Die Britin Katie Haskins verzichtete monatelang auf den Kontakt zu Männern – obwohl sie sich irgendwann eine monogame Beziehung mit einem Cis-Mann wünscht. Tausende junge Frauen weltweit tun es ihr gleich – und nennen das Konzept „boysober“ leben. Ein Psychologe erklärt, warum diese Lebensweise gerade für weiblich sozialisierte Menschen enorm hilfreich sein kann.
Dieser Artikel von Theresa Althaus erschien zuerst in der Berliner Morgenpost.
Keine Nachrichten, keine Treffen, keine Dating-Apps: Mit 29 Jahren hat sich Katie Haskins entschieden, sich ab sofort nicht mehr mit Männern zu treffen. Die Britin nennt das „boysober“ leben – frei übersetzt: In Bezug auf Jungs abstinent sein. Haskins verzichtet auf Dates mit cisgeschlechtlichen und heterosexuellen Männern, obwohl sie sich zu ihnen hingezogen fühlt und sich irgendwann eine Beziehung mit einem Cis-Mann wünscht. Mittlerweile ist sie 30. Im Gespräch mit dieser Redaktion erklärt sie ihre Gründe.
„Ich hatte eine richtig schreckliche Zeit beim Dating“, sagt die Produktentwicklerin aus London. Treffen mit Männern seien erfolglos verlaufen, viele von ihnen hätten ihr einfach nicht mehr zurückgeschrieben oder sich nicht auf eine echte Verbindung einlassen wollen. Immer wieder fand sie sich in sogenannten „Situationships“ wieder, bei denen es zwar zu regelmäßigen Treffen und auch einer gewissen Nähe kam, aber ohne Verpflichtung und tiefergehende Bindungen. „Es fühlte sich für mich an, als sei Dating für viele Menschen nur ein Spiel“, sagt sie. Ihre schlechten Erfahrungen mit Männern hätten sich irgendwann auf ihre mentale Gesundheit ausgewirkt: Katie ging es psychisch nicht mehr gut, sie litt unter Selbstzweifeln und verspürte viel Frust.
Die Stand-up-Comedienne Hope Woodard prägte den „boysober“-Trend
Auf TikTok, wo die junge Frau auch selbst regelmäßig Videos postet, stieß sie auf den Begriff „boysober“: „Ich sah ein Video von einer Frau namens Hope Woodard, die von ihren Erfahrungen mit ihrem Leben ohne Männer berichtete“, erinnert sie sich. Die US-amerikanische Stand-up-Comedienne prägte den Begriff, um ihrem Lebenskonzept einen Namen zu geben. Seit sie ihre Videos auf den sozialen Medien gesehen haben, tun es ihr viele heterosexuelle Frauen* weltweit gleich, halten sich willentlich für eine gewisse Zeit von Männern fern. Auch Katie kam das Konzept plausibel vor: Es schien ihr ein Weg zu sein, aus dem Gefühlschaos auszubrechen, in dem sie sich befand. Sie entschied sich, diese Lebensweise für sich auszuprobieren.
Studien zeigen, dass sich junge Menschen häufiger nach einer traditionellen monogamen Beziehung sehnen als die älteren Generationen – während sie gleichzeitig für ihre Experimentierfreudigkeit und sexuelle Offenheit bekannt sind. Das sei kein Wunder, sagen Forscher*innen: In Zeiten, in denen junge Menschen auf Dating-Apps mit Sprunghaftigkeit, Unverbindlichkeit und Situationships konfrontiert sind, werden traditionelle Werte und Beziehungsformen romantisiert. Diesen Trend dokumentiert etwa der US-Dating-Report vom Kinsey Institute der Indiana University.
