In ihrer Kolumne schreibt Camille Haldner über alles, was ihr so auf den Keks geht. Diese Woche: Die vermeintlich harmlose, tatsächlich aber sehr persönliche Frage nach dem Kinderwunsch.
„Kinderkriegen ist gerade noch kein Thema für dich, du willst ja erstmal Karriere machen, nicht wahr?“ Diese Frage wurde in ähnlicher Ausführung mehrfach an mich herangetragen. Innerhalb eines Wochenendes. Von der Mutter meines Partners. Jedes Mal freundlich – und doch übergriffig, auch weil sie mit der Frage etwas suggerierte.
Suggerierend, dass ich mit 26 bereits weiß, ob und wann ich Kinder will. Davon ausgehend, dass ich Kinder bekommen kann. Interpretierend, dass meine Beziehung an einem Punkt ist, an dem ich mir vorstellen kann, einen weiteren Menschen in diese Konstellation zu integrieren. Kommuniziert in der Annahme, dass es nur einen guten Grund dafür gibt, warum wir uns noch nicht mitten im Babyproduktionsprozess befinden: Weil ich damit beschäftigt bin, die Karriereleiter zu erklimmen. Und – was mich am meisten stört – implizierend, dass es ok ist, sowas zu fragen.
Ihr stellt die eigene Neugierde über die Befindlichkeit der anderen Person
Die Frage nach dem Kinderwunsch kann komplexe bis schmerzhafte Antworten hervorbringen – und ist deshalb nichts, was wir einfach mal so ansprechen sollten. Wer das dennoch tut, stellt die eigene Neugierde über die Befindlichkeit der anderen Person. Warum ich jetzt darüber schreibe? Weil die Feiertage nahen. Und auch, wenn wir in diesem Ausnahmejahr in deutlich kleinerem Kreis oder gar digital feiern werden, bin ich mir sicher, dass ein Thema definitiv auf den Tisch kommt: Die Frage nach der Familienplanung.
Doch damit stochert ihr, liebe Bekannte und Verwandte, in einem ziemlich sensiblen Bereich herum, der euch nichts angeht. Ihr stellt die Frage nach einer der persönlichsten Entscheidungen, die Menschen in ihrem Leben so treffen. Und bringt damit nicht nur die Geschlechtsorgane der betreffenden Personen an den Tisch, sondern wühlt indirekt auch in deren Beziehungen, deren Finanzen, deren medizinischem Status, deren Familiengeschichte, deren beruflichen Plänen, Träumen, Sorgen und Gedanken – quasi in jedem Bereich ihres Lebens.
Bin ich etwa nicht mehr als meine Karriereambitionen und mein Uterus?
Mir ist bewusst, dass Menschen, die nach der Familienplanung fragen, uns meist mit Wohlwollen begegnen und mit verklärtem Blick auf das Thema schauen: „Kinder sind kleine Wunder.“ „Leben kreieren, ist fast wie zaubern.“ Und so weiter. Häufig wird diese Frage in guter Absicht und ohne Hintergedanken, aber leider eben auch ohne groß zu überlegen, gestellt. Und genau das ist das Problem. Viele Menschen vergessen, sich selbst zu fragen, wie groß die Bereitschaft ist, das eigene, wahrscheinlich für selbstverständlich gehaltene Lebensmodell auch mal zu hinterfragen und die Privilegienbrille abzusetzen.
„Viele Menschen vergessen, sich selbst zu fragen, wie groß die Bereitschaft ist, das eigene, wahrscheinlich für selbstverständlich gehaltene Lebensmodell auch mal zu hinterfragen und die Privilegienbrille abzusetzen.“
Ich wünsche mir mehr Sensibilität im Umgang mit der Frage nach der Familienplanung – für mich selbst und andere. Und mehr Bewusstsein dafür, was dieser Griff in den „Intimbereich“ anderer Menschen auslösen kann. In meinem Fall fühlt es sich tatsächlich so an, als würde die fragende Person in mich hineingreifen und etwas einpflanzen, was da nicht hingehört. Etwas, das in mir wuchert und Gedankenprozesse anstößt, die ich nicht selbst in Gang gesetzt habe.
Beispielsweise die Frage, warum Menschen immer noch glauben, eine steile Karriere sei für Frauen die einzige Legitimation, bewusst keine Kinder zu bekommen. Bin ich etwa nicht mehr als eventuelle Karriereambitionen und mein Uterus? Oder: Warum wir von Menschen Antworten erwarten, noch bevor sie sich die dazugehörigen Fragen selbst stellen konnten. Noch bevor sie Gelegenheit hatten, herauszufinden, wer sie sein und wie sie ihr Leben gestalten wollen. Mich hat diese Frage aufgewühlt und Gespräche mit meinem Partner angeregt, die wir bereits auf später vertagt hatten. Das ist nervig, aber harmlos im Vergleich zu dem, was diese Frage bei anderen Menschen anrichten kann.
