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Nur noch Fast-Beziehungen zu führen ruiniert unser Herz mehr als echte Bindungen

In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, wie wir uns manchmal selbst der Liebe berauben.

Ich will dich, aber halt nicht exklusiv

Ich sitze mit einer Freundin auf der Parkbank und im schwächer werdenden Septemberlicht klammert sie sich nicht nur an ihren dampfenden Kaffeebecher, sondern auch an meinen Arm. Der Grund: Herzschmerzen, aber so richtig. Und das, obwohl sie gerade jemanden gefunden hat, mit dem sie sich alles vorstellen kann. Das volle Programm: Zusammenziehen und Zukunft aufbauen. Es sah auch gut aus, monatelanges, regelmäßiges Treffen, gemeinsame Ausflüge, super Sex und vertraute Gespräche. Also setzte sie auf volles Risiko und gestand ihm ihre Gefühle. Und forderte eine Stellungnahme seinerseits ein. Ein grober Fehler, wie sich schnell herausstellte. Ha, möchte man sagen: Wo bitte ist denn da das Risiko, der Fehler? Das ist doch wunderschön und genau das Richtige! Lasst die Herzen sprechen! Nun ja, aber was hilft das quasselnde Herz, wenn der Kopf Panik schiebt. Denn was folgte war keine romantische Szene, in der man sich in den Armen wiegt, sondern eine Fluchtreaktion seinerseits. Nee nee, soweit sei er noch nicht – und er wüsste auch gar nicht, ob es jemals dazu kommen würde. Wie solle er das auch wissen! Sich festlegen, jetzt schon! Eine Beziehung? Ja herrje, das müsse man doch nicht schon nach Monaten klären, oder? Weil wenn, dann müsse er sich da ganz sicher sein, dass man eine lange gemeinsame Zukunft vor sich hätte. Könne man nicht einfach so weitermachen und schauen, was kommt?

Ein Paukenschlag. Mitten in Bauch und Herz. Was nun? Gehen oder sich darauf einlassen, dass er eben noch nicht so weit ist? Und wenn ja, wie lange wartet man? Oder stellt man besser einfach fest, dass dieser Arsch das natürlich nach ein paar Monaten wissen müsste und sich einfach nur die Rosinen rauspickt: Die Zuneigung abgreift, ohne Verantwortung zu tragen. Denn natürlich könnte er das, die Frage ist doch vielmehr, ob er das will. Ob sie es ihm wert ist, sich damit ernsthaft auseinander zu setzen – und das sollte es, schon alleine aus Respekt vor den Gefühlen des Gegenübers. Aber wie auch immer: Da sitzen wir nun, und ich meine, ein Dèjá-vu zu haben. Denn genau diese Situation scheine ich gerade permanent in meinem Bekanntenkreis durchzukauen – und zwar beide Parts, den des Flüchtenden und den des Gekränkten, der sich getraut hat. Und das, obwohl alle, die sich zwischen Ende 20 und Mitte/Ende 30 befinden, eigentlich nur endlich ein Nest wollen, das sie gemeinsam mit jemandem aufbauen.

Berechtigte Angst vs. überbordende Vorsicht

Ein Freund von mir etwa, sehnt sich schon lange nach Kindern, hat er aber dann eine feste Beziehung, bekommt er doch feuchte Hände und schiebt den Wunsch wieder so weit nach hinten, dass er erst wieder akut wird, wenn die Beziehung schon wieder vorbei ist. Manchmal auch deshalb, weil es von ihm keine klare Entscheidung zur Kinderplanung gab. Scheint paradox und ist es irgendwie auch. Haben wir verlernt uns zu binden und uns länger als zwei Monate auf etwas einzulassen? Oder sind wir einfach so ein hyperreflexive Völkchen geworden, das alles zerredet und immer ein Haar in der Suppe findet, um niemals glücklich werden zu müssenß Weil dann auch nie was betrauert werden muss? Die Null-Nummer als Nummer Sicher?

Ich kann es nicht sagen. Ich kann nur sagen, dass ich die Angst, sich zu binden auch kenne. Dass ich natürlich auch die Sorge davor kennen, in die Vollen zu gehen, weil das viele Risiken birgt. Wie einfach alles, für das man etwas Mut zusammen nehmen muss. Ist ja auch erstmal nicht verwerflich, wenn man sich zusätzlich klarmacht, dass man auch verdammt vorsichtig damit sein sollte, zu vorsichtig zu sein – denn dann könnte sich irgendwann gar nichts mehr bewegen, sich nie mehr was ändern – bis man ein Leben in der Schleife des „Was wäre gewesen, wenn …“ lebt. Eine gruselige Vorstellung, oder?

