Foto: Leah Kunz

Wann normalisieren wir Menstruation endlich?

In ihrer Kolumne schreibt Camille Haldner über alles, was ihr auf den Keks geht. Dieses Mal: Männer, die aus Perioden-Scham Kapital schlagen und Berührungsängste fördern.

Es fühlt sich ein bisschen an wie ein Déjà-vu: Meine erste Kolumne schrieb ich vor einigen Monaten über Hygieneprodukte, mit denen aus Scham über vaginale Flüssigkeiten Kapital geschlagen wird. Damals ging es um Ausfluss, von dem uns fälschlicherweise immer wieder vermittelt wird, er sei unrein. Nun tobt im Netz seit Tagen ein Shitstorm, weil zwei Männer dachten, sie müssten ein Perioden-Problem lösen, das keines ist.

Die Zusammenfassung für alle, die noch nicht vom #PinkyGate gehört haben: In „Die Höhle der Löwen“ haben zwei Gründer ihr Start-up und ein angeblich innovatives Produkt vorgestellt: Ein pinker Plastikhandschuh, der im Vergleich zu handelsüblichen Hygienebeuteln neben der eigentlichen Funktion Tampons einzuwickeln, den vermeintlichen Vorteil habe, dass Verbraucher*innen ihren Intimbereich nicht mit bloßen Händen berühren müssen. Die beiden Gründer nennen ihre „Pinky Gloves“ eine „diskrete Lösung“, mit der sich Menstruierende endlich „fresh und clean“ fühlen und Tampons „geruchsneutral“ und „diskret“ entsorgen können – und verlangen für 48 Handschuhe stolze zwölf Euro (zum Vergleich: 60 Einmalhandschuhe kosten im Drogeriemarkt ca. sechs Euro).

Auf ihrer Instagram-Seite beschreiben die beiden, dass die Idee zu diesem Produkt entstanden sei, als sie in einer „Frauen-WG“ gelebt haben und beim Blick in den dortigen Badezimmermüll „verwundert“ gewesen seien. Ihnen sei aufgefallen, dass es bei der Entsorgung von Tampons noch keine gute Lösung gäbe, wodurch ihr Erfindergeist geweckt wurde. Neben dem Anspruch, Frauen das Leben zu erleichtern, sollte das Produkt zudem „ansprechend und stylish“ sein (deshalb pink, lol). 

Rückwärtsgang statt Enttabuisierung

Seit Jahrzehnten kämpfen Menstruierende für eine Enttabuisierung der Periode. Mühsam bauen sie Stigmata rund ums Bluten ab und klären darüber auf, dass die Periode nichts Unhygienisches oder Peinliches ist. Statt an der eigenen Einstellung zur Periode zu arbeiten, haben gewisse cis Männer einmal mehr den Rückwärtsgang eingelegt und das jahrhundertealte patriarchale Narrativ befeuert, dass Bluten eklig ist und vertuscht werden sollte. Hier nochmal das Memo für alle, die es bisher nicht mitgekriegt haben: Menstruation ist nicht dreckig und niemand muss sich dafür schämen, (un)regelmäßig zu bluten.

„Menstruation ist nicht dreckig und niemand muss sich dafür schämen, (un)regelmäßig zu bluten.“

Die ganze Sache erweckt den Anschein, dass das Produkt im Grunde nicht für Menstruierende, sondern für cis Männer entwickelt wurde. Für cis Männer, die den Anblick von Tampons in Mülleimern nicht ertragen und die Lösung für ihr Problem bei den Menstruierenden suchen. Diese Möchtegern-Innovation ist nicht nur misogyn (weibliche Körper sind eklig), stereotyp (pinkes Packaging), tabuisierend („diskretes“ Entsorgen), paternalistisch (Männer lösen Probleme für Menstruierende, weil sie das angeblich nicht selbst können), umweltverschmutzend (zusätzlicher Plastikmüll), unnötig (Hygienebeutel gibt es schon), kapitalistisch (einen künstlichen Bedarf vermittelnd und teurer als vergleichbar funktionale Produkte), sondern – und das ist das Allerschlimmste – Scham-induzierend. Die beiden Gründer haben nicht einfach einen Beutel entworfen, sondern ganz bewusst einen Handschuh, um beim Tamponwechsel nicht mit der Periode in Berührung zu kommen. 

Berührungsängste

Warum in aller Welt brauchen wir einen Plastiküberzug, um Tampons aus unserer Vagina zu entfernen? Wollt ihr uns echt vermitteln, dass unsere Schleimhaut so dreckig, die blutige Flüssigkeit so ätzend ist? Ihr verkauft uns Handschuhe, damit wir uns da unten nicht ungeschützt berühren müssen? Ist das euer Ernst? Die dadurch vermittelte Botschaft entspricht einem zutiefst misogynen Körperbild!

