Warum haben es moderne Frauen immer noch so schwer, auf Augenhöhe zu daten? Und warum sind Frauen beim Dating nicht unbedingt die Feministinnen, die sie gern wären? Diesen und weiteren Fragen geht die Journalistin Anne-Kathrin Gerstlauer in ihrem Hörbuch „Der Gender Dating Gap und die Liebe“ nach.
Wenn es um Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen geht, dann meistens um harte Währungen wie den Gender Pay Gap, die Frauenquote und vielleicht noch darum, wer wie viel im Haushalt macht. Anne-Kathrin Gerstlauer ist der Meinung, dass zu selten über die Millionen Frauen gesprochen wird, die Single sind und sich von einem miesen Date zum nächsten hangeln.
„Jedes Gespräch, das sich ums Dating dreht, beginnt mit: Früher war alles besser. Alle seien nur noch am Tindern und völlig beziehungsunfähig. So anstrengend, die ganze Schreiberei, die meist mit ,Hey, na?‘ beginnt und sich über Wochen ziehen kann. Und selbst nach einem Treffen will sich dann keiner festlegen“, sagt die Journalistin in ihrem neuen Hörbuch.
Anne-Kathrin Gerstlauer glaubt nicht, dass Tinder am komplizierten Dating-Leben vieler schuld ist. Das Problem ist ihrer Ansicht nach ein anderes: „Die Rollen in der Gesellschaft wurden neu verteilt. Frauen stehen in der Hierarchie nicht mehr automatisch unter Männern. Aber weder Männer noch Frauen wissen so wirklich, was das für ihre privaten Beziehungen bedeutet.“
Warum sind manche Männer eingeschüchtert, sobald die Rollen nicht mehr so klar verteilt sind? Müssen Frauen sich deshalb vor Männern kleiner machen, als sie es eigentlich sind? Wie können sie es schaffen sich selbst treu zu bleiben? Und wo führt das hin, wenn Frauen in der bisher so männlich geprägten Welt immer mehr Raum einnehmen? Diesen und weiteren Fragen ging Anne-Kathrin Gerstlauer bei der Recherche für ihr Hörbuch nach.
Daraus entstanden ist eine Annäherung an die klassischen (heteronormativen) Geschlechterbilder, in denen Männer und Frauen heute noch daten – und ein kritischer Blick auf die weiterhin gelebten Stereotype, die wir eigentlich längst hinter uns lassen wollten.
Video-Hinweis: Im Instagram-Live hat unsere Redakteurin Camille Haldner mit Anne-Kathrin Gerstlauer live auf unserem Instagram-Account über „zu“ hohe Ansprüche, veraltete Rollenbilder, Beziehungen auf Augenhöhe und feministisches Selbstverständnis beim Dating gesprochen. Die Aufzeichnung zum Nachschauen haben wir euch hier verlinkt.
Einen Einblick ins Thema bekommt ihr auch beim Lesen dieses Auszugs aus Anne-Kathrins Hörbuch „Der Gender Dating Gap und die Liebe“:
Modernes Dating und die alten Muster
„Ich würde mal wieder so gerne jemanden im Supermarkt kennenlernen“, sagen meine Freundinnen, während sie Tinder alle zwei Wochen installieren und deinstallieren.
Jeder dritte Deutsche sucht laut einer Bitkom-Studie online nach dem nächsten Date, bei den unter 30-Jährigen sind es 40 Prozent. Und gut die Hälfte der Nutzer und Nutzerinnen war dabei schon erfolgreich. Wie viele Paare sich im Supermarkt kennengelernt haben, ist unbekannt. Die NEON-Autorin Lena Steeg hat das Experiment einmal gewagt, nachdem ihr Vater jahrelang sagte: „Den Mann fürs Leben lernst du nicht in der Disco, sondern samstags auf dem Edeka-Parkplatz kennen.“ Sie fragte sich: Wieso nicht montags? Wieso nicht Aldi? Wieso nicht Käsetheke? Aber sie war so mutig und stellte sich einen ganzen Samstagnachmittag auf den Parkplatz. Sie sah viele Frauen, ein paar Paare und einen einzigen alleinstehenden Mann, der in sein Handy säuselte, er würde noch schnell einen guten Tropfen für einen schönen Abend holen.
Also zurück zur Realität auf unseren Handys und in unseren Computern. Die Deutschen nutzen verschiedenste Angebote, je nachdem, ob sie auf dem Land wohnen oder in der Stadt, im Norden oder im Süden, und welches Alter in ihrem Profil steht.
In der Großstadt dominiert Tinder, in anderen Städten und Dörfern im Norden und Osten Lovoo, im Südwesten Badoo. Die Älteren nutzen Parship und manchmal Elitepartner.