Katie Haskins während Dating-Pause: „Ich habe mich super selbst beschäftigt“
Katie löschte ihre Dating-Apps und hielt sich sieben Monate lang komplett von Männern fern. Die Zeit, die sie zuvor auf der Suche nach einem Partner verbracht hatte, füllte sie mit anderen Aktivitäten: „Ich habe wieder angefangen zu malen, was ich früher sehr häufig gemacht habe“, erzählt sie. Außerdem postete sie TikTok-Videos, machte viel Yoga und reiste für ein paar Monate. „Ich habe mich super selbst beschäftigt.“
Zu Beginn ihrer Auszeit sei ihr neuer Lebensstil ihr oft schwergefallen. Besonders, weil ihre Freund*innen weiterhin regelmäßig mit ihren Dates unterwegs waren. „Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas verpasse“, sagt Katie. Auch einsam habe sie sich oft gefühlt. Mit der Zeit habe sie aber gelernt, mit dem Gefühl zu leben – obwohl es nie ganz weggegangen sei: „Ich glaube, ich habe irgendwann realisiert, dass ich mich damit arrangieren muss, dass ich mich manchmal einsam fühle“, sagt sie.
Weiblich sozialisierte Menschen erkennen ihre eigenen Bedürfnisse nicht
Laut dem Psychologen Wanja Kunstleben, der in seiner Praxis in Freiburg unter anderem Paartherapien anbietet, kann eine Phase ohne Männer für heterosexuelle Frauen* durchaus hilfreich sein. „Man geht quasi absichtlich in die Begrenzung, um mehr zu sich zu kommen“, beschreibt er das Verhalten. „Das kann Frauen helfen, mehr über sich selbst zu lernen.“
Der Wunsch vieler junger Frauen*, eine Pause vom Dating einzulegen, sei nachvollziehbar: Gerade bei weiblich sozialisierten Menschen lasse sich häufig ein Druck erkennen, sich anzupassen, um anderen zu gefallen. Durch weibliche Sozialisation lernten viele Personen oft gar nicht, zu erkennen, was ihnen selbst gefalle und worauf sie Lust hätten.
„Viele Frauen fragen sich, wie sie sein müssen, um gemocht zu werden, und horchen nicht wirklich in sich hinein“, sagt er. „Wenn man aber immer stark auf den anderen konzentriert ist und damit beschäftigt ist, wie der andere einen sieht, dann verliert man sich selbst schnell aus dem Blick.“
Katie Haskins beendet Dating-Pause nach sieben Monaten
Statt sich mit Männern zu treffen, dachte auch Katie während ihrer Dating-Pause viel darüber nach, was sie sich von einer Beziehung wünscht und wie sie in zukünftigen Kennenlern-Phasen behandelt werden möchte. Als sie im Frühjahr schließlich von einer längeren Reise wiederkam, fasste sie einen Entschluss: Sie wollte ihre Dating-Pause beenden, aber ohne dafür auf Dating-Apps zurückzukehren. Katie entschied sich, ab jetzt nur noch Leute zu treffen, die sie außerhalb des Internets kennenlernte: „Ich glaube, das hilft, weil man sich dann beim ersten Date zumindest schon mal ein bisschen kennt.“
Im Sommer ging sie dann auf ihr erstes Date nach mehr als einem halben Jahr – mit einem Mann, den sie bei dem Konzert einer befreundeten Band kennengelernt hatte. „Wir wussten also schon, dass wir ähnliche Interessen haben und gemeinsame Freund*innen hatten, das hat sich gut angefühlt“, sagt sie. Aus den beiden wurde zwar nichts, Katie ist aber trotzdem mit einem guten Gefühl aus dem Treffen gegangen, sagt sie.
„Männer sind nicht mehr das Zentrum meines Universums“
Die 30-Jährige möchte ab jetzt mit offenerem Blick durchs Leben gehen: Beim Kaffeetrinken in London einfach mal die Kopfhörer rausnehmen, die Menschen in ihrer Umgebung wahrnehmen – und so vielleicht auch mal jemanden auf der Straße kennenlernen, mit dem sie sich ein Date vorstellen könnte.
Die nötige Klarheit, um mit genauen Vorstellungen in ihr Dating-Leben zu gehen, hat ihr die Phase ohne Männer gegeben. „Ich kann das definitiv anderen Frauen auch empfehlen“, sagt sie. „Es reicht ja schon, vielleicht einen Monat eine Pause vom Dating zu machen. Genug, um sich selbst etwas Raum zu geben.“
Für Katie war von Anfang an klar, dass die Auszeit nicht für immer andauern soll. Irgendwann möchte sie eine glückliche Beziehung mit einem Mann führen. „Aber bis dahin sind Männer nicht mehr das Zentrum meines Universums.“
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