Wenn ein Bedürfnis besteht, finden wir in der Regel auch einen Weg

Woher also kommt die Angst vor der Courage, oder auch die Unlust, sich in zu feste Strukturen zu begeben und vor allem, wie kommt man da raus? Sind wir, die Generation nach den Baby-Boomern, eben doch die Beziehungsunfähigen, die in bei diesem Thema rettungslos verloren sind? Wohl kaum, schließlich gibt es den Wunsch danach ja – und wenn ein Bedürfnis besteht, findet der Mensch in der Regel auch einen Weg, sich das zu erfüllen. Zudem tendieren viele junge Menschen mittlerweile sehr in Richtung einer traditionellen Ehe, haben später ihren ersten Geschlechtsverkehr, wünschen sich eine Beamtenlaufbahn und wählen bevorzugt die CDU, wie die U-18 Wahl gerade erst ergeben hat. Klingt jetzt nicht gerade nach Bindungsproblemen.

Es ist also vielleicht doch eher die Erfahrung, die Angst macht. Man verliebt sich mit 18 einfach bedenkenloser als mit 30 oder 40, das braucht keiner bestimmten Generation zugeschrieben werden. Genau aus dem selben Grund ist es wahrscheinlich auch keine schlechte Idee, sich möglichst früh den Kinderwunsch zu erfüllen, bevor man zu viel in Sachen Familienpolitik und den Vereinbarkeitsproblemen für Eltern im Beruf mitbekommt – denn all das führt zur Scheu, sich überhaupt auf das Thema einzulassen. Einfach mal machen, ist aus der Mode gekommen – und wie ginge das auch, wenn wir jeden Tag im Sturzbach von Tausenden Informationen stehen.

Schluss mit dem Hyperventilieren!

Und doch, ist es sicher nicht nur der Selbstschutz, der eine Rolle spielt, sondern dass uns, und damit eben doch der Generation Y, so vehement mitgegeben wurde: dass wir alle Möglichkeiten haben, dass wir eben auch versuchen, alle zu nutzen. Wie könnte man sich da auf Stadt, Job oder Partner festlegen? Scheint schwierig. Unmöglich ist es aber sicher nicht, vielmehr ist es sehr bequem, ständig mit einem „Sorry, ich kann das jetzt einfach nicht!“ zu reagieren, wenn es mal ernst wird. Wieso nicht mal was wagen, wenigstens mal kurz zur Ruhe kommen und dieses Nest um sich haben, das ja doch attraktiv scheint. Es ist ja auch nicht so, als dürfte man das nie mehr verlassen.

Am besten kommen wir in der Sache einfach mal ein wenig runter und machen uns klar, dass es weder den perfekten Partner noch die perfekte Partnerin gibt und ein Warten darauf vor allem zum Singlesein führt, sowie dass eine Beziehung einzugehen nichts ist, was nicht auch wieder geändert werden kann. Und hier gehts nicht darum, aus jeder zwischenmenschlichen Kiste gleich eine Beziehung machen zu wollen – wir wissen schon sehr gut, wann das eine Option ist und wann nicht. Aber ich habe das Gefühl, es wird viel zu oft an der falschen Stelle hyperventiliert, nämlich dann, wenn noch gar nichts passiert ist, außer dass zarte Bande geknüpft wurden.

Verdammt nochmal, was für Hasenfüße sind wir eigentlich geworden, wenn es um eine so wichtige Sache geht? Alle Möglichkeiten zu nutzen, bedeutet ja nicht, dass wir die naheliegendste – die Menschen, die wir gerne haben, ernsthaft ins eigene Leben sowie Herz zu lassen – einfach aussparen. Wie man diese Beziehung dann gestaltet, ist ja noch eine ganz andere Geschichte. Exklusivität ist schließlich auch nur eine von vielen Spielarten, also findet doch raus, welche davon für euch die Richtige ist!

An anderer Stelle wissen wir doch auch, dass halbe Sachen uns auch nur so halb weiterbringen. Etwa, wenn es um befristeten Verträge von unserem Arbeitgeber geht, den wir endlich loswerden wollen, um eine Zukunft aufzubauen. Also wäre es wahrscheinlich auch nicht dumm, auch in unserem Privatleben bereit zu sein, einfach mal ohne eine bereits festgelegte Befristung auf eine Verbindung zu setzen. Wer weiß, was dann alles möglich wäre. Liebe zum Beispiel – und eine Beziehung ohne den (irgendwann) schmählichen Zusatz „Fast“. Und um nochmal zur Eingangssituation zurückzukommen: Natürlich ist es nie ein Fehler, jemandem seine Gefühle zu gestehen. Denn genau da zeigt sich der Mut, von dem wir wesentlich mehr bräuchten.

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