Was all diese Plattformen gemeinsam haben: Noch immer verschickt der Mann die erste Nachricht. Die ganz Witzigen schreiben in ihrem Profil: Sag Bescheid, wenn ich zuerst schreiben soll. Einige beschweren sich, die Frau dürfe übrigens auch mal selber texten. Ich habe das sehr oft ausprobiert. Hin und wieder bekomme ich eine Antwort, aber es ist jetzt nicht so, als habe die Männerwelt darauf gewartet, dass Frauen den berühmten ersten Schritt machen. Männer wollen auch online noch immer erobern und nicht erobert werden.
Männer machen online den ersten Schritt
Die Dating-App OKCupid hat herausgefunden, dass ihre Nutzer*innen sich recht ähnlich verhalten, in den Konversationen, in den Likes. Die Frauen auf der Plattform seien außerdem recht progressiv, 43 Prozent wollten beim ersten Date die Rechnung teilen, und 17 Prozent der Männer. Wenn es aber um eine Sache ginge, seien die Rollen klar verteilt. Heterosexuelle Männer verschicken 3,5 Mal so oft eine erste Nachricht. Das habe nichts damit zu tun, dass Frauen zu viele Nachrichten bekämen. Der Wert sei unabhängig davon, ob eine Frau gerade null, zehn oder 20 neue Nachrichten erhalten habe. Sie verschicke immer noch keine eigene. Selbst die älteren, die vielleicht mehr Selbstbewusstsein hätten, blieben passiv.
Dabei habe es für Frauen einen enormen Vorteil, selber Nachrichten zu verschicken. Denn egal ob Frau oder Mann, wer die erste Nachricht schreibt, schreibt sie meist an jemanden, den der OkCupid-Algorithmus als attraktiver einschätzt. Das heißt: Wir kämpfen hauptsächlich um die, die schöner sind als wir. Oder andersrum formuliert: Die Nachrichten, die Frauen empfangen, kommen von Männern, die weniger attraktiv sind. Wer die anderen will, muss selbst aktiv werden.
Ich halte mich für jemanden, der ziemlich viele Nachrichten an Männer verschickt. Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Das tue ich nur da, wo es mir wirklich wichtig ist, wenn ich jemanden besonders attraktiv und interessant finde. Da, wo ich denke, die Person ist vielleicht außerhalb meiner Liga, aber mit einer besonders witzigen Nachricht klappt es vielleicht.
Bei allen anderen denke ich: erst mal abwarten, ob die sich melden.
„Frauen gehen Onlinedating mittlerweile noch unemanzipierter an, oder sie haben schlichtweg schlechte Erfahrungen gemacht.“
Anne-Kathrin Gerstlauer
Auch die Plattform eHarmony, die man mit dem deutschen Parship vergleichen kann, hat mit Forschern und Forscherinnen von der renommierten Oxford University analysiert, wer wem zuerst schreibt. Das Ergebnis: Männer schicken sehr viel öfter die erste Nachricht. Das Überraschende daran ist, dass der Unterschied 2008 eher klein war und 2018 beträchtlich gestiegen ist. Das heißt, Frauen gehen Onlinedating mittlerweile noch unemanzipierter an, oder sie haben schlichtweg schlechte Erfahrungen gemacht. Denn die Studie von eHarmony zeigt auch: Schreibt eine Frau die erste Nachricht, ist die Chance kleiner, eine Antwort zu bekommen, als wenn ein Mann den Kontakt initiiert.
Was stimmt also? Hat es einen Vorteil, wie OKCupid sagt? Oder keinen, wie die Studie von Harmony behauptet? Man weiß es noch nicht. Dazu bräuchte es mehr Daten und am besten auch solche, die nicht in Kooperation mit Datingplattformen erhoben werden. Das Einzige, was sicher ist: Es ist noch immer normal, dass der Mann den ersten Schritt macht.
Es gibt eine App, die das anders handhaben will. Sie heißt Bumble, die feministische Dating-App. Die App, bei der Frauen den ersten Schritt machen. Und das funktioniert so: Wie bei Tinder bekommt man Profile angezeigt, wischt nach links oder rechts, sobald es ein Match gibt, kann die Frau eine Nachricht schicken. Und zwar nur die Frau. Die Idee dahinter ist, Stereotype aufzubrechen und Online-Dating zu einem sichereren Ort zu machen. Die erste Nachricht setze den Ton, sagt Gründerin Whitney Wolfe.
Oberkörperfreie Fotos filtere der Algorithmus raus, auch Dickpicks erkenne die künstliche Intelligenz. Eine der ersten Kampagnen für Bumble warb mit dem Spruch: Für forsche Frauen und faule Männer. Selbst auf Bumble ist es also nichts Normales, wenn eine Frau zuerst schreibt, sie muss besonders selbstbewusst sein, eigentlich sogar noch mehr als das. Forsche Frauen gelten beinahe als dreist. Die Anzeige richtete sich also klar an Männer, sie warb damit, dass die sich keine Mühe geben müssten. Die perfekte App für all die, die mal eine Tinder-Pause machen. Und faul sind die meisten auf Bumble tatsächlich.