„Warum in aller Welt brauchen wir einen Plastiküberzug, um Tampons aus unserer Vagina zu entfernen? Wollt ihr uns echt vermitteln, dass unsere Schleimhaut so dreckig, die blutige Flüssigkeit so ätzend ist? Die dadurch vermittelte Botschaft entspricht einem zutiefst misogynen Körperbild!“

Es kann doch nicht sein, dass zwei offenbar ziemlich naive Männer daherkommen und neue Berührungsängste mit dem weiblichen Körper aufbauen. Das verstärkt genau die Hemmungen, die bei vielen Menschen mit Vulva und Vagina eh aufgebaut wurden: Scham über den eigenen Körper, Unwohlsein mit dem Gedanken, sich selbst zu berühren. Genau davon wollen wir doch wegkommen. Wie sollen junge Menschen eine gesunde Beziehung zu ihrem Körper entwickeln, sich selbst entdecken und im besten Fall auch ein erfülltes Sexleben erfahren, wenn sie Probleme damit haben, sich selbst anzufassen?

„Die Sexualwissenschaft geht davon aus, dass eine spezifisch weibliche sexuelle Sozialisation jungen Frauen bis heute den Zugang zu einem lustvollen autonomen Umgang mit ihrem Körper und ihrer Sexualität erschwert oder gar versperrt“, schreibt die Psychologin und Autorin Sandra Konrad. Und tatsächlich führe ich immer wieder Gespräche mit Freundinnen, die jahrelang keine Orgasmen hatten, weil sie sich nicht dazu überwinden konnten, sich selbst anzufassen. Zu groß die Scham, das Unwohlsein mit dem „Da-Unten“. Teilweise konnten Sextoys irgendwann Abhilfe schaffen, quasi die Brücke zwischen Hand und Intimbereich.

„Was die Welt nicht braucht ist ein weiteres Produkt, das Berührungsängste mit der Periode und dem eigenen Körper fördert.“

Wenn wir jetzt also Handschuhe verkaufen, die dazu dienen, die Berührung mit einem natürlichen, körpereigenen Vorgang zu vermeiden, fördern wir genau diese Barrieren im Kopf. Was die Welt nicht braucht, ist ein weiteres Produkt, das Berührungsängste mit der Periode und dem eigenen Körper verstärkt.

Wie weiter?

Das Gute an #PinkyGate ist immerhin der dadurch losgetretene breite Diskurs in Medien und Social Media über Perioden-Scham und Tabubruch. Auf zig Kanälen sprechen nun Menstruierende übers Bluten und nachhaltige Lösungen für die Periode. Das Thema bekommt aktuell wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit als durch geplante Aufklärungskampagnen. Zudem hat die Debatte ein Spotlight auf die sexistische Gründungsbranche geworfen, die von Frauen entwickelte Hygieneprodukte noch zu wenig fördert (schaut euch dazu auch dieses Video der oiaa-Gründerinnen an).

Die beiden Pinky-Gründer können einer fast schon leidtun, denn an ihnen entlädt sich nun die aufgestaute und berechtigte Wut Menstruierender, die spätestens mit ihrer ersten Blutung Scham erfahren haben. Statt uns jetzt aber auf diese beiden Typen zu versteifen, sollten wir die Wut in unserem Bauch auf gesamtgesellschaftliche Veränderung umlenken. Wir sollten diese peinliche Affäre zum Anlass nehmen, endlich einen Schlussstrich zu ziehen und zu sagen: Bis hierhin war schon zu weit und jetzt nicht weiter.

„Die Hälfte der Menschheit blutet – und diese Blutungen sind Teil eines Kreislaufs, der Leben überhaupt erst möglich macht.“

Wie das aussehen kann? Keinen Cent für solche Produkte ausgeben. Zudem habe ich mir vorgenommen, nie wieder einen Tampon heimlich unterm Tisch durchzureichen oder ihn so gut in meiner Faust zu verstecken, dass niemand weiß, mit was für einem Gegenstand ich gerade zur Toilette spaziere. Auch die Zeiten, in denen ich mich für unbeabsichtigte Blutflecken auf Bettlaken in Grund und Boden schäme, sind vorbei. Halten wir fest: Die Hälfte der Menschheit blutet – und diese Blutungen sind Teil eines Kreislaufs, der Leben überhaupt erst möglich macht. 

P.S. Liebe cis Männer, solltet ihr über Körperfunktionen, die ihr selbst nicht erfahrt, verwundert sein, bitte ich euch: Googelt oder fragt einfach, statt euch als Retter aufzuspielen und ein Produkt zu entwickeln, um das euch niemand gebeten hat. Was ihr stattdessen tatsächlich tun könnt: Mülleimer mit Beuteln in euren Bädern aufstellen und daneben gern noch eine kleine Auswahl an Periodenprodukten.

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