Foto: Getty Images / Pierre Verdy

Der irrsinnige Spagat zwischen No Bra-Bewegung und Subway Shirt

BHs für Teenager. Subway Shirts für die nächtliche Sicherheit: Ändert sich denn überhaupt jemals etwas? Über die Theorie, die Wut im Bauch und das Ding mit der Umsetzung.

Kürzlich saß ich in einer Runde mit lauter Müttern. Eine von ihnen erzählte, wie sie mit ihrer pubertierenden Tochter den ersten BH kaufen wollte. Das Mädchen sträubte sich. Es war ihr schlichtweg peinlich und unangenehm und sie sah auch keinen Sinn darin, plötzlich einen BH zu tragen. Umkleide. Rein. Raus. Diskussionen. Wut. Tränen. Bis dann die BHs bezahlt und aus dem Laden getragen wurden. 

Die Anekdote war lustig erzählt und alle lachten und erinnerten sich womöglich an die eigene Zeit damals, als man nicht mehr Kind, aber auch noch nicht ganz junge Frau war. Wie schwierig das alles war. Ein über uns hereinbrechendes Chaos. Verloren zwischen den Welten. Und so voller Scham.

Dennoch blieb mir das Lachen ein wenig vergällt. Ich erinnerte mich an meinen ersten Bikini. Ich war sechs Jahre alt und weit davon entfernt, eine Brust zu haben. Ich trug das Oberteil ganz selbstverständlich verkehrt herum – die zwei Dreiecke auf dem Rücken. Anders als eine Art Rucksack machte er für mich damals keinen Sinn.

Später gab es dann diese Bustiers. Weich und noch fast wie ein Top. Unmerklich trug man dann irgendwann den ersten richtigen BH, mit Bügeln und Spitzen und Schleifchen an den richtigen Stellen. Gebraucht hätte ich das alles nicht. Da gab es nicht viel zu halten oder zu formen. Aber das tat „man“ halt so. Einen BH tragen. 

„Ich war 12, als die Tanzlehrerin vor einem Haufen junger Mädchen verkündete: ,Kinder, rasiert euch bitte unter den Armen’.“

Fiona Rohde

Und dieser BH war ja nur der Anfang. Ich war 12, als die Tanzlehrerin vor einem Haufen junger Mädchen verkündete: „Kinder, rasiert euch bitte unter den Armen“. Ein paar Jahre später war es der Freund meiner Schwester, der klarstellte: Frauen sollten sich unbedingt die Beine rasieren. Und ich war dumm genug, in beiden Fällen zum Rasierer zu greifen.

Gut, dass heute schon vieles anders ist. Dass sich mehr und mehr Frauen dagegen entscheiden. Wobei allein das „dagegen“ schon wieder blöd klingt. Weil es nicht als „normal“ angesehen werden sollte, sich Körperbehaarung zu entfernen oder die Brüste anzuschnallen und in Form zu pressen.

All das kam mir in der Runde der lachenden Mütter in den Sinn. Ich war frustriert, weil ich so sicher war, dass es die neue Generation anders machen würde. Dass sie sich aus den unsinnigen Zwängen befreit. Und hier waren Frauen meiner Generation, die ihre Töchter wieder zurück auf Start schickten. 

Genau hier müssten doch die Anfänge sein. Hier müsste man doch sagen: Meine Tochter kann so rumlaufen, wie sie mag. Auch ohne BH und sonst welchen Chichi. 

Ich habe das in der Runde gesagt. Und ja, ich kam mir doof vor mit meinen feministischen Anmerkungen – ich, als die Kinderlose in der Runde. Denn klar ist die Theorie immer leicht. 
Es entwickelte sich eine Diskussion. Verhalten erst, dann vehementer. Dabei ging es den Müttern nicht nur um eine Stütze für die Brust und ausleierndes Gewebe. Sie hatten vor allem die Sorge, dass jemand ihren Töchtern auf die Brüste starren könnte, wenn diese locker unter dem T-Shirt wackeln oder wenn sie sich oben ohne im Freibad zeigen würden. 

Dieser Gedanke war mir so nicht gekommen: Der BH, ein Zeichen für die Unterdrückung von Frauen, als Schutz für ebendiese. Als Schutz vor lüsternen Blicken. Hier biss sich ja irgendwas in den Schwanz. Frauen sollen also schützend zum BH greifen, anstatt das wirkliche Übel zu bekämpfen, nämlich dass sie als sexuelles Objekt gesehen werden. Ändert sich dann überhaupt jemals etwas? 

