuchs nicht dabei und nicht Thema ist. Auf Dauer entwickeln sich die Interessen und Themen dann einfach auseinander. Die Freundschaft ist weniger intensiv oder verliert sich ganz. Bei einer Beziehung würde man wohl sagen „wir haben uns auseinandergelebt“.

Manche Freundschaften enden also schleichend. Manchmal einseitig, manchmal beidseitig. Rückblickend stellt man sich die Frage, warum und wo sie aufgehört hat. Gleichzeitig fragt man sich nach seinen eigenen Grenzen oder Prioritäten und lernt sich so besser kennen.

Möchte ich bei jedem Treffen über Kinderkrankheiten reden? Warum hört sie mir nicht zu, wenn es mir gerade total schlecht geht?

Denn auf die Frage, was eine Freundschaft ausmacht und was eine Freundschaft aushält und was nicht, gibt es keine pauschale Antwort. Jeder von uns hat eine eigene Definition von Freundschaft, die auf unserem eigenen Wertesystem basiert.

Hier spielen unsere Erfahrungen eine wichtige Rolle, unsere Bereitschaft zu Kompromissen und zur Pflege der Freundschaft, sowie unsere persönlichen Entscheidungen.

Für den einen sind zum Beispiel Verlässlichkeit und Verbindlichkeit in einer Freundschaft wichtig, für den anderen wiederum Spontaneität und Freiheit oder gemeinsame Interessen. So hat auch jeder von uns eine andere Antwort auf die Frage, was Freundschaft ist und was Freundschaft aushalten muss.

Was lasse ich meinen Freunden durchgehen?

Man sollte sich darüber klar werden, was man in einer Freundschaft hinnehmen kann, weil es die Freundschaft wert ist. Und vor allem eben auch, was man nicht akzeptieren möchte, weil es mit dem eigenen Wertesystem kollidiert.

Unterbewusst machen wir eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf, wenn uns in einer Freundschaft etwas gegen den Strich geht.

Die Freundin pflaumt im Restaurant den Kellner an, weil das „medium rare“ in ihren Augen doch zu „done“ ist. Frechheit! Man kann sich entweder fremdschämen und langsam unter den Tisch rutschen oder denken: „Spinnt die? Macht hier auf Gault Millau und nachher pfeift sie sich wieder einen Döner rein.“

Stört es einen, sollten wir es ansprechen, wenn sich die Freundin im Ton vergreift.

Was aber, wenn sie einen selbst auch gleich anfährt? Man wägt ab.

Lohnt sich der Aufwand? Was ist das Ziel? Wie wichtig ist mir die Person? Ist man der Person selbst so wichtig, dass man sie kritisieren darf? Im Hinterkopf schwingt mit, dass niemand in solchen Situationen gerne den Spiegel vorgehalten bekommt und sich Kritik unterzieht.

Ist Freundschaft dicker als Wasser?

Hier ist die Frage, ob die Beziehung Kritik aushält oder nicht.

Also wieder abwägen. Die Freundin aus dem Restaurant ist vielleicht gerade einfach gereizt, weil sie seit fünf Jahren keinen Sex mehr hatte. Die Freundin mit dem Kind hatte vor fünf Jahren mal Sex und genau das ist das Problem. Während sich manches ausbügeln lässt, indem man es anspricht, müssen wir uns mit anderen Dingen arrangieren, es akzeptieren.

Also: Ist man bereit, über etwas hinwegzusehen und Verständnis entgegenzubringen? Einer sehr guten Freundin wird man vieles durchgehen lassen. Denn wir sind Herdentiere und brauchen Freunde. Wenn man selbst eher konfliktscheu ist, vermeidet man es, andere sofort offen zu kritisieren.

Die Befürchtung ist groß, einen Streit zu entfachen und damit die Freundschaft aufs Spiel zu setzen. Wir internalisieren, machen die Sache mit uns selber aus.

Externalisieren würde bedeuten: Raus damit! Schließlich könnte es die Freundschaft auch auf eine andere Ebene bringen, wenn man diesen „Beziehungstest“ übersteht. Man könnte üben, Kritik zu üben – konstruktive Kritik.

