Deutschland geht es immer besser? Die Zahlen des neuen Armutsberichtes des Paritätischen Wohlfahrtsverband widersprechen dem, denn die Armutsquote ist gestiegen.
12,9 Millionen Deutsche gelten als einkommensarm
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat heute seinen jährlichen Armutsbericht veröffentlicht, der wie andere Berichte wie zum Beispiel vom DIW und Statistisches Bundesamt ebenfalls steigende Armutsquoten in Deutschland verzeichnet, laut Wohlfahrtsverband liegt diese Quote für das ausgewertete Jahr 2015 bei 15,7 Prozent, also rund 12,9 Millionen Menschen, die unter der Einkommensarmutsgrenze lebten – ein Höchststand in Deutschland. Und das obwohl ebenso die Wirtschaftskraft in diesem Jahr stieg.
Der Bericht zeigt, dass bei allen Risikogruppen die Armut im Vergleich zum Vorjahr noch einmal zugenommen habe: Bei Erwerbslosen auf 59 Prozent, bei Alleinerziehenden auf 44 Prozent, bei kinderreichen Familien auf 25 Prozent, bei Menschen mit niedrigem Qualifikationsniveau auf 32 Prozent und bei Ausländern auf 34 Prozent. „Alarmierend sei im Zehn-Jahres-Vergleich insbesondere die Armutsentwicklung bei Rentnerinnen und Rentnern“, heißt es in einer Pressemitteilung des Wohlfahrtsverbands. Die Armutsquote der alten Menschen stieg demnach binnen zehn Jahren von 10,7 auf 15,9 Prozent und damit um 49 Prozent: ein völliger „Ausreißer in der Armutsstatistik“. Das Problem der Altersarmut, von der überdurchschnittlich häufig Frauen betroffen sind, wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen.
Arbeit verhindert Armut nicht
Dass eine florierende Wirtschaft die Armutsquote nicht senkt, zeigt der Bericht unter anderem im Kapitel zur Situation alleinerziehender Eltern. Während das Risiko arm zu sein für alleinlebende Mütter und Väter (etwa 90 Prozent der Alleinziehenden in Deutschland sind Frauen) 2005 noch bei 39,3 Prozent lag, lag es 2015 schon bei 43,8 Prozent. Und das obwohl Alleinerziehende mittlerweile häufiger ein Erwerbseinkommen haben und häufiger in Vollzeit arbeiten. Für Alleinerziehende bedeutet das, dass ein Job sie nicht unbedingt vor Armut schützt und die Wunderformel von Politik, mehr Menschen in Arbeit zu bringen nicht das alleinige Gegenmittel gegen Armut ist.
Der Armutsbericht kritisiert in diesem Kapitel auch, dass Unterhaltszahlungen oder der Unterhaltsvorschuss oft nur das Notwendigste zum Leben für die Kinder abdecken könnten, aber „zur Deckung von Kosten für die Freizeitgestaltung oder die soziokulturelle Teilhabe ausreicht“. Aktuell leben in Deutschland über zwei Millionen Kinder in Ein-Eltern-Familien – aufgrund steigender Trennungs- und Scheidungsraten ist zu erwarten, dass es die nächsten Jahre noch mehr werden.
Arme sterben früher
Die Auswertung vorhandener Daten kommt in diesem Bericht zu dem Schluss, dass die Lebenserwartung von Frauen, in der niedrigsten Einkommensgruppe gegenüber Frauen, in der höchsten Einkommensgruppe um etwa acht Jahre niedriger lebt, arme Männer sterben im Schnitt sogar elf Jahre früher als wohlhabendere Männer. Die Weichen für die Gesundheit werden, so merken die Verfasser des Armutsberichtes an, jedoch schon früh in der Kindheit gestellt, was es umso wichtiger macht, der steigenden Kinderarmut entgegen zu wirken.
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock und Dr. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband geben im Vorwort des Armutsberichts, der in mehreren Kapiteln auch die Armut junger Erwachsener, Altersarmut, die Situation von Geflüchteten, von Wohnungslosen, von Menschen mit Behinderung, von psychisch Erkrankten und Erwerbslosen thematisiert, einen wichtigen Denkanstoß:
„Es ist die Mehrheitsgesellschaft, die zu begründen hat, wenn sie Menschen mit Behinderung in vielen Lebensbereichen echte Inklusion vorenthält. Es sind die Privilegierten, die zu rechtfertigen haben, wenn sie 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche in Hartz IV belassen und damit deren Bildungs- und Entwicklungschancen massiv beschädigen. Es sind die Privilegierten, die zu erklären haben, wenn sie langzeitarbeitslosen Menschen Beschäftigung vorenthalten oder pflegebedürftigen Menschen Personalschlüssel, bei denen man tatsächlich von gleicher Würde unter Gleichen sprechen kann.“
Das heißt: Trotz einem detaillierten Wissen um Armut und Ausgrenzung werden politische und gesellschaftliche Maßnahmen neu getroffen und aufrechterhalten, die Menschen in ihrer Armut festsetzen, sie noch ärmer machen und weiterhin ausgrenzen – statt umfassende Gegenmaßnahmen zu realisieren. Und darüber sollte sich jeder bewusst sein und entweder begründen können, was dafür spricht, dass Kinder an Armut Schaden nehmen – oder sich dafür einsetzen, dass dies anders wird.
Hier kann der Armutsbericht 2017 heruntergeladen werden.
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