Foto: Flickr | Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen | CC BY 2.0

Bundestagswahlkampf: Ist die CDU noch einzuholen?

Drei Monate sind es noch bis zur Bundestagswahl. Neueste Umfragen sehen die CDU klar vorne. Die Grünen und die SPD versuchen das Blatt noch zu wenden. Ist der Wahlkampf wirklich schon gelaufen? Das fragt sich Helen diese Woche in ihrer Kolumne „Ist das euer Ernst?”.

Ist die CDU noch einzuholen?

Nach neuesten Umfragen des Allenbach Instituts verliert die SPD weiter und käme aktuell nur noch auf 24 Prozent und die GRÜNEN auf gerade einmal sieben Prozent. Selbst in einer Rot-Rot-Grünen Koalition mit den Linken (aktuell 8,5 Prozent) würde es für eine Regierungsbildung nicht reichen. Die CDU läge bei 40 Prozent und könnte gemeinsam mit der FDP (10,5 Prozent) die absolute Mehrheit erreichen. Ist der Wahlkampf also schon knapp 100 Tage vor der Wahl gelaufen?

Die letzten Wochen hätte man leicht diesen Eindruck gewinnen können. Dann sorgten zuerst die Grünen am Wochenende mit ihrem Parteitag und dem beschlossenen Wahlprogramm für Aufsehen und dann Anfang der Woche die SPD mit ihrem geplanten Steuerprogramm.

Die Grünen machten vor allem mit einer Aussage Schlagzeilen: Eine grüne Regierungsbeteiligung wird es nur geben, wenn die „Ehe für alle“ endlich Realität wird. In einem Kommentar bei Zeit Online warf Ludwig Greven der Partei daraufhin prompt Realitätsferne vor. Wer die „Ehe für alle“ zur Koalitionsbedingung mache, wolle nicht gewählt werden. Das sehen 83 Prozent der Deutschen anders – denn so hoch ist die Zustimmungsrate für ein diskriminierungsfreies Ehegesetz in der Bevölkerung; gegen die „Ehe für alle“ ist vor allem die CDU. Und die hat es deshalb auch fertiggebracht, den Antrag auf Gesetzesänderung in den letzten vier Jahren gemeinsam mit der SPD 30 Mal zu verlegen. Mit der unverhandelbaren Forderung der „Ehe für alle“ ist eine Koalition mit der CDU quasi ausgeschlossen, das ist richtig. Und für Ludwig Greven mag die Gesetzesänderung zweitrangig sein, für viel zu viele Menschen in unserer Gesellschaft ist die jetzige Regelung Ausdruck einer Politik, die sie und ihren Lebensentwurf diskriminiert und beim Wandel der Gesellschaft nicht mehr mitkommt. Dass die Grünen sich nun so klar für eine Änderung einsetzen, ist vor allem dem scheidenden Politiker Volker Beck zu verdanken. „Es geht um das Wofür und nicht um das mit Wem”, rechtfertigte Kartin Göring-Eckardt den Schritt dann in ihrer digitalen Antwort auf den Vorwurf dann auch.

Wofür stehen die Grünen 2017?

Es ist gut und wichtig, dass die Grünen so klar Stellung beziehen. Und auch sonst hat das Wahlprogramm der Grünen einen genaueren Blick verdient. Auch wenn der Titel („Zukunft wird aus Mut gemacht”) mich aus unerfindlichen Gründen an diesen Hit denken lässt.

Klimapolitik (Bis 2030 soll Deutschland zum Beispiel komplett aus der Energieversorgung durch Braunkohle aussteigen), Europa (Weg vom einseitigen Sparkurs, hin zu Investitionen), Flüchtlingsschutz (sichere und legale Fluchtwege schaffen, faire Asylverfahren), ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht (Wer in Deutschland geboren ist, ist deutscher Staatsbürger), Gleichberechtigung (ein „echtes” Gleichstellungsgesetz, Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen, Förderung von Hebammen), Kampf gegen Kinderarmut (ein modernes Familienrecht, Familien-Budget, Stärkung von Alleinerziehenden) – das alles sind erst einmal sehr wichtige Ziele. Gerade in Bezug auf Geflüchtete und Kinderarmut formulieren die Grünen damit Lösungsansätze aus, die SPD und CDU bisher kaum angesprochen haben („Den Deutschen geht es so gut wie nie”).