Erst hier im Gespräch mit den Müttern wurde mir klar: Sie mögen so denken wie ich, aber sie handeln doch wie eh und je nach alten Mustern, weil es ihnen als Elternteil eben nicht anders möglich erscheint. Sie möchten ihren Töchtern schlechte Erfahrungen ersparen. 

„So werden wir nie erreichen, was die No Bra-Bewegung schon seit den 60er Jahren möchte: Die Entsexualisierung der weiblichen Brust.“

Fiona Rohde

Dadurch, dass jede Frauengeneration immer wieder von neuem zum BH greift oder die Brust abends auf der Straße im weiten Shirt verhüllt, werden wir auch nie erreichen, was die No Bra-Bewegung schon seit den 60er Jahren möchte: Die Entsexualisierung der weiblichen Brust. Aber dass das nicht immer so einfach ist als Mutter einer Tochter, ist mir auch klar. 

Genauso sagen Mütter ihren Töchtern ja auch, dass sie doch bitte nicht abends mit dem kurzen Rock rausgehen und doch besser den Umweg statt die Abkürzung nehmen sollen. Und ballen dabei womöglich wie ich die Faust in der Tasche vor Wut. Weil all das in einer besseren Welt eben gar nicht notwendig sein sollte. Aber unsere Welt ist eben nicht perfekt, sondern durch und durch sexualisiert. 

Was also tun als Eltern? Niemand möchte schließlich das Wohl des eigenen Kindes „für die Sache“ opfern. Ganz klar. 

Können Mütter ihren Töchtern vermitteln, dass sie sich von überkommenen Zwängen befreien dürfen, und ihnen gleichzeitig Verhüllungstaktiken beibringen, um sie vor Unheil zu bewahren?
Können wir ihnen vorleben, dass sie mit ihren Körpern alles tun können, was sie wollen, um ihnen dann dennoch abends die weite Klamotte zu empfehlen?

Können wir unseren Töchtern beibringen, dass sie sich nicht zum Sexobjekt degradieren lassen dürfen, wenn ihnen tagtäglich von jeder Leuchtreklame halbnackte Frauen entgegenlächeln, weil sich damit ein Auto oder ein Grill besser verkaufen lassen?

Müssen Mütter also warten, bis die Töchter groß und selbstsicher genug sind, um selbst entscheiden zu können, ob sie dem Modediktat den Mittelfinder zeigen – und bis dahin in einer Welt von reinen Möglichkeiten und hehren Ideen bleiben? Ein übler Spagat, den mal wieder mehrheitlich die Frauen meistern dürfen. 

Das sind so Momente, in denen ich an Slutshaming denken muss. Frauen, die sich aufgrund ihres Outfits nicht wundern müssen, wenn man sie anglotzt, angrapscht oder belästigt. Die Verkehrung von Täter und Opfer. Eine schräge Weltsicht also.

„Wenn ihr jemand unverhohlen auf die Oberweite starrt, dann hat das exakt Null mit der Frage zu tun, ob sie einen BH trägt oder nicht, sondern allein mit der Frage des Anstands.“

Fiona Rohde

Egal ob eine junge Frau einen großen Busen hat oder einen kleinen, einen verhüllten oder einen mit Dekolleté: Wenn ihr jemand unverhohlen auf die Oberweite starrt, dann hat das exakt Null mit der Frage zu tun, ob sie einen BH trägt oder nicht, sondern allein mit der Frage des Anstands. Und zwar von demjenigen, der seine Blicke nicht im Griff hat. 

Stattdessen geht das „Subway Shirt“ auf TikTok viral. Ein XXL-Shirt, mit dem sich junge Frauen beim Ausgehen verhüllen, um sich vor lüsternen Blicken und Belästigung zu schützen.

Und so sind wir trotz vieler guter Entwicklungen immer noch da, wo Frauen in den 60er Jahren ihren Kampf begonnen haben, als sie ihre BHs verbrannten: Beim Kampf gegen Mechanismen und Schönheitsdiktate, die Frauen die Entscheidungsfreiheit über ihren Körper absprechen.

Kleine, aufmunternde Anekdote zum Schluss zu der großartigen, kürzlich verstorbenen Jane Birkin. Sie trug 1969 auf der Filmpremiere zu „Slogan“ ein sehr durchsichtiges Minikleid ohne einen BH. Sie erzählte später gegenüber VOGUE Paris: „Ich wusste nicht, dass es so durchsichtig ist. Das ist dem Blitzeffekt der Fotograf*innen geschuldet. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich keinen Schlüpfer angezogen!“

Ach, wären wir doch alle ein wenig wie Jane Birkin.

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