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Die Power-Frage – und warum sie dir keiner stellt

Mit einer einzigen Frage kann man Mitarbeiter glücklich machen und sein Unternehmen von Grund auf verändern – wenn man die Antworten ernst nimmt. Welche das ist, hat Lydia Krüger aufgeschrieben.

Wer die besten Unternehmensberater sind? Die Mitarbeiter!

Vor Jahren diskutierte ich mit einem Agenturchef darüber, ob externe Berater überhaupt Sinn machen: Die Mitarbeiter sind doch die besten Berater, die kennen den Laden und seine Schwachstellen am besten. Man sollte sie einfach mal fragen, was sie brauchen, um ihren Job ordentlich machen zu können, schlug ich vor. Darauf schnaubte er verächtlich und meinte: „Ach, was kommt denn schon von denen. Die wollen immer nur neue Stifte!“

Ich war entsetzt. Was für ein Bild hatte denn dieser Typ von seinen Angestellten? Damals schwieg ich. Heute hätte ich eine ganz klare Antwort: „Ihr wollt Stifte? Ihr kriegt Stifte.“ Denn Stifte waren in der Tat in dieser Agentur, in der viel geschrieben wurde, Mangelware. Sie
verschwanden einfach – wie Socken in der Waschmaschine. Aber die Frage ist doch die: Wenn ich mit einem 100-er Pack Kulis meine Mitarbeiter glücklich machen kann – warum zur Hölle tue ich es nicht? Das ist doch wohl ziemlich günstig erkauftes Glück.

Liebe Chefs: Lasst euch doch einfach mal wirklich auf eure Mitarbeiter ein

An dieser Stelle höre ich schon den Einwurf des Controllers oder desjenigen, der sich dafür hält: „SO werden die Mitarbeiter aber nie Kostenbewusstsein lernen!“ Genau. Denn Controllerman hat den Erziehungsauftrag für die Mitarbeiter und muss ihnen erst mal
beibringen, dass man Stifte nicht nach Gebrauch in den Papierkorb wirft oder in die eigene Handtasche…

Nein, es ist doch so: Hätte der Geschäftsführer sich einfach mal darauf eingelassen, erst einmal dieses Grundbedürfnis seiner Leute zu erfüllen, hätte er sicher mit ihnen über
die nächste Stufe ihrer Bedürnisse sprechen können. Sozusagen von unten nach oben die Büro-Bedürfnispyramide abarbeiten. Ich hab gleich mal eine gebaut. Zu irgendwas müssen meine Powerpoint-Kenntnisse ja noch nutze sein.

Die Power-Frage ist ganz einfach – nur stellt sie trotzdem kaum ein Chef

Ich habe auch mal erlebt, dass mir Mitarbeiter einer Niederlassung ihr Leid klagten, weil sie nur eine Toilette für zehn Kollegen hatten. Die waren alle schon etwas älter und mussten halt öfter… und jetzt lacht nicht! Das nervt und schmälert das Wohlbefinden der Leute. Es ist irgendwie auch beschämend. Sowas muss verbessert werden. Es ist zu warm/zu kalt/zu laut? Behebt diese Mängel, macht eure Mitarbeiter zufrieden und sorgt dafür, dass sie in Ruhe arbeiten können. Ich versteh echt nicht, wo das Problem ist. Wenn die Leute im Sommer fast umkippen in ihren Büros, kauft eine Klimaanlage, verdammt.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir: „Was brauchst du?“ ist eine Power-Frage, die ganz viel in Bewegung setzen kann. Und bei einigermaßen reflektierenden Persönlichkeiten kann sie sogar Konflikte entschärfen, wie Sven Franke vom AUGENHÖHE-Kernteam in diesem Blogbeitrag erzählt.

Glückliche Mitarbeiter? Das kann so einfach sein

Aber auch vom legendären Virgin-Gründer Richard Branson heißt es, er sei immer mit einem kleinen Büchlein und einem Stift bewaffnet, um sich die Sorgen seiner Angestellten zu notieren. Anmerkung: Es reicht natürlich nicht, sie aufzuschreiben, sondern man muss sie auch einer Lösung zuführen, wie der phrasendreschermäßige Fachausdruck lautet.

Einmal beschwerten sich die Flugbegleiter seiner Virgin Airline über die schlecht sitzenden Uniformen. Dreimal dürft Ihr raten, wie Branson reagierte:

– „Hahaha. Sonst haben Sie keine
Probleme, ja?“

– „Wenden Sie sich doch bitte
an Ihren unmittelbaren Vorgesetzten.“

– „Kein Problem, in fünf Jahren
gibt es sowieso eine neue Uniform.“

– Taxierender Blick von Kopf
bis Fuß: „Haben Sie schon mal daran gedacht, einen Antrag auf eine größere
Größe zu stellen?“

– „Sie sind nicht hier, um sich
wohlzufühlen, sondern um zu arbeiten.“

– „Sie haben wohl unseren seit
zehn Jahren laufenden Kostenoptimierungsprozess nicht verstanden, oder?!“

– „Wenn es Ihnen hier nicht
gefällt, können Sie sich gern woanders einen Job suchen. Ein Kostenfaktor
weniger.“

– „Ähm, ich glaub, ich muss
jetzt los, sonst verpasse ich meinen Flieger.“

Nein, nix davon. Richard Branson machte sich Notizen und ließ neue Uniformen
entwerfen. Denn er weiß, dass eine zwickende Uniform auch den bestgelaunten Angestellten die Laune verhageln kann. Und gute Laune gehört ja zu den Grundanforderungen an das fliegende Personal.