„Was immer mitschwingt: Du willst also gleichberechtigt sein, tja, das kostet dich aber, wirst du jetzt mal sehen, wie schwer wir Männer es nämlich haben. Jetzt hast du die ganze Arbeit.“
Wenig Text im Profil. Die ganz Mutigen haben ein paar Fragen beantwortet. Wie hat dich deine Grundschullehrerin beschrieben? Er war stets bemüht. Netflix oder Nachtclub? Beides. Was bedeutet Gleichberechtigung für dich? Wenn die Frau die Drinks beim ersten Date zahlt. Dutzende Mal habe ich diese Antwort gelesen, Varianten davon sind: dass die Frau die Drinks beim zweiten Date zahlt oder beim dritten.
Was immer mitschwingt: Du willst also gleichberechtigt sein, tja, das kostet dich aber, wirst du jetzt mal sehen, wie schwer wir Männer es nämlich haben. Jetzt hast du die ganze Arbeit. Und wie teuer es ist, wenn man immer die Drinks bezahlen muss. Ich lehn mich zurück und schau mir das an, ich wette, die ganze Sache mit der Gleichberechtigung findest du dann ganz schnell doch nicht mehr so toll.
Und klar, es stimmt. Es ist mühsam, es kostet Überwindung und es ist frustrierend, erste Nachrichten zu kreieren und im Zweifel nie eine Antwort zu bekommen. Und ja, natürlich können wir nicht Gleichberechtigung fordern und immer noch erwarten, die Drinks nicht zahlen zu müssen. Und die ersten Nachrichten nicht schreiben zu müssen.
Bevor wir aber überhaupt irgendwelche Nachrichten schreiben können, müssen wir erst einmal jemanden matchen. Und bevor wir jemanden matchen, müssen wir erstmal sehr sehr lange swipen. Die meisten Menschen halten das für ein Problem. Online-Dating mache die Partnersuche so oberflächlich, es gehe nur um ein paar Bilder, um den perfekten Körper, ein symmetrisches Gesicht und weiße Zähne. Unser Gehirn verarbeitet in Wirklichkeit viel mehr Informationen in dem Bruchteil der Sekunde, in dem es entscheidet, in welche Richtung unser Daumen sich bewegen soll.
Im Internet können wir verschiedene Versionen unserer Selbst ausprobieren
Damit es die Entscheidung so schnell treffen kann, arbeitet es mit kulturellen Codes. Und die beziehen sich nicht nur auf Äußerlichkeiten. Wir kennen das, wenn wir unsere eigenen Bilder auswählen. Wir suchen ja nicht nur die aus, auf denen wir optisch gut aussehen. Eins mit Freunden, damit klar ist, wir sind beliebt. Ein süßes Selfie, aber nur eins, damit es ironisch gemeint sein könnte, auf keinen Fall möchte man zu eitel rüberkommen. Ein Ganzkörperfoto dazu. Und noch ein lustiges am besten.
Und dann geht die Bewertung der anderen los: Liegt ein Filter auf dem Bild? Könnte ein Poser sein. Hat er ein Selfie im Auto? Zu oldschool. Fotografiert er sich im Badezimmerspiegel und hat dabei nur ein Handtuch um die Hüfte geschwungen? Sucht nach One-Night-Stands. Hält er einen Fisch in die Kamera? Da muss jemand ein paar Unsicherheiten überspielen.
Wir spielen alle eine Rolle. Weil wir andere beeindrucken wollen. Mit jedem meiner Online-Dating-Profile spiele ich eine Frau, die sicherlich ein Teil von mir ist, aber ich kann mir aussuchen, welchen Teil und wie zugespitzt ich diesen präsentieren möchte. Manchmal steht in meinem Profil „Bin nur hier, um reich zu heiraten“. Das ist mein ironisches Meta-Ich, das erwartet, darauf eine witzige Antwort zu bekommen. Es zieht leider manchmal auch Sugar Daddys an. Manchmal steht in meinem Profil, dass ich abends ohne Google Maps nicht nach Hause komme. Das klingt hilfsbedürftig.
Aktuell schreibe ich: Vermutlich besser am Kicker als du. Und das kommt daher, dass ich so gerne jemanden kennenlernen würde, der wirklich kickern kann. Und natürlich leider auch: Ich bin nicht so ein Mädchen wie all die anderen. Es ist natürlich ein schrecklich umfeministischer Gedanke, so, als sei mit anderen Frauen etwas falsch.
Anne-Kathrin Gerstlauer, Der Gender Dating Gap und die Liebe, audible original, Juni 2021, 6 Std. und 44 Min., 7,95 Euro