Geflüchtete Menschen kann Schutz und Integration geboten werden und soziale Gerechtigkeit ist doch mehr als eine Floskel. Ja, auch im Wahlprogramm der Grünen gibt es noch einige Lücken, aber trotzdem macht das Wahlprogramm ein wenig Hoffnung. Das größte Problem dabei: Wie viel Möglichkeit werden die Grünen haben, diese guten Ideen auch wirklich umzusetzen. Mit sieben Prozent ließe sich noch nicht mal eine starke Opposition stellen.

Und was hat die SPD vorbereitet?

Wie kann man der CDU also noch gefährlich werden? Die SPD hat da auch noch eine Idee: mit einem „soliden und ausgewogenen” Steuerkonzept, das Martin Schulz wie folgt umschreibt: „Wir haben solide gerechnet und versprechen nichts, was wir nicht halten können” – Aufbruchsstimmung klingt anders. Dabei hat auch das Steuerkonzept, das Olaf Scholz (der eher dem rechten Flügel der SPD angehört) und Thorsten Schäfer-Gümbel (linker Flügel) gemeinsam mit einem Beraterteam für die Sozialdemokraten erarbeitet haben, beinhaltet einige gute Ansätze. So kündigte Martin Schulz „Vorfahrt für Investitionen” an.

Steuerentlastungen sollen vor allem für untere und mittlere Einkommen kommen, der Spitzensteuersatz von Ledigen soll von 42 auf 45 Prozent steigen. Zusätzlich soll es eine Reichensteuer von drei Prozent auf Einkommen über 250.000 Euro geben. Was nicht thematisiert wird: eine Vermögenssteuer. Beim Thema Steuersenkungen hat das Konzept der SPD auch an diejenigen Menschen gedacht, die von Entlastungen gar nicht profitieren – einfach, weil sie keine Steuern zahlen können. Dafür sollen die Kita-Gebühren schrittweise abgeschafft. Außerdem sollen Schulen und die Infrastruktur gefördert werden. Konkret sollen dafür 30 Milliarden Euro investiert werden.

Dieses Steuerkonzept ist für ein reiches Land gemacht, dessen Wirtschaft wächst und das Rekordbeschäftigung verzeichnet. So zumindest beschreibt Martin Schulz, das Land, das er ab September regieren will. Die größte Gefahr: Der Wohlstand könnte verspielt werden. Für einige Menschen in Deutschland ist das sicherlich tatsächlich die größte Gefahr. Was aber ist mit den vielen Alleinerziehenden, die am Existenzminimum leben? Mit Menschen, die von viel zu geringen Sozialleistungen leben müssen? Mit Kindern, die schon in ein ungerechtes System hineingeboren werden, das ihnen kaum Möglichkeiten für eine bessere Zukunft bietet? Für all diese Menschen reicht es nicht aus, ihnen die Kitagebühren zu erlassen.

Geht da noch was?

Bei der Vorstellung des Programms sprach Martin Schulz die prekäre Situation vieler Alleinerziehender an und stellte selbst fest: „Das ist nicht gerecht.” Die müde Stimme, mit der er dies tat, klang fast so, als ob er den Kraftakt, den es in Deutschland kostet, alleinerziehend zu sein, Ausdruck verleihen wollte. Das reicht aber nicht, Gerechtigkeit braucht Inhalte. Mal sehen, ob es den Sozialdemokraten gelingt, diese Inhalte am Wochenende auf ihrem Parteitag mit Hilfe der Basis zu formulieren. Ansonsten ist der Wahlkampf vielleicht wirklich gelaufen.

Titelbild: Flickr | Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen | CC BY 2.0

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