Foto: Vlada Karpovich | Pexels

So ist es, intelligenter als 99,9 Prozent aller Menschen zu sein

Die 25-jährige Massimilla hat einen IQ von über 130. Wie lebt es sich als Hochbegabte? Unseren Kollegen von ze.tt hat sie es erzählt.

Während ihres Masterstudiums der Psychologie war sie nie viel an der Uni. Probiert hat sie es, aber lange hielt sie es in den Vorlesungen nicht aus. Zu wenige Informationen wurden zu langsam vermittelt, die anderen stellten zu viele Fragen. Dann ging sie nach einer halben Stunde wieder nach Hause. Und die anderen schauten, flüsterten. Sie spürte die urteilenden Blicke ihrer Kommilitonen. „Warum geht sie denn schon, die hält sich wohl für etwas Besseres.“ Manchmal zwang sie sich, bis zum Ende der Vorlesung durchzuhalten, um nicht negativ aufzufallen. Doch das war mehr Qual als Entspannung. Komplexe Lehrinhalte wie Wahrnehmungspsychologie oder Neuroanatomie brachte sie sich daher lieber alleine zu Hause bei, so ging es einfach schneller.

Massimilla hält sich nicht für besser. Sie ist nicht arrogant oder eingebildet, obwohl sie manchmal auf andere so wirkt, sagt sie. Trotzdem ist sie anders. Etwas Besonderes. Massimilla versteht Dinge schneller. Sie verarbeitet neue Informationen in Hochgeschwindigkeit, kann endlose Assoziationsketten ziehen, und erkennt dort Zusammenhänge, wo andere bloß Chaos sehen. Ihre Fähigkeit heißt kognitive Intelligenz. Massimilla ist 25 und hochbegabt.

Weltweit ist 130 der signifikante Wert. Ab einem IQ von 130 gilt man als hochbegabt. Etwa zwei Prozent der Weltbevölkerung erreicht diesen Wert. Die 130 überschreitet Massimilla leicht. Sie gehört nicht nur zu den klügsten zwei Prozent, sondern zu den klügsten 0,1 Prozent aller Menschen. Wie hoch genau ihr IQ ist, möchte Massimilla nicht sagen, denn in der Hochbegabten-Szene „macht man das nicht.“

Das Wissen sprudelt wie ein Wasserfall aus ihr heraus

Seit Februar dieses Jahres ist sie in Berlin, um an der Humboldt-Universität zu promovieren. Als ich sie im Institut für Psychologie im Rudower Chaussee treffe, fällt mir als erstes auf, wie schnell Massimilla redet. Immer längere Sätze sprudeln ihr scheinbar mühelos über die Lippen. Unterbricht uns jemand, stoppt sie mitten im Satz, regelt die Anliegen der anderen, und knüpft nahtlos wieder daran an.

„Generell ist es so“, erklärt sie mir, „dass ich so schnell reden und denken kann, wie ich will. Ich habe sehr viele Informationen im Kopf, zu allem fällt mir ständig etwas Neues ein. Immer, wenn jemand etwas sagt, springt dazu im Kopf etwas an. Und ich habe das Bedürfnis, das auch zu äußern.“

So war das schon in der Schule. Massimilla wurde vorzeitig eingeschult, war ständig Klassenbeste. Mit 14 Jahren machte sie den ersten Intelligenztest, bei dem ihre Hochbegabung festgestellt wurde. Diese Diagnose half, es war ihr persönlicher Aha-Moment. „Davor konnte ich einfach nicht verstehen, wenn mich jemand anderer nicht verstand. Auch wenn ich es ganz langsam und ausführlich erklärte.“

Die Gedanken springen bei Massimilla von A zu X

In Seminaren an der Uni hatten Kommilitonen, selbst Professoren gelegentlich Probleme, Massimilla zu verstehen, denn ihr Denkprozess verläuft selten linear. Sie springt thematisch nicht von A zu B zu C, sondern von A zu X zu 7 und π. Und daher passiert es schnell mal, dass sie andere Leute im Gespräch abhängt. „Wie kommst du denn da schon wieder drauf? Das hat doch nichts damit zu tun“, kriegt sie dann zu hören. Was sie als logischen Gedankengang wahrnimmt, finden andere überdreht und konfus. Dann muss sie sich erklären, oder das Gespräch geht ins Leere.