Frau + Mann = Kind? So einfach ist es nicht
„Wie sieht es mit Kindern aus?“, fragt nach mehr als einer Stimmung. Es ist die Frage nach einem Lebenskonzept, nach Gleichberechtigung, Inklusion, Möglichkeiten und finanziellen sowie gesundheitlichen Voraussetzungen. Wir werfen diese Frage auf, ohne zu überlegen, in wessen Schoß sie landet und wie viel Schaden sie dort anrichtet. Ob sie nicht vielleicht bei einer Person landet, die seit Jahren versucht, Kinder zu bekommen. Bei jemandem, der*die gerade erfahren hat, dass sie*er nicht schwanger werden kann. Bei Menschen, die Kinder verloren haben. Ob sie nicht vielleicht bei einer Person landet, die bewusst entschieden hat, keine Kinder zu bekommen, obwohl der Wunsch da wäre; weil die Mittel fehlen, weil man bestimmte Krankheiten nicht vererben will, oder weil ein Trauma mit diesem Thema verbunden ist. Und schließlich könnte die Frage auch bei einer Person landen, die einfach nur müde ist, immer wieder zu erklären, warum sie keine Kinder will.
„Die Default-Einstellung in den Köpfen vieler Leute ist: Frau + Mann = Kind? Aber so einfach ist es nicht. Die Frage nach der Familienplanung ist hochpolitisch.“
Ich habe den Eindruck, dass uns bei dem Thema nicht nur ein gewisses Maß an Sensibilität fehlt, sondern auch das Bewusstsein dafür, dass es für Menschen abseits der heteronormativen und privilegierten Gesellschaft nicht nur eine Frage des Wollens ist. Die Default-Einstellung in den Köpfen vieler Leute ist: Frau + Mann = Kind? Aber so einfach ist es nicht. Die Frage nach der Familienplanung ist hochpolitisch. Ja, wir leben in einer feministischeren, gleichberechtigteren Gesellschaft als noch vor 50 Jahren. Die Realität ist jedoch, dass es noch immer zahlreiche marginalisierte Gruppen gibt, die nicht die gleichen Rechte, Freiheiten und Möglichkeiten haben, die für Menschen in heteronormativen Familienkonstellationen gelten. Zum Beispiel, weil an vielen Stellen Gesetze zur körperlichen Selbstbestimmung, zur Gleichstellung von Regenbogenfamilien oder auch zur Inklusion behinderter Menschen fehlen.
Fragt nach Träumen statt Kindern
Statt andere nach der Familienplanung zu fragen, sollten wir uns mit den vielfältigen Fragen befassen, die in unserer Gesellschaft noch geklärt werden müssen – und mit den Umständen der Menschen, die davon betroffen sind. Auf der gesellschafts-politischen Ebene sollten wir uns dafür engagieren, dass Kinderkriegen nicht nur eine Option für manche, sondern für mehr Menschen ist. Und doch ändert das nichts daran, dass wir uns auf der privat-persönlichen Ebene gewahr sein sollten, dass die Frage immer Menschen treffen kann, für die das ein unangenehmes Thema ist.
„Wenn jemand den Wunsch verspürt, mit mir über seine*ihre Familienplanung zu sprechen, teilt er*sie das mit. Wenn nicht, dann geht es mich nichts an.“
Unsere Lebensplanung ist nie abgeschlossen, sondern verändert sich mit den Jahren, in denen wir uns weiterbewegen. Ich finde, wir sollten Menschen die Möglichkeit geben, für sich herauszufinden, wie sie ihr Leben gestalten wollen, ohne mit suggestiven Fragen darin rumzupfuschen. Ich halte es so: Wenn jemand den Wunsch verspürt, mit mir über seine*ihre Familienplanung zu sprechen, teilt er*sie das mit. Wenn nicht, dann geht es mich nichts an.
Und für alle, die jetzt ihre Hände in die Luft werfen und rufen – „Was darf man denn überhaupt noch sagen?“ ein Tipp: Es gibt so viele andere Möglichkeiten, Menschen besser kennenzulernen. Fragt sie nach ihren Träumen und Sorgen. Fragt sie, was sie sich wünschen und was ihnen für ein glückliches Leben noch fehlt. Und bietet ihnen eure Unterstützung dafür an, den Zielen nachzugehen, die für sie gerade relevant sind.
In ihrer Kolumne „Wann hören wir endlich auf …?“ schreibt unsere Redakteurin Camille Haldner über all die Dinge, die ihr so richtig auf den Keks gehen. Aussagen und Handlungen, die einer gleichberechtigten, feministischen, aufgeschlossenen Gesellschaft nicht würdig sind – und mit denen wir endlich aufhören sollten.