Warum sagen wir nicht einfach: „Ich würde mich gerne mal wieder mit dir alleine treffen und über alte Zeiten reden. Vielleicht kannst du dein Kind ja zur Oma bringen? Wir hatten so lange keine Zeit mehr für uns!“ Der Freund oder die Freundin könnte lernen, auf unsere Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.

In einer ehrlichen Freundschaft kann man wachsen und sich weiterentwickeln. Weil eben nicht immer alles eitel Sonnenschein ist. Nicht immer herrscht Harmonie zwischen Freunden. Man darf sich auch mal auseinandersetzen und aneinander reiben. Ist eine Freundschaft tief, hält sie Ehrlichkeit, klare Kritik, aber auch die Fehler des anderen aus.

Man kann also versuchen, Probleme zu erkennen und anzusprechen – oder weiter oberflächlich plaudern. Das unterscheidet Freundschaft von Bekanntschaft.

Wenn die Freundin schlechte Laune hat und deswegen andere anpampt, ist man nicht dafür verantwortlich.

Man hat die Wahl: akzeptieren oder ansprechen. Man muss nicht alles aushalten. Sonst ist das Verständnis irgendwann aufgebraucht. Es genügt der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Beim nächsten Steak im Restaurant zum Beispiel.

Eine Möglichkeit ist deshalb, beim anderen ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wenn uns etwas stört. Man kann nur bis zu einem gewissen Grad die Dinge mit sich selbst ausmachen – eben bis man an seine persönlichen Grenzen stößt.

Warum also kommunizieren wir nicht, bevor sich Ärger anstaut?

Zum Beispiel, wenn die beste Freundin plötzlich keine Zeit mehr für einen hat, weil sie frisch verliebt ist oder einen aufreibenden Job hat.

Plötzlich bekommt man Angst, keine Rolle mehr zu spielen. Man fühlt sich ausgeschlossen, nicht mehr zugehörig, obwohl vorher kein einziges Blatt Papier zwischen die Freundschaft gepasst hat. Es ist die Angst, allein zu sein. Sich auf Menschen einzulassen und dann enttäuscht zu werden, tut weh. Aber der andere kann nicht riechen, wie man sich fühlt – deshalb lohnt es sich, die Dinge anzusprechen.

Mit „Ich-Botschaften“ erleichtern wir es unserem Gegenüber uns zu verstehen, ohne dass er oder sie sich gleich kritisiert fühlt.

„Ich fühle mich austauschbar“. „Ich würde gerne wieder mehr Zeit mit dir verbringen“. „Ich vermisse unsere Treffen“.

Das schafft ein Bewusstsein beim anderen, wie viel uns diese Freundschaft eigentlich bedeutet.

Freundschaften im Wandel

Dennoch bleiben Freundschaften oft genug im Leben trotzdem auf der Strecke. Trotz aller Bemühungen, Aussprachen,Verständnis. Denn auch wir tauschen oder sortieren aus. Wir verändern uns, durchlaufen verschiedene Lebensabschnitte, entwickeln unterschiedliche Interessen, entfernen uns, finden wieder zusammen oder auch nicht. Freundschaften ändern sich, wenn man sich an unterschiedlichen Punkten im Leben befindet und nicht mehr viel gemeinsam hat außer der Erinnerung an die Kindergartenzeit. Manche Freundschaften überstehen zwar sogar das – aber eben nicht alle. Das ist traurig, aber – zumindest nach gewisser Zeit – in Ordnung. Leben bedeutet Wandel und Bewegung. Abschieds- und Neuorientierungsprozesse gehören dazu. Wir lernen loszulassen.

Man sollte sich aber immer wieder bewusst machen, was man an Freunden hat und nicht unterschätzen, welche Gefühle es hervorruft, eine Freundschaft aufs Spiel zu setzen.

Die Angst, zu enttäuschen oder enttäuscht zu werden, ist ein Gefühl, das uns immer wieder im Leben begegnet: beim Chef, beim Partner, den Eltern, Geschwistern und eben auch bei Freunden. An Freundschaften können wir arbeiten. Es ist ein ständiger Kreislauf aus Abwägung, Kommunikation und Konsequenzen.

„Der Lohn der Freundschaft ist sie selbst.“ (Aelred von Rievaulx)

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