Auch im Alltag eckt Massimilla ab und zu an. In Gesprächen mit „zu geringer Informationsdichte“ beginnt sie, die Sätze ihrer Gesprächspartnerinnen vorzeitig zu beenden. Weil sie längst weiß, worauf sie hinauswollen. Dass das unhöflich wirken kann, ist ihr bewusst. Böse meint sie es aber nie, denn sie ist keine Besserwisserin. Klugscheißerin vielleicht, aber keine Besserwisserin. Es geht nicht darum, mit Wissen zu prahlen. Es geht um Wahrheitsfindung; darum, etwas Falsches nicht einfach so stehen zu lassen. Trotzdem musste sie mittlerweile lernen, „im Zweifelsfall immer die Klappe zu halten. Weil man einfach immer eins draufkriegt. Das ist ein zermürbendes Gefühl.“

Daher erzählt sie den meisten Leuten gar nicht erst von ihrer Hochbegabung. „Es wird einem echt schwer gemacht, offen darüber zu sprechen. Man wird schnell abgestempelt. Man stößt auf Widerstand, gilt als eingebildet.“ Deswegen würde sie es sich ganz genau überlegen, wem sie von ihrem hohen IQ erzählt. Verstecken geht ohnehin nur bedingt, die meisten kriegen es irgendwann von selbst mit. Damit verbunden ist obendrauf ein gewisser Druck. Wissen die Leute erst mal Bescheid, haben sie bestimmte Erwartungen. „Du weißt das nicht? Ich dachte, du bist hochbegabt?“

Hochbegabte verstehen einander

Ihre besten Freunde hat Massimilla im Mensa-Club kennen gelernt, einem weltweiten Verein für Hochbegabte mit einem IQ von mindestens 130. Dort können sich hochintelligente Menschen vernetzen, diskutieren, Zeit miteinander verbringen. In Deutschland gibt es rund 13.000 Mitglieder. Unter Mensa-Leuten kann Massimilla ihren Gedanken freien Lauf lassen. „Es ist absolut ein anderes Gefühl, da lasse ich meine Gedanken richtig sprudeln.“ Ein Mensa-Treffen ist für sie wie ein Ventil, da wird keiner keinem zu viel und niemand bleibt inhaltlich auf der Strecke.

Engere Beziehungen, ob Partner-  oder Freundschaften, hatte Massimilla bisher immer nur mit Menschen, die entweder nachgewiesen hochbegabt waren oder es noch nicht wussten. Massimilla wusste es. Nämlich immer dann, wenn das Gegenüber ihrem Gedankenweg folgen konnte. „Es wäre schwer, auf Dauer mit jemanden klarzukommen, der nicht auf meinem Niveau denkt. Wenn es mir zum Beispiel nicht gut geht, muss ja gerade mein Partner verstehen können, was ich ihm sagen will.“ Nach Hochbegabten würde sie nicht absichtlich suchen, sondern sich einfach in sie verlieben. Es klickt dann einfach. „Vielleicht bin ich auch sapiosexuell“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Das ist die erotische Hingezogenheit zum Intellekt einer anderen Person.

Zum Abschluss unseres Treffens frage ich sie nach dem Klassiker, dem Sinn des Lebens. Massimillas Antwort ist ein Zitat von Albert Camus‘ philosophischen Essays „Der Mythos des Sisyphos“: „Ich weiß nicht, ob diese Welt einen Sinn hat, der über mich hinausgeht. Aber ich weiß, dass ich diesen Sinn nicht kenne und dass ich ihn zunächst unmöglich erkennen kann. Was bedeutet mir ein Sinn, der außerhalb meiner Situation liegt? Ich kann nur innerhalb menschlicher Grenzen etwas begreifen.“

Der Originaltext von Philipp Kienzl ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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