Diese Zitat von ihm habe ich im Studium als Fallstudie zu Unternehmenskultur zu lesen bekommen und sie rührt mich immer noch. Denn hiermit zollt Branson seinen Leuten hier echte Wertschätzung. Keine Urkunde, keine Prämie, kein Schulterklopfen oder leerer Spruch – einfach mal ernstnehmen, die Leute. Und Taten sprechen lassen.

„Kunden kommen nicht an erster Stelle. Mitarbeiter kommen an erster Stelle. Wenn man
sich gut um seine Mitarbeiter kümmert, kümmern sie sich gut um die Kunden.“ – Richard Branson

Aber lassen wir diesen beeindruckenden Case aus der Harvard Business School Bilderbuchwelt hinter uns und kommen zurück in die schnöde, unglamouröse Realität meiner deutschen HORG (hierarchische Organisation). Wie gesagt hat mich dort in all den Jahren nie jemand gefragt, was ich brauche.

Ja, was brauch ich denn eigentlich?

Was hätte ich wohl geantwortet? Da wäre mir eine ganze Menge eingefallen. Und genau das ist das Problem.

Ein kleines leichtes Laptop. Seht ihr, auch ich fange mit den Grundbedürfnissen an. Ständig Rückenschmerzen haben wegen fettem schwerem Laptop – das muss doch nicht sein.
Aber das ging natürlich nicht, denn es gab einheitliche Laptops für alle Führungskräfte. Die wurden von der IT bestellt und fertig. Völlig egal, wer da welche individuellen Bedürfnisse hatte. Einfalt statt Vielfalt. Gleichmacherei war Programm; und irgendwo schlummerte sicher eine Dienstanweisung, in der genau das drin stand: Gleiche Laptops für alle. Außerdem ging es doch gar nicht darum, sich wohlzufühlen, sondern wir waren alle zum Arbeiten da. Oder wie eine Abteilungsleiterin es ausdrückte: „Wir sind doch nicht zum Spaß hier.“ Hey, vielleicht sprichst du einfach mal nur für dich. Wahrscheinlich tat sie das aber auch in genau diesem Moment.

Außerdem hätte ich gerne ein echtes Führungsteam gehabt, in dem man sich gegenseitig vertraut. Uiuiui, da geht es direkt ans Eingemachte. Warum traut niemand dem anderen über den Weg? Weil jeder für sich kämpft und seine Interessen (oder die seiner Abteilung) verteidigt. Und wenn mal alle an einem Strang ziehen, kommt meistens Schwarmdummheit bei raus. Müßig zu erwähnen, dass die Oberhäuptlinge ihr Übriges tun, ihre Führungskräfte gegeneinander auszuspielen. Teile und herrsche – hat schließlich schon bei den alten Römern prima funktioniert. Mit anderen Worten: Das ging natürlich auch nicht, denn dazu hätte man die Firmenkultur ändern müssen.

Dann wäre es schön gewesen Oberhäuptlinge gehabt zu haben, denen man vertrauen kann. Dazu hätten sie sich erst mal gegenseitig vertrauen müssen, aber das ist ein anderes Thema.
Das ging natürlich auch nicht, denn – ihr wisst schon.

Mehr Einblick in andere Bereiche. Auch das war nicht wirklich gewollt. Irgendwie ja auch verständlich – welche Führungskraft will schon, dass ihr alle anderen reinreden. In den
gegebenen Strukturen war es das einzig Sinnvolle, sich möglichst bedeckt zu halten. Es sei denn, man hätte die Firmenkultur geändert…

Neuer Umgang mit Fehlern und Kritik. Wenn man gar aus Fehlern gelernt hätte, nicht auszudenken. Ich bin ja ein großer Fan davon. Wäre vielleicht gegangen, wenn man die Firmenkultur geändert hätte und Mitarbeiter nicht für Fehler bestraft hätte.

Eine Strategie, yes, please! Ich wurde immer verzweifelter, weil ich gar nicht mehr wusste, was ich da eigentlich tue und warum. Gebt mir eine Richtung! Oder lasst mich selber eine festlegen! Oder vielleicht alle zusammen? Nö, wir fahren lieber auf Sicht und gucken mal, was passiert.

Da war doch noch wer? Der Kunde! Der, der letztlich unsere Gehälter zahlt. Können wir den bitte in den Mittelpunkt stellen. Echt jetzt mal? Bei allem? Das ging natürlich auch nicht, denn dazu hätte man die Firmenkultur ändern müssen, die u.a. daraus bestand, dass man
sich vor allem mit sich selbst (und eben nicht mit dem Kunden) beschäftigte.

Traut euch, die Büchse der Pandora zu öffnen

Naja, und so weiter. Ihr habt’s verstanden: Eine HORG ist grundsätzlich nicht darauf ausgerichtet, die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter auch nur anzuerkennen, geschweige denn zu erfüllen. Dass genau das die Produktivität, Effektivität und ja, das Bruttoglücksprodukt einer Firma enorm steigert: geschenkt.

Eins ist klar: Die Frage „Was brauchst du?“ kann die Büchse der Pandora öffnen. Oder der Einsteig in einen ehrlichen, konstruktiven Austausch sein. Und genau deshalb wird sie so selten gestellt. Weil sie an die Grundfesten eines Unternehmens rührt – oder auch das Herz des Mitarbeiters.

Und was braucht Ihr so?

Dieser Artikel erschien zuerst auf Lydia Krügers Blog Büronymus. Wir freuen uns, das er auch hier erscheint.

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